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Das Zufallsmehr und der Entscheid

(reload vom 28.01.06)

  • Land ohne Meer
  • Die Schweiz als Binnenland hat keinen Zugang zum Meer. Die Schweizerische Gebirgsmarine kann daher nur auf den zahlreichen Seen der Schweiz ihre Manöver durchführen. Die Schwaben haben aber immerhin noch ihr „Schwäbisches Meer„, den Bodensee. An dem dürfen die Schweizer gnädiger Weise ein bisschen teilhaben.
    Der Bodensee mit Blick auf die Alpen
    (Quelle: Bodensee-erlebniskarte.info)
    Die Schweizer müssen wegen des fehlenden Zugangs zum richtigen Meer nicht traurig sein. Sie haben andere Meere, die wir in Deutschland bisher nicht kannten.
    Unser Lieblingsmeer in der Schweiz ist das Zufallsmehr.

  • Das Zufallsmehr
  • Es ist schwierig zu finden. Google-Schweiz zeigt es uns 1’100 Mal an ganz unterschiedlichen Orten. Wir wissen nicht, wo es eigentlich geographisch liegt. Wahrscheinlich ändert es von Zeit zu Zeit rein zufällig seine Position. Es tarnt sich ausserdem hervorragend durch die Verwendung eines Dehnungs-Hs anstelle des doppelten „Es“. Es schreibt sich „-mehr“, nicht „-meer“ am Ende. Dennoch muss dieses Zufallsmehr eine gewaltige Kraft haben, denn es ist verantwortlich für manche wichtige politische Entscheidung:

    Zufallsmehr für Steuerfusssenkung
    In einer Marathondebatte behandelte das Wiler Stadtparlament das Budget 2003 und beschloss mit 19 zu 18 Stimmen die vom Stadtrat beantragte Steuerfusssenkung von 133 auf 131 Prozenten
    (Quelle:)

    Oder hier:

    Wir haben aber damals, bei der Schaffung des neuen Geschäftsreglementes im Jahre 2003, eine etwas verunglückte Bestimmung aufgenommen, die damals – ich muss es sagen – nur mit einem Zufallsmehr ins Geschäftsreglement gekommen ist.
    (Quelle:)

    Sucht man hingegen mit Google-Deutschland nach dem „Zufallsmehr“, so finden sich magere 30 Funde und Google fragt verzweifelt zurück: „Meinten Sie nicht eher die ‚Zufallsnummer’“?

    Ernsthaft erschrocken hat uns hingegen die Entdeckung, dass so ein wichtiges Wort mit 257 Fundstellen in offiziellen Publikationen vom Duden, der ja sonst durchaus gewillt ist jedes Schweizer Wort zu akzeptieren, einfach ignoriert wird! Kein Fund, in keinem Band des Dudens! Wir werden dies in einem Protestbrief an die Dudenredaktion bemängeln.

  • Entscheid ganz ohne -ung
  • Das Zufallsmehr hat enge Beziehungen zu einem zweiten typisch männlichen Vertreter der Schweizer Politiksprache, den „Entscheid“, der in der Schweiz ohne „-ung“ auskommen muss. Kannten wir bisher nur den „Be-scheid“, den Werner immer sagen muss, wenn der Bölkstoff alle war („Werner, saach mal Bescheid….— Bescheid — …. Werner, hasse auch Bescheid gesacht? Na klar, man.“) (Quelle Werner: ), so vergeht kaum ein Tag ohne einen „Entscheid“ im Tages-Anzeiger. Beispiel:

    Swisscom-Entscheid: Indiskretion?
    Im Zusammenhang mit dem Swisscom-Entscheid des Bundesrates ist es möglicherweise zu Indiskretionen gekommen. Die Bundesanwaltschaft hat Vorabklärungen in die Wege geleitet.
    (Quelle Tages-Anzeiger)

    Natürlich wird das Wort „Entscheid“ auch in Deutschland verwendet, jedoch anders als in der Schweiz. Der Duden erklärt uns eine Bedeutung a) und b)

    Ent|scheid, der; -[e]s, -e [spätmhd. entscheit]:
    a) von richterlicher, amtlicher Seite ausgesprochene Entscheidung:
    nach E. des Arztes, des Schiedsrichters; Die … Opposition kann … gegen den E. der Mehrheit das Bundesverfassungsgericht anrufen (Fraenkel, Staat 229);
    b) Entscheidung:
    … dass er nicht für eine Kandidatur zur Verfügung stehe; sein E. ist für die berufliche Karriere in der Privatwirtschaft gefallen (NZZ 30. 8. 86, 29).

    Die Bedeutung a) kennen wir in Deutschland, die Bedeutung b) = „Entscheidung“ ist hingegen für die Schweiz reserviert.

  • Entscheide die piksen
  • Wenn es richtig spannend ist beim „Entscheid“, spricht man in der Schweiz noch von einer etwas brutaleren Variante, die auch piksen kann, dem „Stichentscheid“:

    Stichentscheid notwendig
    Bern – Der Ständerat hat dem Bundesgesetz über die Familienzulagen zugestimmt. Bei 21 zu 21 Stimmen kam das Ja aber nur durch Stichentscheid des Ratspräsidenten Bruno Frick (CVP/SZ) zustande. (sl/sda)
    (Quelle: )

    

    12 Responses to “Das Zufallsmehr und der Entscheid”

    1. AnFra Says:

      „Land ohne Meer“, ist das schlimmer als „Volk ohne Raum“?

      Nein, denn die CH ist nur oberflächlich ein „Land ohne Meer“, aber jedoch ist es in dem morphematischen und morphologischen Untergrund, im Stillen und Verborgenen, ein „Land mit Mär“!

      Nach vielen Jahren der vergeblichen Versuche, der schmerzhaften Rückschläge und unter ungeheuerlichen Kraftaufwendungen kann man in diese helvetische Unterwelt vordringen- und dann die fast unendlich große Anzahl der verborgenen „Märe“ entdecken, darüber staunen und begreifen versuchen.

      Man erreicht das inzwischen trockene Swissmär und kann auch das schon fast trockene, aber noch etwas feucht und sumpfig darrliegenden Tellmär betrachten.
      In dieser Unterwelt tut sich eine riesige Märesansammlung auf. In weiter Ferne flimmert das faszinierend glitzernde Selbstbestimmungsmär, daneben liegt das etwas trübe und undurchsichtige Nachvollziehbarkeitsmär und weiter hinten das bitter und leicht brackig schmeckende Unbesiegbarkeitsmär.

      Im Zentrum dieser schillernden einmalig-phantastischen Welt liegt das gigantisches Einmaligkeitsmär als Haupteinspeisezufluss mit all der anderen, in der Fülle der Anzahl, nicht benennbaren Mären auf.
      Bei der Betrachtung dieses Hauptmäres verwundert man sich auf die tatsächlichen Quellen gerade dieses Märes. Aber dies ist ein anderes Abenteuer.

      Eine gigantische Anzahl von Kanälen verbindet all diese Märe, denn bei Bedarf können gegen den jeweiligen unerwünschten Fremdling die passenden Schleusen geöffnet werden, um ihn so zum Stillstand zu bringen. Unterstützung erhalten die Märverteidigen durch ein unendlich riesige Anzahl von kaum sichtbaren kleinen Mären, Märchen genannt, welche den unbekannten Fremden stocken lässt, um ihn dann im sumpfigen, morastigen Untergrund zu verschlingen.

      Und da sage man; Die Schweiz, „Land ohne Mär“!

    2. solanna Says:

      Für den Stichentscheid gibt es in der Schweiz zwei Bedeutungen:

      1. Wenn alt Bundesrat Otto Stich etwas entschied oder entscheidet, handelt es sich – logisch – um einen Stichentscheid.

      2. Wenn bei einem Gremium das Stimmenverhältnis ausgeglichen ist, z.B. 5 zu 5 (bei 1 Enthaltung oder 1 Absenz, denn eigentlich man schaut ja extra, dass eine ungerade Zahl der Mitglieder bei Abstimmungen klare Resultate bringt), dann muss ja jemand die Pattsituation auflösen. Das tut dann der Präsident mit dem Stichentscheid. Das heisst, er allein entscheidet.

    3. Martin Says:

      Hat nicht der Blick nach dem Sieg von Alinghi getitelt „Jetzt wollen wir ein Meer!“ oder so ähnlich? Und hat das dann mit den Regenfällen der folgenden Monate nicht auch fast geklappt? Wäre das dann ein Zufallsmeer gewesen?

    4. Brun(o)egg Says:

      Eigentlich bin ich für mehr Meer, aber nicht per Zufall. Hätten wir auch, wenn die alten Eidgenossen, die Trottel, bei Marignano nicht auf die Schnauze bekommen hätten.

    5. g.feikt Says:

      Stichentscheid? Ist doch völlig klar: Entscheid wie ich will, sonst stech ich Dich nieder!

    6. lis Says:

      Dudens Universalwörterbuch kennt „das Mehr“ und hält fest „2. (schweiz.) a) Mehrheit b) Mehrheitsbeschluss“. Wenn es also sozusagen amtlich besiegelt „das Mehr“ gibt, dann ist eben ein zufällig zustande gekommenes Mehr ein „Zufallsmehr“. Es gibt ja auch „Duden-offiziell“ das Zufallsergebnis. Ganz zu schweigen, vom Zufallstreffer, den manchmal sogar die Schweizer Armee landet (wenn uch ncht grad beim Armeechef).

    7. Guggeere Says:

      @ Martin
      Wir hatten mal ein ziemlich grosses Meer. An dessen Ufern waren zahllose viel zu steile, viel zu hohe Berge, die mit der Zeit fast alle eingestürzt sind. So ist das Meer zugefallen. Auch wenn das Zufallsmeer also verschwunden ist, blieb es im Sprachgebrauch erhalten, erhielt durch so genannte Volksetymologie eine völlig absurde, falsche Bedeutung und wird in der deutschen Schweiz typischerweise auch noch falsch geschrieben.

    8. freiburger Says:

      Als angehender Geograph könnte ich nach einem Blick auf die Karte natürlich einfach „ja“ zur Aussage über die Schweiz als „Binnenland ohne Zugang zum Meer“ sagen, will’s aber nicht: In Freiburg (Breisgau) wohnend lebe ich gar nicht weit entfernt von der Schweizer „Küste“!

      Wie im Wikipedia-Artikel über Basel nachzulesen ist, hat diese Stadt nicht zufällig vier Häfen mit großer Bedeutung für den schweizerischen Außenhandel:
      http://de.wikipedia.org/wiki/Basel#Schiffsverkehr
      http://de.wikipedia.org/wiki/Rheinh%C3%A4fen_beider_Basel
      http://www.portofbasel.ch/

      Die Mannheimer Akte macht dabei den Rhein in der Praxis bis Basel zum internationalen Gewässer, „verlegt“ die Schweiz also ans Meer:
      http://de.wikipedia.org/wiki/Mannheimer_Akte
      http://mediaplan.ovh.net/~ccrzkr/Files/convrev_a.pdf

      Mit diesen Informationen wird auch die Existenz einer schweizerischen Hochseeflotte verständlich:
      http://de.wikipedia.org/wiki/Schweizer_Hochseeschifffahrt

      Für eine eigene Marine ist der Rhein dann aber doch ein zu „langezogener“ Zugang, die beschränkt sich auf die zum Heer gehörige Motorbootkompanie (mit entsprechend sparsamer Homepage):
      http://de.wikipedia.org/wiki/Schweizer_Armee
      http://www.motbootkp.ch/

      Bleibt zum Schluss nur folgende „traurige Erkenntnis“: Ein urlaubstauglicher Strand wird in Basel kaum zu finden sein …

    9. Lukas Says:

      Die Schweiz hat ein sehr wohl ein schönes und bekanntes Meer, nämlich das Alpenmeer! 😉

    10. Danido Says:

      Dumme Frage:

      Wie sagt man denn in Deutschland dem Stichentscheid?

    11. solanna Says:

      Warum beantwortet niemand Danidos Frage? Heisst es in Deutschland etwa auch Stichentscheid?

      [Anmerkung Admin: Ich kenne aus Deutschland nur Michael Stich (Gegner von Boris Becker im Wimbledon Endspiel, als Roger Federer noch Fussballer werden wollte), den Stich beim Skat und die Stichwahl, aber keinen Stichentscheid. ]

    12. AnFra Says:

      @Danido und solanna

      Natürlich git es in D eine „Stichentscheidung“ und auch eine „Stichwahl“.