Was die Schweizer gerne essen (Teil 7) — Etwas Feines
(reload vom 30.01.06)
Seit wir in der Schweiz leben, haben wir uns angewöhnt, mit einem reduzierten, äussert ökonomisch, wenn nicht sparsam eingesetzten Wortschatz auszukommen. Wir wissen zum Beispiel, dass kleine, niedliche, kuschelige Hunde, die wir süss, schnuckelig, putzig, bezaubernd, entzückend, liebenswert finden, dies in der Schweiz alles nicht sind. Hier sind sie herzig, ausschliesslich herzig, und sonst nix (vgl. Blogwiese).
Schon in der Französischen Klassik wurde das Ideal gepflegt, den auswuchernden Wortschatz der Französischen Sprache radikal zu verkleinern. Es galt als gekonnt und schick, mit wenigen Worten viel zu sagen. Bestes Beispiel: Zur Zeit der Klassik kam der Tragödiendichter Jean Racine in all seinen Dramen mit nicht einmal 5.000 Wörtern aus, während der Kollege Shakespeare über 200.000 unterschiedliche Ausdrücke in seinen Stücken verwendete. Dieses klassische Ideal, mit wenigen Worten viel zu sagen, wird offensichtlich heute noch in der Kulturnation Schweiz gepflegt. Unser liebstes Beispiel hierzu:
Die Schweizer essen nicht „zu Abend“, sondern „zu Nacht“, denn es wird früh dunkel in diesem Land. Das mag an den hohen Bergen liegen, hinter denen schnell die Sonne verschwindet, oder einfach an den Rolladen, die die Deutschen auf dem Teller zu essen bekommen (als „Roulade“) während die Schweizer sie am Abend sorgsam herunterlassen, um bedrohliche Lawinen oder Nachtbuben auszusperren.
Fragen Sie mal einen Schweizer, wenn er „im Ausgang“ war, z. B. mit der Belegschaft seiner Firma in der Weihnachtszeit, was es zu essen gab. Wir garantieren Ihnen, die Antwort wird in 95% aller Fälle lauten:
„Etwas Feines“.
„Fein“ ist das Essen, muss es sein, wird es sein, und war es offensichtlich schon immer.
„Ein feines z’Nacht“ findet sich bei Google-Schweiz (49 Belege)
Und ein „Feines Znacht“ mit ohne Auslassungszeichen nach dem Z gibt es 770 Mal.
So bietet die Philo-Fachschaft der Uni-Bern auf einem Flyer an:
Leute kennenlernen, Fragen stellen, Fragen gestellt bekommen, nebenbei ein feines Znacht essen, gemütlich zusammensitzen und natürlich ganz viel philosophieren!
(Quelle: philosophie.ch/unibe)
Man achte auf die geschickte Verwendung von Schweizerdeutsch UND Hochdeutsch!
Oder hier auf dem Flyer einer Langlauf-Skischule:
Natürlich gönnen wir uns nach „der Arbeit“ ein feines Znacht!
(Quelle:)
Fein fein, können wir da nur sagen. Nicht delikat, nicht geschmackvoll, nicht lecker, sondern fein muss das Essen sein.
Wir rätseln noch, wie es zu dieser Variantenarmut im Ausdruck der Schweizer kommen konnte. Der Ansatz „aus der französischen Klassik übernommen“ klingt logisch, wenn man davon ausgeht, dass die Schweiz grosse Teile ihrer Kultur via Westschweiz und Frankreich importiert haben. So z. B. die Form der „Schnürli“-Schrift = Schreibschrift mit einem echt französisch geschriebenen Schreibschift-Z (Siehe Pfeil auf dieser Tabelle):
In der Mediavistik (=Sprache und Kultur des Mittelalters) haben wir ausserdem gelernt, dass es zur Zeiten von Walter von der Vogelweide,
(Foto Wikipedia: Walther von der Vogelweide)
dessen Mittelhochdeutsche Minnelyrik immer noch verdammt ähnlich wie heutiges Schweizerdeutsch klingt, es als ausgesprochen „schön“ angesehen wurde, beschreibende Adjektive häufig zu wiederholen. Der Zwang zur „Varianz“, nie die gleichen Adjektive zu verwenden, ist eine viel spätere Erfindung. Bei den Menschen im Mittelalter konnte alles „guot“ sein, und zwar viele Verse lang, ohne das sich irgendein norddeutscher Kleingeist darüber zu beschweren wagte.
Also finden wir das „guot“, echt „guot„, einfach nur „guot“ (jetzt ist aber echt genug!).
Oktober 24th, 2008 at 8:07
und immer mehr Leute in der Schweiz sprechen von einem ‚leckeren‘ Abendessen 🙂
Oktober 24th, 2008 at 9:40
Das mit dem Nachtessen kenne ich aus dem Schwabenland. Das mit den Rollläden auch. Wobei man in der Schweiz abends in viele Wohnungen schauen könnte, wenn man wollte. Mich wundert eher, dass manche Rollläden auch tagsüber unten sind.
Oktober 24th, 2008 at 11:02
…also alte französische Schrift? Die Schrift sieht eher nach einer alten deutschen Schrift aus:
Sütterlin
Offenbacher
Oktober 24th, 2008 at 12:15
Klar, ist mitteleurop.-deutsche Fraktur wohl im 19. JH.
Oktober 24th, 2008 at 14:54
es gibt übrigens in thürigen – soweit ich weiß – eine weitere mahlzeit namens „frühkaffee“. die besteht in der regel aus einem kaffee und einem stück kuchen VOR dem eigentlichen frühstück.
Oktober 25th, 2008 at 1:44
„Appropo“ Kaffee und Kuchen!
Nach 2 Wochen in der Schweiz gabs bei ner Feier Abends um 21 Uhr Kaffee und Kuchen!!!
Ich wahr wirklich sprachlos!
Oktober 25th, 2008 at 11:05
„Frühstücken“ ist die einzige Spezifizierung, die ich beim Essen noch vornehme. Was aber meint „stücken“ ganz genau? Und was ist, wenn ich Urlaub habe und nicht vor 10 Uhr aufstehe? „Nachtessen“ gibt bei mir nicht, denn wenn man nach 19 Uhr isst, setzt das besonders an. Genausowenig gibt es „Mittagbrot“ (sächsische Grausamkeit), denn ich esse mittags kein Brot. „Abenbrot“ muss auch nicht unbedingt sein, denn zuviel Brot ist generell nicht gut. „Morgenbrot“ habe ich noch nicht gehört, wobei der Morgen die einzige Tageszeit ist, zu der ich tatsächlich Brot esse. „Morgenessen“? Zu aufwendig. Klingt so, als müsste man das zubereiten.
Oktober 25th, 2008 at 15:28
@ Simone
Was haben Sie eigentlich so den ganzen Tag über zu tun?
Oktober 25th, 2008 at 22:27
@Simone
Morgenbrot / Morgenessen vs. Frühstück
„Frühstück“ lt. GWB wird erst ab ca. 15./16. JH verwendet, ersetzt dann das ältere im ganzen röm.-deutschen Reich, also auch in der heutigen Schweiz, gebräuchliche Wort „Morgenbrot / Morgenessen“. Die mittelhochdeutsche Bezeichnung Morgenbrot wurde in der Zeit von ca. 1150 bis ca. 1500 verwendet.
Es hatte sicherlich eine andere Funktion und Eigenschaft als unser heutiges Frühstück.
Das „….stück“ bedeutet: Es wird nicht mehr das (große) übliche „Morgenbrot / Morgenessen“, sondern nur ein gewisser, abgerissener, abgeschnittener, abgeteilter bzw. ein „abgebissener“ Teil (also ein Stück) davon gegessen.
M.E. ist eventuell der Begriff Frühstück über das 9-Uhr-Essen in den heutig üblichen Gebrauch gekommen und hat sich in laufe der Zeit im inhaltlichen Sinne etwas verändert.
Ein sprachlicher Rest dieser Entwicklung ist noch im schw.-südt. Begriff des „9-Uhr-Essen“ bzw. „2. Frühstück“ erkennbar. Im „9-Uhr-Essen“ ist der Grundbegriff „Essen“ verblieben!
Die üblichen Essenzeiten hatten damals in etwa diese Folge: Morgenessen ca. 05.00 Uhr, eine Zwischenessen (2. Essen / „Frühstück“) um ca. 09.00 Uhr, Mittagessen ca. 12.00 / 14.00 Uhr und Abendessen nach 19.00 / 20.00 Uhr. Bei einer üblichen Tagesarbeitszeit von 12 Stunden ergibt es auch einen gewissen Sinn. Man muss hier sicherlich zwingend den Begriff „Essen“ für alle Tageszeiten verwenden, weil: Das Essen der normalen Bevölkerung war nicht vergleichbar mit unserem heutigen Essen, da der ernährungsphysiologische Nährwert dramatisch schlechter war. Für längere und schwerere Arbeit ergab dieses Essen ein geringes Kalorieaufkommen. Durch eine andere, größere Volumenbestimmung versuchte man den schlechteren, ärmeren Nährstoffinhalt auszugleichen.
Also würde „frühstücken“ meinen: Beim Essen von einer bestimmten Menge Morgenbrot / Morgenessen dann nur einen gewissen Teil davon essen, denn sonst würde man ja „morgenessen“ im mittelalterlichen Sinne.
Bitte nicht vergessen: Bei den meisten mittelalterlichen Menschen war Brot (auch Breie, Kornmuse ((schw-nhdt. „Müsli“)) uäm) überwirgend das wichtigste Hauptnahrungsmittel.
Bei den kriegsgefangen Soldaten des 1. und des 2. WK hat sich dieses Ernährungsproblem mit dem Brot auf eine üble Weise wiederholt.
Oktober 26th, 2008 at 15:47
@Simone
Zum frühstücken noch ein Nachtrag.
Heute bei der Vorbereitung um 07.00 Uhr zum Joggen („Morgenlauf“) hat mich meine bessere Hälfte brummelnd verschlafen aus dem warmen Bett gefragt: „Wirst du nach dem Morgenlauf dann bisschen frühstücken?“
Manchen gibt der Herr im Schlaf!
Während der kommenden 1,5 Stunden wühlte und rumorte diese Frage wie ein Ohrwurm im Kopf. Es tauchte dauern die Fragestellung auf: Warum hat gerade diese zufällige Frage so einen seltsam richtig scheinenden Sinn?
Um die vorherige Schreibe zum „frühstücken“ noch besser darzustellen, folgend die mögliche und weitergehende sowie abschließende Auslegung:
Die Einteilung des Arbeitstages erfolgte im MA in der geheiligten göttlichen Dreiteilung: Morgen, Mittag und Abend, also in einer Dreiteiligkeit, in drei Abschnitten des „lichten“ Tages. Die Nacht blieb in ihrer Einteiligkeit, dem einen Abschnitt, den finsteren Mächten vom Luzifer vorbehalten, dem Herrn des „dunklen“ Lichtes.
Die Essensbezeichnungen bis ins 16. JH hatten alle i. d. R. den Endungszusatz „-essen“ angehängt.
Denn „früh“, welches aus ahd. „fruo“, und der älteren indogerm. Wurzel „pro“ abstammt, bedeutet in einer Zeitbetrachtung „vorwärts“, genauer als zeitlich Darstellung „vor, voran, voranseiend, vorher, vormals“.
Eine wesentliche Entscheidungshilfe kann man auch im „bisschen“ finden, denn dieses hat die Bedeutung von „Biss-chen“, also einem „kleinen Biss“ (von Irgendwas).
Nun öffnet sich die Sichtweise wg. frühstücken wie ein großes Tor: Das „Frühstück“ (also das damalige 9-Uhr-Essen) war hiermit ein „vor“ dem Mittagessen eingenommener kleiner „Biss“ zeitlich von dem später folgendem Mittagessen oder ein zusätzlich mitgenommenes Extralebensmittel.
Es kann in der Funktion auf dem Zeitstrahl sinninhaltlich nur vor dem Mittagessen eingenommen werden und sogar auch von ihm stammen. Es wird davon ein Stück abgebissen und verspeist, also ist es ein „frühes Stück“ vom später folgendem Mittagessen.
Zeitlich gesehen kann es demzufolge nicht vom Morgenessen abstammen, da dieses bereits beendet ist.
Ab dem 15./16. JH taucht für „Morgenessen“ dann das Wort „Frühstück“ auf und sorgt mit den übrigen Variantenbezeichnungen für einige Verwirrung.
Also: „Frühstücken“ ist historisch gesehen ein kleiner Biss aus dem Mittagessen oder das Essen einer extra zusätzliche mitgenommenen Speise und zeitlich nach dem Morgenesse!
Denn damals waren die Kantinen, Mensen, Mc Döner oder Vendings recht selten