Dialekte und Sprachen vergleichen mit dem Liebesliedgenerator

September 8th, 2010

(reload vom 10.3.07)
Kennen Sie Bodo Wartke? Er hat sich intensiv um die vergleichende Dialektforschung verdient gemacht mit seinem genialen Liebesliedgenerator

  • Dialekte und Sprachen vergleichen in Liedform
  • Der Liebesliedgenerator von Bodo Wartke

    Zum Starten des Liebesliedenerators klicken Sie bitte hier.

    Liebesliedgenerator  Sprachauswahl

    Die Sprachauswahl ist fantastisch, und besonders viel Spass macht es, die diversen Deutschen und Schweizer Dialekte miteinander zu vergleichen. Ja ja, die Deutschen sprechen sowieso alle immer nur Hochdeutsch, bis auf die Pfälzer, die Franken, die Bayern, die Sachsen, die Saarländer, die Hessen, die …

    Momentan arbeitet Bodo Wartke noch an der Züridütsch-Fassung. Ausserdem in Vorbereitung:
    • Luxemburgisch
    • Steirisch
    • Luzern
    • Norwegisch
    • Rumänisch
    • Vietnamesisch

    Ach wie schön können Sprachen sein, vor allem wenn man darin so schön die Liebe besingt wie Bodo Wartke!

    Packt die Schule in den Sack — Der Schulsack muss gut und gross sein in der Schweiz

    September 2nd, 2010

    (reload vom 8.3.07)

  • Neues vom Sack
  • Wir hatten schon in den Anfangszeiten der Blogwiese ausführlich über unsere Schwierigkeiten mit dem Wörtchen „Sack“ in der Schweiz berichtet. Die haben sich in der Zwischenzeit gelegt. Längst kriegen wir keine Kastrationsängste mehr beim Klang des Wörtchens „Sackmesser“, und ein „Sackgeld“ halten wir auch nicht mehr für die Bezahlung eines besonders fiesen Typens.

    Hosen haben zwar einen Hosensack, dies aber nur, um etwas hineinzutun, und zwar nicht die Hose. Nun taucht der „Sack“ regelmässig an der Migros-Kasse auf, nicht als unfreundlicher Kassierer, sonder als Angebot, um unsere Einkäufe einzupacken. „Hätten Sie gern einen Sack?“, ja ja, den hätten wir, denn zu den Kastraten zählen wir uns noch nicht.

    Thek oder Tonne oder Ranzen oder Schulsack?
    Thek oder Tornister oder Ranzen oder Schulsack?

  • Wozu brauchen wir den Schulsack?
  • Dann gibt es da noch den Sack mit der Schule, den „Schulsack“. Am ersten Primarschultag lernten wir im Zürcher Unterland, dass die Kinder hier den „Thek“ durch die Gegend tragen, mit einem „Biblio“ darin, und wir hatten über die Griechisch und Latein Kenntnisse der Schweizer gestaunt, die da alle genau wussten, dass „Bibliothek“ über lateinisch bibliotheca = „Bücherschrank, Büchersaal“ von griechisch „bibliothekē“, eigentlich „Büchergestell“ kommt (siehe Fremdwörter-Duden). Ein Gestell also, dieser Thek.

  • Der Schulsack muss gut und gross sein
  • Hiess das Ding in meiner Kindheit einfach „Tonne“, weil „Tornister“, kam uns schon als Kinder das Wort „Schulranzen“ etwas zu ranzig vor. Doch dann tauchte er wieder auf, der „Sack“, diesmal als „Schulsack“, der immer schön gross sein muss. Wahrscheinlich damit die Schule hineinpasst.

    So lasen wir in 20Minuten:

    Die Deutschen bringen einen guten Schulsack mit: Zwei Fünftel von ihnen (40,3%) verfügen über eine höhere Schulbildung; von den Einheimischen sind das nur gerade 15,9 Prozent.
    (Quelle: 20Min)

    Auf Admin.ch:

    * Wer sich für die Berufsbildung entscheidet, muss schnuppern können.
    * Wer mit einer Lehre beginnt, muss einen guten Schulsack mitbringen.
    (Quelle: news.admin.ch)

    Und in einer Motion des Motionärs Karl Rudin-Hauswirth aus dem Baselland ganz ohne Motzen:

    Ebenso wird das alte Cliché wieder aufgewärmt, dass Schüler und Schülerinnen, die knapp die Ziele der Sekundarschule erreichen, immer noch einen besseren Schulsack mitbringen, als gut qualifizierte Berufswahlklassenschüler und -schülerinnen.
    (Quelle: baselland.ch)

    Was die da wohl reinpacken, in ihren Schulsack? Wird die Bildung nicht im Kopf sondern auf dem Rücken getragen? Oder geht es nicht um den Inhalt, aber um den Sack an sich, der aus gutem und reizfesten Material sein muss?

  • So ein Sack, der kann auch Lücken haben (keine Löcher)
  • Ich habe als Universitätslehrer jenseits des Atlantik drei Jahre lang mitgeholfen, erbärmliche Lücken im Schulsack der dortigen Maturanden zu stopfen.
    (Quelle: Schweizer Wörterbuch von Kurt Meyer, S. 232)

    Warum hat sich so eine Redewendung im Gemeindeutschen nicht erhalten. Mit dem Wortanfang „Schul“ gibt es noch eine ganz Reihe von Ausdrücken, die nur in der Schweiz üblich sind:

    Die „Schulgemeinde“, „Schulpflege“ und „Schulkommission“, alles Teile der „unabhängigen Körperschaft für die Betreuung des obligatorischen Schulwesens einer oder mehrerer politscher Gemeinden“. In Deutschland braucht es dafür ein Amt, das Schulamt oder Oberschulamt.

    Der Schulhausabwart (nebst Schulhausabwartin) der es nicht abwarten kann, Hausmeister von den Deutschen genannt zu werden.

    Der „Schulinspektor“, in Deutschland als „Schulrat“ bekannt, nebst „Schulinspektorin“ und „Schulinspektorat“.

    Das „Schullager“, welches in Deutschland „die Klassenfahrt“ ist. Einfach zu merken. In der Schweiz lagert die Schule, während in Deutschland die Klasse fährt. Dazu passend die „Schulreise“, in Deutschland der „Schulausflug“.

  • Schullager in Hamburg?
  • Alles genauestens erklärt und aufgelistet in unserem Variantenwörterbuch. Die Beispiele aus Österreich (z. B. die „Schullandwoche“) habe ich jetzt weggelassen. Wieder einmal lernen wir, wie variantenreich und unterschiedlich eine Institution benannt werden kann. Doch wehe, es lädt ein Lehrer in Bern zur „Klassenfahrt“ oder in Hamburg zum „Schullager“ ein. Schon stossen wir an die Grenzen unserer Toleranz. Warum eigentlich?

  • Liebe Buben und Maden
  • Als Kind regten mich die Ansage „Liebe Buben und Madel“ im Nachmittagsprogramm des Bayrischen Rundfunks auf. Ich bin doch kein „Bub“ und kenne keine „Madel“, sondern nur Maden in den Pflaumen (heute glaube ich, dass „Mädels“ gesagt wurde, ich aber nur „Madel“ verstand). Das ist doch ganz etwas anderes. Viele Schweizer erzählten mir auch, dass sie mit ihrem fremden Dialekt nach einem Umzug in eine neue Gegend nur auf Missfallen und Hohn stiessen. Kinder können ganz schön hart sein mit ihrem Spott, und ein Schweizer Kind, das häufig umzieht, wird bald ziemlich vielsprachig im eigenen Land.

    Wo es Aufsteller gibt, gibt es auch Ablöscher — Neues aus der Schweizer Alltagssprache

    August 29th, 2010

    (reload vom 7.3.07)

  • Eine Mannschaft kann man aufstellen
  • Vor langer Zeit fragte ich auf der Blogwiese „Soll ich sie aufstellen?“ Ich war damals weder als Fussballtrainer damit beschäftigt, eine Mannschaft von guten Kickern „aufzustellen“, noch musste ich auf dem Bürgersteig (so heisst das trottelige Trottoir im Alltagstrott in Deutschland. Sie wissen schon, die steigen auf alles, die Bürger) „Aufsteller“ wie diesen

    Aufsteller

    platzieren. Ach ja, und an den Verkauf von Viagra denkt auch niemand in der Schweiz, wenn er nach einem guten „Aufsteller“ fragt, denn „Aufsteller“ sind „aufgestellte Leute“, und von denen wimmelt es nur so in Schweizer Kontaktanzeigen und Internetforen.

  • Ablöschen ohne Wein
  • Jetzt endlich, nach so langer Zeit, haben wir erfahren, wie in der Schweiz das Gegenteil eines echten „Aufstellers“ genannt wird. Es ist ein „Ablöscher“. Nein, kein Koch, der beim Kochen den Braten mit kalter Flüssigkeit ablöscht. So findet sich das Wort auch im Duden:
    ablöschen:

    3. a) (einen Brand) löschen: das Feuer konnte erst am Morgen abgelöscht werden;
    b) (Kochkunst) einer Sache kalte Flüssigkeit zusetzen: das angebratene Fleisch mit einem Glas trockenem Weißwein ablöschen.
    (Quelle: duden.de)

    Es gibt auch noch die Verwendung „die Tafel ablöschen“, wenn sie mit mit einem Schwamm oder Tuch saubergewischt wird, bzw. „die Tinte mit einem Löschblatt ablöschen“. Doch welches Kind weiss heutzutage noch, was Tinte und Löschblätter sind, wenn in der Schweiz die Löschtaste mit „Delete“ beschriftet ist und an Zerstörung denken lässt. So hübsche IBM-Deutsch Übersetzungen wie „Rücklöschtaste“ (= Backspace) oder „Wagenrücklauftaste“ (=Enter) haben sich die Schweizer auf ihren PC-Tastaturen aus Rücksicht auf die Romandie gar nicht erst geleistet. Auch eine „Einf“ = Einfügetaste heisst hier wie in England „Ins“ wie „Insane“.

  • Heimstätten des Ablöschers
  • Zurück zum Ablöscher. Lassen sich da Belege für finden?
    Bei Wikipedia gibt es sogar eine Abteilung „Seelenstrip“, welche nach dem „grössten Ablöscher der letzen Zeit fragt“.
    Ablöscher bei Wikipedia
    (Quelle: de.wikipedia.org)

    Nein, um Bratenrezepte oder den letzten Einsatzbericht der Freiwilligen Feuerwehr geht es hier ganz bestimmt nicht. Die haben echt praktische Wörter in der Schweiz, denn wie könnte man sonst zu einem Menschen oder Erlebnis sagen, das einen so richtig stimmungsmässig in den Keller bringt? Ein „Fertigmacher“? Ein „Abtörner“? Ein „Frank Baumann“? So langsam fühlen wir uns wie in einem Fortbildungseminar für creative Barmixer, die vom „Absacker“ genug haben.

    Wir fanden das Wort sogar in einem sprachkritischen WatchBlog:

    Zu hoffen bleibt, dass das “trendige” neue Lokal trotz seiner Marketingkampagne einen anständigen Espresso anbietet. Alles andere wäre Ablöscher pur.
    (Quelle: wortreich.nightshift.ch)

    Auch im filmblog.ch wir fleissig gelöscht:

    Nicht nur ich empfinde das als Ablöscher, auch Oliver hat darüber klar ihren Unmut erklärt.
    (Quelle: www.filmblog.ch)

    Ob Oliver eine Frau ist, liess sich in diesem Artikel nicht genau herausfinden. Wird wohl.

  • Wie löschen die Deutschen ab?
  • Wenn man in Deutschland nicht „ablöscht“, wie würde man das sonst ausdrücken? Gibt es das Wort „abtörnen“ als neudeutsches Gegenteil von „to turn up“ eigentlich noch? Ja hoppla, sogar der Duden hat es verzeichnet:

    1. abtörnen ( ugs. für die Laune verderben; verdrießen)
    2. abtörnen (sw. V.; hat) (ugs.): aus der Stimmung bringen.

    Aber ist das wirklich von der Bedeutung her mit einem „Ablöscher“ vergleichbar? Man spürt bei diesem Wort geradezu den kalten Schwall Wasser, den man über den Nacken geschüttet bekommt, um nur ja das kleinste glimmende Stimmungselement abzulöschen.

  • Der Ablöscher muss in den Duden!
  • Wir werden gleich heute noch einen Brief an die Dudenredaktion schreiben und um Aufnahme dieses hübschen Nomens in den Duden bitten, es hätte es verdient! Nicht einmal im Züri Slängikon findet sich das Wort. Die meisten Schweizer sind sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sowohl der „Aufsteller“ als auch der „Ablöscher“ etwas sind, dass es im Gemeindeutschen völlig unbekannt ist. Höchste Zeit dass sich das ändert.

  • Abstellen ist auch eine Methode des Ablöschens
  • Unser Variantenwörterbuch setzt sogar noch eins drauf: Der „Absteller“, neben dem Ablöscher ein „Anlass für schlechte Laune“. Ob das aus der Zeit stammt, als die Eltern den zu laut angestellten Plattenspieler einfach abstellten? Oder die Stereoanlage, und dadurch der Haussegen schief hing?
    Zitat aus dem Variantenwörterbuch:

    Wenn sie vor dem kollektiven Theaterbesuch mit der Klasse noch ein ein Reclam-Büchlein lesen und später einen Aufsatz schreiben müssen, ist das für viele der totale Ablöscher (Tages-Anzeiger 24.2.1999, S. 21)

    Wir sollten jetzt endlich erklären, dass in der Schweiz das Licht nicht „ausgemacht“ sondern eben „abgelöscht“ wird. Bestimmt ist das der Ursprung dieses Stimmungsdämpfers. Mitten im schönsten „Was-auch-immer-Gefummel“ löschte jemand das Licht ab. Der „Ablöscher“ war geboren und gesellte sich zu dem Fiesling, der die Musik abstellte, dem „Absteller“. Warum gibt es diese Wörter nur in der Schweiz? Vielleicht weil die dazu passende aussersprachliche Wirklichkeit, die sie beschreiben, auch nur hier existiert? Licht aus, Musik aus und fertig ist die Kiste.

    Selbstverständliche Beherrschung von Dialekt und Hochsprache — Im Tessin kein Problem

    August 4th, 2010

    (reload vom 1.3.07)

  • Hochdeutsch darf keine Fremdsprache mehr sein — Die Vorschläge des Forum Helveticum
  • Das „Forum Helveticum“ tagte am 14.02.07 und publizierte anschliessend eine Reihe von Vorschläge, die wir hier diskutieren möchten:

    Hochdeutsch darf keine „Fremdsprache“ mehr sein

    Die vermehrte Präsenz von Mundart auf allen Gesellschaftsebenen hat sich in den letzten Jahrzehnten auf Kosten des Hochdeutschen durchgesetzt. Die erhöhte mangelnde Kompetenz der Hochsprache erschwert den Kontakt sowohl zum deutschsprachigen Raum als auch mit den anderen Sprachregionen der Schweiz. Ziel muss sein, dass Deutschschweizer Hochdeutsch nicht mehr als „Fremdsprache” empfinden. Als Beispiel einer selbstverständlichen Beherrschung von Dialekt und Hochsprache wird die Lage in der italienischen Schweiz genannt.
    (Quelle: sprachkreis-deutsch.ch)

    Es muss „Ziel sein, dass Deutschschweizer Hochdeutsch nicht mehr als ‚Fremdsprache‘ empfinden“. Ist das jetzt der kategorische Imperativ? Die selbsterfüllende Prophezeiung? Wie oft haben wir von Schweizern gehört, dass für sie Hochdeutsche „eine Fremdsprache“ sei, und wie oft haben wir schon versucht ihnen ihre zweite Muttersprache als natürliche Verkehrssprache näher zu bringen.

    Der Ticino gab dem Tessin seinen Namen
    (Der Fluss „Il Ticino“ gab dem Kanton seinen Namen)

    Besonders interessant finden wir das zitierte Beispiel „Tessin“. Dort sind die eigenen Dialekte auch weit entfernt von dem in Italien gesprochenen Standard-Italienisch:

    Ein Grossteil der Bevölkerung spricht lokale Dialekte, die zur lombardischen Dialektengruppe gehören. Da die Dialekte aus der Lombardei (inklusive Italienische Schweiz), dem Piemont, Ligurien und Emilia-Romagna, einen gallischen Hintergrund besitzen, ist es nicht erstaunlich, dass sehr viele Tessiner Wörter dem Französischen ähneln, und auch nasale Laute sowie ‚ö‘ und ‚ü‘ vorkommen. Im Tessiner Dialekt heisst es z.B.: „un om al gheva dü fiöö“, auf Standard-Italienisch würde man sagen: „un uomo aveva due figli“ (ein Mann hatte zwei Söhne). „Herz“ heisst im Dialekt „cör“ , ähnlich wie das französische „coeur“ [kœr] und nicht wie das italienische „cuore“ [kwɔre]. (…)
    (Quelle: Wikipedia)

    Also gibt es auch in der italienischen Schweiz eine Diglossie, gesprochener Dialekt neben geschriebener Standardsprache, dem Standard-Italienischen. Italienisch wird als Verkehrssprache und niemals als „Fremdsprache“ empfunden, wie das Hochdeutsche in der Deutschschweiz. Niemand hat ein Problem damit, im Gespräch mit nicht Einheimischen auf Italienisch zu sprechen und es wird von den vielen Gastarbeitern aus Italien auch nicht verlangt, dass sie sich doch bitte im Gebrauch eines Tessiner Dialekts üben möchten.

  • Dialekt nur bei den Alten
  • Wir fragten den Tessiner Journalisten Franco Valchera, der für das „Radiotelevisione svizzera di lingua italiana“, kurz „TSI“ aus der deutschsprachigen Schweiz berichtet, wie das Verhältnis der Tessiner zum „Standard-Italienischen“ sei, ob ähnlich belastet wie das der Deutschschweizer zum Hochdeutschen.

    Er erzählte uns, dass für die meisten Tessiner, wenn sie nicht der älteren Generation angehören oder in abgelegenen Tälern und Dörfern wohnen, Dialekt kaum mehr Teil der Alltagssprache sei. Die Wortmelodie unterscheidet sich und die Aussprache, geschrieben wird aber immer auf Standard-Italienisch, niemals auf Dialekt, auch nicht in den SMS.

    Die Tessiner wurden auf diesem Blog bisher viel zu wenig thematisiert. Im Kanton Tessin leben laut Wikipedia 306’846 Einwohner, das entspricht 4,3 % der Schweizer Gesamtbevölkerung. Das Tessin wird ständig nur unter „ferner liefen“ angeführt. Während sich die Westschweiz gelegentlich Gehör verschafft, auch in den Medien der Deutschschweiz, kann das Tessin froh sein, wenn tatsächlich an diesen Teil der Schweiz gedacht wird. Uns ist bereits früher aufgefallen (vgl. Blogwiese), dass beispielsweise die Webseite von Eidgenössischen Einrichtungen wie die Münze, swissmint.ch, nur auf Deutsch, Französisch und Englisch existieren. Fehlanzeige für Italienisch:

    Swissmint nicht auf Italienisch
    (Quelle Foto: swissmint.ch)

    Nur einzelne Sachtexte sind dort auf Italienisch übersetzt als PDFs herunterladbar.

  • Studium auf Deutsch oder Französisch?
  • Da es im Tessin nur eine kleine Universität mit 1800 Studenten gibt, die zudem 2400 Franken pro Semester kostet, stehen die Tessiner Maturanden (mit „d“ wie in „Randgruppe“), so heissen die nicht ganz unreifen Abiturienten in der Schweiz, vor der Wahl, ob sie Französisch lernen und in Lausanne studieren oder nach Zürich gehen, dort Deutsch lernen und studieren. Wer z. B. Tierarzt werden möchte, dem bleibt nur die Option Bern (70 Plätze) oder Zürich (80 Plätze), denn nur dort ist ein Studium der Veterinärmedizin möglich.

  • Ein eigener Fernsehsender für nur 956 Tausend Zuschauer

  • Interessant ist ein Zahlenvergleich der Leistungen des Deutschschweizer Senders SF und des italienischen TSI, veröffentlicht unter unserer Lieblingswebadresse srgssrideesuisse.ch. Irgendwie treibt uns dieser tolle Name immer ein „Lächeln“ auf die Lippen.
    (vgl. Blogwiese)

    Demnach produziert TSI mit 1‘028 Mitarbeitern für 202 Mill. Franken 3273 Stunden Eigenproduktionen. SF brauchte nur 831 Mitarbeiter aber 509 Mill. Franken für 3038 Stunden. Wenn man bedenkt, dass TSI mit seinem ersten Programm bis zu 183‘000 Menschen erreicht, und SF1 aber 2‘8 Millionen Zuschauer, kostet folglich das Programm pro Zuschauer und Jahr im Tessin 1’103 Franken, in der deutschsprachigen Schweiz nur 180 Franken.

    Was folgern wir sonst noch daraus? Dass die Löhne in Zürich höher sein müssen als im Tessin wenn 200 Angestellte weniger 300 Mill. Franken mehr verbraten? Oder dass die Menschen im Tessin fleissiger arbeiten um 200 Stunden mehr zu produzieren? Wir werden uns hüten vor solchen nicht belegbaren Schlussfolgerungen! Was die Zuschauer angeht, da nehmen wir an, dass ganz Norditalien TSI guckt, weil ständig der Anblick von blonden langbeinigen „Silicon Valley Donne“ nicht zum Aushalten ist.

  • Mit Hochdeutsch kommt ein Tessiner nicht weit
  • Was wir von Freunden und Bekannten aus dem Tessin immer wieder erzählt bekommen, ist ihre Frustration darüber, dass sie mit ihren mühsam gelernten Hochdeutsch in der Deutschschweiz nicht weit kommen. Sie müssen mehrfach darauf bestehen, eine Antwort auf Hochdeutsch zu erhalten, bzw. beginnen nach einiger Zeit wie viele Romands mit dem Studium der Schweizerdeutschen Alltagssprache in der Migros-Clubschule.

  • Nur Italienisch? Kein Problem
  • Anderseits erzählte mir ein Italiener in Bülach, dass er im Alltag praktisch ohne Deutschkenntnisse auskommt. In der Migros geht er an die Kasse, an der eine Italienerin sitzt. Gleiches gilt beim Besuch der Kantonalbank oder bei einem Behördengang. Im Kanton Zürich ist die Gruppe der eingewanderten Italiener so gross, dass das praktisch immer einen Vertreter der ersten oder zweiten Generation in jedem Geschäft oder bei jeder Behörde zu finden ist. Irgendwo müssen sie ja untergekommen sein, die 300‘000 Italiener in der Schweiz.

    Zum Frühstück einen Schweizer anknabbern — Was frisst Sie an?

    Juli 15th, 2010

    (reload vom 22.02.07)

  • Was hast Du ausgefressen?
  • Wenn in Deutschland ein Kind etwas Dummes angestellt hat, dann sagt man von ihm, es habe „etwas ausgefressen“. Niemand denkt an Kuchen oder andere Leckereien, die vielleicht ursprünglich „aufgefressen“ wurden, als der Hunger besonders gross war. Essen kann man in Deutschland eine ganze Menge Menschen. So den bekannten „Berliner“, den „Hamburger“, den Bremer bei der Nordsee, den „Amerikaner“ in schwarzer oder weisser Version, aber auch die in Freiburg im Breisgau offerierte „Studentenschnitte“.
    Amerikaner in schwarz oder weiss
    (Quelle Foto: das-rezeptbuch.de)

    Altmeister und Chaos-Comix Zeichner Gerhard Seyfried erfand dann noch in den wilden 80ern die „Bulletten“ neben der „Freakadelle“ ( „Freakadellen und Bulletten, Elefanten Press, Berlin 1979).
    Freakadellen und Bulletten
    (Quelle Foto: Poster aus Seyfrieds Cannabis Collection 2003)

  • Sie Sie auch angefressen?
  • Die Schweizer brauchen das nicht. Wenn sie Hunger verspüren oder eine sonstige Leidenschaft an ihnen nagt, werden sie zu Kannibalen. Sie nagen sich dann selbst an oder werden von anderen Dingen angenagt und sind dann einfach „angefressen“.
    So lasen wir im Tages-Anzeiger vom 03.02.07:

    «Ich denke, man muss bei dieser Arbeit regelrecht vom Schnee angefressen sein

    Vom Schnee angefressen
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Oder hier, ebenfalls im Tagi in einem Artikel über Mädchenfussball:

    Désirée Stäbler bleibt noch ein Jahr. Sie ist die Jüngste im Ausbildungszentrum, 14-jährig. Und fussballhungrig. «Ich bin total angefressen», sagt sie. Fussball sei cool, und die, die Fussball spielten, «sind eben coole Mädchen».
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Auch im Migros-Magazin, das schon lange keine Brücken baut aber aus traditionellen Gründen von vielen immer noch „Der Brückenbauer“ genannt wird, lasen wir:

    Das «Highlight des Tages» sei jedoch die
    Fahrt mit dem Snowboard gemeinsam mit den
    Kollegen hinunter ins Tal. Die freien Tage,
    nutzt der mittlerweile angefressene Boarder
    natürlich ebenso für seinen Sport.
    (Quelle Migros-Magazin 05-2007, S. 8)

  • Wer oder was frisst Sie an?
  • Beim zweitliebsten Nachbarland der Schweizer in Österreich ist das hübsche Wort eher mit einer negativen Bedeutung bekannt. Wir fanden in einem Wörterbuch:
    angefressen bei den Österreichern
    (Quelle: osterarrichi.org)

    Ich bin total angefressen“ kann man laut Google sein von Hunden, von einem Verhalten, von RPGs, von Unihockey u. v. m, aber man sollte immer schön in der Schweiz bleiben dabei. Dieses eidgenössische Fressverhalten hat sich bisher offenbar nicht über den Rhein fortgepflanzt. Anstatt sich von Trendsportarten anfressen zu lassen klagt man dort eher über zuviel angefressene Kilos.