Nimmt es ihnen auch manchmal den Ärmel herein? — Neue alte Schweizer Redewendungen

Februar 14th, 2007
  • Wenn es kaum noch neue Funde gibt
  • Oft wurde ich in letzter Zeit gefragt, warum die Blogwiese mehr politische Themen bringt und nur noch wenig Sprachliches. Das liegt an der Natur der Sache. Irgendwann ist jeder Helvetismus und jede Schweizer Redewendung gefunden und erklärt. Die tägliche Tagi-Lektüre bringt zwar immer noch jede Menge Fundstellen, aber langsam „sind wir es uns gewohnt“, und fangen beim „gewohnt sein“ auch schon an, es reflexiv zu gebrauchen. Es klingt so wunderbar verschnörkelt, nur „tönen“ müssen bei uns nach wie vor einzig und allein die Lieder. Zu fast jedem Fund aus dem Tagi gab es schon irgendwann in den letzten 1 ½ Jahren ein Posting.

  • Tön Glöckchen
  • Der Versuch an Weihnachten, die Volksweise „Tön Glöckchen, töne töne tön. Tön, Glöckchen tön“ in der Schweizerdeutschen Version zu singen, misslang völlig. Das tönte einfach nicht gut. Dafür wurde an Heiligabend in der Reformierten Kirche zu Bülach „Stille Nacht“ zur Abwechslung auf Schwiizerdütsch intoniert, den Text hatte man per Diashow an die Wand zum Ablesen projiziert. Letztes Jahr stand an gleicher Stelle noch die Englische Fassung. Welche Sprache dort diese Jahr an Weihnachten projiziert wird?

  • Herein mit dem Ärmel
  • Doch dann fand sich im Tages-Anzeiger vom 07.02.07 in einem Bericht über einen männlichen Kinderbetreuer der gehaltvolle und aufschlussreiche Satz:

    „Nach ein paar Tagen im Läbihus nahm es Urs Neuhaus den Ärmel herein, und er begann die zweijährige Lehre“.

    Aermel herien

    Herein mit dem Ärmel
    (Quelle Foto: weblog.burdamode.com)

    Interessant! Während man woanders die „Ärmel hochkrempelt“ um eine Sache mit voller Energie angehen zu können wirkt in der Schweiz ein „ES“, im Drei-Instanzen-Modell nach Siegmund Freud vor dem „Über-ICH“ und dem „ICH“ die erste wichtige Instanz im Leben eines Menschen.

    „Es nahm ihm den Ärmel herein“. Wo hinein? Ins Haus? In die Jackentasche? Die Redewendung ist zwar schick, aber leider ohne Zuhilfenahme von Fachbüchern nicht zu verstehen. Wir fanden im Internet:

    Beat und mir würde es den Ärmel herein nehmen, wenn wir jetzt einen Hund haben könnten, aber eben, wir möchten noch etwas Töff fahren und reisen
    (Quelle: Google Cache)

    oder:

    Manch einem wird es dermassen „den Ärmel hereinnehmen„, dass er sich sogar einen Videoprojektor gönnen und damit sein Wohnzimmer tatsächlich zum Kino machen wird.
    (Quelle: dvd-forum.ch )

    Es nimmt also noch anderen Menschen bei den unterschiedlichsten Tätigkeiten den Ärmel hinein. Immer nur einen, nie zwei Ärmel. Und immer ist das geheimnisvolle „ES“ mit dabei im Spiel.
    Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch verschafft uns Klarheit:

    „Ärmel, der: * es nimmt mir den Ärmel hinein (mundartnah, salopp) — es packt mich.
    Jeden Sommer nimmt es mir den Ärmel hinein. Dann packe ich meine Siebensachen zusammen … werde sie … in den Wagen und fahre davon (Nebelspalter 1971, 33, 36) (…)
    (Quelle: Schweizer Wörterbuch S. 66)

    Jetzt ist uns klar, warum dieser Ausdruck so geheimnisvoll daherkommt. Es geht hier um ungezügelte Leidenschaft, um ungebremste Willenskraft. „Es packt mich“, ich kann nichts dafür, ich handel gegen meine Vernunft und gegen ohne bewusste Steuerung.

    Etwas, was wir von den beherrschten und stets leidenschaftslosen Zürchern so nicht gewohnt sind. Wie schrieb einst ein Leser der Blogwiese als Erklärung, warum im Zürcher Schauspielhaus so wenig und zaghaft geklatscht wird: „Wenn Du Leidenschaft willst, musst Du in die Innerschweiz gehen. Im Zwingli-Züri ist jede aussergewöhnliche Gefühlsregung oder Beifallsbekundung verpönt“.

  • Wie packt es einen?
  • Es packt einen also, wenn „es einen den Ärmel hinein nimmt“. Vielleicht kommt das vom Fahrwind auf dem Trecker? Ab Tempo 35 Km/h weht es den Ärmel nach innen wegen der hohen Geschwindigkeit? Sie merken, wir suchen bereits wieder Erklärungen aus der Welt der Schweizer Agrarwissenschaften, wo ja sonst die meisten Redewendungen herkommen.

    Wie könnte man das „voll gepackt sein“ sonst umschreiben? „Es haut mich vom Stuhl“, „es haut mich aus den Socken“, „ich bin da voll drauf abgefahren“. Klingt alles mehr nach Besäufnis als nach Leidenschaft. Sonst noch Erklärungsversuche?
    Ach ja: Wann nimmt es den Ärmel eigentlich wieder hinaus?

    Nicht lecker essen, sondern fein — über die Adjektive der Schweizer beim Essen

    Februar 13th, 2007
  • Nicht lecker essen, sondern fein
  • Von Adolf Muschg lernten wir in der Talk-Show CLUB, die ihr zischend fröhliches „Zischtigs“ Attribut leider abgeben musste (welches auf den „Tag des Ziu“ zurückgeht, siehe hier), was die Schweizer niemals nie zum Essen sagen, nämlich dass es „lecker“ sei.

    Schweizer Essen ist niemals „lecker“, sondern meistens „fein“ oder wenigstens „guot“. Über die Eigenschaft der Schweizer, mit grosser Vorliebe am liebsten „etwas Feines“ zu essen, hatten wir schon berichtet (vgl. Blogwiese) . Neu ist uns hingegen die offensichtliche Aversion gegen das standarddeutsche Adjektiv „lecker“. Oder ist das gar nicht Standarddeutsch, sondern ein nur in Deutschland gebrauchter „Teutonismus“, den die Schweizer selbst nie in den Mund nehmen würden?

    „Lecker“ kann sogar Leitspruch einer Diät werden:
    Lecker schlank werden
    (Quelle Foto: tvugsto-presse.tv)

    Machen wir den kleinen Google-Test. Es findet sich bei Google-CH die Kombination „lecker essen“ nur 4‘270 Mal während sie Google-DE 252‘000 Mal ausweist. Natürlich sind solche Zählungen kein objektiver Massstab, aber die Relation 1 zu 60 ist schon sehr eindrücklich. Die Fundstellen für „lecker“ bei Google-CH und Google-DE bringen es auf das Verhältnis 1 zu 20, also wird das Wort 20 Mal mehr in Deutschland verwendet als in der Schweiz, gemäss der nicht repräsentativen Google-Messung.

  • Lecker ist zu nordisch
  • Das Wörtchen „lecker“ ist nichts für die Schweizer, denn es kommt wahrscheinlich einfach zu weit aus dem Norden, dem Niederdeutschen. Im Niederländischen ist „lecker“ übrigens nicht allein ein positives Adjektiv für feines Essen, sondern hat eine viel allgemeinere Bedeutung. „Lekker“ mit zwei „k“ geschrieben steht dort für „toll, prima, schön“.
    lekker heisst schön
    (Quelle: niederlandistik.fu-berlin.de)

    Wer nach „lekkere meisjes“ googelt findet garantiert kein Rezept für delikat zubereiteten Mais, sondern hübsche holländische Mädels.

  • Ist lecker zu anrüchig?
  • Aber warum gebrauchen die Schweizer grundsätzlich dieses Wort nicht im Zusammenhang mit Essen, so wie die Deutschen? Hängt es vielleicht damit zusammen, dass es lautlich sehr nah beim Fluch „läck mr“ oder „läk“ steht? Kann etwas kaum als Lob für gutes Essen verwendet werden, was schon fast wie ein Fluch klingt?
    Vielleicht liegt es einfach daran, dass die adjektivische Vielfalt der Varianten von „feines Essen“ und „guotes Essen“ nicht weiter überfrachtet werden sollte. Warum ein drittes Adjektiv, wenn man schon zwei hat, die ihren Zweck gut und häufig erfüllen? Kleine Hunde sind „herzig“ und gutes Essen ist „fein“, so ist das eben in der Schweiz. Wer braucht schon Varianz? Für ganz ausgefallene Belobigungswünsche gibt es ja immer noch das Lob für „währschafte“ Essen.

    Unter der Woche heimfahren verboten — Der Wochenaufenthalter

    Februar 12th, 2007
  • Vom Einwohnermeldeamt zur Einwohnerkontrolle
  • Beliebte Deutsche Universitätsstädte wie z. B. Tübingen oder Freiburg im Breisgau kämpfen alle mit dem gleichen Problem: Viele Studenten sind zu faul, ihren „Hauptwohnsitz“ bei den Eltern in einen „Zweitwohnsitz“ umzumelden und sich beim zuständigen „Einwohnermeldeamt“, denn so heisst die „Einwohnerkontrolle“ in Deutschland, korrekt anzumelden. So leert sich das schwäbische Tübingen am Rande der Schwäbischen Alb jeden Freitag gegen 16:00 Uhr schlagartig und verringert seine Einwohnerzahl um einige tausend Bewohner, die erst am Sonntagabend aus Stuttgart und dem dicht besiedelten mittleren Neckarraum wieder eintrudeln. Eine typische Wochenend-Heimfahrer Uni eben.

    Wer jedoch „die überwiegende Zeit der Woche“ in einer Uni-Stadt zwecks Studium verbringt und nur am Wochenende heimfährt, muss diesen Ort gemäss Deutschem Meldegesetz als „Hauptwohnsitz“ angeben. Dahinter steckt die Not der Kommunen, nur für gezählte und registrierte Einwohnernasen vom Land oder Bund Zuschüsse zu bekommen. Wenn also 10‘000 nicht registriert und gemeldet sind, geht das richtig ins Geld. Es haben sogar schon Deutsche Gemeinden Prämien gezahlt für jeden Studenten, der sich ummeldet, um so einen Anreiz zu schaffen.

    In den letzten Jahren wollten viele Städte die Studenten mit Gutscheinen, Präsent-Tüten oder Begrüßungsgeld dazu bewegen, ihren Erstwohnsitz an den neuen Studienort verlegen. Die Idee kursierte vor allem in ostdeutschen Städten, die unter sinkenden Einwohnerzahlen litten. So gab es in Leipzig ab 1999 das Projekt „Zuzugsbonbons für Studierende“, bei dem jeder Student, der sich in der Stadt meldete, mit 49 Euro belohnt wurde.
    (Quelle: Spiegel-Online vom 13.02.07)

    Die Schweizer haben für diese Pendler ein hübsches eigenes Wort: Den „Wochenaufenthalter“. Es ist eine

    Wochenaufenthalter Person, die an den Arbeitstagen am Arbeitsort übernachtet und die arbeitsfreie Zeit (in der Regel Wochenenden) regelmässig an einem andern Ort (sog. Familien- oder Freizeitort) verbringt.
    (Quelle: steueramt.zh.ch)

  • Der Wohnort ist wichtig für die Höhe der Steuern
  • Da die Schweizer anders als die Deutschen in Deutschland nicht an jedem Wohnort gleich viel Steuern bezahlen, geht es bei den Eidgenossen weniger um entgangen Zuschüsse aus Bern als um das Recht seine Steuern dort zu bezahlen, wo man die Hauptwohnung hat und sich jedes Wochenende aufhält.
    Die Daten über die Wochenaufenthalter wurden in der Vergangenheit via Fragebogen erfasst. Eine Praxis, die auf berechtigte Kritik der Datenschützer trifft:

    Verschiedene Gemeinden unterbreiten Personen, die sich nur als Wochenaufenthalter anmelden, Fragebogen zu ihrem Aufenthaltsstatus. Diese Formulare enthalten teilweise Fragen, die weit über das hinausführen, was zur Abklärung der Steuerpflicht notwendig ist, wie z.B. Fragen nach den Gründen des Aufenthalts, der Art des Domizils (Wohnung oder Zimmer, möbliert oder unmöbliert), der Art des Zusammenlebens mit einer anderen Person (Konkubinat) und deren Personalien, dem Wohnort und den Personalien der Familienangehörigen, dem Ort des Wochenendaufenthalts, einer Vereinsmitgliedschaft, der Stellung im Beruf und dem Arbeitgeber.
    (Quelle: datenschutz.ch)

    Was die Vereinsmitgliedschaft und die Art des Zusammenlebens mit einer anderen Person mit der Steuerpflicht zu tun hat, fragten sich auch die Schweizer Datenschützer:

    Aus datenschutzrechtlicher Sicht sind in einer allgemeinen, d.h. alle Wochenaufenthalter betreffenden Erhebung nur Fragen zulässig, die mit der grundsätzlichen Beurteilung zusammenhängen, ob ein Wochenaufenthalter als Steuerpflichtiger in Frage kommt oder nicht. Das datenschutzrechtliche Problem liegt hier darin, dass es um eine Erhebung mittels Fragebogen geht, wobei von jeder Person alle Fragen beantwortet werden müssen. Dabei werden auch in einfachen Fällen klaren Wochenaufenthalts viele sehr persönliche Daten erhoben, die in dieser Menge nicht erforderlich sind; es findet gleichsam ein übermässiges Datensammeln auf Vorrat statt. Man könnte sogar durchaus von der Erstellung eines Persönlichkeitsprofils sprechen (§ 2 lit. e DSG), deren Zulässigkeit sich aus einer klaren gesetzlichen Grundlage ergeben müsste (§ 5 DSG).
    (Quelle: datenschutz.ch)

  • Zwischendurch heimfahren aus steuerrechtlichen Gründen verboten
  • Kompliziert wird es, wenn ein Wochenaufenthalter doch mal auf die verbotene Idee kommt, schon unter der Woche seine Lieben daheim zu besuchen. Rein steuerrechtlich darf er das nicht. So schrieb uns eine Leserin aus Solothurn zu diesem Thema:

    Inzwischen haben wir 2 Kinder, ein Haus, ein Zwangsferienstudio in Zweisimmen (mein Mann arbeitet dort und pendelt 2 mal die Woche zwischen Zweisimmen und Solothurn, 115 km). Er ist ein sogenannter „halber Wochenaufenthalter“, was für ein Wort! (…)
    Steuerlich gesehen muss man die ganze Woche dort bleiben, darf nicht mit dem Auto zwischendurch nach Hause fahren UND man muss sein „Domizil“ (auch so ein CH-erdeutsches Wort) mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Auto gilt nicht (lt. Wegleitung) Sowie ich es aus der Steuererklärung verstanden habe…
    (…)
    Und Pendeln ist zum Glück steuerlich erlaubt, da die Zeitersparnis über 1 Std. beträgt…. deshalb ist mein Mann eben kein Wochenaufenthalter, denn er unterbricht jeden Mittwoch seinen „Wochenaufenthalt“ ….
    (Quelle: Private E-Mail=

  • Leite mich auf dem Weg
  • Mit „Wegleitung“ meint die Leserin übrigens nicht jemanden, der sie aus dem Weg leitet oder sie „weg“ leitet. So nennen die Schweizer schlichtweg die Anleitung zum Ausfüllen des Steuerformulars. Man wird also hierzulande nicht „angeleitet“, sondern „weggeleitet“.
    Wegleitung zur Steuererklärung
    (Quelle Foto: Wegleitung zur Steuererklärung)

  • Und wie funktioniert das nun mit dem Wochenaufenthalt?
  • Ehrlich gesagt haben wir das auch noch nicht so richtig verstanden. Vermutlich muss dieser Deutsche entweder in Zweisimmen seine Steuern bezahlen, extrem niedrig und günstiger als in Solothurn, darf aber dafür unter der Woche nicht nach Solothurn zu seiner Familie fahren. Oder die Sache funktioniert anders herum, und er soll in Zweisimmen versteuern, will das aber nicht, weil Solothurn günstiger ist. Dann muss er nachweisen, dass er von Solothurn fünf Mal die Woche die 115 Km hin und zurück pendelt, mit der SBB selbstverständlich.

  • Und der Fragebogen?
  • Ob der gute Mann dieser Leserin den Fragebogen zum Wochenaufenthalter auch richtig und ehrlich ausgefüllt hat? Ob es Schweizer Steuerfahnder gibt, die am Mittwoch aufpassen, dass er nicht doch heimlich von Zweisimmen nach Solothurn fährt?
    Wir wissen es nicht, begreifen aber langsam, dass die Sache mit dem Schweizer „Steuerwettbewerb“ zwischen den Gemeinden ganz schön komplizierte Nebeneffekte produziert.

    Der Schweizer als Reisemangel — Trachtenkapelle statt Karibiksound

    Februar 9th, 2007
  • Drei Menschen sind Vieh
  • Eine Bauernweisheit, die wir im Schwabenland lernten besagt. „Ein Mensch ist ein Mensch, zwei Mensch sind ein Paar, drei Menschen sind Vieh“. Will meinen, dass jeder Artgenosse, sobald er in Massen auftritt, nicht mehr leicht zu nehmen ist.

  • Deutsche Handtücher am Hotel-Swimmingpool
  • Die Deutschen in der Überzahl am Strand von Mallorca stören, historisch gesehen, vor allen die Engländer, deren Anti-Deutsches Lieblingsklischee besagt, dass gerade diese Deutschen immer morgen extra früh an den Strand oder an den Hotelpool kommen, dort mit ihrem Handtuch einen Liegeplatz reservieren, und dann wieder boshaft eine weitere Mütze Schlaf holen gehen, nur um die Engländer zu ärgern. Das scheint für viele Briten eine echt leidvolle Erfahrung gewesen zu sein, diese vielen reservierten Liegen mit deutschen Handtüchern. Wie man ein deutsches Handtuch von einem britischen „towel“ unterscheiden kann war mir bei dieser Geschichte noch nie ganz klar. Vielleicht liegen die einen ehr rechts und die anderen mehr links auf der Liege? Keine Ahnung.

  • Auch Schweizer können zum Reisemangel werden
  • Der Schweizer als Reisemangel
    Wir lasen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung , kurz WAZ, aus dem Ruhrgebiet in einem Bericht von Stefan Wette:

    Auf einer Karibik-Kreuzfahrt hatten die Deutschen sich gefreut. Als sie ihre Zimmer bezogen, stellten sie fest, dass von den 560 Gästen 500 aus der Schweiz kamen. Das allein ist sicher kein Reisemangel. Auch nicht der Umstand, dass die Reise der 500 von einem schweizerischen Folkloreverein veranstaltet wurde. Doch damit begann das Unglück, erkannt das Gericht mit einem Blick auf das Bordprogramm, das eigentlich karibische Klänge versprochen hatte: 9:30 Uhr Trachtentanz in der Galaxis Disco, 10 Uhr Kapelle „Echo vom Toedi“ beim Schwimmbad, 10:30 Uhr „Folklorechoerli“ in der Galaxis Disco. Überall, drinnen wie draussen, waren die Schrammelgruppen und Blaskapellen im Einsatz. Nicht einmal in ihren Kabinen waren die Deutschen sicher. Alle Borddurchsagen erklangen im unverfälschten „Schwyzer Dütsch“.

    Trachtenkapelle im Dauereinsatz

  • Trachtenkapelle statt Karibiksound
  • Den Schweizern selbst war kein Vorwurf zu machen. Die hatten ihren Landsleuten die Kreuzfahrt nämlich mit dem Versprechen einer „meisterhaft und sauber gespielten Volks-Blasmusik“ schmackhaft gemacht. „Das garantiert jenes einzigartige Gefühl, in einer grossen Familie geborgen zu sein“. Auch die Schiffsleitung tat ihr Bestes und bot beim mexikanischen Mitternachtsbuffet karibische Musik auf. Aber auch dieses Vergnügen hielt nicht lange an. Nach wenigen Minuten ersetzte eine schweizerische Trachtenkapelle die karibischen Klänge.
    (Quelle: WAZ 12.01.07 )

  • Als echter Reisemängel eingestuft
  • So wurde sogar

    „ein umgängliches Volk wie das der Schweizer als echter Reisemangel eingestuft (…) Zu diesem Urteil rang sich zumindest das Landgericht Frankfurt (Az: 2/24 S 341/92) durch und verurteilte einen Reiseveranstalter, seinen deutschen Urlaubern 30 Prozent des Reisepreises zu erstatten.“
    (Quelle: WAZ 12.01.07)

    Besonders krass muss diese Situation auf dem Kreuzfahrtschiff den Deutschen vorgekommen sein, weil es ja dort kaum Fluchtmöglichkeiten gibt.

  • Die Holländer-Kolonie in Österreich
  • Auf einem Tiroler Campingplatz sahen wir uns einmal von hunderten freundlichen Holländern umringt, was zunächst sehr nett schien, uns dann aber in den Morgenstunden gegen 3:30 Uhr beim nicht enden wollenden „Lustigen Heimatabend“ mit zahlreichen lautstark gegrölten Saufliedern die Erkenntnis einbrachte, dass keine Nation dagegen gefeit ist, sich im Ausland daneben zu benehmen und für über die Stränge zu schlagen.

    Die Deutschen. Wo liegt das Problem? — Andreas Durisch in FACTS

    Februar 8th, 2007
  • Wir bewundern ihre Dichter
  • Im Editorial zur letzten FACTS Ausgabe schreibt der Chefredaktor Andreas Durisch über die Deutschen in der Schweiz:

    „Die Deutschen. Wo liegt das Problem? Wir bewundern ihre Dichter, wir achten ihre Denker.“

    Und schon geht das Problem los. Ihre Dichter? Ihre Denker? Sind Goethe, Schiller, Lessing, Fontane, Keller oder Gotthelf nicht als Dichter in der gemeinsamen deutschen Sprache daheim? Gehört Kant, Hegel und Luther den Deutschen und Zwingli oder Calvin den Schweizern? Von Einstein fangen wir lieber gar nicht erst an. Ach ja, und wem gehört eigentlich Hermann Hesse? Der wurde als Deutscher geboren und starb als Schweizer. Etwas, dass Thomas Mann nicht gelang, denn ihn haben die Schweizer zwar als Emigrant geduldet, aber als Bürger nicht gewollt, aus Furcht vor Repressionen durch Nazideutschland. Bleiben wir doch lieber bei der Sprache dieser Dichter, die „gehört“ niemanden, die verwendet jeder der kann und will.

    „Sie bauen unsere bevorzugten Autos, sie haben eine Bundesliga. Berlin ist hip. Günther Jauch der beste Quizmaster“.

    Gefahren wird in der Schweiz alles, auch Renault und Fiat und jede Menge Japaner. Der Automarkt ist international und gleichmässig aufgeteilt in der Schweiz. Auch im Schweizer Fussball wird Geld verdient, und wenn Berlin hip ist, dann ist Zürich angesagt. Und was Günther Jauch angeht, nun, es gibt genügend hochkarätige Schauspieler wie Bruno Ganz oder Showtalente wie Kurt Felix, die da einen gesunden Ausgleich liefern.

    „Mal abgesehen vom Streit um die Nordanflüge auf Zürich-Kloten hat sich unser Verhältnis zu den Nachbarn in den letzten zwei Jahrzenten merklich entspannt. Jetzt ist eine neue Konflikzone am Entstehen. Die deutschen Zuwanderer führen inzwischen die Immigrationsstatistik an — vor den Portugiesen und den Ex-Jugoslawen. Allein im Jahr 2005 zogen gut 20 000 Menschen au dem grossen Kanton in die Schweiz.“

    Tschuldigung, ist das mit dem „grossen Kanton“ eigentlich noch ein Witz in der Schweiz oder bereits eine Tatsache, ein feststehende Redewendung, die man ohne mit der Wimper zu zucken von sich gibt? Für mich ist es ein Selbstläufer wie die berüchtigte Steigerung bei „in keinster Weise“, von der jeder weiss, dass sie falsch ist, die aber durch andauerndes Wiederholen irgendwann im Duden als korrekt aufgeführt sein wird.

    „Ein Problem? Ein Vorteil! Wir sprechen die gleiche Sprache, wir haben einen ähnlichen Charakter“

    Diesen letzten Satz muss ich mir noch mal ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen. Die „gleiche“ Sprache ist noch lange nicht die „selbe“. Ja, es „gleicht“ sich ein bisschen, was wir sprechen. Und auch „ähnlich“ lässt viel Spielraum für eigenständige Ausformungen. Wir wollen doch fürs Protokoll festhalten, dass Deutsch eine Fremdsprache ist und nicht gesprochen sondern nur geschrieben wird in der Schweiz, hat man uns jedenfalls oft genug versichert, irgendwann müssen wir auch ja auch anfangen es zu glauben.

    „Gerade deshalb sind die Deutschen zu unangenehmen Konkurrenten im eigenen Land geworden, die sich um die gleichen Jobs bewerben wie wir“.

    Noch einmal Tschuldigung: Wer bewirbt sich denn da von den Schweizern auf diese Stellen? Da ist doch niemand, der sich bewirbt, sonst hätten die Pflegedienstleitungen der Schweizer Spitäler oder die Besetzungskommission für eine Professorenstelle an der ETH doch schon längst den hochqualifizierten Schweizer Bewerber eingestellt, oder habe ich da was falsch verstanden. Und wenn die Pflegekräfte nicht aus Deutschland oder anderen EU-Staaten kämen, dann würden eben Betten im Spital stillgelegt, so einfach ist das. Eine eingeschränkte medizinische Grundversorgung hiesse das im Klartext.

    „Gut qualifiziert, aber günstiger als Arbeitskraft“.

    Ein Klischee, das durch häufiges Wiederholen nicht wahrer wird. Als ob Deutsche Job-Bewerber nicht bereits lange wissen würden, was sie hier am Schweizer Markt wert sind. Der Markt reguliert den Preis. Das ist bei den Stellen genauso wie bei jeder anderen Ware oder Dienstleistung. Wenn es einen Mangel an guten Fachkräften gibt, dann wird mehr gezahlt, gibt es denn nicht mehr, dann gehen die Gehälter runter.

    „Da wird der Deutsche, den wir als Individuum durchaus mögen, zum Teutonen, der schneller und präziser spricht, angriffiger debattiert. Das nervt. Denn wir mögen es auf keinen Fall, wenn Deutsche den Ton angeben. Das ist in Mallorca so und jetzt bei uns zu Hause erst recht“.

    Seltsamer Weise werden von grossen Firmen gern Deutsche Kaderkräfte als „Drahtbesen“ eingestellt, um auszukehren, um unbequeme Entlassungen vorzunehmen, um quasi die „Drecksarbeit“ bei den notwendigen „Umstrukturierungen“ durchzuführen. Da nervt es nicht, wenn ein Deutscher „den Ton angibt“. Auch Herr Mörgeli äusserte im Club den Verdacht, dass Deutsche hier gern auch im Vereinsleben anfangen das Heft in die Hand zu nehmen etc. Möchte wirklich wissen, in welchen Vereinen er verkehrt. Die meisten Deutschen in der Schweiz arbeiten brav, verhalten sich angepasst, freuen sich über das schöne Land und den guten Verdienst, hoffen darauf, auch mal Schweizer kennenzulernen, und haben nach einer 42.5 Stundenwoche garantiert anderes zu tun als sich um den Posten des zweiten Vorsitzenden oder das Amt des Kassenwarts in einem Schweizer Gesangsverein zu streiten.

  • Wer fährt eigentlich zum Ballermann?
  • Apropos Mallorca: Ballermänner sind kein spezifisch deutsches Phänomen, die kommen gleichfalls aus Belgien, England, Holland oder Skandinavien. Vielleicht mischt sich ja auch der eine oder andere Schweizer unter das Volk am Strand von Mallorca um mal richtig die Sau rauszulassen? Ich kenne Zürcher, die gern mal am Wochenende nach Hamburg fliegen und dann auf der Reeperbahn kein Auge zu machen von Freitag bis Sonntag. Billigflieger machen es möglich. Zu Zeiten der Weltmeisterschaft in Deutschland waren die Unterschiede zwischen den grölenden und „tonangebenden“ Fans aller Nationen jedenfalls äusserst „fliessend“, kühl und blond, meist mit Schaumkrone auf der Tulpe.

    Vielleicht besucht Herr Durisch ja demnächst mal im Urlaub die Deutschen in der Provence oder in der Toskana, um dort bei einem Gläschen Pastis oder Chianti darüber zu philosophieren, welche Ferienhäuser dort den Schweizern, Engländern oder Deutschen gehören.

    Robert Gernhardt schrieb:

    Deutscher im Ausland

    Ach nein, ich bin keiner von denen, die kreischend
    das breite Gesäss in in den Korbsessel donnern,
    mit lautem Organ „Bringse birra“ verlangen
    und dann damit prahlen, wie hart doch die Mark sei.

    Ach ja, ich bin einer von jenen, die leidend
    verkniffenen Arschs am Prosecco-Kelch nippen,
    stets in der Furcht, es könnt jemand denken:
    Der da! Gehört nicht auch der da zu denen?

    (Quelle: Gedichte Reim und Zeit, Reclam 2001, S. 54)