Feiern nur wenn die Schweiz gewinnt — Die Schweiz im EURO 08 Fieber

März 25th, 2008
  • Die Sperrungen für die Fanmeile in Zürich
  • In weniger als 74 Tagen startet in Österreich die Euro 08. Das ist eine Fussballmeisterschaft, für die Fans aus ganz Europa anreisen werden, um ihre Mannschaften zu unterstützen. Ach ja, in der Schweiz findet sie übrigens auch statt. Auch wenn manche Schweizer das noch nicht so recht einsehen bzw. die damit verbundenen Bewegungseinschränkungen gerichtlich verhindern möchten. So lasen wir im Tagi vom 22.03.08:

    Wir befinden uns am Tag 77 vor der Euro. Ganz Zürich ist von den Fussballfans besetzt. Ganz Zürich? Nein! Ein von unbeugsamen Gewerblern bevölkertes Quartier hört nicht auf, der Fanzone Widerstand zu leisten. Nicht mit Fäusten und Zaubertrank wie Asterix und Obelix, sondern mit juristischen Mitteln kämpfen der Gewerbeverein Seefeld und seine 18 Verbündeten. Und nicht gegen die Euro streiten sie, sondern nur gegen die Sperrung der Verkehrsachsen rund ums Seebecken an allen 20 Spieltagen der Europameisterschaft.
    (Quelle: Tagesanzeiger 22.03.08)

    Schliesslich interessiert sich ja nicht jeder für Fussball, und während draussen in der Fanzone gegrölt und gefeiert wird, will vielleicht auch eine Kundin ihren Coiffeur-Termin wahrnehmen wie immer direkt vor dem Geschäft parken, bzw. parkieren. Man merkt, die Zürcher freuen sich schon wie narrisch auf dieses sportliche Grossereignis. Noch unklar ist, ob auch die Polizeistunde aufgehoben werden soll. Dazu gab es zwei Meinungen von Ruth Genner (Grüne) und Mauro Tuena (SVP) im Tagi-Talk zu lesen:

    Frau Genner, im Fragebogen des «Tages-Anzeigers» haben Sie sich letzte Woche für eine Aufhebung der Polizeistunde während der Euro 08 ausgesprochen. Glauben Sie, die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Zürich würden das goutieren?
    Genner: Ich gehe nicht davon aus, dass die Polizeistunde während der ganzen Euro 08 aufgehoben sein wird, wohl aber an Tagen, an denen in Zürich gespielt wird. Das wird die Bevölkerung verstehen.
    Moderator: Herr Tuena, Sie wollen die Polizeistunde nur bei einem Schweizer Sieg aufheben. Warum diese Lustfeindlichkeit?
    Tuena: Auch während der Euro 08 muss gewährleistet sein, dass das «normale» Leben in Zürich stattfinden kann. Es gibt viele Leute, die auch während dieser Euro 08 arbeiten. Man darf all diese Menschen nicht vergessen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 20.03.08, S. 17)

  • Verliert die Schweiz, dann gilt die Nachtruhe ab Mitternacht
  • So muss man sich das, was Herr Tuena von der SVP da vorschlägt, praktisch vorstellen? Wenn die Schweizer gewinnen, dann darf man in Zürich feiern bis in die Puppen, also auch nach Mitternacht noch. Verlieren sie hingegen, dann werden die Fans der gegnerischen Mannschaft höflich aufgefordert, doch bitte um 23:59 Uhr ihre Quartiere aufzusuchen und die Nachtruhe einzuhalten. Es gibt schliesslich auch viele Leute, die während dieser Euro 08 arbeiten. Falls also die Tschechen, Türken oder Portugiesen gewinnen sollten, dann bitte „liislig“ sein auf der Strasse, Autokorso nur mit Lichthupe wenn möglich.

  • Wenn die Nacht frei hat
  • In Zürich gilt laut Webseite der Stadtpolizei:

    Durch das Kantonale Gastgewerbegesetz wird vorgeschrieben, dass Gastwirtschaftbetriebe in der Zeit von 2400 bis 0500 Uhr geschlossen sein müssen. Den Gemeinden wird eingeräumt, dass sie Ausnahmen bewilligen können. In der Stadt Zürich sind die öffentlichen Freinächte pro Betrieb und Jahr auf 12 Anlässe beschränkt. Für geschlossene Veranstaltungen besteht kein Kontingent. Öffentliche Freinächte und geschlossene Veranstaltungen sind bewilligungspflichtig. Das Gesuch ist grundsätzlich vor dem Anlass zu stellen.
    (Quelle: stadt-zuerich.ch)

    Ob die Uhrzeit, so wie aus amerikanischen Armeefilmen bekannt, in Zürich auch als „Null-Fünfhundert“ gelesen werden muss? Dass Nächte manchmal frei haben in der Schweiz, noch dazu ganz öffentlich hatten wir bereits hier erläutert. Maximal 12 Nächte können bewilligt werden? Sollte doch reichen bis zum Halbfinale, oder nicht?

    Kann Baschi nicht Hochdeutsch singen?

    März 17th, 2008
  • Übersetzungsprobleme
  • Die Schweizer Fussball- und Baschi-Fans werden momentan durch eine Schreckensnachricht aus Deutschland in Panik versetzt: Oliver Pocher droht kündigt an, Baschis Schweizer Fussballhymne „Bring en Hei“, auf Hochdeutsch „Bring uns einen Hai“ übersetzt zu singen. Ja geht das denn überhaupt? Kann man Schweizerdeutsch, diese eigenständige Sprache, denn überhaupt in die Fremdsprache Hochdeutsch übersetzen? Hier das Original von Baschi:

  • Gnadenloses Eindeutschen mit Tradition
  • Nun, diese Art der „Übertragung“ hat eine lange Tradition in Deutschland. Der Schlagersänger Howard Carpendale war in den Siebzigern dafür berüchtigt, gnadenlos jeden englischen Hit abzukupfern und aus „Living next door to Alice“ von Smoky wurde „Tür an Tür mit Alice“. Gruselzitat:

    „Und ich eilte zum Fenster und schaute raus,
    ein Möbelwagen stand vor dem Haus,
    ich glaubte, dass ich nicht richtig sah,
    denn auch Alice war da.“

    Verkaufte sich prima, genau wie Jürgen Drews mit „Ein Bett im Kornfeld“ das Original der Bellamy Brothers nochmals gewinnbringend auf den Markt brachte. Mir gefiel „Ein Korn im Feldbett“ irgendwie besser. Und die Produzenten von Juliane Werding nahmen den Joan Baez Hit „The night they drove old dixie down“ und vermarkteten ihn als „Am Tag als Conny Cramer starb“. Wir Deutschen sind also einiges gewohnt, was „Deutsche Coverversionen“ betrifft. Doch Bashi gecovert? Warum nicht in einen deutschen Dialekt übertragen, vielleicht auf Hessisch oder Kölsch. Er kann sich ja was Passendes mit dem Liebeslied-Generator aussuchen. Oder mit holländischem Akzent wie bei „Wann wird es wieder richtig Sommer“. Diese Fassung von Rudi Carell geht auf „City of New Orleans“ von Steve Goodman zurück, welche von Arlo Guthrie gesungen zum Hit wurde.

  • In welcher Sprache singen es die Fans?
  • Warum Baschi nicht die Gunst der Stunde wahrnimmt und selbst eine Deutsche Version seines Songs herausbringt um damit in Deutschland kräftig absahnt? Geht das gegen seine „Mundart-Singerehre“? Wahrscheinlich. Dann halt Oliver Pocher, von dessen Gesangskünsten wir bisher verschont blieben. Sobald der Song erst Einzug in die Stadien erhält, werden die Fans aller Länder sowieso ihre eigenen Texte dazu schreiben

    Kämpfen nach Strich und Faden — Was ist ein „Strichkampf“?

    Januar 18th, 2008
  • Kämpfen auf dem Strich?
  • Uns wurden wichtige Informationen aus dem Schweizer „Iiis-hockey“ zugespielt, dort geht es ab nach Strich und Faden:
    So auf 20Min:
    Strichkampf
    (Foto: Strichkampf 20Min)

    und auf den nachrichten.ch:

    Strichkampf nachrichten.ch
    (Foto Nachrichten.ch )

    einen Stichkampf kannten wir, aber was ist ein „Strichkampf“? Ein Schreiber mit Krampf im Strich?

    Auch beim Fussball auf FCKickers.ch wird der Strichkampf durchgeführt:

    Strichkampf FCKickers.ch
    (Foto Fckickers.ch)

  • Der Duden kennt nur den Stichkampf
  • Mein Duden weigert sich standhaft, den Strichkampf zu akzeptieren und beharrt stets auf „Stichkampf“. Ist es wirklich ein Schreibfehler, der sich verselbständigt hat? Ein „r“, was aus dem „Krampf“ nach vorn wanderte im Wort zum „Strich-kampf“?
    Das Wörterbuch der Uni-Leipzig weiss besser Bescheid, es liefert zwei Belegstellen und weisst darauf hin, dass das Wort „schweizerisch“ ist:

    Wort: Strichkampf
    Beispiel(e):
    Im Golf nennen sie es Cut, in der Schweiz „Strichkampf“ – nur in Deutschland fehlt ein griffiges Wort.
    (Quelle: fr-aktuell.de vom 04.03.2005)
    Prompt liegen die Nerven blank, der Strichkampf forderte sein erstes Opfer: Am Mittwochabend haben die Hamburger ihren kanadischen Trainer Dave King beurlaubt, der noch im Vorjahres-Halbfinale nur knapp am späteren Meister Frankfurt gescheitert war. (Quelle: fr-aktuell.de vom 04.03.2005)
    (Quelle: wortschatz.uni-leipzig.de)

    Viel weiter bringen uns diese Zitate jedoch nicht, also wird der freundliche Schweizer Nachbar in der S-Bahn um Rat gefragt. Das sei ein Wort für den „Abstiegskampf“ in einer Liga, wenn irgendwo im unteren Bereich ein Strich gezogen wird, und jede Mannschaft, die in der Tabelle „unter dem Strich“ liegt, fliegt raus. Auch gäbe es einen weiteren Strich an der Tabellenspitze. Wer über diesem Strich liegt, darf am Ende der Saison in der Championsleague mitspielen.

    Nun, sehr genau war die Erklärung noch nicht. Und warum gibt es das Wort in Deutschland nicht? Weil „Abstiegskampf“ genauso beeindruckend klingt? Wir werden gleich einen Brief an die Duden-Redaktion aufsetzen mit der Bitte, dieses Wort mit genauer Erklärung und ohne Zusatz „Schweizerisch“ ins Wörterbuch aufzunehmen.

    Füessball in de wörld — Zum Fegen braucht man keinen Besen

    Dezember 10th, 2007
  • Nicht Joseph sondern Sepp
  • Wir lasen im „Magazin 49-2007“ einen Beitrag von FIFA-Präsident Sepp Blatter, überschrieben mit dem original Schweizerdeutschen Titel „Füessball in de wörld“:

    Und was ich bemängle in diesem Jahr ist, dass der Enthusiasmus, den man in andern Ländern spürte, nicht da war. Man hätte in der Schweiz 2007 etwas ganz Verrücktes machen sollen um anzuheizen.
    Aber tant pis, die Euro 08, das wird fegen. Jedoch nur, wenn die Schweizer Mannschaft etwas leistet. Sie ist auf jeden Fall zu so viel fähig wie die Deutschen 2006, die hatten auch keinen grossen Kredit davor, dann haben sie ein super Startspiel gemacht, und das war wie ein Funken im Strohfeuer, hoblalätz

    Sepp Blatter im Magazin.ch
    (Quelle: DasMagazin.ch)

  • Wenn Schweizer etwas Verrücktes machen
  • Enthusiasmus? Etwas Verrücktes machen? In einem Land, das das Silvesterfeuerwerk über dem Zürichsee immer erst 20 Minuten nach Mitternacht abfeuert, damit bis dahin völlig verrückt und enthusiastisch den Kirchenglocken der Zürcher Frauenmünsters gelauscht werden kann? (vgl. Blogwiese)

    Als echter Schweizer baut Blatter natürlich welsche Ausdrücke in seinen Ausführungen ein. „Tant pis“ für „dumm gelaufen“ findet sich erstaunlicher Weise in keinem Duden, nicht mal in der Fremdwörterausgabe. Dort ist nur „tant mieux“ als „um so besser (veraltet)“ verzeichnet.

  • Das fegt ganz ohne Besen
  • Ganz besonders angetan sind wir von „das wird fegen“. Da braucht es keinen Besen oder Kehrichtschaufel, wenn die Schweizer loslegen. Das „fegt“ ganz von allein. Eine Redewendung, die wir in verschiedenen Varianten in der Schweiz entdeckten:

    (…) die Einsatzfahrten sind voll cool gemacht, das fegt so richtig …
    (Quelle: outnow.ch)

    Oder hier, ein Beispiel aus Chur:

    Do losi wieder amol kli radio mx3 und denka nüt böses und uf zmol jodlet do eina mim ma offasichtlicha khurer dialekt us mina boxa. sofort bohrt sich das liad in mini ohra… ouuuyeeeahhh, schlohn mr eis…. das fegt jo uu huara! natürlich muass i grad amol go luaga wär denn do dia übeltäter sind.
    (Quelle: Mx3.ch)

  • Fegen immer mit Objekt
  • Die Deutschen hingegen gebrauchen „das fegt“ immer noch mit einem Objekt, wie diverse Fundstellen bei Google-DE belegen:
    Das fegt Sie glatt vom Stuhl
    Das fegt dich (und die Nachbarn) weg
    Das fegt das Popcorn von den Strassen

  • Und was heisst „hoblalätz“?
  • Ist das ein „hoppla“ plus „jetzt“? Oder lässt sich dieser spontan verrückte Ausdruck von unkontrolliertem Enthusiasmus gar nicht verhochdeutschen? Wir werden ihn uns merken für die Public Viewing Events im Juni 2008. Immer wenn es richtig abgeht auf der Leinwand werden wir spontan, laut und schrill ein „hoblalätz“ in die Runde brüllen, um so die Stimmung zum Siedepunkt zu treiben. Wenn das dann „der Funke im Strohfeuer“ war, sorry, dann können wir da nix für. Sepp Blatter hatte es so gewollt.

    Beim Siegen immer die Rechenmaschine mitbringen — Stängelis in der Schweiz

    Oktober 11th, 2006
  • Stängelis kann man nicht nur schlecken, sondern auch zum Zählen verwenden
  • Die Schweizer sind für ihr wohlorganisiertes Finanzwesen und ihre Banken bekannt. Rechnen können gehört zu den wichtigsten Grund-Disziplinen, definitiv höher bewertet als Ausdrucksfähigkeit im Hochdeutschen. Damit das mit dem Rechnen auch nie schief geht, pflegt man in der Schweiz noch den Umgang mit dem Abakus:
    Stängeli Rechenmaschine

    Hier kommt es darauf an, eine Stange mit 10 Holzperlen richtig zu bedienen. Werden mehr als 10 Dinge gezählt, ist eine Stange voll. Nun, eigentlich ist es eine recht kleine Stange, als im Schweizer Diminutiv ein „Stängeli“. Gerade im Sport ist es von grosser Bedeutung, diese Rechentafel stets dabei zu haben, denn hier wird lebhaft gezählt, wenn Tore fallen. Zum Beispiel neulich beim Spiel der Deutschen Nationalmannschaft gegen San Marino (ein Spiel, was natürlich niemand geguckt hat). Da reichte ein Stängeli nicht aus zum Tore zählen, da mussten 14 Holzperlen verschoben werden:
    Stängeli für Deutschland
    (Quelle: news.ch vom 6.09.06)

    Solche „Stängelis“ bezeichnen im Sport besonders hohe Siege. Unser Variantenwörterbuch hat das aber nicht so ganz begriffen, denn es kehrt die Sichtweise um und meint dazu:

    Stängeli: „Hohe Niederlage mit 10 oder mehr Gegentoren: Debakel“

    Verkehrt verkehrt, nicht die eigenen Tore werden gezählt, sondern die der siegreichen Mannschaft! Einen hohen Verlust, wie ihn das Variantenwörterbuch bezeichnet, darf man in Deutschland übrigens auch „eine Packung“ nennen. Die Österreicher haben noch die Begriffe „einen Schraufen“ oder „ein Tragerl“ für hohe Niederlagen. Was eine „Schraube“ und ein „Traggestell“ mit einem Verlust im Sport zu tun hat, müssen sie uns allerdings selbst erklären. Dazu schweigt sich unser Variantenwörterbuch aus.

    Zurück zu den Stängeln in der Schweiz. Die finden sich überall, Sie müssen nur die Augen aufsperren:
    Da geht Kloten knapp am Stängeli vorbei:

    Stängeli für Kloten
    (Quelle: blick.ch)

    Aber auch Davos hatte sein Stängeli:

    Davoser Stängeli
    (Quelle: news.ch)

    und schliessloch noch Biel:

    Biel mit Stängeli
    (Quelle: nachrichten.ch)

    Überhaupt wird die Rechenmaschine und ihre Stängeli beim Eishockey wesentlich öfter gebraucht als beim Fussball, scheint es. Wie soll man denn auch nur mit den dicken Handschuhen die Kügelchen auf dem Stängeli verschieben?

    Ist Ihnen eigentlich auch aufgefallen, dass die „Stängeli“ stets vorsichtig in Anführungszeichen, den sogenannten „Gänsefüsschen“ gesetzt werden? So wie einst die „DDR“ vom Springerverlag auch nur als „sogenannte DDR“ in Gänsefüsschen gesetzt werden konnte. Traut man diesen Stängelis nicht in der Schweiz, dass sie immer so vorsichtig angefasst und zitiert werden müssen?