Wie hoch liegt die Schweiz? — Von der Nordsee bis zum Mittelmeer geht es nur bergab
Zur Zeit boomt die Wirtschaft in der Schweiz. Der SMI = Swiss Market Index stürmt von einem Allzeithoch zum nächsten. Es geht immer nur aufwärts. Immerhin kann man dieses Hoch, diese „Hausse“ noch messen, denn die Zahlen sind leicht zu verfolgen. Komplizierter ist es mit der sonstigen Höhe der Schweiz, denn die wird hier nicht nur anders gemessen als beim nördlichen Nachbarn, sie heisst auch anders.
Während die Deutsche von der „Höhe über dem Meeresspiegel“ sprechen, sagt man in der Schweiz mit einer hübschen Alliteration und ohne bestimmtem Artikel: „Meter über Meer“:
Meter über Meer (m ü. M.) ist die offizielle Bezeichnung der Schweizer Höhenangaben.
In der Schweiz verwendet man als amtliche Höhen, nivellierten Höhen ohne Schwereausgleich aus dem Landesnivellement von 1902 (LN02). Als Ausgangspunkt des Schweizer Höhennetzes dient der Repère Pierre du Niton. Dessen Höhe wurde vom mittleren Meeresspiegel von Marseille abgeleitet und auf 373,6 m gerundet.
(Quelle: Wikipedia)
Mit „Meer“ ist also keine Nordsee und keine Ostsee gemeint, sondern das Mittelmeer. Die östlichen Nachbarn der Schweiz, die Österreicher, fanden auch zu Recht, dass das Mittelmeer ihnen am nächsten liegt, gingen aber zum Vermessen nicht nach Marseille als Bezugspunkt, sondern an die Adria. Das hat Folgen:
Die schweizerischen Höhenangaben weichen um ca. -0,6 bis -7,5 cm von den österreichischen Höhen über der Adria ab. Da der Repère Pierre du Niton 1845 ungenau auf 376,86 m bestimmt wurde, sind Höhenangaben, die sich auf diesen „Alten Horizont“ beziehen (zum Beispiel in der Siegfriedkarte und Dufourkarte), um 3,26 m höher als die heute offiziellen Werte.
Wenn Sie also mit der Dufourkarte auf die Dufourspitze steigen, sind sie laut Karte nicht auf 4634 Meter über Meer, sondern 4637 Meter. Hier gibt es einen wunderschönen 360 Grad Quicktime Rundumblick davon. Aber vorher eine Jacke anziehen. Ist ziemlich kalt da oben.
Bis 1993 wurde in Deutschland die Höhe in beiden Teilstaaten getrennt gemessen und definiert.
Die Vermessungsverwaltungen der 16 Bundesländer Deutschlands beschlossen im Jahr 1993 ein einheitliches Höhenbezugssystem, das DHHN92, einzuführen. (…) Anschlusspunkt zur Festlegung des DHHN92 ist der Knotenpunkt Wallenhorst (bei Osnabrück), der an das europäische Referenznetz (ETRS89) angeschlossen ist, das sich weiterhin auf den Pegel von Amsterdam bezieht.
Amsterdam liegt an der Nordsee, nicht am Mittelmeer. Und was kann es Schöneres geben, als ein knackige Abkürzung wie „DHHN92“, klingt wie ein DJ-Kürzel oder der Name eines Flugzeugs. Doch, es geht noch schöner. Wenn Sie „Meter über Meer“ auch wie reine Poesie empfinden, wie gefallen Ihnen dann diese Wortkonstruktionen:
Von Normalnull über Höhennull zu den Höhen über Normalhöhennull
Die bisher geltenden Höhenbezüge auf Normalnull (NN) und Höhennull (HN) werden damit durch das Quasigeoid des DHHN92 ersetzt und als Höhen über Normalhöhennull (Höhen über NHN) bezeichnet
(Quelle: Wikipedia)
Zum Glück ist das nicht wirklich die eingebürgerte Bezeichnung. Sie dürfen „meter über Normalhöhennull“ sagen, kurz „m. ü. NHN“. In der Schweiz heisst es m. ü. M. (meter über Meer) und in Österreich m. ü. A. (meter über Adria). Meter ist in der Schweiz laut unserem Duden vorwiegend männlich, aber auch sächlich möglich, in Deutschland nur männlich, warum aber in den Abkürzung das/der Meter klein geschrieben wird, das mag uns niemand erklären.
Richtig spannend wurde es, als 2003 in Laufenburg eine neue Brücke zwischen der Schweiz und Deutschland gebaut wurde und die jeweiligen Ingenieure die landestypische Höhenmessung verwendeten.
Knapp ein Kilometer östlich von Laufenburg befindet sich die Neue Rheinbrücke. Sie wurde gebaut, um die auf beiden Seiten des Rheins gelegene Altstadt vom Durchgangsverkehr zu entlasten. Bei ihrem Bau verwendeten die Schweizer Brückenbauer den Triester Pegel, die deutschen Brückenbauer hingegen den Amsterdamer Pegel. Zwischen beiden Pegeln besteht eine Differenz von 27 Zentimetern. Die Differenz wurde aber falsch korrigiert, so dass sie schliesslich 54 Zentimeter betrug. Dies sorgte 2003 für viel Gespött, da die Brücke ohne die dann vorgenommenen Korrekturen nicht für den Verkehr nutzbar gewesen wäre. Die Eröffnung erfolgte im Dezember 2004
(Quelle: Wikipedia)
(Quelle Foto: karl-gotsch.de)
Als im Frühjahr 2006 bei Rheinfelden eine neue Autobahnbrücke zwischen der Schweiz und Deutschland eingeweiht wurde, mit der das Nadelöhr Basel umfahren werden soll, erzählt der Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger die Geschichte der Laufenburger Brücke so:
Auf beiden Seiten des Rheins wurde gebaut. Als die beiden Hälften hätten vereinigt werden sollen, ergab sich ein Höhenunterschied von einem halben Meter.
Ein Rätsel.
Die Zahlen stimmten, aber die Differenz blieb.
Der Oberexperte aus Deutschland reiste verzweifelt in die Ferien zu seiner Fraktion in die Toskana am Mittelmeer, derjenige aus der Schweiz nach Sylt, an die Nordsee. Das brachte die Wahrheit an den Tag:
Es lag an der Meereshöhe. Wir in der Schweiz berechnen sie ab dem Mittelmeer, Sie in Deutschland berechnen sie ab der Nordsee.
Nicht einmal mehr auf die Tiefe des Meeresspiegels kann man sich verlassen. Das nächste Mal werden wir im Vertrag genauer sein und festhalten: Wir berechnen die Meereshöhe nach dem Tiefensee.
Die Brücke von Laufenburg zeigt: Es gibt manchmal auch Grenzen der Verständigung, die wir im Eifer um Objektivität übersehen, zu Unrecht übersehen.
Wir müssen also mit Rücksicht auf die Fakten und die jeweiligen Interessen aller Betroffenen entscheiden, unabhängig davon, auf welcher Seite der Grenze sie sich gerade befinden.
(Quelle: uvek.admin.ch)
UVEK ist übrigens kein „Universeller Verein Evangelischer Knastbrüder“ sondern bezeichnet das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation.
Die ganze Geschichte auch als wvx-Video hier bei azonline.ch
P.S.: Wo liegt eigentlich der Tiefensee, nach dem Leuenberger in Zukunft die Höhe berechnen will?
Oktober 17th, 2006 at 2:41
Hallo,
Ein kleiner Kommentar zu den Masseinheiten:
Ich habe Meter in der CH noch nie sächlich gebraucht gehört (immer nur ‚en Meter‘, ‚de Meter‘), Wikipedia schliesst die Sächlichkeit fuer die CH und A aus… :
„Der Meter (v. griech.: μέτρον/métron = Maß, -messer) – laut Duden auch das Meter, in der Schweiz und Österreich immer der Meter, nach DIN 1301-1:2002-10 nur sächlich – ist die SI-Basiseinheit der Länge. Das Einheitenzeichen des Meters lautet „m“ und das Formelzeichen der Länge „l“.“
In der Abkürzung m ü.M. wird die SI-Einheit verwendet. Diese wird zwingend kleingeschrieben (und folgt nach dem Präfix) um Verwechslungen auszuschliessen.
(1 mm = 10^{-3} m, 1 Mm =10^6 m)
Wenn ich mich nicht komplett irre, sollten die SI-Einheiten auch in kombinierten Abkürzungen ohne Punkt geschrieben werden, also m ü. M. und nicht m. ü. M.
(Die SI-Basiseinheiten sind
Länge, in Meter [m]
Zeit, in Sekunden [s]
Masse, in Kilogramm [kg]
Die Stromstärke, in Ampere [A]
Die Temperatur, in Kelvin [K]
Die Lichtstärke, in Candela [cd]
Die Stoffmenge, in Mol [mol] (=6.022*10^23 Teilchen, entspricht der Anzahl von Kohlenstoffatomen in 0.012 kg isotopenreinem ^{12}C.
und die Gross- oder Kleinschreibung wie gegeben ist zwingend)
Ich hoffe, damit wäre die Kleinschreibung erklärt 🙂
Gruss aus Hiroshima,
Pio
Oktober 17th, 2006 at 2:43
Wo der Tiefensee liegt?
„Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ist ein Ministerium der Bundesrepublik Deutschland (siehe auch Bundesregierung). Sein erster Dienstsitz befindet sich in Berlin, Invalidenstraße 44, sein zweiter – personell jedoch stärker besetzter Dienstsitz – in Bonn, Robert-Schuman-Platz 1.“
In einem der beiden Dienstsitze wird man Bundesminister Wolfgang Tiefensee sicherlich antreffen… 😉
Oktober 17th, 2006 at 2:44
Hoppla, glatt vergessen, die Quelle anzugeben. Ist aus dem Artikel http://de.wikipedia.org/wiki/Bundesministerium_f%C3%BCr_Verkehr%2C_Bau_und_Stadtentwicklung in der deutschsprachigen Wikipedia.
Oktober 17th, 2006 at 6:51
Es gibt auch in der Schweiz „das Meter“. Aber dieses wird als zusammengesetztes Wort gebraucht, zum Ausdruck eines Regel- oder Messinstruments. Z.B. „das Potentiometer“, „das Manometer“, „das Newtonmeter“.
Es lohnt sich auch nach „das Meter“ in Anführungszeichen zu googeln. So sieht man, dass besonders im wissenschaftlichen Bereich häufig von „das Meter“ geschrieben wird; sogar auf Schweizer und Österreicher Seiten. Kein Wunder, es gibt ja viele deutsche Hochschulprofessoren in der Schweiz und sicher auch in Österreich…
Tiefensee (Ortschaft in Brandenburg) liegt übrigens in sehr kontrastreicher Nähe von Höhenland. http://www.stadt-daten.de/stadt/Tiefensee/infos/24984.php.
Der Schweizer Verkehrsminister und heurige Bundespräsident Moritz Leuenberger drückt sich meist ziemlich poetisch und auch ironisch humorvoll aus, so dass nicht jedes gesagte Wort mathematisch genau analysiert werden kann. Das wird allerdings oft sogar bei Journalisten falsch oder gar nicht verstanden. Im Zweifelsfall besser nichts als etwas falsches über seine Reden denken. Die gesamte Rede zu diesem Brückenbau ist im oben angegebenen Link ersichtlich.
[Amerkung Admin: Die Rede ist gut geschrieben und „erst noch“ lustig, später dann witzig. 🙂 ]
Oktober 17th, 2006 at 10:27
@ Pio
m. ü. M., nicht m ü. M., da mit zusammengesetzten Einheiten der Art Nm (Newtonmeter), nm (Nanometer) etc. gemeint sind. Andererseits ist die Einheit m, und ü. M. ist ein erläuternder Zusatz… Da könnte man bestimmt einen hübschen Streit um des Kaisers Bart ausfechten.
Da ich zum ersten Mal hier hineinschreibe: Gratulation zu diesem immer wieder amüsanten aber nicht seichten Blog sowie zu den oft guten Kommentaren!
Oktober 17th, 2006 at 10:38
„Das Meter“ kenne ich nur im Zusammenhang als ein Messinstrument. Als Masseinheit aber immer männlich
(was in den vorangegangenen Beiträgen auch so ‚rüberkommt)
Oktober 17th, 2006 at 11:14
Ich bin der Meinung, mal irgendwo gelesen zu haben, dass die Groß- und Kleinschreibung bei den SI-Maßeinheiten (und den meisten anderen auch) davon abhängt, ob sie dem Namen einer Person entstammen oder anders gewählt wurden. Pascal, Kelvin usw. waren Leute, deren Namen für die Einheit benutzt wird, daher werden die Einheiten groß geschrieben, während Meter, Candela usw. quasi Wortschöpfungen sind, die nicht von Personennamen abgeleitet wurden.
Wahrscheinlich stimmt das aber nicht für alle Einheiten, da es sonst sicher auch mal Verwechslungen geben dürfte…
Oktober 17th, 2006 at 12:26
In Standardsprache heisst es laut Duden auch DAS Fieberthermometer, was im Dialekt meist DER Fiebermesser heisst. Trotzdem gibt es Kinder, die sich sehr dagegen wehren, dass man ihnen für eine rektale Körpertemperaturmessung DAS Fiebermesser in den Po stecken könnte. Manchmal tönen halt Wörter unterschiedlicher Bedeutung gefährlich gleich …
Wenn das Kind dann etwas verständiger geworden ist, kann man mit ihm ja mal den Repère Pierre du Niton in Genf besuchen (in der Nähe des Jet d‘ Eau, des eindrücklichen Springbrunnens) http://www.swisstopo.ch:80/de/basics/geo/faq/horizon;jsessionid=9sthllkbfgkq0)
Oktober 17th, 2006 at 13:08
läck das isch mer ds höch,da derfür isch mini zündschnur ds churz:)
Oktober 17th, 2006 at 13:48
@Admin, Phipu und Widi:
Ja, das Meter als Messinstrument habe ich vergessen, das wird aber kaum alleingestellt benützt.
Kannst Du mir bitte das Voltmeter reichen?
Gruss
Oktober 17th, 2006 at 18:15
@ Pio.
Richtig – metron (alt gr.) = measure.
Beispiel: „nnthropos metron panton“ – man is the MEASURE of all things.
„Katharevousa“ d.h. „High Greek“ sozusagen, wurde vor ca. 20 Jahren abgeschafft.
Es blieb „Demotiki – „Low Greek“
In Demotiki „metro“ = „measure“ sowie auch „meter“ und ist
sächlich (to metro).
Fiona
Oktober 18th, 2006 at 23:17
In der Schule wurde ich vom Lehrer immer korrigiert,
wenn ich fragte: „Kann ich den Meter haben?“
Richtig heisst es das Meter, wenn damit das Lineal gemeint ist!
Das Lineal:
Leiste (meist aus Holz oder Kunststoff bestehend), an der Zentimetermarkierungen markiert sind, um gerade Linien (mit bestimmten Längen) zu ziehen.
Merkwürdige Begründung
Wie wäre es damit: „Gib mir mal die Meter rüber!“
???
Na ja die Leiste natürlich 😉
Apropo Merkwürdig;
heisst das nun zu merken würdig
oder einfach komisch?
Oktober 19th, 2006 at 15:11
an Reto
Ich habe bisher für „Längenmessinstrumente“ (also „das“ Meter) immer unkorrigiert „der Meter“ gehört. Damit kann ein faltbarer „Meter“ oder „Doppelmeter“ aus Holz oder Kunststoff gemeint sein, wie ihn z.B. die Maurer brauchen oder ein „Messband“, wie es die Schneiderinnen brauchen. Das hat aber damit zu tun, dass ich es immer nur auf Mundart gehört habe. Das ist doch auch „bemerkenswert“.
Oktober 21st, 2006 at 23:46
@ phipu
zu „faltbarer Meter“ (Gliedermaßstab)
mein Meister hat mal auf meine Frage (könnad ich mal an Meder ham?) geantwortet das es fachlich korrekt „Gliedermaßstab“ heißen würde. An Gliedermaßstab habe ich mich aber nie gewöhnen können.