Beim Siegen immer die Rechenmaschine mitbringen — Stängelis in der Schweiz
Die Schweizer sind für ihr wohlorganisiertes Finanzwesen und ihre Banken bekannt. Rechnen können gehört zu den wichtigsten Grund-Disziplinen, definitiv höher bewertet als Ausdrucksfähigkeit im Hochdeutschen. Damit das mit dem Rechnen auch nie schief geht, pflegt man in der Schweiz noch den Umgang mit dem Abakus:
Hier kommt es darauf an, eine Stange mit 10 Holzperlen richtig zu bedienen. Werden mehr als 10 Dinge gezählt, ist eine Stange voll. Nun, eigentlich ist es eine recht kleine Stange, als im Schweizer Diminutiv ein „Stängeli“. Gerade im Sport ist es von grosser Bedeutung, diese Rechentafel stets dabei zu haben, denn hier wird lebhaft gezählt, wenn Tore fallen. Zum Beispiel neulich beim Spiel der Deutschen Nationalmannschaft gegen San Marino (ein Spiel, was natürlich niemand geguckt hat). Da reichte ein Stängeli nicht aus zum Tore zählen, da mussten 14 Holzperlen verschoben werden:
(Quelle: news.ch vom 6.09.06)
Solche „Stängelis“ bezeichnen im Sport besonders hohe Siege. Unser Variantenwörterbuch hat das aber nicht so ganz begriffen, denn es kehrt die Sichtweise um und meint dazu:
Stängeli: „Hohe Niederlage mit 10 oder mehr Gegentoren: Debakel“
Verkehrt verkehrt, nicht die eigenen Tore werden gezählt, sondern die der siegreichen Mannschaft! Einen hohen Verlust, wie ihn das Variantenwörterbuch bezeichnet, darf man in Deutschland übrigens auch „eine Packung“ nennen. Die Österreicher haben noch die Begriffe „einen Schraufen“ oder „ein Tragerl“ für hohe Niederlagen. Was eine „Schraube“ und ein „Traggestell“ mit einem Verlust im Sport zu tun hat, müssen sie uns allerdings selbst erklären. Dazu schweigt sich unser Variantenwörterbuch aus.
Zurück zu den Stängeln in der Schweiz. Die finden sich überall, Sie müssen nur die Augen aufsperren:
Da geht Kloten knapp am Stängeli vorbei:
(Quelle: blick.ch)
Aber auch Davos hatte sein Stängeli:
(Quelle: news.ch)
und schliessloch noch Biel:
(Quelle: nachrichten.ch)
Überhaupt wird die Rechenmaschine und ihre Stängeli beim Eishockey wesentlich öfter gebraucht als beim Fussball, scheint es. Wie soll man denn auch nur mit den dicken Handschuhen die Kügelchen auf dem Stängeli verschieben?
Ist Ihnen eigentlich auch aufgefallen, dass die „Stängeli“ stets vorsichtig in Anführungszeichen, den sogenannten „Gänsefüsschen“ gesetzt werden? So wie einst die „DDR“ vom Springerverlag auch nur als „sogenannte DDR“ in Gänsefüsschen gesetzt werden konnte. Traut man diesen Stängelis nicht in der Schweiz, dass sie immer so vorsichtig angefasst und zitiert werden müssen?
Oktober 11th, 2006 at 8:12
Als Tragerl bezeichnet man in Bayern (und ich nehme an auch in Österreich) einen Bierkasten. Da sind eine Menge Flaschen drin – genau wie in der gegnerischen Mannschaft, der man gerade 20 Tore eingeschenkt hat. Könnte das die Erklärung sein?
Oktober 11th, 2006 at 8:23
@coolman
hört sich sehr plausibel an. Gibt es auch Kästen mit 10-12 „Flasche leer“?
Dann wäre es echt eine gute Bezeichnung für eine verlierende Mannschaft.
Wie sagt man das dann: „Die haben einen Tragerl bekommen, erhalten, gemacht?“
Oktober 11th, 2006 at 9:18
Der Ausdruck „Stängeli“ kommt aus der Zürcher Gamblersprache. Dies fühlt der bürgerliche Chefredaktor und benutzt deshalb die DDR-Gänsefüsschen.
Das Stängeli ist die Maximalstrafe im Tischfussball (in CH Jöggeli- oder Töggelikasten genannt) und bedeutet, dass auf der einen kleinen Metallstange des Zählsystems schon alle 10 Bällchen verschoben wurden , bevor der Gegner auch nur ein Tor erzielt hat. 10:0 ist also ein Stängeli, 11:0 nicht mehr, 10:1 schon gar nicht.
Ein Stängeli ist also eine Momentanaufnahme auf der Zeitachse und hat nahezu metaphysische-physikalische-philosophische Bedeutung.
Dies zum Einsteinjahr.
Oktober 11th, 2006 at 9:35
Interessant – Das „Stängeli“ in dieser speziellen Bedeutung habe ich noch nicht gekannt (bin auch nicht so sportbegeistert).
Die abgebildete Rechenmaschine nennt sich Zählrahmen oder SD „Zelirahme“.
Im Gegensatz dazu ist ein Rechenschieber ein Lineal-artiges Instrument mit Skalen drauf
(vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rechenschieber)
Oktober 11th, 2006 at 11:43
Man darf das abgebildete Objekt auch gern „Abacus“ oder „Abakus“ nennen. Wie bereits von myl erwähnt, ist ein „Rechenschieber“ ein anderes Objekt.
Oktober 11th, 2006 at 11:56
@Branitar
schön dass du wieder mitschreibst, wir machten uns schon Sorgen 🙂
Habe eigentlich „Rechentafel“ gemeint, die ist laut Wikipedia mit einem Abakus identisch. Alle Rechenschieber sollten nun entfernt sein im Posting.
Gruss, Jens
Oktober 11th, 2006 at 15:01
Aber wenn jemand „ne ordentliche Packung“ bekommt hört sich das in meinen Ohren weitaus schlimmer an als wenn es nur um „Stänglis“ geht..:-) Das Ergebnis ist vielleicht das gleiche, aber anders verpackt…
Oktober 11th, 2006 at 15:07
@ myl
„…ein Rechenschieber ein Lineal-artiges Instrument…“
Meinst du damit damit den normalen Messschieber (z. B. aus der Metallbaubranche)?
Oktober 11th, 2006 at 15:43
@Feustel,
Bin nicht aus der Metallbaubranche, war mir aber sicher, dass ein Rechenschieber kein Zählrahmen ist. Schau mal im besagten Wikipedia-Link, dort hat es ein Bild, welches sich mit meiner Vorstellung eines Rechenschiebers deckt.
@admin
Das Bild zeigt aber auch keinen Abakus!!!
Ein Abacus ist eine Art Zählrahmen, aber die Stängeli sind mit einem Steg in zwei Teile unterteilt. Auf der einen Seite sind jeweils zwei Kugeln (meist eher Scheiben), auf der anderen Seite 5.
Es gibt schöne Bilder, wenn man in Google danach sucht.
Für den Abacus gibt es spezielle Regeln, wie man damit rechnet
(z.B. hier: http://www.fh-friedberg.de/users/mlutz/abakus/abacus.html)
Auf einem normalen Zählrahmen sind 10×10 Kugeln.
Das musste jetzt aber gesagt sein 😉
Gruss
myl
Oktober 11th, 2006 at 15:44
Wieder mal was Neues gelernt. Der Begriff war mir nur als Süssigkeit bekannt (Kirschstängeli, gibts auch als Willamsstängeli). Und die sind als Packung immer willkommen 🙂
Oktober 11th, 2006 at 18:48
@admin
Naja, ich muss ja auch mal Urlaub machen 😉
@Feustel
Nein, der Rechenschieber ist wie der Abakus zum Rechnen da, nicht zum Messen. Folge einfach mal dem Link in myls Beitrag, dort findest du eine Erklärung und auch ein Bild. 🙂
Der Rechenschieber war übrigens in der DDR sehr lange im Einsatz, da elektronische Taschenrechner bis in die 80er Jahre hinein sehr teuer waren.
Oktober 11th, 2006 at 19:41
@ myl
Hab nachgeschaut, ein Rechenschieber ist etwas anderes.
Aber ich muss sagen, bei uns wid das abgebildete „Gerät“ umgangsprachlich Rechenschieber genannt (ob richtig oder falsch sei mal dahingestellt).
Oktober 12th, 2006 at 13:57
at coolman:
A Tragerl des is bei uns dahoam in Obaösterreich a kloane Biakistn wo netta (nua) 6 Floschn eini passn (oft aus Karton).
A Tragerl für Sportergebnisse kenn ich nicht.
Peter
Oktober 12th, 2006 at 14:42
Ich wollte nur kurz darauf hinweisen, dass es das Wort „Stängelis“ nicht gibt! Die Mehrzahl von „Stängeli“ ist (wer hätte es gedacht?) „Stängeli“.
Oktober 12th, 2006 at 17:27
Übrigens ist der „Töggelikasten“ in der Blogwiese schon erwähnt. Endlich haben wir nun auch die Ergänzung, dass daran zwei „Stängeli“ (eines pro Seite) mit je 10 Zählkugeln (oft –Würfel) sind.
http://www.blogwiese.ch/archives/211
„Stängeli“ schreibe ich übrigens, so wie die Journalisten, in Anführungszeichen, weil es ein Mundartwort in einem hochdeutschen Text ist. Wäre der ganze Text auf Mundart, oder würde ich einfach einen Helvetismus in einem hochdeutschen Text verwenden (der also in Schweizer Hochdeutsch auch komplexlos geschrieben werden kann, wie Tram, Billett, gebüsst, allfällig, tönt etc.), würden natürlich keine Anführungszeichen gesetzt. Ich könnte ja meinetwegen „Stängelchen“ schreiben. Das wäre dann zwar hochdeutsch, bzw. verhochdeutscht, aber von diesem Wort, weiss ja jeder Schweizer, dass es kein hinlänglich bekanntes Wort der deutschen Sprache ist. – „Stängelchen“ setze ich hier in Anführungszeichen, da es kein integraler Bestandteil des Textes ist, wie z.B. in „FC XY hat am Samstag ein Stängelchen vollbracht.“, nur damit dieser Verwirrung schon mal vorgebeugt ist.
Hier die Frage an Nicht-Dialekt-Sprechende: Entdeckt ihr überhaupt jeweils, welche Wörter Dialekt sind, oder welche Wörter Helvetismen sind, die auch geschrieben toleriert sind? Im Variantenwörterbuch – das ich leider noch nie von nahe gesehen habe – steht sicher so ein Hinweis!
An Feustel und Myl
Das in der Metallbranche übliche Gerät um Durchmesser runder Teile zu definieren, hätte ich „Schieblehre“ genannt. Wikipedia korrigiert mich auf „Messschieber“ (dort steht, „früher“ nannte man das „Schieblehre“; kommt mir schon fast vor wie der Duden, der alles, was in der Schweiz gesagt wird, „veraltet“ nennt)
http://de.wikipedia.org/wiki/Messschieber
Oktober 12th, 2006 at 19:28
@phipu
Dialektworte erkenne ich daran, das sie jemand in Verbindung mit hochdeutsch schreibt (woraus ich vermute das es die richtige Schreibweise ist), aber ich nichts oder nicht viel damit anfangen kann.
In sachen Messmittel und Metallbranche kenn ich mich (zumindest was meinen Bereich betrifft) ganz brauchbar aus, immerhin bin ich Schleifer oder wie es neu heißt „Zerspanungsmechaniker/Schleiftechnik“.
Oktober 12th, 2006 at 21:00
an Feustel
Es klang wohl hier etwas falsch. Ich – als bescheidener Hobby-Bastler – wollte eigentlich nicht Wikipedias oder jemand anderes Kentnisse anzweifeln. Ich wollte nur noch eine weitere Ergänzung zu
– Zählrahmen
– Rechenschieber
– Messschieber
anfügen. Eben das überholte Wort „Schieblehre“
Oktober 12th, 2006 at 22:51
@phipu
keine Angst ich bin mir dessen völlig bewusst