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Grossmehrheitlich im Lande ohne Meer über Meer

  • Grossmehrheitlich ist nicht kleinminderheitlich
  • Dass die Schweiz nicht am Meer liegt, ausser am südlichen Rand des „Schwäbischen Meers“, hatten wir schon erläutert (vgl. Blogwiese). Der Zufall will es, dass es dennoch manchmal hierzulande ein „Mehr“ gibt. Niemals ein Wattenmeer (auch wenn uns Vermicelles immer noch an Wattwürmer erinnern), nicht selten ein Nebelmeer, aber ab und zu ein „Zufallsmehr“. Ist dieses „Mehr“ besonders gross, dann haben die Schweizer dafür auch ein passendes Adjektiv erfunden, welches ab sofort zu unserem neuen Schweizer Lieblingsausdruck aufgestiegen ist (nach „für einmal“ und „erst noch“). Die Rede ist von „grossmehrheitlich“.

    Dieses fantastische Wörtchen ist von grosser Bedeutung in der Schweiz, und „für einmal“ nur in der Schweiz, denn die Beweislage ist eindeutig: Grossmehrheitlich fand sich bei Google-Schweiz sage und schreibe 60.500 Mal und bei Google-DE nur läppische 480 Mal , und dann auch fast nur in Artikeln aus oder über die Schweiz.

  • Wer verwendet es grossmehrheitlich?
  • Bei der Verwendung von „grossmehrheitlich“ findet sich leicht alles was Rang und Namen hat im Schweizer Blätterwald. Die alte Tante NZZ ist dabei:

    Vier Fünftel der unter 25-Jährigen haben auch eine separate Kamera, die – wen erstaunt’s – grossmehrheitlich ein digitales System ist.
    (Quelle: nzz.ch)

    Der Tages-Anzeiger selbstverständlich auch:

    Die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit am 25. September wurde laut der Vox-Analyse grossmehrheitlich von den Anhängerschaften der SP, der CVP und der FDP gutgeheissen.
    (Quelle: tagesanzeiger.ch)

    Und unsere Lieblingsquelle, die Homepage der Schweizer IT-Fachleute und Systemadministratoren, „admin.ch“, deren Nachrichtendienst im viersprachigen Helvetien selbstverständlich „news-service“ heisst, wie sonst:

    In seiner heutigen Sitzung hat er von den grossmehrheitlich positiven Reaktionen Kenntnis genommen.
    (Quelle: news-service.admin.ch)

  • Sind grosse Minderheiten immer kleine Mehrheiten
  • Nach soviel „Grossmehrheitlichem“ wollen wir natürlich wissen: Gibt es eigentlich auch kleinmehrheitlich?
    Jawohl, auch das kommt vor. Zwar nicht so häufig, aber wir fanden es doch hoch offiziell in einem Protokoll des Kantonsrats Zürich:

    wenn eine 6-prozentige Steuerfusssenkung und 60 Millionen Franken Einlage in den Strassenfonds beschlossen werden, dann könnten wir uns kleinmehrheitlich diesem Budget anschliessen.
    (Quelle: kantonsrat.zh)

    Eigentlich sollte man das „kleinminderheitlich“ ersatzlos streichen und durch „grossminderheitlich“ ersetzten. Klingt irgendwie viel grösser.

    Die „Kleinminderheit“ haben wir grossmehrheitlich nicht in der Schweiz, es reichte nur für ein „Kleinbasel“

  • Was klein ist muss man grösser machen
  • Klein ist auch das „Klein Matterhorn“. Obwohl wir 3883 Meter über Meer eigentlich für gar nicht so schrecklich klein finden. Es soll endlich ein 4000 Meter hoher Berg werden:

    Über 120 Viertausender gibt es in den Alpen, doch das ist den Schweizern nicht genug. Das 3883 Meter hohe Klein Matterhorn soll ab 2007 durch eine Pyramide mit Restaurant und Übernachtungsmöglichkeiten um 120 Meter „aufgestockt“ werden.
    „Dadurch wird der Berg zum Viertausender“, sagte Eva Flatau von Zermatt Tourismus bei einer Präsentation in Hamburg. Auf der Spitze des Berges seien zwei Aussichtsplattformen geplant, die über Lifte erreichbar sind. Schon jetzt befindet sich auf dem Klein Matterhorn die höchste Aussichtsplattform der Alpen. Sie wird jährlich von rund 500.000 Menschen besucht.
    (Quelle: Spiegel.de)

    Klein Mattern (Foto aus Wikipedia)
    (Quelle Foto Klein Matterhorn: Wikipedia)

    Wir lernen vom Klein Matterhorn, welches irgendwann gross sein wird, dass „gross“ und „klein“ immer nur relative Begriffe sind. Ob „grossmehrheitlich“ besser klingt als „mit grosser Mehrheit“? Auf jeden Fall ist letzte Umschreibung umständlicher, und auf gar keinen Fall extremmundartlich genug in unseren Ohren.

    

    13 Responses to “Grossmehrheitlich im Lande ohne Meer über Meer”

    1. Krake Says:

      von „grosser Mehrheit“ oder „grossem Mehr“ spricht man z.B. bei einer Gemeindeversammlung, wenn die Zahl der dafür oder dagegen stimmenden (per Handzeichen) offensichtlich viel grösser ist als die der anderen. Ein zählen der Stimmen erübrigt sich in idesem Fall. Im Protokoll heisst es dann, „mit grossem Mehr angenommen“.

    2. sylv Says:

      Judihui,nun habe auch ich was dazugelernt:) ich habe noch NIE von diesem Ausdruck gehört. Merci Jens!

    3. Fiona Says:

      Grundsätzlich muss man differenzieren zwischen USAGE und GRAMMATIK
      wann über Schwyzertüütsch diskutiert wird. Und grosssmehrheitlich (!!)besuchen wir dieses Forum um genau das zu tun, oder?

      USAGE spielt eine sehr grosse Rolle bei Schwyzertüütsch – und das ist gut so. „Usage“ heisst „Abweichungen von der Norm“… und die Norm heisst Hochdeutsch und die Bibel der Hochdeutschsprechenden dieser Welt ist das gelbe Buch DUDEN.

      In der englischen Sprache ist USAGE derart allgegenwärtig geworden, dass
      das Buch „Practical English Usage“ by Michael Swan (Oxford University Press ISBN 0-19-431197-X) ein Bestseller ist.

      Sprachen überleben nur weil sie von Menschen benutzt / gesprochen werden. Sprachen wachsen und verändern sich organisch. Auch wachsen sie aber durch Akquisitionen aus anderen Sprachen. Das gilt insb. im Fall von Schwyzertüütsch. Hemmungslos werden (grossmehrheitlich) aus den USA/GB Wörter an Bord ins Dialekt gehievt…

      P.S. Gustativement sind Zweifelchips sehr gut, hat aber jemand die Chips aus GB/Norfolk im Migros „Selection“ Sortiment, zum Preis von Fr 5,80/150gr, probiert? „Value-adding“ wie nur in der Schweiz möglich
      ist 🙂

    4. wolfi Says:

      Ob „grossmehrheitlich“ besser klingt als „mit grosser Mehrheit“.

      Selbstverständlich. Schweizerpass klingt ja auch besser
      als Schweizer Pass. ;-).

      Ausserhalb von Wahlabenden, eben wenn von grosser Mehr die Rede ist, habe ich das aber noch nicht gehört, das taucht im Sprachgebrauch grossmehrheitlich nicht auf.

    5. sylv Says:

      Yup Fiona,
      I luuurrrve Salt’n’Vinegar Crisps,voll Freude die auch in der Schweiz kaufen zu können ,hab ich mir die gegönnt……………….nothing alike Walkers:(:(
      Zum Glück kann ich die auch im Londonstore bestellen oder im Pickwicks zu exorbitanten Preisen erstehen,aber da hab ich wenigstens den Flavour dazu;);) wie die Migros dies rechtfertigen kann ist mir ein Rätsel……………

    6. Sabine Says:

      naja, hier in deutschland gibt es ja auch eine mehrheit und eine „absolute“ mehrheit. wenn jemand in einer wahl die „absolute“ mehrheit erzielt, ist das immer ein grund zum feiern, weswegen es im aldi wodkaflaschen zu kaufen gibt, die den namen „absolut“ tragen.
      oder so.

    7. Branitar Says:

      Den Berg um 120 Meter mit einer Pyramide aufstocken? Das wird ja ein riesiges Ding. Aber macht das wirklich den Berg vermessungstechnisch (also für Landkarten usw.) höher? Werden Gebäude da wirklich mitgezählt?

      Großmehrheitlich würde auch hier gut funktionieren, da es ziemlich eindeutig ist und kaum fehlinterpretiert werden kann. Vielleicht sollte ich es einfach in meinen Sprachschatz übernehmen und dann und wann benutzen….

    8. wolfi Says:

      Guter Ansatz, nur wenn man es in Deutschland gebraucht, sollte man Großmehrheitlich nur mit scharfem ß verwenden, weil man sonst großmehrheitlich durcheinander kommt.

      wie lässt sich ein ß eigentlich auf einer schweizer Tastatur erzeugen? Für Tipps wie immer dankbar ;-).

    9. solar Says:

      to Wolfi:

      Journalisten müssen furchtbar viele formale regeln berücksichtigen. Vor allem müssen sie stets mit dem bisschen Platz auskommen, das Ihnen wiederum aufgrund redaktionsinterner Regeln zugestanden wird für ihre Berichterstattung. Kürzere Artikel werden nun mal eher gelesen als längere. Also versucht man, Inhalte mit den kürzestmöglichen Formulierungen zu vermitteln. So reichts zusammengenommen letztlich für eine oder zwei Zeilen mehr bzw. entsprechend mehr Informationen auf der gleichen Artikelfläche.

      Also, zähl mal nach: „grossmehrheitlich“ hat nur 17, „mit grosser Mehrheit“ jedoch 20 Zeichen (inkl. Zwischenräume). Voilà.

    10. vorgestern Says:

      @wolfi
      „ß“ läßt sich z.B. mit Alt225 erzeugen. Es gibt aber auch noch eine andere Tastenkombination, die mir grad nicht einfällt.

    11. Fiona Says:

      sylv.

      Yes, daylight robbery.

      Fiona

    12. Gerald Says:

      @wolfi

      Unter MacOS ALT-s

    13. locus Says:

      Hallo Jens
      Hast du nun wirklich nichts dazu gelernt? Nach deinem Artikel über die Mundartschreibweise der Flurnamen solltest du doch wissen, dass man in der Schweiz nicht mehr „Matterhorn“, sondern „Matterhore“ schreibt. Sogar die Taiwan Chinesen halten sich daran (suche doch in untenstehenden Link doch einfach nach „Matterhore“)
      http://blog.webs-tv.net/mamiamia/article/742769