Wann ist endlich Schluss mit endlich? —- Schlussendlich in der Schweiz

Oktober 5th, 2006
  • Wann ist endlich Schluss mit endlich
  • Seit wir in der Schweiz leben, lernen wir wunderbare Wörter der Deutschen Sprache kennen, von deren Existenz wir bislang nicht einmal etwas ahnten. Manche Wörter hörten wir allerdings so oft, dass sie dann doch irgendwann anfingen uns zu nerven. Es sind Modewörter, allerdings ausgesprochen Schweizerische Modewörter. Eins davon ist „schlussendlich“.

    Google-CH findet „schlussendlich“ 420´000 Mal. Nichts Besonderes, bei Google-DE wird es sogar 1‘200’000 Mal gefunden, es ist ein normales Wort der Deutschen Sprache. Aber ist es wirklich Standarddeutsch?

    Wir befragen den Duden und finden bestätigt, dass es sich hier um einen typisch Schweizerischen Begriff handelt:

    schlussendlich (Adv.) (bes. schweiz.):
    schließlich, endlich, am Ende, zum Schluss:
    Schwer zu sagen, welches Motiv die Dora Flinner schlussendlich dazu bestimmte, diesen Kampf für sich zu wagen (natur 4, 1987, 32).
    (Quelle: duden.de)

  • Schliesslich ist doch auch sehr schön
  • Also liebe Schweizer, um mal zum Schluss ein bisschen Varianz und Abwechslung in Euer perfektes Schweizer Hochdeutsch zu bringen, tut uns endlich den Gefallen, und verwendet am Ende etwas anderes als immer nur schlussendlich. Obwohl, am Ende wird das nie verwendet, und am Schluss eines Satzes haben wir es auch nie gesehen. Nein, es steht ausschliesslich auf dem beliebten ersten Platz, dem „Vorfeld“ des Satzes, und führt eine „Vorfeldbesetzung“ durch.
    Tages-Anzeiger 19.09.06:

    Schlussendlich werden sich die Diplomanden noch der mündlichen Prüfung stellen müssen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Tages-Anzeiger 03.10.06:

    «Schlussendlich geht es aber um die Inhalte, nicht um die Anzahl Hörer», denkt hingegen Gustavo Salami.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Tages-Anzeiger 7.1.2005:

    Schlussendlich muss die Ausbildung sowohl als Instrument der Strategieumsetzung wirken, als auch dazu beitragen, dass Mitarbeiter sich entwickeln und ihr volles Potential zur Geltung bringen können.
    (Quelle: Tages-Anzeiger

    Dies zwingenden Schlussfolgerungen mit „schlussendlich“ am Satzanfang beginnen uns tatsächlich auf die Nerven zu gehen. Wann ist endlich Schluss mit endlich? Oder kann man sich auch daran gewöhnen? Schlussendlich redet doch jeder wie er/sie es für richtig hält. Wir denken dann einfach nicht hin, wenn wir es beim nächsten Mal hören müssen.

    Bereits ist es erforscht — Neues von der Vorfeldbesetzung

    September 27th, 2006
  • Auch schon das Vorfeld besetzt?
  • Der Titel klingt wie eine militärische Lagebesprechung. Die „Vorfeldbesetzung“ ist dem gemeinen Sprachwissenschaftler eher bekannt unter dem Begriff der „Topikalisierung“. Darunter versteht er die

    Plazierung einer satzgliedwertigen Konstituente ohne Satzakzent (= Topik, Thema) an den Satzanfang (ins Vorfeld) vor das finite Verb, wobei im Dt. das Subjekt durch Inversion hinter das finite Verb ins Mittelfeld des Satzes rückt:
    Er hat seine Absichten gestern genau erläutert (= unmarkierte (Normal)stellung mit Subjekt im Vorfeld und finitem Verb in Zweitposition)
    vs.
    Gestern hat er seine Absichten genau erläutert (= T. des Adverbs und Inversion von Subjet und finitem Verb)
    (Quelle: Hadumod Buβmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, S. 548, Stuttgart 1983, damals schrieb man „Plazierung“ noch ohne „tz“)

    Na, ist Sprachwissenschaft nicht doll? Da fühlt man sich doch wie beim Fussball mit Mittelfeld, Vorfeld und Stellung. Dabei geht es einfach nur um das Wörtchen „bereits“ am Satzanfang.

    Am 20.09.06 berichteten wir auf der Blogwiese über das Schweizer Phänomen, am Satzanfang das Wörtchen „bereits“ zu verwenden, und dann mit einer finiten Satzkonstruktion ohne zusätzliches Zeitwort fortzufahren. „Bereits ist es so, dass…“ (vgl. Blogwiese).

  • Die Wissenschaft hat festgestellt…
  • Nun fanden wir in der Sonntagszeitung vom 24.09.96 einen Artikel von Balz Spörri über eine Forschungsarbeit zum Thema „Schweizerdeutsch“ von Christa Dürscheid, in der exakt dieses Phänomen bestätigt und wissenschaftlich untermauert wird:

    In einem Beitrag für den Band «Schweizer Standarddeutsch» konnte die Zürcher Linguistik-Professorin jetzt erstmals empirisch nachweisen, dass sich das Schweizer Hochdeutsch durch eine Reihe von syntaktischen Konstruktionen vom deutschen Standarddeutsch unterscheidet.

    Zusammen mit Inga Hefti hat sie speziell die so genannte Vorfeldbesetzung in Aussagesätzen wie «Bereits befürchtet die Polizei soziale Unruhen» untersucht. Diese Satzstellung kommt im Schweizer Standarddeutsch häufig vor, in bundesdeutschen Texten jedoch kaum. Dies ergab eine computergestützte Auswertung deutschsprachiger Printmedien. In vier Jahrgängen des «Mannheimer Morgen» und zwei Jahrgängen des «Spiegels» fand sich eine einzige Satzkonstruktion mit «bereits + finites Verb». Im «St. Galler Tagblatt» dagegen zählte Dürscheid allein in einem Jahr Dutzende Belege.
    (Quelle: Sonntagszeitung 24.09.06)

    St. Gallen? Ist das nicht die Ecke der Schweiz, in dem das für deutsche Ohren am schwersten zu verstehende Schweizerdeutsch gesprochen wird? Tief im Osten usw.

  • „Bereits“ ist gar kein Schweizerdeutsch
  • Am meisten erstaunt uns bei der ganzen Untersuchung die Feststellung, dass „bereits“ überhaupt kein typisches Schweier Dialektwort ist. Der Schweizer sagt „schoo„, also „schon„. Und wenn er schreibt, dann hat er das Gefühl, man können einen Satz nicht mit „schon“ anfangen, sondern müsse „bereits“ nehmen. Uns los geht es mit der Vorfeldbesetzung.

    Es war uns doch gleich suspekt, dieses „bereits“ am Satzanfang. Computergestützte Auswertungen konnten wir nicht bieten, jedoch ist Google auch kein schlechtes Hilfsmittel. Es bleibt die Frage offen, ob die wenigen Belege von „bereits“ am Satzanfang in Deutschen Medien nicht im Endeffekt von Schweizer Journalisten geschrieben wurden, die ansonsten sprachlich unerkannt im grossen Kanton eine geheime Schattenexistenz führen? An ihrer Syntax sollt ihr sie erkennen!

    Schon fangen wir an, Schweizerisch zu denken. Für einmal wollen wir das glauben. Für die Blogwiese hat berichtet der Jens-Rainer Wiese.

    Bereits am Satzanfang — Syntaktische Feinheiten der Schweizer Schriftsprache

    September 20th, 2006
  • Bereits ohne alles
  • Seit einiger Zeit beobachten wir in den Schweizern Medien, vor allem im Tages-Anzeiger und in der Nachrichtensendung „10 vor 10“, eine syntaktische Besonderheit, von der wir nicht ganz sicher sind, ob sie nun spezifisch schweizerisch ist oder nicht. Es geht um den Satzanfang mit „bereits“, ohne ein folgendes Zeitwort.

    Beispiel:

    Bereits ist es den USA geglückt, dank der Lancierung der Pipeline Baku (Kaspisches Meer) – Tbilissi (Georgien) – Ceyhan (Türkei) eine Bresche in das russische Monopol beim Öltransport zu schlagen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Oder hier:

    Bereits ist es einigen Programmierern gelungen, auf der PSP raubkopierte Spiele laufen zu lassen
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Der Satz ist nicht falsch, aber irgend etwas fehlt uns hier. Vielleicht ein „Bereits heute“, oder ein „schon jetzt“? Wir haben noch weitere Verwendungen gefunden:

    Bereits ist es möglich, mit Techniken wie der Positron-Emission-Tomographie (PET) die Hirnaktivität beim Auftreten veränderter Bewusstseinszustände nicht nur zu messen, sondern die einzelnen Zustände entsprechenden Hirnregionen zuzuweisen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger, zitiert auf hanflobby.de)

    Auch hier kommt uns das Ganze einfach zu knapp vor. Es fehlt ein „bereits heute“. Beim nächsten Beispiel ist es nur die Reihenfolge, die uns merkwürdig vorkommt:

    Bereits ist es einige Zeit her, dass uns Anna Witzig verlassen hat.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Bei diesem Beispielsatz kommt uns die Wortstellung ungewohnt vor. Wer ein wenig die Augen offen hält und darauf achtet, wird sicher rasch weitere Beispiele finden. Für uns kommt diese Besonderheit der helvetischen Syntax in die gleiche wundervolle Sammlung mit „für einmal“ und „erst noch“ (vgl. Blogwiese).

  • Bereits paranoid?
  • Oder ist das alles gar nichts Besonderes und es findet sich auch massig Verwendungsbeispiele für „Bereits“ am Satzanfang ohne Zeitwort in Deutschland, und ich kriege hier einfach nur die helvetische Paranoia? Bereits spüre ich so ein Ziehen im rechten Ohr. Für einmal gibt es keine Erklärung und erst noch muss ich darüber nachdenken. Bereits ist es spät. In dem Fall bis morgen dann.

    Wie lange knorzen Sie daran schon? — Neue alte Schweizer Lieblingswörter

    September 19th, 2006
  • Es knorzt im Tages-Anzeiger
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger, dem Fachblatt für angewandtes Schweizerdeutsch, vom 14.09.06 auf Seite 17:
    Knorzen an der Uni

    Die Uni knorzt am Reglement zu sexueller Belästigung

    Wir dachten zunächst, es handele sich hier um einen Schreibfehler, es sei „knackt“ gmeint. Aber irgendwie klang es nicht schlecht, dieses „knorzt“. Ein bisschen wie „harzt“ (vgl. Blogwiese) . Vielleicht harzt und knorzt es ja manchmal im Duet, so als kleine Waldmusik.

    Muss was Lautmalerisches sein, wenn es knorzt. Es erinnert uns auch an die vielen Wörter für den Brotanschnitt (vgl. Blogwiese), die jetzt sogar der Zwiebelfisch Bastian Sick im Spiegel-Online als Thema entdeckt hat: „Knäppchen, Käuschen, Knörzchen“.
    Knörzchen beim Zwiebelfisch
    (Anfang des Artikels auf Spiegel-Online.de)

    Knust und kein Knörzchen

  • Ob „Knörzchen“ von „knorzen“ kommt?
  • Doch „für einmal“ hat es nichts mit dem vielbenannten Brotanschnitt zu tun, es geht um eine Variante der anstrengenden Art. Sogar unser Duden kennt es:

    knorzen (sw. V.; hat):
    1. (südd., schweiz. mundartl.) sich abmühen, plagen:
    daran knorzen wir schon lange.
    2. (schweiz. mundartl.) übertrieben sparsam, geizig sein.

    Wenn die Uni knorzt, dann plagt sie sich, dann müht sie sich ab. Und das ganz direkt, ohne „sich“ zu bemühen.

    Das Wort ist alt, sehr alt, und schon in alemannischen Quellen um 1219 belegt. Im Schwäbischen Raum beschreibt dieses Wort eine Tätigkeit bei der Traubenverarbeitung. Diese werden mit den Füssen im Trog getreten oder „geknorzt“.

    Grimms Wörterbuch meint:

    KNORZEN,KNÖRZEN,KNORTSCHEN, landschaftlich.
    1) knorzen, kneten, knitschen, quetschen, so schwäb., schweiz. SCHMID 320, z. b. trauben knorzen durch treten im troge STALD. 2, 115. TOBLER 112b: die trauben werden in einem hölzernen trog getreten und geknorzt. (…)

    schaff, wannen, zuber, do die frawen
    teglich eindewen, knorzen und sudeln.
    H. FOLZ von hausrat, fastn. sp. 1219, GÖZ, auswahl von H. Sachs 4, 157;

    Bei den Schweizer geht es nicht um Trauben pressen, sondern ums Wäsche waschen:

    2) schweiz. auch knortschen, knörtschen (…), und knorschen, auch vom manschen, klatschenden reiben, kneten bei der wäsche, vom patschen in nässe und kot. knorschen stellt sich zu knorsen, und das ganze wort könnte denselben ursprung haben wie knorsen, mit dem knitschenden, platschenden klange als begriffskern.

    Und schliesslich die heutige Bedeutung, die wir auch im Duden fanden:

    3) anders schweiz. knorzen, mühsam arbeiten RÜTTE 48, vgl. gnürzi m. ängstlicher, mühsamer arbeiter, knauser 32: das halstuch band es (das mädchen dem burschen) um mit all seiner macht .. knorzete ihm dann mit groszer anstrengung einen lätsch (schleife) zweg (zu wege). GOTTHELF 7, 64, auch da aber läszt sich kneten als grundbegriff annehmen, vgl. kneten 4, c. auch am Mittelrhein knorzen, pfuschen KEHREIN 236b, knörze machen? so kärnt. knorzen verkrüppeln (trans.) LEXER 163.

    Bei Gotthelf wurde also ein Lätsch zu wege geknorzt. Kling nach dem Beginn eines brutalen Raubmordes, oder? Zum Glück wird dabei nur eine Schleife geknotet, und kein Mensch gemeuchelt. Auf jeden Fall ein Klassewort, was wir in unseren Sprachschatz aufnehmen werden. Mit freundlicher Genehmigung des Dudens. Wir nehmen uns vor, gleich morgen lange und ausgiebig zu knorzen was das Zeug hält.

    Gruust es oder gruselt es Ihnen?

    September 13th, 2006
  • Gruust es oder gruselt es Ihnen?
  • Im württembergischen Tübingen sahen wir einst eine Unterführung mit dem apokalyptischen Graffiti „Stell Dir vor, vorne und hinten ist zu“. Es gruselt uns heute noch, wenn wir daran denken. Den Schweizern gruust es derweilen ohne „e“ und „l“. Auch schick. 166 Funde verzeichnet Google-CH für „es gruust“. Den Deutschen graust es weniger, ihnen gruselt es mehr.

    Menschen nördlich des Rheins dürfen sich mal bis morgen daran versuchen, folgenden Auszug aus einem Schweizer Forum ins Neumitteldeutsche zu übersetzen. Die anderen verharren wissend und wartend auf das Unheil, dass da kommen wird:

    s hüülerli isch go schaffe aber i glaub sie meint, dass d’Fraue immer bhaute es gruust sie ned aber wenn s de druf a chunt denn …
    ooooder si isch verrucht, das findi aber erscht hüt zabig use
    (Quelle: guggenmusik.ch)

    P.S.: Die Amerikaner setzten im Zweiten Weltkrieg Navajo Indianer ein um unknackbare Codes zu entwickeln:

    Sie dienten bei den Nachrichtentruppen und übermittelten in ihrer Muttersprache unverschlüsselt Befehle und Meldungen. Das sparte nicht nur viel Zeit, sondern brachte den japanischen Geheimdienst fast zur Verzweiflung. Wie sollte dieser auch auf die Idee kommen, dass die abgehörten Nachrichten nicht in einer genialen Geheimsprache durchgegeben wurden, sondern in einer den Japanern unbekannten Sprache eines Indianerstammes?
    (Quelle: welt-der-indianer.de)

    Bräuchten die Schweizer Navajos? Quatsch, die würden sich ein paar Walliser aus den hintersten Tälern holen, und schon wäre der Geheimcode perfekt. Uns bringt das alles nicht zur Verzweiflung, denn wir trainieren eisern weiter Bärndütsch.