Lassen Sie Haare oder Fäden? — Von guten Fäden, Bürzis, Mäusen, Stutz und Klötzen

Mai 19th, 2010

(reload vom 30.01.07)

  • Keinen guten Faden lassen
  • Vor einiger Zeit berichteten wir über das Adjektiv „langfädig – Faden“ gleichbedeutend mit „Haar“, so wie man hierzulande statt „sich kämmen“ zur Strahlenpistole greift um sich zu „strählen“?

  • Keinen Dutt sondern ein Bürzi
  • Die Haare der Schweizer werden sowieso sprachlich anders behandelt als in Deutschland. Ein gemeiner „Haarknoten“ oder „Dutt“, im Schwabenland und bei modebewusste Schweizern auch „Chignon“ genannt, ist in der Schweiz ein „Bürzi“ oder „Pürzi“. So fanden wir im Variantenwörterbuch den Beleg:

    Ein paar weisse Fäden durchziehen ihr pechschwarzes Haar, dass im Nacken zu einem Bürzi geknotet ist.
    (aus Susan Wyss: „Helle Tage Dunkel Tage“, Zürich, Ringier 1995)

    In diesem Zitat aus einem Schweizer Roman haben wir beides: Das Bürzi und die „weissen Fäden“ mitten im Haar.
    Chignon oder Bürzi?
    (Quelle Foto: flash-coiffure.ch)

    Wer sonst noch keinen guten Faden lässt:

    Keinen guten Faden lassen die Bürgerlichen an den Beschäftigungsprojekten für Sozialhilfebezügerinnen und –bezüger. Sie seien zu teuer, zu phantasielos, von der GGZ zu wenig gut überwacht etc.
    (Quelle: GrünGründlichRot.ch)

    oder hier:

    Und jetzt diese Umfrage. Besteht da nicht die Gefahr, dass sich vor allem jene melden, die am Vertragswerk keinen guten Faden lassen?
    (Quelle: Schweizerische Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband )

  • Sagt das denn in Deutschland niemand?

  • Bei Google-DE liessen sich lediglich Verweise auf Sprichwortsammlungen und Wörterbücher finden. Eine ältere Deutsche sagte mir, dass sie diese Redewendung zwar kennt, aber als „veraltet“ nicht mehr aktiv gebraucht. Da beisst die Maus keinen Faden ab. Auch wenn sie „mausarm“ ist. Übrigens ist auch dies ein echter Helvetismus. Gemeindeutsch wäre dafür „arm wie eine Kirchenmaus“.

  • Munteres Tierreich, wenn es ums Geld geht in Deutschland
  • Warum ausgerechnet Mäuse arm sein sollen, wenn doch der Begriff „Mäuse“ selbst ein Synonym für Geld ist bei den Deutschen. Neben den Mäusen finden sich in Deutschland auch die „Kröten“, „Möpse“, „Flöhe“ oder „Mücken“ als Wort für das Geld. Den Schweizern reicht ein lebloser „Stutz“ hingegen aus, selten mal als „Klotz“ oder etwas „Kohle“ umschrieben.

  • Kein Klotz am Bein, sondern Klötze auf der Bank
  • Ein Klotz ist in Deutschland etwas das behindert, wenn es am Bein hängt und beim Marschieren stört. Der Vers eines Marschlieds geht so: „Klotz. Klotz. Klotz am Bein, Klavier vorm Bauch, wie lang ist die Chaussee? Links ne Pappel, rechts ne Pappel, in der Mitte Pferdeappel, immer noch Chaussee“.
    Im Variantenwörterbuch fanden wir ein Zitat aus der Zeitschrift CASH:

    „Die Nationalbank, der AHV-Fonds, die Suva — Sie mal nachzählen, wie viele Klotz da sinnlos herumliegen“.
    (Quelle: Cash 7.5.1999, zitiert nach Variantenwörterbuch S. 416)

    Ist jetzt der Plural von „Klotz“ die „Klötze„, wie das in unserem Wörterbuch steht? Oder sagt man nur beim Thema Geld in der Schweiz „viele Klotz„, als eine Art geschriebene Dialektform ohne Umlaut? Wir müssen die Frage unbeantwortet lassen und warten auf versierte Kommentare von erfahrenen Klotz-Besitzern.

    Fegen oder wischen Sie? — Über Deutsch-Schweizer Putzvarianten im Alltag

    Mai 17th, 2010

    (reload vom 29.01.07)

  • Varianten beim Putzen
  • Deutsch ist eine plurizentrische Sprache. Es gibt kein einzelnes Zentrum, sondern viele. Es gibt kein „einzig richtiges Deutsch“, sondern Varianten, die von einem gemeinsamen, von allen verstandenen „Standarddeutsch“ abweichen. Wer in mehreren Zentren lebt oder von den Sprechern und Lesern in mehreren Zentren verstanden werden will, tut gut daran, sein Verständnis für diese Varianten zu trainieren. Ein Klassiker dabei sind die Pseudo-Synonyme „FEGEN“ und „WISCHEN“.

  • Fegen oder wischen Sie?
  • Für die Deutschen ist „fegen“ eine trockene Angelegenheit. Es wird mit einem Besen gefegt, es gibt sogar einen Beruf dazu, den uns Wikipedia so erklärt:

    Straßenfeger ist
    eine Berufsbezeichnung für zumeist städtische Angestellte, die mit Kehrschaufel und Besen Straßen und Fußwege reinigen. Oft übernehmen Straßenfeger auch Arbeiten der Stadtgärtnerei. In der Schweiz werden Straßenfeger Strassenwischer genannt.
    (Quelle: Wikipedia)

    Mit dem letzten Satz kommen wir direkt zur Schweizer Version vom Feger, den „Wischer“.

    Während die Deutschen den „Wischer“ als „Scheibenwischer“ bei Regen kennen und damit immer viel Wasser assoziieren, ist „wischen“ in der Schweiz ein Vorgang OHNE Wasserverbrauch. In Deutschland wird grundsätzlich mit Wasser gewischt, der Wischeimer ist mit Wischwasser gefüllt. Unser Variantenwörterbuch vermerkt zum Stichwort

    WISCHEN: A D, aufwaschen AD-mittel-ost, putzen A CH D (ohne nordost), fegen CH, aufnehmen [den Boden] nass/feucht aufnehmen CH D-nord, feudeln D-nord (den Boden) mit einem feuchten Tuch reinigen.
    (Quelle: Variantenwörterbuch DeGruyter-Verlag, S. 880)

    Ganz schön kompliziert! Deutlich wird, dass nur in der Schweiz „fegen“ als Synonym für das feuchtes Wischen vorkommt, und das feudale „feudeln“ bei den Eidgenossen offensichtlich unbekannt ist. Es sei denn, es wurde mal in der Lindenstrasse erwähnt oder bei Stefan Raab und gelangte so in den passiven Wortschatz der Schweizer.

  • Die Kehrmaschine ist eine Wischmaschine
  • Als Jugendlicher wohnte ich im Ruhrgebiet an einem innerstädtischen Marktplatz, der jeden Mittag von einer grossen „Kehrmaschine“ gesäubert wurde. In der Schweiz ist das logischer Weise eine „Wischmaschine“. Aber einen „Wischmopp“ kennen die Schweizer dennoch nicht.
    Der deutsche Wischmopp
    (Quelle Foto: sign-lang.uni-hamburg.de)

  • Wenn im Fernsehen ein Strassenwischer gezeigt wird

  • An was haben Sie jetzt gedacht, als Sie diese Überschrift lasen? Wie kann man sich nur eine Dokumentation über die Stadtreinigung ansehen? Dann sind sie Deutscher. Für die Schweizer ist ein „Strassenwischer“ das, was in Deutschland als „Strassenfeger“ im übertragenen Sinn gebraucht wird:

    Strassenfeger oder Strassenwischer:
    der umgangssprachliche Ausdruck für ein Ereignis, das sehr viele Menschen in einem größeren Umkreis zur gleichen Zeit an einen bestimmten Ort zieht und die Straßen leert. In der Regel wird der Ausdruck für beliebte Fernsehserien verwendet, die sehr hohe Einschaltquoten erzielen. Im deutschen Radio waren die ersten Straßenfeger die Hörspiele mit dem Durbridge-Detektiv Paul Temple (gesprochen von René Deltgen). Darauf folgten die entsprechenden Durbridge-TV-Verfilmungen in den 1960er-Jahren.
    (Quelle: Wikipedia)

    Als der ehemalig Cultur-Club Star Boy George wegen eines vorgetäuschten Einbruchs von einem Richter zu gemeinnützigem Arbeiten in New York verurteilt wurde, stürzten sich die Paparazzi auf das Motiv „Strassenwischer“, der jedoch bei der Arbeit fegt, und nicht wischt.
    Der Strassenwisch wischt nicht sondern fegt
    (Quelle: espace.ch)

    Interessant an diesem Artikel ist die gleichzeitige Verwendung von „fegen“ und „wischen“. Wenn schon vom „Strassenwischer“ die Rede ist, sollte auch das Verb „wischen“ verwendet werden, und nicht „fegen„. Entweder traute hier der espace.ch Redaktor seinem Sprachvermögen nicht, oder jemand hat nachträglich den Artikel redigiert.
    Lassen wir uns vom Duden das Wort „fegen“ erklären:

    fegen:
    Das landsch. Wort für »(mit dem Besen) kehren« ist bes. nordd., aber auch südwestd. und schweiz.; doch gilt es im Süden meist für »scheuern, (nass) wischen«. Mhd., mnd. vegen »fegen, putzen« ist ablautend verwandt mit mniederl. vāgen, aisl. fāga »reinigen, glänzend machen, schmücken«.
    (Quelle: duden.de)

    Ob der rüde Satz: „Du kriegst gleich eine gefegt“ auch überall verstanden wird, so ganz ohne Duden?

  • Leuwagen oder Fegbürste?
  • Zum Fegen verwendet man in der Schweiz eine „Fegbürste“, also einen Schrubber mit oder ohne Stiel, und in Norddeutschland den „Leuwagen“, welcher den Schwaben sicherlich genauso unbekannt ist wie ein „Strupfer/Schrupfer“ (Süddeutsche/Schweiz. Variante von Schrubber) in Hamburg.
    Der Duden sagt: Leuwagen, der; -s, – ( nordd. für Schrubber)

    Fazit: Es gibt noch viel zu lernen putzen, und immer schön sauber bleiben!

    Haben Sie auch genug Pfupf? — Neues aus dem Schweizerdeutschen Alltag

    Mai 10th, 2010
  • Pfupf muss man einfach haben
  • Wir lasen in unserem Lieblingsfachblatt für das angewandte Schweizerdeutsch der Gegenwart, dem Tagesanzeiger vom 10.05.2010 über den neuen Mister Schweiz Jan Bühlmann:

    „Der neue Schönste aller schönen Schweizer ist noch zu haben. Kandidatinnen sollten mit Vorteil blond sein, Sommersprossen und einen gewissen „Pfupf“ haben, wie es Mama Astrid ausdrückt“
    (Quelle: Tagesanzeiger vom 10.05.2010, S. 14)

    Ob sie damit meint, dass sie sich eine Bordell = Puffbesitzerin für ihren Jan wünscht? Wer sonst hat einen Pfupf, sprich Puff? In der Schweiz sind das gar nicht so wenige. Ein Motorad zum Beispiel hat „Pfupf“:

    „(…)kauf dir ne Africa Twin. Zuverlässig, genug Pfupf auch auf AB’s, ordentliche Bremsen, günstig im Unterhalt…
    (Quelle: www.mototreff.ch)

    Google.ch verzeichnet 574 Ergebnisse für den Ausdruck „genug Pfupf“ haben. In der Personalzeitung der Stadtverwaltung Winterthur lasen:

    „Schlapp am Pult, kein Pfupf im System?“

    Kein Pfupf im System
    (Quelle: www.infodienst.winterthur.ch)

    Mit „Pfusch“ wird das nichts zu tun haben, den man in Deutschland oft bemängelt, denn der Kontext hört sich ganz anders an. Motorräder, Mitarbeiter, auch bei Pferden kann der Pfupf fehlen:

    „Kannst sie mal reiten kommen wenn sie Hafer bekommen hat, dann weist Du warum… Sie hat ohne Hafer schon genug Pfupf
    (Quelle: Reitkalender.ch)

    Ob das der „Pfeffer im Hintern“ ist, den wir man in Deutschland manchmal vermisst? Oder ein schnöder „Pfiff“, der mit einem „U“ im Wort zum „Pfuff“ mutiert bzw. verschweizert wurde?
    Unser Lieblingswörterbuch der Deutschen Sprache, das von den Gebrüder Grimm, kennt den Pfupf an sich nicht, dafür aber das Verb „Pfupfen“:

    PFUPFEN, verb. was puffen STALDER 1, 165: mädi glich einer lebendigen schlüsselbüchse, pfupfte den ganzen tag, that aber niemand weh. GOTTHELF Uli der pächter (1859) 195.
    (Quelle: Grimms Wörterbuch „)

    Sie pfupfte den ganzen Tag“, schrieb der Schweizer Dichter Jeremias Gotthelf in „Uli der Pächter“. Ganz schön pfupfig, dieses Schweizerdeutsch.

    Muni ist keine Munition — Ein Bulle nur in Deutschland?

    März 15th, 2010
  • Wenn ein Bulle auf einen Muni schiesst
  • Wir lasen auf News.ch am 7.01.2010

    Polizei erschiesst wildgewordenen Muni
    Eschenbach SG – Nach einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd ist in Eschenbach SG ein wildgewordener Muni auf der Flucht erschossen worden. Das Tier war von einem Tiertransporter gesprungen, hatte eine Polizeisperre durchbrochen und war in einen Wald geflüchtet. (bert/sda)
    (Quelle: news.ch)

    Muni? Ist das nun ein Maultier oder ein Muli oder Esel? Der freundliche Nachbar in der S-Bahn nach Zürich weiss Bescheid: „Das ist ein Rind“, genauer gesagt ein „Stier“, kein Ochse. Und richtig, im Variantenwörterbuch aus dem De Gruyter Verlag steht auf S. 514

    „Muni CH der; – s, – s Bulle D, Zuchstiere
    (Quelle: Variantenwörterbuch)

  • Warum heisst der Bulle in der Schweiz „Muni“?
  • Warum der so heisst? Wir denken da an eine einfache Eselsbrücke: Das Tier trägt die „Munition“ für viele weitere Bullenkinder grad bei sich, schweizerdeutsch „auf sich“, obwohl „unter sich“ eigentlich korrekter wäre. So voller „Muni“ ist de Bulle, dass er auch „Muni“ heissen darf. Der Muni von Eschenbach wurde leider erschossen, mit Muni(tion).

    Ein Muni ist ein Stier
    (Quelle: Filomenal.ch)
    Auf dem Blog „Filomenal.ch“ finden wir eine genauere Erklärung, was ein Ochse, ein Stier und ein Muni ist:

    Der Ochse ist ein kastrierter Stier. Meist werden sie im Alter von wenigen Wochen kastriert. Dies ist vor allem für die extensive Mast, da das Muskelwachstum im Gegensatz zum Stier langsamer ist und nicht so viel Kraftfutter benötigt.
    Der Stier ist ein Muni und umgekehrt. Meist spricht man im Bernbiet generell vom Muni. Für die KB (künstliche Besamung) eingesetzten männlichen Tiere werden aber meist als Stier bezeichnet, auch im Schweizerdeutschen. Die meisten Stiere gehen in die Munimast. Ein junger Stier ist ein Munikalb.
    (Quelle: Filomenal.ch)

  • Kein Bulle sondern der Schmier
  • Interessant finden wir am Eintrag im Variantenwörterbuch, dass „Bulle“ mit D wie Deutschland versehen ist, es sich bei diesem Wort also nicht um ein Wort der gemeinsamen Standardsprache, sondern um eine nur in Deutschland übliche Variante für „Rind“ handelt. Ob Schweizer wirklich nicht „Bulle“ sagen? Es findet sich diese Buchstabenfolge noch in der Ortsbezeichnung „Bulle“ (bei Freiburg). Den Begriff „Bulle“ kennt jeder Schweizer ansonsten garantiert dank des grenzüberschreitenden Bildungsauftrags von SAT1 und ORF in Form der Krimiserie „Der Bulle aus Tölz“ (wurde im März 2009 nach dem Tod der Hauptdarstellerin Ruth Drexel eingestellt).

  • Varianten für Bulle
  • Ähnlich wie für das Wort „arbeiten„, findet sich im Züri-Slängikon (das kräftig Anleihen bei vielen weiteren Mundarten zu machen pflegt) eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Herren Polizisten in der Schweiz anders zu betiteln. Ganz vorn ist auch ein aus Deutschland geliehener „d Bulle“ dabei:

    d Böögge, d Buebe in Blau, d Bulle, d Bullerei, d Luusbuebe, d Polänte, d Polüüpe, d Pozilei, d Rännleitig, d Schmier, d Schmier isch läufig (bei hoher Polizeipräsenz), d Trachtegruppe, d Zolipey, da mues es es Näscht haa (an jeder Ecke eine Kontrolle), eini, wo s Gäld uf de Strass verdient (Politesse), en bewaffnete Briefträger, en bewaffnete Pöschtler, en Blaue, en blaue Briefträger (Busszettel-Verteiler), en Bobby (engl.), en Buse-Scheriff (Politesse), en Chappe-Gloon (engl. Clown), en Chappe-Maa, en Chugelschriiber-Pilot, en Flic (franz.), en Flüügende (Polizist auf Motorrad), en Gorilla-Blauarsch, en Hilfs-Sheriff (Polizist, der nur Bussen verteilt), en Landjeger, en Lang-Fing-Fang (ein Langfinger-Fänger), en Lang-Fing-Fang-Wau (Polizeihund), en Länzgi (Landjäger), en Politschugger, en Polyp, en Schandarm (franz.), en Schlumpf, en Schlumpf (Polizist in Demo-Montur), en Schmierlappe (Streifenwagen), en Schmierlatz, en Schrooter, en Schugger, en Stadtmusikant, en Tschugger, en Zolipischt, es Blauröckli, es isch Bulle-Wätter (an jeder Ecke eine Kontrolle), es Streifehörnli, es Zädel-Lisi (Politesse), Klavier spile (sich Fingerabdrücke abnehmen lassen), Lang-Fing-Fang-Pang (Dienstwaffe), Polizischtli-Lumpechischtli
    (Quelle: Slängikon)

    Finnisch für Anfänger mit der NZZ

    März 11th, 2010

    (reload vom 4.7.07)

  • Kein Hubschrauber sondern ein Helikopter
  • Aus der NZZ, dem ehrwürdigen Flaggschiff im Kampf zur Erhaltung der wahren helvetischen Sprache, haben wir viele interessante Schweizer Varianten gelernt in den letzten Jahren. Im Mutterhaus in der Falkenstrasse unweit vom Bellevue in Zürich wird streng darauf geachtet, dass kein „Hubschrauber“ die Redaktion verlässt, sondern nur ein „Helikopter“, dass niemand ins „Krankenhaus“ sondern ausschliesslich ins „Spital“ kommt, und dass die Bücher für den Leseabend nicht aus der „Bücherei“ sondern aus einer „Bibliothek“ ausgeliehen werden.

  • Gring aahii u secklä
  • In der Ausgabe vom 28.12.06 überraschte uns die NZZ nun in einer Glosse über Billigtickets der schweizerischen SWISS unter dem Titel „Ettikettenschwindel“ mit einem waschechten Finnisch-Kurs. Wir lasen:
    Gring aahii u secklä

    Lektion Nummer 1: Nicht immer ist drin, was draufsteht.
    Lektion Nummer 2: „Gring aahii u secklä“, denn der Flug wartet nicht. Immerhin warnt die Homepage von Blue1, dem finnischen Billigflieger, davor, zeitlich knapp am Flughafen zu sein.
    (Quelle NZZ 28.12.06, S. 9)

  • Finnisch hat viel Doppelvokale
  • Das muss Finnisch sein. Ist ja auch ein finnischer Billigflieger, der hat für Übersetzungen keine Zeit und erst recht kein Geld. Typisch und leicht erkennbar im Finnischen sind die gedoppelten Vokale wie in „aahii“ und die Konjunktion „u“.
    Finnisch erfreut sich in der Schweiz grosser Beliebtheit, wie die folgenden Beispiele beweisen. Nur mit der Schreibung scheinen sich die Schweizer Finnisch-Fans nicht immer ganz einig zu sein. Oder sind das etwas finnische Dialekte, die hier unterschiedlich verschriftet werden? Mal heisst es „abä“, mal „aahii“, mal „abe“ oder achä.

    Gring abe
    Gefunden haben wir dies via Internet in der „Jungfrau-Zeitung“, das Blatt für die unverheiratete Schweizer Frau.
    (Quelle:jungfrau-zeitung.ch)

    Oder hier:
    Gring achä
    (Quelle toscatours.ch)

    Schliesslich hier:
    Gring abä
    (Quelle complex-change.com)

    So weit, so gut. Nur leider ist das doch kein Finnisch, sondern ein geflügeltes Wort in der Schweiz, dass es sogar zu einem eigenen Wikipedia-Eintrag gebracht hat:

    Gring ache u seckle
    Nach dem Gewinn der Bronzemedaille an der Weltmeisterschaft 1997 beantwortete Weyermann die Frage, was sie während des Endspurts des Laufs gedacht hatte, mit den berndeutschen Worten Gring ache u seckle, auf deutsch Kopf runter und rennen. Der Ausspruch entwickelte sich in der Schweiz schnell zum geflügeltem Wort, als Synonym für durchbeissen.
    (Quelle: Anita Weyermann auf Wikipedia)

  • Die Menschen in Greng hatten dicke Köpfe
  • Zum Wörtchen „Gring“ oder „Greng“ gibt es ebenfalls ein paar wilde Theorien, die die Herkunft erläutern sollen. Naheliegend scheint uns die Herkunft vom kleinen Namen des Ortes „Greng“, der im Kanton Fribourg, liegt:

    Die Entstehung des Wortes Gring kann nicht genau zurückverfolgt werden. Es lässt sich allerdings vermuten, dass diese Bezeichnung vor etwa 100 Jahren entstanden ist. Ausserdem könnten die Bewohner des freiburgischen Dorfes Greng (Schweiz) Greng genannt worden sein. Daraus könnte sich später im bernischen Dialekt das Wort Gring entwickelt haben.
    (Quelle: Wikipedia)

    Uns erinnert das Wort an „Grind“, zu dem Grimms Wörterbuch meint:

    GRIND, m.
    Sand, Schorf, Kopf; die Bedeutungen 1 u. 2 gehören zweifellos zusammen (…)

    Bei Grimm fanden wir auch ein mögliche Erklärung, wie das Dorf Greng (am Südufer des Murtener Sees gelegen) zu seinem Namen gekommen sein mag:

    GRINDEL, m.
    ein Pfahl, ein Baum von mittler Stärke
    Campe s. v. grendel; grendel paxillus
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Pfahlbauten am Seeufer waren in stürmischen Zeiten äusserst beliebt und halfen gegen nasse Füsse genauso wie gegen unerwünschte Besucher.

    Wikipedia erwähnt zwar die Pfahlbauten in Greng, führt aber den Namen auf „Grangia“ = Scheune zurück:

    An den Ufern des Murtensees wurden Spuren von Pfahlbauten aus dem Neolithikum gefunden. Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes erfolgte 1314 unter dem Namen Gruein; 1349 erschienen die Bezeichnungen Gruent und Grangiis (von lat. grangia (Scheune) abgeleitet).
    (Quelle: Wikipedia)

  • Daheim im Blätzlidechi-Land
  • Die Gegend südlich des Neuenburger Sees heisst zwar „Seeland„, ich würde es aber passender als als „Flickenteppich-Land“ bezeichnen. Die Schweizer würden „Blätzlidechi“ dazu sagen. In keiner anderen Gegend der Schweiz verlaufen die Kantonsgrenzen so chaotisch, gibt es soviele „Kantonsinseln“ wie hier. Die Schweizer sprechen von „Enklaven„:
    Fleckenteppich-Land
    Wenn man dort mit dem Velo, Bike oder Fahrrad unterwegs ist, überquert man praktisch alle paar hundert Meter eine Kantonsgrenze. Der Kanton Vaud, Fribourg, Neuchâtel und Bern hatten in der Vergangenheit sicherlich ziemliche Mühe, sich auf eine einheitliche Grenzziehung zu einigen. Wir stellen uns vor, was das für die Schulkinder dort bedeutet, die von Dorf zu Dorf andere Ferien haben. Wie das mit den Behördengängen abläuft oder Bewilligungen, wenn z. B. ein Hof auf einer Kantonsgrenze liegt. Erschwerend kommt hinzu, dass quer durch dieses Gebiet auch noch der Röstigraben mit der Sprachgrenze verläuft.