Was die Schweizer gerne essen (Teil 7) — Etwas Feines
Oktober 24th, 2008(reload vom 30.01.06)
Seit wir in der Schweiz leben, haben wir uns angewöhnt, mit einem reduzierten, äussert ökonomisch, wenn nicht sparsam eingesetzten Wortschatz auszukommen. Wir wissen zum Beispiel, dass kleine, niedliche, kuschelige Hunde, die wir süss, schnuckelig, putzig, bezaubernd, entzückend, liebenswert finden, dies in der Schweiz alles nicht sind. Hier sind sie herzig, ausschliesslich herzig, und sonst nix (vgl. Blogwiese).
Schon in der Französischen Klassik wurde das Ideal gepflegt, den auswuchernden Wortschatz der Französischen Sprache radikal zu verkleinern. Es galt als gekonnt und schick, mit wenigen Worten viel zu sagen. Bestes Beispiel: Zur Zeit der Klassik kam der Tragödiendichter Jean Racine in all seinen Dramen mit nicht einmal 5.000 Wörtern aus, während der Kollege Shakespeare über 200.000 unterschiedliche Ausdrücke in seinen Stücken verwendete. Dieses klassische Ideal, mit wenigen Worten viel zu sagen, wird offensichtlich heute noch in der Kulturnation Schweiz gepflegt. Unser liebstes Beispiel hierzu:
Die Schweizer essen nicht „zu Abend“, sondern „zu Nacht“, denn es wird früh dunkel in diesem Land. Das mag an den hohen Bergen liegen, hinter denen schnell die Sonne verschwindet, oder einfach an den Rolladen, die die Deutschen auf dem Teller zu essen bekommen (als „Roulade“) während die Schweizer sie am Abend sorgsam herunterlassen, um bedrohliche Lawinen oder Nachtbuben auszusperren.
Fragen Sie mal einen Schweizer, wenn er „im Ausgang“ war, z. B. mit der Belegschaft seiner Firma in der Weihnachtszeit, was es zu essen gab. Wir garantieren Ihnen, die Antwort wird in 95% aller Fälle lauten:
„Etwas Feines“.
„Fein“ ist das Essen, muss es sein, wird es sein, und war es offensichtlich schon immer.
„Ein feines z’Nacht“ findet sich bei Google-Schweiz (49 Belege)
Und ein „Feines Znacht“ mit ohne Auslassungszeichen nach dem Z gibt es 770 Mal.
So bietet die Philo-Fachschaft der Uni-Bern auf einem Flyer an:
Leute kennenlernen, Fragen stellen, Fragen gestellt bekommen, nebenbei ein feines Znacht essen, gemütlich zusammensitzen und natürlich ganz viel philosophieren!
(Quelle: philosophie.ch/unibe)
Man achte auf die geschickte Verwendung von Schweizerdeutsch UND Hochdeutsch!
Oder hier auf dem Flyer einer Langlauf-Skischule:
Natürlich gönnen wir uns nach „der Arbeit“ ein feines Znacht!
(Quelle:)
Fein fein, können wir da nur sagen. Nicht delikat, nicht geschmackvoll, nicht lecker, sondern fein muss das Essen sein.
Wir rätseln noch, wie es zu dieser Variantenarmut im Ausdruck der Schweizer kommen konnte. Der Ansatz „aus der französischen Klassik übernommen“ klingt logisch, wenn man davon ausgeht, dass die Schweiz grosse Teile ihrer Kultur via Westschweiz und Frankreich importiert haben. So z. B. die Form der „Schnürli“-Schrift = Schreibschrift mit einem echt französisch geschriebenen Schreibschift-Z (Siehe Pfeil auf dieser Tabelle):
In der Mediavistik (=Sprache und Kultur des Mittelalters) haben wir ausserdem gelernt, dass es zur Zeiten von Walter von der Vogelweide,
(Foto Wikipedia: Walther von der Vogelweide)
dessen Mittelhochdeutsche Minnelyrik immer noch verdammt ähnlich wie heutiges Schweizerdeutsch klingt, es als ausgesprochen „schön“ angesehen wurde, beschreibende Adjektive häufig zu wiederholen. Der Zwang zur „Varianz“, nie die gleichen Adjektive zu verwenden, ist eine viel spätere Erfindung. Bei den Menschen im Mittelalter konnte alles „guot“ sein, und zwar viele Verse lang, ohne das sich irgendein norddeutscher Kleingeist darüber zu beschweren wagte.
Also finden wir das „guot“, echt „guot„, einfach nur „guot“ (jetzt ist aber echt genug!).