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Bereits ist es erforscht — Neues von der Vorfeldbesetzung

  • Auch schon das Vorfeld besetzt?
  • Der Titel klingt wie eine militärische Lagebesprechung. Die „Vorfeldbesetzung“ ist dem gemeinen Sprachwissenschaftler eher bekannt unter dem Begriff der „Topikalisierung“. Darunter versteht er die

    Plazierung einer satzgliedwertigen Konstituente ohne Satzakzent (= Topik, Thema) an den Satzanfang (ins Vorfeld) vor das finite Verb, wobei im Dt. das Subjekt durch Inversion hinter das finite Verb ins Mittelfeld des Satzes rückt:
    Er hat seine Absichten gestern genau erläutert (= unmarkierte (Normal)stellung mit Subjekt im Vorfeld und finitem Verb in Zweitposition)
    vs.
    Gestern hat er seine Absichten genau erläutert (= T. des Adverbs und Inversion von Subjet und finitem Verb)
    (Quelle: Hadumod Buβmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, S. 548, Stuttgart 1983, damals schrieb man „Plazierung“ noch ohne „tz“)

    Na, ist Sprachwissenschaft nicht doll? Da fühlt man sich doch wie beim Fussball mit Mittelfeld, Vorfeld und Stellung. Dabei geht es einfach nur um das Wörtchen „bereits“ am Satzanfang.

    Am 20.09.06 berichteten wir auf der Blogwiese über das Schweizer Phänomen, am Satzanfang das Wörtchen „bereits“ zu verwenden, und dann mit einer finiten Satzkonstruktion ohne zusätzliches Zeitwort fortzufahren. „Bereits ist es so, dass…“ (vgl. Blogwiese).

  • Die Wissenschaft hat festgestellt…
  • Nun fanden wir in der Sonntagszeitung vom 24.09.96 einen Artikel von Balz Spörri über eine Forschungsarbeit zum Thema „Schweizerdeutsch“ von Christa Dürscheid, in der exakt dieses Phänomen bestätigt und wissenschaftlich untermauert wird:

    In einem Beitrag für den Band «Schweizer Standarddeutsch» konnte die Zürcher Linguistik-Professorin jetzt erstmals empirisch nachweisen, dass sich das Schweizer Hochdeutsch durch eine Reihe von syntaktischen Konstruktionen vom deutschen Standarddeutsch unterscheidet.

    Zusammen mit Inga Hefti hat sie speziell die so genannte Vorfeldbesetzung in Aussagesätzen wie «Bereits befürchtet die Polizei soziale Unruhen» untersucht. Diese Satzstellung kommt im Schweizer Standarddeutsch häufig vor, in bundesdeutschen Texten jedoch kaum. Dies ergab eine computergestützte Auswertung deutschsprachiger Printmedien. In vier Jahrgängen des «Mannheimer Morgen» und zwei Jahrgängen des «Spiegels» fand sich eine einzige Satzkonstruktion mit «bereits + finites Verb». Im «St. Galler Tagblatt» dagegen zählte Dürscheid allein in einem Jahr Dutzende Belege.
    (Quelle: Sonntagszeitung 24.09.06)

    St. Gallen? Ist das nicht die Ecke der Schweiz, in dem das für deutsche Ohren am schwersten zu verstehende Schweizerdeutsch gesprochen wird? Tief im Osten usw.

  • „Bereits“ ist gar kein Schweizerdeutsch
  • Am meisten erstaunt uns bei der ganzen Untersuchung die Feststellung, dass „bereits“ überhaupt kein typisches Schweier Dialektwort ist. Der Schweizer sagt „schoo„, also „schon„. Und wenn er schreibt, dann hat er das Gefühl, man können einen Satz nicht mit „schon“ anfangen, sondern müsse „bereits“ nehmen. Uns los geht es mit der Vorfeldbesetzung.

    Es war uns doch gleich suspekt, dieses „bereits“ am Satzanfang. Computergestützte Auswertungen konnten wir nicht bieten, jedoch ist Google auch kein schlechtes Hilfsmittel. Es bleibt die Frage offen, ob die wenigen Belege von „bereits“ am Satzanfang in Deutschen Medien nicht im Endeffekt von Schweizer Journalisten geschrieben wurden, die ansonsten sprachlich unerkannt im grossen Kanton eine geheime Schattenexistenz führen? An ihrer Syntax sollt ihr sie erkennen!

    Schon fangen wir an, Schweizerisch zu denken. Für einmal wollen wir das glauben. Für die Blogwiese hat berichtet der Jens-Rainer Wiese.

    

    9 Responses to “Bereits ist es erforscht — Neues von der Vorfeldbesetzung”

    1. Fredy Says:

      St. Gallen ist für Deutsche Ohren gut verdaulich. Fahr mal ins Lötschental. Da verstehen sogar reinrassige Zürcher fast nur Bahnhof.

    2. wolfi Says:

      also im gesprochenen schwiitzerdütsch braucht wohl niemand „bereits“. aber schon – ich meine – bereits interessant, solche wortspiele ;-).

      beispiele von merkwürdigen satzverstellungen findet man auch bei 10vor10, wenn sie schriftdeutsch sprechen müssen….vorallem das schlusswort von fr. wille..danke, sind sie dabei gewesen.

      frag mich sowieso, aber das sprengt hier wohl das thema, wieso nachrichten in schriftdeutsch vorgelesen werden, m1 oder tele züri sind da lockerer.

      wie auch immer, bereits heute muss ich mein feriengesuch für 2007 ausfüllen.

      schönen tag noch.

    3. Phipu Says:

      an Wolfi

      Doch, doch, wie bei der ersten Abhandlung dieses Themas beschrieben, sagen viele Leute den Pleonasmus „scho bereits“ oder „bereits scho“ in Textstellen, wo ein „scho“ reichen würde. Achte dich mal.

    4. Peter Says:

      St.Gallen? Schwer verständlich? Für mich als Oberösterreicher (geographisch: nördl. der Alpen zwischen Salzburg und Wien, unterhalb Bayerns mit einem dem Bayrischen ähnlichen Dialekt) gab es nie Probleme mit dem Dialekt aus der Gallner Region. Gelegentlich mutmasste ich dass es Vorarlberger sind 🙂 Was natürlich weder Schweizer noch Vorarlberger gerne hören dass man sie gleichsetzt oder vergleicht.
      Aber Probleme mit dem Schweizerdeutsch hatte/habe ich wirklich in den verschneitesten Winkeln der Berner Oberlandes wenn vorallem ältere Bewohner untereinander reden oder natürlich happerts beim Walliserdeutsch….

      Peter vulgo „Pe:da“

    5. Dominik Says:

      Also da mit St. Galler Dialekt, da muss man präzisieren: Dieser von vielen als schrecklich bezeichnete (extrem nasale) Dialekt ist der St. Galler Dialekt. Der tönt nicht wirklich ähnlich wie der Vorarlberger. Im schöneren Teil des Kantons 😉 gibts aber noch viele andere Dialekte, so ist beispielsweise der Rheintaler sehr ähnlich wie der Vorarlberger und für viele kaum verständlich. Und weiter südlich ist es wieder ein anderer Dialekt…

      Ein Süd-St. Galler ohne St. Galler Dialekt…

    6. Peter Says:

      Ja, natürlich! Das war mir klar dass es da Unterschiede gibt – selber schon erfahren/erlebt.

      Peter

    7. Anna Says:

      «Schon» an den Beginn eines Satzes zu setzen, kommt uns Schweizern (normalerweise) nicht in den Sinn. Schliesslich machen wir das im Schweizerdeutschen auch nicht.
      Anders «Bereits»: Wir kennen dieses Wort, wie Jens erwähnt hat, gar nicht – woher sollen wir wissen, wie es zu gebrauchen ist?

      @Jens: eine echt coole Website! Hut ab vor deiner gelungenen Vielschreiberei!

    8. Christa Says:

      @ wolfi: Die Wortstellung *danke, sind sie dabei gewesen* erinnert mich an *Gut, gibt’s die Schweizer Bauern* oder *Kein Wunder, ist nichts passiert*. Das habe ich auch untersucht. Solche Konstruktionen bestehen eigentlich aus zwei Teilsätzen (*Es ist gut, dass es die Schweizer Bauern gibt*), von denen der zweite um die Konjunktion reduziert wurde (*es die Schweizer Bauern gibt*) und das Verb vorangestellt wurde (*gibt es die Schweizer Bauern*). Das Vorfeld wird dann vom übergeordneten Satz besetzt (*Es ist gut, gibt es die Schweizer Bauern*). Interessant ist nun, dass das Wille-Beispiel nur teilweise so zu erklären ist. *danke* lässt sich ja nicht auf *es ist danke* zurückführen, allenfalls auf *ich sage danke*. Mir zeigt das, dass dieses Phänomen in der Deutschschweiz so häufig ist (vgl. auch *Ich bin froh, bist du da*), dass es auch auf andere Kontexte übergreift.

    9. patrick Says:

      nun, man merkt ja auch schon dass wir schweizer ein anderes vokabular haben wenn wir standartdeutsch schreiben. So werden wir im zug nicht etwa vom schaffner, sondern vom conducteur nachunseren billeten (=fahrkarten^^) gefragt:) auch ist die erste mahlzeit am tag, das ‚zmorge‘ oder morgenessen in deutschland wohl eher das frühstück;)

      Nun ich spreche eine mischung aus ländlichem berndeutsch (erinnert auch an den solothurner dialekt) und luzerndeutsch 🙂 ich habe die erfahrung gemacht, dass deutsche wenige teile meines dialekts verstehen wenn ich langsam und sehr deutlich spreche, doch keine chance haben auch nur ansatzweise ein gespräch zu vervolgen, in dem ich ’normal‘ schweizerdeutsch mit jemandem spreche 😉

      So. Jetzt hab ich auch noch meinen senf dazugegeben, und ich möchte an dieser stelle auch nicht mehr länger werden.

      Liebi grüess usem wundrscööne luzärner hinterland 🙂