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Wie lange knorzen Sie daran schon? — Neue alte Schweizer Lieblingswörter

  • Es knorzt im Tages-Anzeiger
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger, dem Fachblatt für angewandtes Schweizerdeutsch, vom 14.09.06 auf Seite 17:
    Knorzen an der Uni

    Die Uni knorzt am Reglement zu sexueller Belästigung

    Wir dachten zunächst, es handele sich hier um einen Schreibfehler, es sei „knackt“ gmeint. Aber irgendwie klang es nicht schlecht, dieses „knorzt“. Ein bisschen wie „harzt“ (vgl. Blogwiese) . Vielleicht harzt und knorzt es ja manchmal im Duet, so als kleine Waldmusik.

    Muss was Lautmalerisches sein, wenn es knorzt. Es erinnert uns auch an die vielen Wörter für den Brotanschnitt (vgl. Blogwiese), die jetzt sogar der Zwiebelfisch Bastian Sick im Spiegel-Online als Thema entdeckt hat: „Knäppchen, Käuschen, Knörzchen“.
    Knörzchen beim Zwiebelfisch
    (Anfang des Artikels auf Spiegel-Online.de)

    Knust und kein Knörzchen

  • Ob „Knörzchen“ von „knorzen“ kommt?
  • Doch „für einmal“ hat es nichts mit dem vielbenannten Brotanschnitt zu tun, es geht um eine Variante der anstrengenden Art. Sogar unser Duden kennt es:

    knorzen (sw. V.; hat):
    1. (südd., schweiz. mundartl.) sich abmühen, plagen:
    daran knorzen wir schon lange.
    2. (schweiz. mundartl.) übertrieben sparsam, geizig sein.

    Wenn die Uni knorzt, dann plagt sie sich, dann müht sie sich ab. Und das ganz direkt, ohne „sich“ zu bemühen.

    Das Wort ist alt, sehr alt, und schon in alemannischen Quellen um 1219 belegt. Im Schwäbischen Raum beschreibt dieses Wort eine Tätigkeit bei der Traubenverarbeitung. Diese werden mit den Füssen im Trog getreten oder „geknorzt“.

    Grimms Wörterbuch meint:

    KNORZEN,KNÖRZEN,KNORTSCHEN, landschaftlich.
    1) knorzen, kneten, knitschen, quetschen, so schwäb., schweiz. SCHMID 320, z. b. trauben knorzen durch treten im troge STALD. 2, 115. TOBLER 112b: die trauben werden in einem hölzernen trog getreten und geknorzt. (…)

    schaff, wannen, zuber, do die frawen
    teglich eindewen, knorzen und sudeln.
    H. FOLZ von hausrat, fastn. sp. 1219, GÖZ, auswahl von H. Sachs 4, 157;

    Bei den Schweizer geht es nicht um Trauben pressen, sondern ums Wäsche waschen:

    2) schweiz. auch knortschen, knörtschen (…), und knorschen, auch vom manschen, klatschenden reiben, kneten bei der wäsche, vom patschen in nässe und kot. knorschen stellt sich zu knorsen, und das ganze wort könnte denselben ursprung haben wie knorsen, mit dem knitschenden, platschenden klange als begriffskern.

    Und schliesslich die heutige Bedeutung, die wir auch im Duden fanden:

    3) anders schweiz. knorzen, mühsam arbeiten RÜTTE 48, vgl. gnürzi m. ängstlicher, mühsamer arbeiter, knauser 32: das halstuch band es (das mädchen dem burschen) um mit all seiner macht .. knorzete ihm dann mit groszer anstrengung einen lätsch (schleife) zweg (zu wege). GOTTHELF 7, 64, auch da aber läszt sich kneten als grundbegriff annehmen, vgl. kneten 4, c. auch am Mittelrhein knorzen, pfuschen KEHREIN 236b, knörze machen? so kärnt. knorzen verkrüppeln (trans.) LEXER 163.

    Bei Gotthelf wurde also ein Lätsch zu wege geknorzt. Kling nach dem Beginn eines brutalen Raubmordes, oder? Zum Glück wird dabei nur eine Schleife geknotet, und kein Mensch gemeuchelt. Auf jeden Fall ein Klassewort, was wir in unseren Sprachschatz aufnehmen werden. Mit freundlicher Genehmigung des Dudens. Wir nehmen uns vor, gleich morgen lange und ausgiebig zu knorzen was das Zeug hält.

    

    15 Responses to “Wie lange knorzen Sie daran schon? — Neue alte Schweizer Lieblingswörter”

    1. sylv Says:

      de bisch aber e Chnorzi, Jens, wenn de das machsch:)

    2. nasobem Says:

      Ein Knorz ist auch das dunkle Mal eines Astes in einem Brett (gibt es eine hochdeutsche Bezeicnung dafür?). Jeder weiss, was knorzen heisst, der schon einmal verknorztes Holz sägen oder spalten musste…

    3. Administrator Says:

      @nasobem
      Du meinst das Ding was so harzt?

    4. nasobem Says:

      Ein harzender Knorz, genau. 🙂 Wenn ein Knorz aus dem Brett fällt ergibt es ein Astloch; aber wie heisst das Ding vorher?

    5. Mike Says:

      viel interessanter als „knorzt“ist doch wieso Reglement genauso wie z.b. Classement in der Schweiz ,im Vergleich zur grausamen deutschen Aussprache Regleehmoonng & Klasseemoonng nicht franz. ausgesprochen wird!?im Gegensatz zu vielen anderen Wörtern.
      viele Grüsse
      mike(basel)

    6. Louis Says:

      War’s ein Versehen? Lätsch ist männlich.

      [Anmerkung Admin: Danke für den Hinweis, schon korrigiert]

    7. solar Says:

      Chnorz ist jetzt eben so ein Beispiel, das zeigt, dass das Schweizerdeutsche manches durch Begriffe, die im Standarddeutsch fehlen, viel präziser benennt. Um Chnorz/chnorzen standarddeutsch zu umschreiben, braucht es jedenfalls viel mehr Wörter (die Reaktionen auf Jens‘ Frage, ob man schweizerdeutsch Kant diskutieren könne, hat ja gezeigt, dass unsere Dialekte sehr differenzierte Inhalte kurz wiedergeben können).

      Chnorz/chnorzen bedeutet u.a. „viele Umstände machen, ohne das Zeil wirklich zu erreichen“, Mühe haben, eine Lösung zu finden“, „länger dauernde, physische oder geistige Abmühung mit etwas“ etc.

      Als NZZ (Neuzuzügerin) habe ich kürzlich einen neuen Solothurner Dialektbegriff gelernt: es Chnörzli.

      Woher der Begriff genau kommt, entzieht sich meiner Kenntnis, aber es handelt sich um ein – stinkgewöhnliches Schoggistängeli (ausgesprochen Schoggischtängeli). In Zürich heisst das Brügeli oder Prügeli (kleiner Prügel). Schon ein Chnorz mit dem Dialekt, bis man all die Finessen kennt! Aber spannend.

    8. nasobem Says:

      Bei uns in Basel heisst das Schoggischtängeli „Branchli“, von frz. branche = Ast. Das schliesst sich der Kreis doch irgendwie.

    9. Sabine Says:

      Abschied ist ein schweres Schaf….mein absoluter Lieblingsradiomitschnitt…
      ich werde ihn dir gleich mal per Mail weiterleiten und hoffe, daß es dich ebenso zum knorzen bringt wie mich 🙂

    10. Reto Says:

      Hallo Jens

      „Bei Gotthilf wurde also… “

      Du meinst wohl Gotthelf?

      Jeremias Gotthelf alias Albert Bizius

      http://luetzelflueh.ch/Gotthelf/

      Der mit seinem Berndeutsch gespickten Hochdeutsch als Pfarrersohn
      unter dem Pseudonym Gotthelf, Geschichten über die Landsleute im Emmenthal geschrieben hat.

      Gruss Reto

    11. Administrator Says:

      @Reto
      Oh hilf mir Gott, oder Gotthilf Fürchtegott… Danke für den Hinweis, ist schon korrigiert.

    12. Phipu Says:

      Der Zusammenhang zwischen „harzen“ und „knorzen“ ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist allerdings jeweils eine Sache, die harzt und Menschen, die knorzen.

      An Solar und Nasobem:

      Das „Chnörzli/Branchli/Prügeli“ aus Schokolade sieht dank seiner Form und Farbe wie ein Holzstück aus. Daher sein Name. „Chnörzli“ wohl besonders deshalb, weil die Haselnuss- oder Mandelsplitter auf der Oberfläche an „Knörze“ („eingewachsene Astlöcher,“ oder wie das immer auf richtig deutsch heissen müsste, siehst du, Nasobem, mir fehlt dieser Ausdruck auch!) erinnern. Siehe auch die Definition von „Knorz“ hier: z.B. unter Sinn 2)
      http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GK09403

      Ist es Absicht oder Unkenntnis des „altmodischen, naturverbundenen“ Wortschatzes, dass bis jetzt noch niemand den Zusammenhang mit dem m.E. deutschen Wortes „knorrig“ (eben auch bei Bäumen, Holz) erwähnt hat? Es soll da auch das Nomen „Knorre“ geben, das mir bisher nicht bekannt war. Ist das vielleicht der erste Schritt zum hochdeutschen Wort für „Knorz“? http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GK09374

    13. Gina Says:

      Du wirst durchschaubar – als ich den Artikel im Tagi las, war ich mir fast sicher, dass dazu ein Blog erscheinen würde 🙂

    14. solar Says:

      Wenn man knorriges Holz bearbeiten muss, hat man tatsächlich einen Knorz damit. Danke, Phipu, für die Erklärung des Chnörzli und den knorrigen Hinweis.

    15. Pfister Fritz Says:

      Können Sie mir mitteilen wo Jeremias Gotthelf zur „Hanottere“ schreibt, wie wir dies schon mehrmals gelesen haben, leider ohne Quellenangabe.
      Vielen Dank zum voraus und freundliche Grüsse
      F. Pfister