Wie hoch liegt die Schweiz? — Von der Nordsee bis zum Mittelmeer geht es nur bergab

Oktober 17th, 2006
  • Eine Hausse ist ein Hoch
  • Zur Zeit boomt die Wirtschaft in der Schweiz. Der SMI = Swiss Market Index stürmt von einem Allzeithoch zum nächsten. Es geht immer nur aufwärts. Immerhin kann man dieses Hoch, diese „Hausse“ noch messen, denn die Zahlen sind leicht zu verfolgen. Komplizierter ist es mit der sonstigen Höhe der Schweiz, denn die wird hier nicht nur anders gemessen als beim nördlichen Nachbarn, sie heisst auch anders.

  • Meter über Meer ohne Zugang zum Meer
  • Während die Deutsche von der „Höhe über dem Meeresspiegel“ sprechen, sagt man in der Schweiz mit einer hübschen Alliteration und ohne bestimmtem Artikel: „Meter über Meer“:

    Meter über Meer (m ü. M.) ist die offizielle Bezeichnung der Schweizer Höhenangaben.
    In der Schweiz verwendet man als amtliche Höhen, nivellierten Höhen ohne Schwereausgleich aus dem Landesnivellement von 1902 (LN02). Als Ausgangspunkt des Schweizer Höhennetzes dient der Repère Pierre du Niton. Dessen Höhe wurde vom mittleren Meeresspiegel von Marseille abgeleitet und auf 373,6 m gerundet.
    (Quelle: Wikipedia)

  • Die Nordsee ist kein Meer sondern eine See
  • Mit „Meer“ ist also keine Nordsee und keine Ostsee gemeint, sondern das Mittelmeer. Die östlichen Nachbarn der Schweiz, die Österreicher, fanden auch zu Recht, dass das Mittelmeer ihnen am nächsten liegt, gingen aber zum Vermessen nicht nach Marseille als Bezugspunkt, sondern an die Adria. Das hat Folgen:

    Die schweizerischen Höhenangaben weichen um ca. -0,6 bis -7,5 cm von den österreichischen Höhen über der Adria ab. Da der Repère Pierre du Niton 1845 ungenau auf 376,86 m bestimmt wurde, sind Höhenangaben, die sich auf diesen „Alten Horizont“ beziehen (zum Beispiel in der Siegfriedkarte und Dufourkarte), um 3,26 m höher als die heute offiziellen Werte.

    Wenn Sie also mit der Dufourkarte auf die Dufourspitze steigen, sind sie laut Karte nicht auf 4634 Meter über Meer, sondern 4637 Meter. Hier gibt es einen wunderschönen 360 Grad Quicktime Rundumblick davon. Aber vorher eine Jacke anziehen. Ist ziemlich kalt da oben.

  • Wie wird in Deutschland die Höhe gemessen?
  • Bis 1993 wurde in Deutschland die Höhe in beiden Teilstaaten getrennt gemessen und definiert.

    Die Vermessungsverwaltungen der 16 Bundesländer Deutschlands beschlossen im Jahr 1993 ein einheitliches Höhenbezugssystem, das DHHN92, einzuführen. (…) Anschlusspunkt zur Festlegung des DHHN92 ist der Knotenpunkt Wallenhorst (bei Osnabrück), der an das europäische Referenznetz (ETRS89) angeschlossen ist, das sich weiterhin auf den Pegel von Amsterdam bezieht.

    Amsterdam liegt an der Nordsee, nicht am Mittelmeer. Und was kann es Schöneres geben, als ein knackige Abkürzung wie „DHHN92“, klingt wie ein DJ-Kürzel oder der Name eines Flugzeugs. Doch, es geht noch schöner. Wenn Sie „Meter über Meer“ auch wie reine Poesie empfinden, wie gefallen Ihnen dann diese Wortkonstruktionen:

    Von Normalnull über Höhennull zu den Höhen über Normalhöhennull
    Die bisher geltenden Höhenbezüge auf Normalnull (NN) und Höhennull (HN) werden damit durch das Quasigeoid des DHHN92 ersetzt und als Höhen über Normalhöhennull (Höhen über NHN) bezeichnet
    (Quelle: Wikipedia)

    Zum Glück ist das nicht wirklich die eingebürgerte Bezeichnung. Sie dürfen „meter über Normalhöhennull“ sagen, kurz „m. ü. NHN“. In der Schweiz heisst es m. ü. M. (meter über Meer) und in Österreich m. ü. A. (meter über Adria). Meter ist in der Schweiz laut unserem Duden vorwiegend männlich, aber auch sächlich möglich, in Deutschland nur männlich, warum aber in den Abkürzung das/der Meter klein geschrieben wird, das mag uns niemand erklären.

  • Als in Laufenburg 54 cm fehlten
  • Richtig spannend wurde es, als 2003 in Laufenburg eine neue Brücke zwischen der Schweiz und Deutschland gebaut wurde und die jeweiligen Ingenieure die landestypische Höhenmessung verwendeten.

    Knapp ein Kilometer östlich von Laufenburg befindet sich die Neue Rheinbrücke. Sie wurde gebaut, um die auf beiden Seiten des Rheins gelegene Altstadt vom Durchgangsverkehr zu entlasten. Bei ihrem Bau verwendeten die Schweizer Brückenbauer den Triester Pegel, die deutschen Brückenbauer hingegen den Amsterdamer Pegel. Zwischen beiden Pegeln besteht eine Differenz von 27 Zentimetern. Die Differenz wurde aber falsch korrigiert, so dass sie schliesslich 54 Zentimeter betrug. Dies sorgte 2003 für viel Gespött, da die Brücke ohne die dann vorgenommenen Korrekturen nicht für den Verkehr nutzbar gewesen wäre. Die Eröffnung erfolgte im Dezember 2004
    (Quelle: Wikipedia)

    Rheinbrücke Laufenburg
    (Quelle Foto: karl-gotsch.de)

    Als im Frühjahr 2006 bei Rheinfelden eine neue Autobahnbrücke zwischen der Schweiz und Deutschland eingeweiht wurde, mit der das Nadelöhr Basel umfahren werden soll, erzählt der Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger die Geschichte der Laufenburger Brücke so:

    Auf beiden Seiten des Rheins wurde gebaut. Als die beiden Hälften hätten vereinigt werden sollen, ergab sich ein Höhenunterschied von einem halben Meter.

    Ein Rätsel.

    Die Zahlen stimmten, aber die Differenz blieb.

    Der Oberexperte aus Deutschland reiste verzweifelt in die Ferien zu seiner Fraktion in die Toskana am Mittelmeer, derjenige aus der Schweiz nach Sylt, an die Nordsee. Das brachte die Wahrheit an den Tag:

    Es lag an der Meereshöhe. Wir in der Schweiz berechnen sie ab dem Mittelmeer, Sie in Deutschland berechnen sie ab der Nordsee.

    Nicht einmal mehr auf die Tiefe des Meeresspiegels kann man sich verlassen. Das nächste Mal werden wir im Vertrag genauer sein und festhalten: Wir berechnen die Meereshöhe nach dem Tiefensee.

    Die Brücke von Laufenburg zeigt: Es gibt manchmal auch Grenzen der Verständigung, die wir im Eifer um Objektivität übersehen, zu Unrecht übersehen.

    Wir müssen also mit Rücksicht auf die Fakten und die jeweiligen Interessen aller Betroffenen entscheiden, unabhängig davon, auf welcher Seite der Grenze sie sich gerade befinden.

    (Quelle: uvek.admin.ch)
    UVEK ist übrigens kein „Universeller Verein Evangelischer Knastbrüder“ sondern bezeichnet das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation.

    Die ganze Geschichte auch als wvx-Video hier bei azonline.ch

    P.S.: Wo liegt eigentlich der Tiefensee, nach dem Leuenberger in Zukunft die Höhe berechnen will?

    Heute schon einen Deutschen erzogen? — Alle Deutsche in Integrations-Kurse!

    Oktober 16th, 2006
  • Heute schon Deutsche integriert?
  • Endlich wird es mal ein Thema im Blick, Rubrik BlickPolitik: Alle Deutsche ab in Integrations-Kurse!
    Erziehungskurs für Deutsche
    (Foto Blick vom 27.09.06)

    So schreibt der Blick vom 27.09.06 auf Seite 12:

    Zürich. Integrationskurse für Ausländer. Da denkt man nicht unbedingt zuerst an Deutsche. Doch Christoph Mörgeli ist auch hier für eine Überraschung gut. Diesmal hat es der SVP-Nationalrat auf die Deutschen in unseren Spitälern abgesehen. «An der Medizinischen Fakultät der Uni Zürich rumort es», sagt Mörgeli, der dort Professor für Medizingeschichte ist. Die Deutschen hätten Mühe, sich an unsere Gepflogenheit anzupassen. In der Schweiz seien die Hierarchien halt flacher. «Bei uns ist ein Arzt kein Gott in Weiss. In Deutschland schon.»
    Mörgeli will durchgreifen. Und die Deutschen in Integrations-Kurse schicken, wie er gestern zu BLICK sagte. Es könne nicht schaden, deutschen Kollegen ab und zu einen Tip zu geben, wie man sich hier verhält, begründet er seine Erziehungsmassnahme.

    Wir lernen daraus: In der Schweiz sind zwar die Berge hoch aber die Hierarchien flach. Und wie es in Deutschland ist, das weiss ein Schweizer Professor für Medizingeschichte einfach. Schliesslich hat er es dort direkt jahrelang von Göttern in Weiss erfahren. Göttliche Eingebung sozusagen. In der Schweiz ist es unter Medizinern anders. Das „Du“ kommt schneller über die Lippen, und der Ton ist wesentlich geschwisterlicher. So stellen wir uns dann eine Szene im Operationssaal vor. Am anästhesierten Patienten steht so ein Gott in Weiss und operiert. Was hört man in solch einer Situation in Deutschland: „OP Schwester Sturm: Tupfer, Zange und Skalpell! Aber zack zack!“

    Und was hört man in Zürich in dieser Situation von einem eingewanderter Gott in Weiss, frisch vom Olymp herabgestiegen, die weisse Kutte abgelegt, noch ganz ungewohnt völlig in Froschgrün gekleidet, inklusive Mundschutz, nach erfolgreich absolviertem Integrationskurs: „Inge? Ich darf doch Inge zu dir sagen, ich bin übrigens der Rüdiger… Inge, wärst Du so gut, und tätest mir bitte einmal den Tupfer reichen? Ja, bitte, aber nur wenn es nicht so viel Umstände macht.“ Fünf Minuten später: „Inge, bist Du noch da?— Danke dass Du gewartet hast. Jetzt wärst Du bitte so gut, und könntest mir bitte die Zange und das Skalpell reichen? Ja, so ist das gut. Merci vielmals, Inge!“ Sehen Sie, so sollte es sein, so ist es doch gleich für alle viel netter.

    Leider ist bei dem BLICK-Artikel über Mörgelis Ideen ein kleines aber wichtiges Detail vergessen worden. Die Wahrheit. Sie wurde am Nachmittag auf BLICK-Online nachgeschoben:
    Mörgeli im Blick
    (Blick.ch vom 27.09.06)

  • Schon wieder soll ein Deutscher einem Schweizer den Job wegnehmen
  • Haben wir da richtig gelesen? Die Kurse für Deutsche sollen von Deutschen gegeben werden, die schon länger hier weilen? Erstens würden da kostbare Jobs für hochqualifiziertes Schweizer erneut durch Deutsche erledigt, die sowieso schon überall zu finden sind, und zweitens wer garantiert uns, dass diese „länger hier weilenden Deutsche“ sich da überhaupt in Sachen Schweiz und Schweizer besser auskennen, als ein Schweizer Kollege?

  • „Jetzt pass auf“ sagt man nicht zu einem Schweizer
  • Mörgeli schildert dann sehr konkret, welche sprachlichen Unsitten er bei Deutschen Kollegen gern aberzogen hätte:
    Mörgeli konkret

    Das mit dem schrofferen Tonfall, das können wir gut nachvollziehen. Es ist der klassische Konflikt zwischen Deutscher „Ich kriege noch ein Pils!“ gegen „Wären Sie bitte so gut, ich hätte gern noch eine Stange, wenn möglich“. Deutsche Direktheit vs. Schweizer Schweizer Konjunktiv. Aber wo liegt das Problem bei „Jetzt pass auf“?

    Der Satzanfang (…) ist ungeschickt, denn er gibt uns Schweizern das Gefühl, wir seien Schlafkappen und hätten unsere Sinne kaum je beieinander.

    Wie stellt man es denn dann in der Schweiz sicher, dass einem der andere seine geschätzte Aufmerksamkeit vollumfänglich schenkt, ohne gleich beleidigend zu sein? Eine höchst interessante Fragestellung, die wir gleich versuchen wollen mit einem kleinen Szenenbeispiel zu beantworten: „Wenn es Euch nichts ausmacht und zeitlich gerade in den Kram passt, liebe Kollegen, würde ich bitten, dass wir nun gemeinsam unsere Aufmerksamkeit hier auf diesen Schwerverletzten lenken täten, der im Sterben liegt. Sind alle damit einverstanden, im Sinne der Konkordanz und des Konsens? Irgendein Rekurs anzumelden?“. Sehen sie, so geht es doch auch.

  • Für was hat der Deutsche bezahlt?
  • Warum ein Deutscher Arzt in einem Zürcher Spital allerdings ausrufen sollte: „Ich habe dafür bezahlt“, wenn er etwas möchte, ist uns völlig unklar. Er wird doch dafür bezahlt, etwas zu tun. Und wenn er wirklich für etwas bezahlt hat, was er nun nicht bekommt, wieso sollte er dann diese Leistung oder Sache mit „ich habe dafür bezahlt“ einfordern?

    Am Ende wird Mörgeli auf Blick.ch so zitiert:

    «Es geht oft um Kleinigkeiten des Umgangstons. Die Deutschen gehören nicht zu jenen Ausländergruppen, die uns grosse Schwierigkeiten bereiten. Der Wettbewerb ist auch bei höher qualifizierten Berufen wichtig. Und die Deutschen sind oft bereit, mehr und Besseres zu leisten als wir. Möglicherweise wecken fleissige Deutsche Eifersuchtsgefühle bei manchen Schweizern, die schon etwas bequem geworden sind.»

    Beobachten wir hier nicht so etwas wie ein Kehrtwende? Eben noch die Götter in Weiss mit dem Kasernenton, plötzlich „Wettbewerb bei höher qualifizierten Berufen“ und „fleissige Deutsche“? Um es mal nach frisch absolviertem Integrationskurs ganz schweizerisch korrekt auszudrücken:
    Wir kommen da nicht draus.

    Wenn die Standardsprache auch als Beziehungssprache akzeptiert wird — Neues aus dem Hochdeutschen Kindergarten in Schlieren

    Oktober 13th, 2006
  • Trösten auch auf Hochdeutsch
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 22.09.06 auf S. 25 einen Artikel von Helene Arnet über den Schlieremer Kindergarten Zelgli, in dem die Kindergärtnerinnen konsequent Standarddeutsch mit den Kindern sprechen. Alle Zitate entstammen diesem Artikel. Die Standardsprache wird in diesem Kindergarten konsequent für in allen Situationen gesprochen:

    Von der Begrüssung am Morgen bis zum Trösten, wenn ein Kind sich wehgetan hat.

    Die Kindergärtnerin Monika Lappert hatte damit zu Anfangs noch ihre Schwierigkeiten:

    „Mir war bei dem Gedanken nicht wohl, dass ich ständig Hochdeutsch sprechen müsste. In erster Linie wegen mir selber, weil ich mich nicht so sicher fühlte.“

    Es ist nicht irgendein Kindergarten, sondern eine Gruppe mit hohem Fremdsprachen-Anteil:

    Untereinander sprechen die Kinder Dialekt – oder in ihrer Muttersprache, die bei dreizehn der siebzehn Kindern nicht Deutsch ist. (…) Schlieren ist die Gemeinde mit dem höchsten Fremdsprachen-Anteil des Kantons.

    Genau dies ist der Grund, warum das Projekt„Standarddeutsch im Kindergarten“ gestartet wurde.

    Die These der Schulpflege: Wird schon im Kindergarten konsequent Standardsprache gesprochen, erleichtert dies den Fremdsprachigen das Deutschlernen — und den Schweizer Kindern den Einstieg in die Schule.

    Die Erzieher sprechen kein gestelztes Schriftdeutsch, sondern es wurde ihnen zuvor in einer Fortbildung beigebracht, ein möglichst natürliches Standarddeutsch zu artikulieren:

    Bei Monika Lappert haben sich die Hemmungen, Standardsprache zu sprechen, vollständig gelegt: „Ich spreche unterdessen automatisch alle Kinder, die kleiner sind als bis zu meinem Bauchnabel, Hochdeutsch an“

  • Beim Vorlesen simultan ins Schweizerdeutsche übersetzen
  • Diese absolut sensationelle Fähigkeit haben wir bei manchen Schweizer Müttern beobachtet, z. B. auf einer langen Bahnreise, oder bei Freunden mit kleinen Kindern. Wird einem Schweizer Kind etwas vorgelesen, dann übersetzen viele Schweizer automatisch und simultan den Hochdeutschen Text in ihren Dialekt. Eine sensationelle Leistung, wenn man bedenkt, dass die Kinder ja irgendwann über die Schulter schauen und mitlesen. Im Kindergarten in Schlieren ist das anders:

    Monika Lappert erzählt den Kinderbuch-Klassiker „Pitschi“. Früher hätte sie den Text simultan in Mundart übersetzt. Heute liest sie Hochdeutsch vor.

    Die Germanistin Karin Landert hat den Hochdeutsch-Erwerb in einem Hochdeutsch-Kindergarten mit einem Schweizerdeutsch Kindergarten verglichen. Sie kam dabei u. a. zum dem Ergebnis, dass

    (…) Kinder aus dem standardsprachigen Kindergarten geläufiger, fliessender und auch reichhaltiger Hochdeutsch als die anderen [sprechen].

  • Standardsprache als Beziehungssprache akzeptiert
  • Wenn die Kinder erleben, dass ihre Kindergärtnerin in jeder Situationen, auch bei Streits oder beim Trösten, Hochdeutsch sprechen, ahmen sie dieses Verhalten nach:

    (…) Sie sprechen spürbar ohne Hemmungen, und zwar auch in emotionalen Situationen, Hochdeutsch. Sie haben die Standardsprache auch als Beziehungssprache akzeptiert. Dieser Aspekt scheint mir eher wichtiger als der sprachformale.

    Das Vorlesen in der Standardsprache spielt beim Spracherwerb ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle. Es wirkt sich nicht nur ganz einfach positiv auf den Wortschatz der Kinder aus, sondern schafft es auch, die Standardsprache in einem anderen, besseren Licht erscheinen zu lassen:

    (…) Es zeigt sich, dass Kinder, denen früh Geschichten in Standardsprache vorgelesen wurden, sich in der Regel problemloser auf Hochdeutsch ausdrücken können. Das hat viel damit zu tun, dass ihnen dadurch eine positive Einstellung zur Standardsprache vermittelt wird. Grundsätzlich zeigt sich, dass die Umgebung, in der das Kind mit der Standardsprache in Berührung kommt, eine grosse Rolle spielt. Das gilt für das Elternhaus und die Schule.

    Wir finden die alte Theorie bestätigt, dass die negative Einstellung zur Hochdeutschen Sprache häufig mit dem Widerwillen der Lehrer zu tun haben, die vor den Kindern keinen Hehl daraus machen, wie ungern sie selbst die Standardsprache sprechen:

    (…) Wenn Lehrerinnen oder Lehrer spürbar widerwillig Hochdeutsch sprechen, wird sich das auf die Kinder übertragen und deren Lerneffekt vermindern. Aber wenn die Lehrpersonen gerne Hochdeutsch sprechen, wirkt sich dies positiv auf den Hochdeutsch-Erwerb der Kinder aus.

    Zum Schluss dieses hervorragenden Berichts von Helene Arnert können wir uns nicht verkneifen, ein wenig Erbsen oder besser Helvetismen zu zählen. Darum hier eine kleine Liste der nicht-standarddeutschen Wörter, die von Frau Arnert im Tages-Anzeiger verwendet wurde: Rekurs, hängig, Versli, innert, Zwängerei, Vernehmlassung, Entscheid.
    Zitate haben wir nicht berücksichtigt.

    Eine Kreuzung mit Kreisel ist kein Kreisverkehr — Verkehrslogik im Kreis 4

    Oktober 12th, 2006
  • Kreise, die nicht rund sind
  • Zürich ist bekannt für seine Kreise. Die sind der Einfachheit halber durchnumeriert und gekennzeichnet durch ihre besondere Form: Alles, nur nicht rund, deswegen sagen die Zürcher ja auch „Kreise“ dazu:
    Kreise von Zürich
    (Quelle Foto Zueri.ch)

    Damit Sie jetzt nicht denken, die Zürcher wüssten nicht, wie ein runder Kreis eigentlich aussieht, möchte ich Ihnen beweisen, dass auch in Zürich an vielen Kreuzungen Kreise zu finden sind:
    Kreis ohne Kreisel
    Kreis ohne Kreisel

    Sie sind mitten auf einer Kreuzung zu finden, absolut kreisrund, und deutlich erhöht von der Fahrbahn, damit man da nicht mit 60 Km/h drüberbrettern kann, oder pesen, oder heizen, oder blochen (vgl. Blogwiese)
    Kreisel oder nicht?

    Kommt nun der frisch diplomierte deutsche Fahrschulprüfungsabsolvent mit seinem gerade erhaltenen Führerschein nach Zürich, da meint er garantiert, es hier mit einem „Kreisverkehr“ zu tun zu haben. Es herrscht zwar viel Verkehr in diesem Kreis 4 von Zürich, in jeder vertikalen wie horizontalen Lage, aber im Kreis darf man um diesen Kreis leider nicht herumfahren. Denn eine Sache fehlt. Dieses Schild:
    Kein Kreisel
    (Quelle: fahrtipps.de)

  • Systematische Verwirrung verlangsamt den Verkehr
  • Auch wenn da grosse Kreise in der Mitte der Kreuzung zu finden sind, sind das keine Kreisel, sondern schnöde „Rechts vor Links“ Kreuzungen. Zur Freude der Autofahrer, die an diesen Orten grundsätzlich keine Ahnung haben, ob sie nun Vorfahrt haben oder nicht, oder rechts vor links gilt, oder der Linksabbieger im Gegenverkehr warten muss, oder vielleicht doch nicht? Alle bemühen sich, extrem vorsichtig über diese runden Hubbel. Und das ist der Zweck der ganzen Übung: Den Verkehr verlangsam, in dem systematisch Verwirrung gestiftet wird.

    Als Radfahrer können Sie da übrigens locker drüber fahren, nur nicht mit 50 Km/h, aber wer erreicht solche Geschwindigkeiten schon in der Stadt.

  • Rechts vor Links ist fast so sakrosankt wie ein Zebrastreifen
  • In deutschen Städten finden sich zum Ausgleich massig ungeregelte „Rechts vor Links“ Einfahrten, an denen die Fahrprüfer ihre Freude haben, weil sie gern übersehen werden.
    Rechts vor Links hat Vorfahrt
    Falls Sie als Schweizer in einer solchen Gegend in Deutschland unterwegs sind, müssen Sie immer damit rechnen, dass das Auto vor ihnen alle 50 Meter an so einer Einbiegung bremst. Antrainierter Reflex, müssen Sie wissen, wie bei den Zebrastreifen, die Sie gern „Fussgängerstreifen“ nennen dürfen, Hauptsache Sie streifen keinen von den Fussgängern dort.

  • Rechts vor Links in England
  • Auch in England, wo alle Menschen ständig auf der falschen Strassenseite fahren, und man auch links in einen Kreisverkehr einfahren muss, gilt die Vorfahrtsregel „Rechts vor Links“. Es würde sonst sicherlich zu chaotischen Zuständen führen, wenn die Briten in Europa diese Regel anders praktizierten.

  • Was das Kreiselzeichen in Zürich wirklich bedeutet
  • Das entdeckten wir endlich, als uns diese Broschüre des VBZs in die Hand bekamen: „Gemütlich rühren“:
    Gemütlich rühren

    Womit weder das Schweizeriche „fort-rühren“ = „wegwerfen“ noch das „sich rühren“ = „bequem stehen“ beim Militär (in der Schweiz das Gegenteil von „ruhen“) gemeint ist. Einfach nur im Topf rühren. Die Fondue-Kenner unter Ihnen wissen allerdings, dass beim echten Fondue „im Kreis rühren“ unweigerlich dazu führt, dass ihnen der Käse in der Mitte anbrennt. Sie sollten lieber Lemniskaten rühren:
    Die Lemniskate von Bernoulli
    (Quelle Zeichnung: zahlenjagd.at)

    Ach muss das schön sein…. Strassenbahnfahren und dabei im Fondue-Topf rühren, und es schuckelt und schaukelt, und Sie fahren und fahren, und es quietscht und ruckt, und Sie essen dabei Fondue… Wenn Sie Glück haben, wird ihnen sogar ein bisschen schlecht dabei! Seufz, was für eine prima Idee für einen Firmenausflug! Dann gilt es noch die spannende Frage zu beantworten, wer bis zur nächsten Endhaltestelle oder Wendeschleife durchhält? Denn nur da gibt es Toiletten… Sie merken, es braucht nicht viel für einen gelungenen Abend auf Zürichs Strassenbahnschienen.
    Fondue Tram
    (Quelle: vbz.ch)

    Beim Siegen immer die Rechenmaschine mitbringen — Stängelis in der Schweiz

    Oktober 11th, 2006
  • Stängelis kann man nicht nur schlecken, sondern auch zum Zählen verwenden
  • Die Schweizer sind für ihr wohlorganisiertes Finanzwesen und ihre Banken bekannt. Rechnen können gehört zu den wichtigsten Grund-Disziplinen, definitiv höher bewertet als Ausdrucksfähigkeit im Hochdeutschen. Damit das mit dem Rechnen auch nie schief geht, pflegt man in der Schweiz noch den Umgang mit dem Abakus:
    Stängeli Rechenmaschine

    Hier kommt es darauf an, eine Stange mit 10 Holzperlen richtig zu bedienen. Werden mehr als 10 Dinge gezählt, ist eine Stange voll. Nun, eigentlich ist es eine recht kleine Stange, als im Schweizer Diminutiv ein „Stängeli“. Gerade im Sport ist es von grosser Bedeutung, diese Rechentafel stets dabei zu haben, denn hier wird lebhaft gezählt, wenn Tore fallen. Zum Beispiel neulich beim Spiel der Deutschen Nationalmannschaft gegen San Marino (ein Spiel, was natürlich niemand geguckt hat). Da reichte ein Stängeli nicht aus zum Tore zählen, da mussten 14 Holzperlen verschoben werden:
    Stängeli für Deutschland
    (Quelle: news.ch vom 6.09.06)

    Solche „Stängelis“ bezeichnen im Sport besonders hohe Siege. Unser Variantenwörterbuch hat das aber nicht so ganz begriffen, denn es kehrt die Sichtweise um und meint dazu:

    Stängeli: „Hohe Niederlage mit 10 oder mehr Gegentoren: Debakel“

    Verkehrt verkehrt, nicht die eigenen Tore werden gezählt, sondern die der siegreichen Mannschaft! Einen hohen Verlust, wie ihn das Variantenwörterbuch bezeichnet, darf man in Deutschland übrigens auch „eine Packung“ nennen. Die Österreicher haben noch die Begriffe „einen Schraufen“ oder „ein Tragerl“ für hohe Niederlagen. Was eine „Schraube“ und ein „Traggestell“ mit einem Verlust im Sport zu tun hat, müssen sie uns allerdings selbst erklären. Dazu schweigt sich unser Variantenwörterbuch aus.

    Zurück zu den Stängeln in der Schweiz. Die finden sich überall, Sie müssen nur die Augen aufsperren:
    Da geht Kloten knapp am Stängeli vorbei:

    Stängeli für Kloten
    (Quelle: blick.ch)

    Aber auch Davos hatte sein Stängeli:

    Davoser Stängeli
    (Quelle: news.ch)

    und schliessloch noch Biel:

    Biel mit Stängeli
    (Quelle: nachrichten.ch)

    Überhaupt wird die Rechenmaschine und ihre Stängeli beim Eishockey wesentlich öfter gebraucht als beim Fussball, scheint es. Wie soll man denn auch nur mit den dicken Handschuhen die Kügelchen auf dem Stängeli verschieben?

    Ist Ihnen eigentlich auch aufgefallen, dass die „Stängeli“ stets vorsichtig in Anführungszeichen, den sogenannten „Gänsefüsschen“ gesetzt werden? So wie einst die „DDR“ vom Springerverlag auch nur als „sogenannte DDR“ in Gänsefüsschen gesetzt werden konnte. Traut man diesen Stängelis nicht in der Schweiz, dass sie immer so vorsichtig angefasst und zitiert werden müssen?