Dort hingehen, wo es blaue Flecken gibt — gestossen voll

November 1st, 2006
  • Wer sich stösst kriegt einen blauen Fleck
  • Wenn eine Lokalität in der Schweiz gut besucht wird, dann ist es dort voll. Sehr voll. So voll, dass man sich sogar den ein oder anderen schmerzhaften Stoss einfangen kann und sich fühlen darf, wie ein Eiswürfel im Martini von James Bond, welcher gerüttelt, aber nicht geschüttelt wird, und so im Glas herumgestossen wird. Dann spricht der Schweizer von „gestossen“ voll.
    Wir lasen in der Pendlerzeitung 20Minuten vom 23.10.06 auf Seite 3

    Der Laden war gestossen voll“

    447 Mal fand wir „gestossen voll“ bei Google-CH, gegenüber nur 84 Mal bei Google-DE, wobei sich auch das ein oder andere „ich bin darauf gestossen. Voll gut find ich das“ darunter verirrte.
    Im Internet finden sich weitere Belege:

    Dazu folgende Szene: Der Saal ist gestossen voll. Aber ausgerechnet die Plätze neben dem sehbehinderten Ehepaar bleiben leer.
    (Quelle sbv-fsa.ch)

    Oder hier ein Beleg aus dem Zürcher Unterländer:

    Die Elternschule Bülach hat ins Forum Schwerzgrueb eingeladen. Der Raum ist gestossen voll.
    (Quelle: zuonline.ch)

  • Nicht stossend aber brechend
  • Was würde man in Deutschland sagen? Der Raum war „brechend voll“. Wird er gleich brechen? Oder muss er sich etwa „er-brechen“? „Brechend voll“ findet sich bei Google-DE 101.000 Mal , 100 Mal weniger bei Google-CH.

  • Wer bricht und wer stösst lieber?
  • Offensichtlich hat man Deutschland eher Angst, dass ein Saal, eine Kneipe, ein Zug oder eine sonstige beengte Räumlichkeit „bricht“, wenn sie „brechend voll“ ist, während man in der beengten Schweiz das „Anstoss erregende“ Wörtchen „stossend“ auch kombiniert mit „voll“ als Beschreibung für beengte Verhältnisse verwenden kann.

  • Stossen wir an darauf oder „dringe ma eima“? Alla guot.
  • Die „Lallers, vom Leben und Sterben einer badischen Familie,“ war eine SWR3-Comedy-Serie aus dem tiefsten Schwarwald, und die Familienmitglieder vereinten sich stets am Ende einer Folge zum „Anstossen“ mit dem Ruf „Dringe ma eima? Alla Guat!“. Original Radio-Comix auf Badisch-Alemannisch mit den Lallers gibt es hier zu hören.

    Heute schon mit grosser Kelle angerichtet?

    Oktober 27th, 2006
  • Vom Agravolk zum Häuslebauer
  • Die Vorfahren der Schweizer dienten mit Spiessen bewaffnet als Söldner im Ausland oder waren daheim im „Agrarsektor“ tätig. Das bestätigten unsere sprachlichen Beobachtungen. Es wird hierzulande mit „gleichlangen Spiessen“ gekämpft , das “Heu auf der gleichen Bühne gelagert“ oder „der Mist geführt“, wenn nicht gleich alles „verhühnert“. Doch diese glorreichen Zeiten sind lange vorbei. Aus den ehemaligen Söldner und Bauern wurde solide „Häuslebauer“ und Maurer, denn wenn sie heute in der Schweiz aus dem Vollem schöpfen und sich besonders grosszügig zeigen wollen, dann müssen sie nicht Kaviar und Champagner auftischen oder doppelseitig geschmierte Butterbrezeln wie im Schwabenland, nein, dann greifen Sie am besten zum Speisseimer (nicht zum Essen, weil gefüllt mit Zement) und richten „mit grosser Kelle“ an.

    Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 19.10.06 auf Seite 2

    „Vor allem Uri und das Wallis haben mit der grossen Kelle angerichtet“.

    Mit grosser Kelle angerichtet

  • Was hast Du schon wieder angerichtet?
  • Etwas „angerichtet haben“ kann ja auch sehr negativ verstanden werden, wenn die Mutter das Kind fragt: „Na, was hast Du wieder angerichtet?“. Hier geht es aber wirklich um das Vorbereiten und Präsentieren von leckeren Speisen, am besten auf der „Anrichte“, wenn mit „grosser Kelle angerichtet“ wird.

    Das findet sich auch schon mal bei der Beschreibung eines Cadillacs im Tages-Anzeiger:

    Mit grosser Kelle angerichtet
    Damit der Escalade selber auch höhere Sphären erklettern kann, ist er permanent über alle vier Räder angetrieben, 60% der Kraft hinten, 40% vorne.
    (Quelle: Tagesanzeiger.ch)

    Die Kelle kann auch mal „allzu gross“ geraten:

    Die Kommission hat sich vergewissert, dass, nachdem mit allzu grosser Kelle angerichtet worden ist, nun Reformarbeiten abgeschlossen sind und die neue Führung überzeugt.
    (Quelle: gleichstellung.bl.ch)

    Das „Schweizer Wörterbuch“ von Kurt Meyer, das übrigens nicht mehr als Duden-Band, sondern jetzt wieder neu im Verlag Huber erhältlich ist, meint dazu:

    Kelle, die. *mit der grossen Kelle anrichten: grosszügig, nicht sparsam wirtschaften.

    Wir lernen daraus: Nimm eine kleine Kelle und bau sparsamer dein Haus. Dass es mit einer kleinen Kelle auch länger dauert, steht auf einem anderen Blatt. Denn „viel hilft viel“, das wissen wir alle. Doch nicht immer ist hier von der Maurerkelle die Rede, auch eine simple Suppenkelle zum Austeilen von Suppe kann gemeint sein. Wenn die kleiner ist, dauert es länger und es gibt weniger Suppe, folglich wird gespart!
    Eine Kelle sieht so aus:
    Eine Kelle
    (Quelle Foto: degewo.de)

    Aber auch das ist eine Kelle:
    Holzkelle
    (Quelle Foto tempora-nostra.de)

    Und dann gibt es da noch diese Kelle:
    Polizeikelle
    (Quelle Foto: oktoberfest.de)

    Die sieht man übrigens in der Schweiz erstaunlich oft im Berufsverkehr. Die Verkehrskontrollen bei Autobahnauffahrten, in der Agglo von Zürich, an Ausfallstrassen sind hier üblich und finden regelmässig statt. So regelmässig, dass es uns wundert, warum es sich hier überhaupt jemand traut, ohne Sicherheitsgurt (in der Schweiz gilt das „Gurtenobligatorium“!) oder mit Handy am Ohr durch die Gegend zu fahren. Mag sein, dass wir es einfach nicht wahrgenommen haben, als wir noch in Deutschland lebten, aber bis auf die garantiert regelmässigen Alkoholkontrollen in der Karnevalszeit können wir uns an keine Verkehrskontrollen durch die Polizei erinnern.

    Natürlich sieht es an der Autobahn nach Holland anders aus. Dort wird schon mal eine 100% Kontrolle durchgeführt . Auf den Autobahnen werden Raser und Drängler durch die Autobahnpolizei überwacht in Deutschland. Nur diese regelmässigen Verkehrskontrollen, einfach so, täglich wechselnd an bestimmten Stellen im Stadtgebiet, das war etwas Neues für uns in der Schweiz. Und dann gibt es halt die grosse Kelle mit dem roten Licht zu sehen, und hofentlich haben Sie dann nichts angerichtet!

    Schade, bist Du nicht hiergewesen — Neues von der Schweizer Syntax

    Oktober 25th, 2006
  • Schade, bist Du nicht hiergewesen
  • Fällt Ihnen an diesem Satz irgendetwas auf? Würden Sie ihn so verwenden? Oder eher nicht?

    Warum ist der Satz für Deutsche so nicht verwendbar? „Bist Du gewesen“ ist lang und schwerfällig. „Schad‘ dass Du nicht da warst“ würde mir eher gefallen. Zumal da auch noch ein doppelter A-Laut am Ende vorkommt. „Da warst“ klingt bei mir jedoch eher wie „da-waast“.

    Wir entdecken diese Erkenntnis in dem bereits erwähnten Artikel in der Sonntagszeitung vom 24.09.06:

    Bestätigt werden diese Befunde durch eine Internetumfrage zur Alltagssprache im ganzen deutschsprachigen Raum (www.philhist.uni-augsburg.de/ada) sowie eine Befragung von 70 Deutschen und 77 Schweizer Studenten. So gaben 55 Prozent der Schweizer Studenten an, dass sie den Satz «Schade, bist du gestern nicht hier gewesen» verwenden würden. Von den deutschen würden dies nur 6 Prozent tun. Worauf diese eigentümlichen Satzstellungen zurückzuführen sind, ist noch unklar. Zum Teil spielt der Dialekt hinein («Schad, bisch nöd cho.»). Doch das Wort «bereits» existiert in der Mundart gar nicht. Seine prägnante Stellung muss also einen andern Grund haben.

    Nun, wir haben ja jetzt gelernt was „Vorfeldbesetzung“ bedeutet. Ein „Schad“ am Anfang des Satzes ist ein ziemlich gut besetztes Vorfeld. Danach mit einer obligatorischen Inversion weiterzumachen und das finite Verb an die Schluss zu rücken, wer mag das schon? Weil, es ist eben unbequem. Die Sprache sucht sich immer den bequemsten Weg (Gesetz der Ökonomie von Sprache) und da ist „Schad, bisch nöd cho“ einfach schneller und eleganter als „Schade, dass Du nicht hiergewesen bist“. Der letzte Satz ist so penetrant hyperkorrekt, wenn Sie den hören, dann können Sie mal davon ausgehen, dass ihn ein Schweizer ausgesprochen hat. „Schade dass Du nicht da warst“ halte ich für üblich.

  • Der Plan für eine Variantengrammatik
  • Ein spannendes Feld, nun nach den Varianten im Deutschen Wortschatz auch die Varianten in der Grammatik zu bestimmen und zu beschreiben:

    Christa Dürscheid plant nun, analog zum Variantenwörterbuch eine Variantengrammatik zu schreiben. Ein Projekt mit drei Forschergruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist angedacht, erste Vorarbeiten liegen vor. Diese Grammatik, so Dürscheid, soll eine Bestandesaufnahme und gleichzeitig ein Nachschlagewerk werden.

    Davon profitieren könnten nicht zuletzt die Schweizer Schüler. Studien haben gezeigt, dass die Lehrer Helvetismen gerne als Fehler anstreichen. «Man bewertet oft mit teutonischem Massstab», sagt Dürscheid. Wenn die schweizerhochdeutschen Varianten in einer Grammatik kodifiziert werden, könnte sich dies ändern. Die Lehrer würden toleranter korrigieren, vermutet Dürscheid. «Und die Schweizer könnten selbstbewusster zu ihrem eigenen Deutsch stehen.»

    Halten wir fest: Wenn es im Buch steht und wissenschaftlich untermauert wurde, dann werden die Lehrer die Verwendung von Schweizer Grammatik und Syntax toleranter korrigieren. Die Frage ist nur, ob sie es jetzt überhaupt korrigieren, weil das voraussetzt, dass sie diese Variante auch wahrnehmen.

  • Ist Triglossie besser als Diglossie?
  • Es ist ein durchaus legitimer und frommer Wunsch, den Schweizern dabei zu helfen, „selbstbewusster zu ihrem eigenen Deutsch zu stehen“. Ist ihnen damit wirklich geholfen? Die bisherige Diglossie, also die Beherrschung der Schweizer Muttersprache PLUS des Standarddeutschen würde dann noch stärker durch eine Triglossie abgelöst: Dialekt PLUS Standarddeutsch PLUS Schweizer Hochdeutsch-Variante, wobei „Hochdeutsch“ hier wirklich mal angemessen wäre, denn wie schon oft erwähnt, ist „Hoch“ eine geographische Komponente, neben Mittel- und Niederdeutsch. Und Höher als die Schweiz liegt kein deutsches Sprachgebiet.

    Wir sind skeptisch, denn in den meisten Fällen passiert die Verwendung dieser Schweizer Grammatikvarianten jetzt schon, auch ohne „kodifiziert“ worden zu sein, aber den wenigsten fällt es auf. Während wir beim „Variantenwörterbuch“ verstehen können, wie wichtig es ist, die Varianten der Standardsprache zu kennen, sind wir uns bei einer „Variantengrammatik“ nicht sicher, ob hier nicht aus der jetzt schon schwierigen Diglossie eine Triglossie gezimmert wird.

    „Die Lehrer würden toleranter korrigieren“, vermutet Christa Dürscheid. Aber ist den Schülern damit geholfen, wenn sie quasi die Verwendung von spezifisch Schweizerischen Grammatikvarianten in der Schriftsprache erlaubt bekommen, und damit später im Berufsleben gewiss keinen leichten Stand haben, wenn es um Kommunikation mit dem restlichen deutschsprachigen Ausland geht.

    Grossmehrheitlich im Lande ohne Meer über Meer

    Oktober 24th, 2006
  • Grossmehrheitlich ist nicht kleinminderheitlich
  • Dass die Schweiz nicht am Meer liegt, ausser am südlichen Rand des „Schwäbischen Meers“, hatten wir schon erläutert (vgl. Blogwiese). Der Zufall will es, dass es dennoch manchmal hierzulande ein „Mehr“ gibt. Niemals ein Wattenmeer (auch wenn uns Vermicelles immer noch an Wattwürmer erinnern), nicht selten ein Nebelmeer, aber ab und zu ein „Zufallsmehr“. Ist dieses „Mehr“ besonders gross, dann haben die Schweizer dafür auch ein passendes Adjektiv erfunden, welches ab sofort zu unserem neuen Schweizer Lieblingsausdruck aufgestiegen ist (nach „für einmal“ und „erst noch“). Die Rede ist von „grossmehrheitlich“.

    Dieses fantastische Wörtchen ist von grosser Bedeutung in der Schweiz, und „für einmal“ nur in der Schweiz, denn die Beweislage ist eindeutig: Grossmehrheitlich fand sich bei Google-Schweiz sage und schreibe 60.500 Mal und bei Google-DE nur läppische 480 Mal , und dann auch fast nur in Artikeln aus oder über die Schweiz.

  • Wer verwendet es grossmehrheitlich?
  • Bei der Verwendung von „grossmehrheitlich“ findet sich leicht alles was Rang und Namen hat im Schweizer Blätterwald. Die alte Tante NZZ ist dabei:

    Vier Fünftel der unter 25-Jährigen haben auch eine separate Kamera, die – wen erstaunt’s – grossmehrheitlich ein digitales System ist.
    (Quelle: nzz.ch)

    Der Tages-Anzeiger selbstverständlich auch:

    Die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit am 25. September wurde laut der Vox-Analyse grossmehrheitlich von den Anhängerschaften der SP, der CVP und der FDP gutgeheissen.
    (Quelle: tagesanzeiger.ch)

    Und unsere Lieblingsquelle, die Homepage der Schweizer IT-Fachleute und Systemadministratoren, „admin.ch“, deren Nachrichtendienst im viersprachigen Helvetien selbstverständlich „news-service“ heisst, wie sonst:

    In seiner heutigen Sitzung hat er von den grossmehrheitlich positiven Reaktionen Kenntnis genommen.
    (Quelle: news-service.admin.ch)

  • Sind grosse Minderheiten immer kleine Mehrheiten
  • Nach soviel „Grossmehrheitlichem“ wollen wir natürlich wissen: Gibt es eigentlich auch kleinmehrheitlich?
    Jawohl, auch das kommt vor. Zwar nicht so häufig, aber wir fanden es doch hoch offiziell in einem Protokoll des Kantonsrats Zürich:

    wenn eine 6-prozentige Steuerfusssenkung und 60 Millionen Franken Einlage in den Strassenfonds beschlossen werden, dann könnten wir uns kleinmehrheitlich diesem Budget anschliessen.
    (Quelle: kantonsrat.zh)

    Eigentlich sollte man das „kleinminderheitlich“ ersatzlos streichen und durch „grossminderheitlich“ ersetzten. Klingt irgendwie viel grösser.

    Die „Kleinminderheit“ haben wir grossmehrheitlich nicht in der Schweiz, es reichte nur für ein „Kleinbasel“

  • Was klein ist muss man grösser machen
  • Klein ist auch das „Klein Matterhorn“. Obwohl wir 3883 Meter über Meer eigentlich für gar nicht so schrecklich klein finden. Es soll endlich ein 4000 Meter hoher Berg werden:

    Über 120 Viertausender gibt es in den Alpen, doch das ist den Schweizern nicht genug. Das 3883 Meter hohe Klein Matterhorn soll ab 2007 durch eine Pyramide mit Restaurant und Übernachtungsmöglichkeiten um 120 Meter „aufgestockt“ werden.
    „Dadurch wird der Berg zum Viertausender“, sagte Eva Flatau von Zermatt Tourismus bei einer Präsentation in Hamburg. Auf der Spitze des Berges seien zwei Aussichtsplattformen geplant, die über Lifte erreichbar sind. Schon jetzt befindet sich auf dem Klein Matterhorn die höchste Aussichtsplattform der Alpen. Sie wird jährlich von rund 500.000 Menschen besucht.
    (Quelle: Spiegel.de)

    Klein Mattern (Foto aus Wikipedia)
    (Quelle Foto Klein Matterhorn: Wikipedia)

    Wir lernen vom Klein Matterhorn, welches irgendwann gross sein wird, dass „gross“ und „klein“ immer nur relative Begriffe sind. Ob „grossmehrheitlich“ besser klingt als „mit grosser Mehrheit“? Auf jeden Fall ist letzte Umschreibung umständlicher, und auf gar keinen Fall extremmundartlich genug in unseren Ohren.

    Gehen Sie auch auf der Kante? — Kantengang und Kanterverlust in der Schweiz

    Oktober 9th, 2006
  • Einen Kanten kann man essen
  • Wenn man gute Zähne hat, denn es handelt sich hier um die Norddeutsche Variante des variantenreichen „Brotanschnitts“. Ein Kanten Brot, auch Knust genannt, das ist sowohl ein Stück Brot als auch der Anschnitt des Brotes.

  • Kanter ist Englisch für Galopp
  • Dann gibt es da noch den „Kanter“, nur unter Pferdefreunden bekannt. Es handelt sich hier um einen langsamen Galopp, und das Wort kommt aus dem Englischen. Viele Fachbegriffe aus dem Pferdesport sind im Deutschen und im Englischen fast gleich. So finden wir z. B. „das Fohlen“ = „the foal“, oder „den Jährling“ (ein einjähriges Pferd) = „the yearling“. Den Pferdgang „the canter“ hat man gar nicht erst übersetzt sondern einfach als „Kanter“ übernommen:

    Der Kanter, auch Canter, ist ein leichter, lockerer Galopp, der zum Auflockern und Entspannen dienen kann, aber auch zum Konditionsaufbau junger Pferde. Diese Gangart kann von Pferd und Reiter über lange Strecken durchgehalten werden. Das Wort kommt von englisch „Canter„, Kurzform für „Canterbury Galopp“ hergeleitet von den Pilgern, die nach Canterbury ritten. Im amerikanischen Sprachraum bedeutet „canter“ ein langsamer Galopp im Gegensatz zu „galopp“.
    (Quelle: Wikipedia)

  • In Deutschland ist war Kanther ein Politiker
  • Wir Deutschen kennen „Kanther“ als knallharten ehemaligen Innenminister von Helmut Kohl. Für uns war er der die absolute Verkörperung eines echten „Law & Order“ Mannes, umso erstaunlicher, als er später im Zug der CDU- Schwarzgeld-Affäre „Der Untreue für schuldig“ befunden wurde:
    Kanther veurteilt
    (Quelle: Spiegel-Online)

    Dann war da noch Christoph Blochers Besuch in der Türkei, über den die NZZ am Sonntag vom 8.10.06 schrieb:

    „Christoph Blochers Kantengang in der Türkei“

    Kantengang Christoph Blochers

    Diesen „Kantengang“ kanten kannten wir bisher noch nicht. Er scheint eine Schweizer Spezialität zu sein, denn unser Google-CH findet 57 Belege, während es bei Google-DE nur 18 Stellen sind.

    Das wird in der Schweiz „Eingeladen zu einem Kantengang“ (Quelle zhwin.ch, oder es heisst in der NZZ:

    Was nun aber folgt, ist ein heikler und schwieriger Kantengang zwischen Utopie und Zynismus
    (Quelle: nzz.ch)

    An anderer Stelle, auch in der NZZ finden wir:

    Gleichwohl überwiegt die Auffassung, dass der eingeschlagene Kantengang richtig sei.
    (Quelle: nzz.ch)

  • Ist ein Kantengang eine Gratwanderung?
  • In der Schweiz, dem Alpenstaat mit seinen steilen Wegen, Graten und Schluchten, läuft man also nicht auf dem Grat, sondern auf der Kante? Wir sind uns nicht sicher, ob der „Kantengang“ wirklich von der „Kante“ kommt, oder nicht doch eine langsame Gangart bezeichnet, wie beim langsamen Galopp der Pilger auf dem Weg nach Canterbury. Oder geht es immer „hart an der Kante“ entlang, kurz vor dem Absturz? Und wir Naivlinge glaubten, die „Kante“ sei mit der „Waterkant“ ein Begriff, den nur Küstenbewohner verwenden.

  • Kantersieg und Kanterniederlage
  • Wer im langsamen Galopp einen Sieg erlangt, der hat einen „Kantersieg“ errungen, einen einfachen Sieg. Den sollten Sie als gemeindeutschen Begriff kennen, auch wenn Sie keine Ahnung vom Reiten haben. Die „Kanterniederlage“ hingegen bezeichnet nur in der Schweiz als Variante eine „hohe Niederlage“, ein Debakel. Zitat aus unserem Variantenwörterbuch:

    „Vor zwölf Jahren wollten die Grünen mit [dem Begehren] „100’000 Franken sind genug“ die Löhne aller bernischen Staatsangestellten einfrieren – und erlitten gegen das vereinte Polit-Establishment eine Kanterniederlage (Facts 11.5.2000, Internet)
    (Quelle: Variantenwörterbuch DeGruyter, S. 384)

    Sollen wir nun zukünftig weiter auf „Graten wandern“ oder auf „Kanten gehen“? Fragen wir doch einfach den Duden:

    Grat, der; -[e]s, -e [mhd. grāt = Bergrücken, Rückgrat; Gräte, Spitze, Stachel, ahd. grāt = Rückgrat, eigtl. = Spitze(s), Hervorstechendes]:
    1. oberste Kante eines Bergrückens; [scharfe] Kammlinie: ein schmaler Grat; den Grat eines Berges entlangwandern; Ü auf einem schmalen Grat der Demokratie wandern.
    (Quelle: duden.de)

    Jetzt ist alles klar. Kante und Grat sind synonym, was wir Flachländer natürlich nicht ahnen konnten.