Voll Freud und Wonne — „Wonig“ in Zürich

Oktober 31st, 2008

(reload vom 6.2.06)

  • Wohneigentum nur für Schweizer?
  • Wie verhindert man als Anbieter von Wohnungen in Zürich, dass dort missliebige Ausländer, Ticinos oder Welsche alles aufkaufen? Ganz einfach! Man formuliert sein Angebot so sehr auf Schweizerdeutsch, dass es garantiert nur noch von sauberen, ordentlichen und gut betuchten Deutschschweizern verstanden wird:
    Wonnige Wohnung
    (Quelle: Tages-Anzeiger 23.01.06. S. 32)

    „Wotsch ä lässigi Wonig haa?
    Dänn click d Milchbuck aa!“

    Wie sich das Englisch geschriebene „click“ mit „c“ dazwischenmogeln konnte, ist uns ein Rätsel. Wir hätten, wenn schon – denn schon, ein alemannisches „gligg“ erwartet.

    „Nöi! Eigentumswonigä: www.xxx-xxx.ch
    Flug-, Ussäufnahmä, Wonigsplän und vil me, damit weisch, wie chasch huuse.
    Chasch au aalüüte“

    Wollen wir mal sauber auseinander sortieren, wie sich das für einen Deutschen liest:

    „Wotsch“ das kennen wir, das ist eine Uhr, wir haben eine Swotsch-Wotsch am Arm.

    „Nöi!“ = das ist Schwäbisch für „Nein“, denn wir kennen ja alle die Geschichte vom schwäbischen Quizkandidaten, der gefragt wurde: „Wie heisst die Hauptstadt von Vietnam?“ Antwort: „Ha-Noi“, dös woiss ii net!

    Eigentums-wön-i-gä: „Eigentum will ich gern“?

    Flug– = Moment, die ist doch wohl nicht in einer Flugschneise in Kloten gelegen?

    Us-säuf-nahmä“ = Ausser Säufer nehmen … = die nehmen alles ausser Säufer?

    Wonigsplän“ = ein wonniger Plan, jawohl das ist es bestimmt.

    Damit weisch, wie chasch huuse“ = Irre ich mich, oder werden wir hier von wildfremden Leuten geduzt? Obwohl, es ist keine Präposition zu entdecken, nicht ein mal ein klitzekleines „ihr“ ist zu sehen, geschweige denn ein „Du“. Sehr geschickt gemacht, diese Kumpeltour, das müssen wir neidvoll zugeben.

    Chasch au aalüüte“ = Hasch gibt es auch, für alle Leute?
    Nee, da gehen wir nicht hin, das ist sicher so dein Drogenkollektiv mit eigener Cannabis-Zucht im Innenhof und auf den Balkonen.

    Ja, so kann es gehen, wenn eine Anzeige zu freier Interpretation einlädt. Hoffentlich wird die Zielgruppe von Nicht-Säufern und Haschischkonsumenten, die sich nix aus Fluglärm machen, mit diesem Text auch gefunden, wäre ja sonst schade um das fehlinvestierte Geld für die Anzeige im Tages-Anzeiger.
    P.S.: Die Website ist übrigens komplett auf Hochdeutsch gehalten. (Siehe hier). So eine Enttäuschung! Richtig hinters Licht geführt fühlt man sich da. Erst mit Schweizerdeutsch so ködern, und dann mit Hochdeutsch abspeisen. Nicht die feine Art ist das.

    Wenn es brennt, dann muss man löschen, oder? — „Feuer im Dach“

    Oktober 30th, 2008

    (reload vom 31.01.06)
    Wir lasen in Standardwerk für unverfälschte Schweizer Sprichwörter und Redensarten, dem Tages-Anzeiger vom 21.01.06:

    Bei der Walliser Polizei ist Feuer im Dach

    Nun, wenn es brennt, da hilft nur löschen, sollte man meinen. Aber hier brennt es gar nicht, hier wird Brauchtum gepflegt in Form von original Schweizerischen Redewendungen.
    Feuer im Dach

    Wir testen ein wenig, wie häufig es bei Google-Schweiz „Feuer im Dach“ gibt, und kommen auf immerhin 1´200 Fundstellen , von denen kaum eine etwas mit echten heissen Bräuten Bränden zu tun hat.

    Interessant finden wir, dass diese Redewendung im Deutschen Sprachraum nicht überall das Gleiche bedeutet. Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm interpretiert den Ausdruck „Feuer im Dach“ ganz anders:

    In niedriger sprache für kopf, hirnschädel, da ist gleich feuer im dach er ist ein hitzkopf.
    (Quelle: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm)

    Sind also die Walliser Polizisten alles Hirnschädel und Hitzköpfe? Wir hoffen nicht.
    Im Lauf der Zeit muss sich das Feuer langsam vorgearbeitet haben, denn ursprünglich war nicht „Feuer im Dach“, sondern nur „am Dach“. Solches Feuer kennt auch der Duden, für Österreich und die Schweiz, und bringt ein Zitat aus der NZZ:

    es ist/dann ist Feuer am Dach
    (österr.,schweiz.): dann/es herrscht grosser Aufruhr:
    „Wenn jedoch auch in der so genannten Paradedisziplin des österreichischen Skiwettkampfsports derart enttäuschende Ergebnisse wie jene in Kitzbühel auftreten, dann ist Feuer am Dach, beim Skiverband, aber auch bei der Industrie“
    (NZZ 29.1.1983, 33)
    Quelle: Duden-Band 11 (Redewendungen) S. 203

    Wie gesagt, mittlerweile brennt es wesentlich häufiger „im Dach“ als „am Dach“, denn auch Redewendungen unterliegen offensichtlich physikalischen Gesetzen. Immerhin brennt es hier, und „mottet“ nicht nur. (vgl. Blogwiese)

    Die alte Formulierung „Feuer am Dach“ gibt es bei Google-Schweiz nur noch 69 Mal. Also sind das jeweils keine Hitzköpfe mehr, aber dafür herrscht stets eine grosse Aufruhr. Na dann können wir ja den Feuerlöscher ungebraucht zurück in die „Nasslöschstelle“ bringen
    und warten, bis sich der Rauch im oder am Dach verzogen hat.

  • Im Ruhrpott brennt es nicht, da dampft es
  • Wie würden wir in Deutschland ausdrücken, das „Feuer im Dach“ ist? Nun, da bieten sich einige Redewendungen an. Zum Beispiel: „Dann ist Polen offen“. Laut Duden steht das für:

    „da/dann ist Polen offen (da/dann kann alles Mögliche passieren, kann es Ärger geben)
    (Quelle: Duden)

    In meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, also „tief im Westen, wo die Sonne verstaubt„, bevorzugt man etwas drastischere Ausdruckformen. Da es dort die selige Erfindung des Robidog Hundebriefkastens noch nicht gibt, und häufiger mal eine Tretmine auf dem Bürgersteig zu finden ist, würde der typische Ruhrpöttler eine grosse Aufregung so ankündigen:

    „Dann is aber die Kacke sowat von am dampfen, eh“.

    In diesem Sinne… lassen wir es einfach dampfen.

    Was haben Sie für ein Geschlecht? – Verwirrungen im Schweizer Spital-Alltag

    Oktober 29th, 2008
  • Ab in die Mitte
  • Bei Klassenfahrten mit langen Wanderungen durch den Deutschen Wald pflegte unser Lehrer die obligatorische Pinkelpause für alle mit den Worten einzuläuten. „Jetzt ist Pinkelpause. Die Jungen gehen nach links in den Wald, die Mädchen nach rechts. Wer nicht weiss in die Mitte.

  • Was ist Androgynie?
  • Kurz und präzise wurde so „nach Geschlecht“ die Gruppe aufgeteilt. Nein, den Begriff „Androgynie“ kannten wir als Schulkinder nicht, aber David Bowie und Amanda Lear oder Grace Jones hätten sicher auf dem Waldweg erst überlegen müssen, ob sie nach links oder rechts in die Büsche verschwinden sollten. Daran musste ich denken, als ein Blogwiese-Leser mir diese E-Mail zukommen liess:

    Wir haben eine Freundin im Spital in Zürich besucht und während unserer Besuchszeit hat sich eine neue Stationsschwester deutscher Nationalität bei unserer Freundin vorgestellt und auf Nachfrage gemeint, sie würde schon Schweizerdeutsch verstehen. Sie hatte einen eher aussergewöhnlichen Nachnamen, der in Verbindung mit dem Nachnamen unserer Freundin zu Heiterkeit Anlass gab, nur hat ihn unsere Freundin zuerst nicht richtig verstanden.

    So fragte sie nochmals nach: „Was händ sie für äs Gschlecht?„. Nun wurde die Krankenschwester puterrot im Gesicht und es hat ihr die Sprache verschlagen. Als wir das realisierten, war das Gelächter natürlich gross, hatte doch die Krankenschwester nicht verstanden, dass die Frage nach dem Geschlecht im Schweizerdeutschen (zumindest in den zentraleren Teilen der Schweiz) nichts mit weiblich oder männlich zu tun hat, sondern das Geschlecht als Synonym für den Nachnamen verwendet wird, was nach meinem Wissen in Deutschland nicht mehr gebräuchlich ist oder zumindest grammatikalisch anders verwendet wird.
    (Quelle: Private E-Mail)

  • Das „von“ gehört zum Namen
  • Und das im Land der „Von Wartburgs“ und „Von Arx“ und „Von Eschers“! Das elektronische Telefonbuch tel.search.ch findet spontan 31‘442 Einträge von „von“ in der Schweiz. Nein, der Adel ist abgeschafft, und die Frage nach dem „Geschlecht“ bezieht sich nur noch auf den Nachnamen, nicht mehr auf die heimische Burg und Adelsfamilie.

  • Wie Geissenpeter um sein „von“ kämpfen musste
  • Unser Schweizerfreund Geissenpeter, der schon lange in Hamburg lebt und auch einen quasi „adeligen“ Namen führt, beschrieb einst auf „Heidiswelt“, wie es ihm erging, als er seinen Namen mit dem „von“ davor in Deutschland behalten wollte, und dies zum Problem wurde:
    Siehe hier. Sein Geschlecht wird man halt nicht los, auch nicht in Deutschland.

    Garmen und ihre Gola

    Oktober 28th, 2008
  • Eine Cola in Angola
  • In der Schule erzählten wir uns beim Thema Afrika im Erdkunde-Unterricht gern den Kalauer: „Fritzchen, was weisst Du von Angola?“ Antwort: „Angola könnt ich mich todsaufen“.

    Cola in Angola
    (Quelle Foto: Cola in Angola)

    Der Witz basiert auf die stimmhafte und stimmlose Aussprache von „G“ bzw. „K“. Der typische Deutsche in der Französischen Literatur des 19 Jahrhunderts, z. B. bei Balzac, wird dadurch gekennzeichnet, dass er alle stimmhaften Laute stimmlos und alle stimmlosen einfach stimmhaft ausspricht. „Zu Poden Pursche“, so kennt man das schon aus dem Film „Das Leben des Brian“.

  • Auch Micheline spricht so
  • Rein sprachwissenschaftlich ist da natürlich nichts dran. Es ist ein Klischee, das auch in entgegengesetzter Richtung bei der Wiedergaben von (angeblich) französischem Akzent regelmässig zum Zuge kommt. So zitiert das aktuelle Schweizer Satiremagazin Nebelspalter in einem fiktiven Text die Schweizer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey mit dem Satz:

    „Sollten wir nischt unser Sitzungszimmer nosch etwas mit Blumen schmüggen“
    (Nebelspalter 10.2008, S. 39).

    Aus „ck“ wird „gg“, sowie aus „hinterrücks“ ein „hinterüggsli“ wird in der Schweiz (vgl: Blogwiese )

  • Garmen mit Güte-G
  • Neulich lernten wir eine Deutsch-Schweizerin kennen, die sich uns mit „Garmen“ vorstellte. Ich fragte, ob sie nicht „Carmen“ heisst. Nein, „Garmen“, so spricht sich das aus. Wie mit einem „G“ wie in Gustav oder Gudrun. Aus den stimmlosen K-Laut im Vornamen wird bei vielen Schweizern die stimmhafte Variante. Aus Corinne wird „Gorinne“, aus „Klaus“ der „Glaus“ und aus Camilla die „Gamilla“. Und wie heisst eine „szenische Kantate von Karl Orff“ in der Schweiz? Richtig: Garmina Burana .

  • Da guckst du nach Sachsen
  • Das erinnert uns an den Sprachgebrauch von Sachsen, wo der „Alles-Gleber Uhu“ auch ohne „K“ ausgesprochen wird. Ganz schön gewöhnungsbedürftig. Bin ich froh, dass ich nicht Glaus heisse und auf dem „Glausenpass“ wohne…

    Zuckerbrot und Peitsche — Über den Gebrauch von Metaphern im Alltag

    Oktober 27th, 2008
  • Kennen Sie Metaphern?
  • Momentan herrscht Eiszeit im Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz. Kein Silberstreif am Horizont zu sehen, auch kein Licht am Ende des Tunnels. Jemand hat dem Fass den Boden ausgeschlagen, nachdem es erst zum Überlaufen gebracht wurde, weil ja der Krug so lange zum Brunnen geht bis er bricht.

  • Die Rosinenpicker waren gestern
  • Das sind Metaphern, oder Redewendungen. Sehr beliebt bei Politikern, weil sie der deutschen Sprache die richtige Würze geben. Um Gottes Willen nicht für bare Münze nehmen. Schon wieder so ein Ding. Der meint das nicht so, „der will nur spielen“. Sowas liess auch der Deutsche Finanzminister Steinbrück los, bezogen auf die Schweiz:

    „Wir müssen nicht nur das Zuckerbrot benutzen, sondern auch die Peitsche“.

    Und da geht es schon los mit dem falschen Gebrauch von Metaphern: Zuckerbrot und Peitsche werden nicht benutzt, „mit Zuckerbrot und Peitsche erziehen“ heisst die Redewendung, und meint „mal freundlich sein, mal streng sein“. Nein, die Peitsche war nicht wörtlich gemeint. Das war eine Metaphern, ein missglücktes Bild! Aber egal, es reicht für eine Wochen Aufregung im Pressewald der Schweiz. Dagegen sind die „Rosinenpicker“ von weiland Hans Eichel noch richtige Nettigkeiten. Ein freundliches Bild vom Peitschenknecht Steinbrück brachte die NZZ am Sonntag am 26.10.08 auch:

    Peer Steinbrück in der NZZ am Sonntag
    (Quelle NZZ am Sonntag 26.10.08)

    Zu erkennen ist deutlich: Der Mann hat noch alle Zähne im Gebiss. In Deutschland zahlt die Krankenkasse den Zahnarzt, nicht der Patient. Ganz gerade sind sie nicht, aber das kommt jetzt sicher auch vom vielen Naschen am Zuckerbrot. Was rege ich mich auf… Jedenfalls wird die Schweiz thematisch plötzlich wahrgenommen in der deutschen Presse. Ein Schweizerkreuz auf dem Titelblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Hat sich die Pressearbeit und das Einbestellen des Deutschen Botschafters wenigstens gelohnt. Es gibt keine schlechte PR, Hauptsache man spricht über uns.

  • Plötzlich ist die Schweiz ein grosses Thema
  • Den Namen Sandoz habe ich auch erst durch die Rheinvergiftung gelernt. Soviel Aufmerksamkeit gibt sonst nur, wenn ein grosser Felsklotz auf die Gotthard-Autobahn knallt und ein Hamburger Auto zermalmt oder wenn eine Achtjährige von Elfjährigen vergewaltigt wird. Dann ist die Schweiz Thema in Deutschland, sonst nie. Und die EM? Fand die nicht sowieso fast nur in Österreich statt? Fragen sie mal einen Deutschen in Deutschland danach, die Erinnerung verblasst schnell. Jetzt kennt jeder Bub in der Schweiz den Namen Steinbrück. Das ist doch der man mit der Peitsche, oder? Und den nordischen Vornamen „Peer“, wie bei Peer Gynt, einem dramatischen Gedicht von Henrik Ibsen, was gut passt, denn um dramatische Dichtung geht es hier. Um misslungene Dichtung allerdings.

  • Mit dem Geldkoffer ins Deutsche
  • Vergessen wird bei der Suche nach den deutschen Steuerflüchtlingen in Schweiz immer die Tatsache, dass momentan die Gegenbewegung von Schweizern zu den grenznahen Banken und Sparkassen unterwegs ist. Am Schweizer Zöllner vorbei. Der kontrolliert nur bei der Einreise ins Land. Am Schweizer Steueramt auch vorbei. Weil es im Euro-Ausland höhere Zinsen gibt. Ein Geben und ein Nehmen ist das also. Ob da auch bald Köfferchen beim Grenzübertritt von CH nach DE kontrolliert werden?

  • Volkswirte und Dichtung
  • Peer Steinbrück ist Bundesminister der Finanzen in Deutschland. Er soll sich um Zahlen kümmern, nicht um Dichtung. Wenn er sich in Metaphern versucht, und nach der Peitsche greift, dann kann das ziemlich schief gehen. Dem studierten Diplom-Volkswirt kann ich das verzeihen. Der richtige Gebrauch von Redensarten und Metaphern ist nicht nur bei Sportreporter problematisch. Aber hoffen wir, dass der Zahn der Zeit, der schon manche Wunde geheilt hat, auch hier Gras über die Sache wachsen lassen wird. Und wenn alle Stricke reissen, dann hänge ich mich auf.

  • Wo lagern sie ihr Heu?
  • Dann gehe ich wieder „Heu auf der gleichen Bühne lagern„. Wenn das über Poliker in der Schweiz gesagt wird, dann geht auch niemand die Scheune suchen. Aber die Peitsche, die wird brav wörtlich genommen. Wie sagten Giacobbo&Müller in der letzten Sendung vom 26.10.08 so schön zu diesem Peitschen-Thema: „Wahrscheinlich war das nur ein Übersetzungsfehler“. Recht haben sie.

    Hier die Sendung, falls sie jemand verpasst haben sollte: