Gute Büezer müssen nicht büssen — Von Malochern, Bosselern und andern Menschen

Februar 24th, 2010

(reload vom 12.12.06)

  • Gute Büezer müssen nicht büssen
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 25.11.06 auf Seite 5:

    „Bis Ende der 80er-Jahre wusste in der Schweiz kaum jemand, dass es Kosovo-Albanien gibt“, sagt Ueli Leuenberger, grüner Nationalrat aus Genf und Migrationsfachmann. Die Albaner galten als gute Büezer, waren ruhig und machten keine Probleme.

    Gute Büezer

    Moment bitte, für was mussten sie dann eigentlich büssen? Oder haben wir hier erneut einen bedeutungsunterscheidenden Diphthong übersehen. Hat Büezer mit Büsser gar nichts zu tun?

    Der „Büezer“ findet sich bei Google-Schweiz 24.000 Mal. Er findet sich in der NZZ:

    Das Komitee, das sich als Anwalt der einfachen Büezer versteht,
    (Quelle NZZ 9.7.05)

    genauso wie im Tages-Anzeiger:

    Ihre Initiative ist sicher toll. Aber was konkret bringt mir kleinem Büezer diese Initiative?
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 21.11.06)

    Unser Variantenwörterbuch kennt neben dem Büezer natürlich auch die Büezerin:

    Büezer, Büezerin CH, der: -s, -bzw, die; – , -nen (Grenzfall des Standards): HACKLER A-ost, MALOCHER D-mittelwest „Arbeiter(in)“: Unfrohe Kunde kurz vor Weihnachten für 700 Büezer in Pratteln. Ihre Fabrik soll anscheinend geschlossen werden (Blick 12.11.99,1)

    Die „Büez“ wird auch als „der Krampf“ (oder „Chrampf“, zur Unterscheidung vom Waden-Krampf) bezeichnet, während in D-mittelwest „Maloche“ für anstrengende Arbeit oder Schufterei gebräuchlich ist. Das Schweizer Wörterbuch von Kurt Meyer kennzeichnet „Büez“ interessanter Weise als „mundartl., salopp“ und bringt die Schreibweise mit „t“ in einem Zitat aus der Nationalen-Zeitung vom 5./6.10.68:

    So nebenbei hatte das Personal der Waldenburgerbahn in siebenjähriger Büetz [!] von Grund auf einen Wagen gebastelt“.

    Das eingefügte Ausrufezeichen soll andeuten, dass auch Kurt Meyer geschockt war über diese Schreibweise. Aber bitte schön, die richtige Verschriftung eines Schweizerdeutschen Wortes ist doch immer noch die Sache des Schreibers! Er entscheidet, ob mit oder ohne „t„, ob mit einem oder zwei „ü„, ob mit oder ohne „e“ hinter dem Umlaut. Wer will sich denn da gleich echauffieren! Das müssen wir ganz entspannt und gelassen sehen, solange es kein Deutscher ist, der dort versucht „Büez“ zu schreiben…

  • Hugo Boss war kein Chef
  • Der bekannte schwäbische Herrenmodenhersteller Hugo Boss, mit Sitz in Metzingen, hat sich diesen Namen nicht ausgesucht, weil er gern auch im anglo-amerikanischen Markt seine Anzüge mit „Chef-Image“ verkaufen wollte. Nein, das „Boss“ in seinem Namen stammt vom schwäbischen Wort „Bosseler“ = Arbeiter. Bosseln ist im Schwäbischen eine Variante für „arbeiten, handwerken“ und hat nichts mit einem „big boss“ zu tun.

    Grimms Wörterbuch sagt dazu:

    uf den ganzen menschen, so von leib und seel, von gar zwo widerwertigen naturn ist zusamen gbosselt. FRANK spr. 2, 121b; sonntags nach dem gottesdienst, ja da posselt man so was kleines für sich selbst zurecht. FR. MÜLLER 3, 113; doch was soll dichtung, scene, idylle? musz es denn immer gebosselt sein, wenn wir theil an einer naturerscheinung nehmen sollen? GÖTHE 16, 21; der held deiner posttage, sagt er, ist ein wenig nach dir selber gebosselt. J. P. Hesp. 4, 166; die theatermaske, die ich in meinen werken vorhabe, ist nicht die maske der griechischen komödianten, die nach dem gesicht des gespotteten individuums gebosselt. war. Tit. 1, 72. diese bedeutung mahnt auch an bosse, entwurf, larve, bossieren. SCHM. 1, 298 hat posseln, posteln, pöseln, pöscheln, kleine arbeiten verrichten. posteln (vgl. nachher bosten, bosteln) erinnert an basteln
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Ganz entfernt findet sich also ein Spur von „bosseln“ noch in „basteln“, wie es nun zur Weihnachtszeit so beliebt ist und immer in gleich in Arbeit ausartet. „Bosser“ ist in Frankreich auch ein Wort für „arbeiten„, ob es vielleicht von Napoleons Truppen im Schwabenland zurückgelassen wurde?

    So bosseln die Bosseler und chrampfen die Büezer und malochen die Malocher, und jeder auf seine Art. Ist es nicht wundervoll, wie viele Wörter es für anstrengende Tätigkeiten gibt?

    Das Züri-Slängikon verzeichnet 28 Begriffe für „arbeiten“:

    aaschaffe, ackere, ad Seck gah, Batzeli verdiene, bügle, chnuppere, chnüttle, chrampfe, chrämpferle, chrüpple, d Stämpel-Uhr beschäftige, Freiziit vergüüde, grüble, hacke, i d Hose stiige, in Bou gah, in Bunker gah, in Stolle gah, maloche, noddere, pickle, Raboti mache (Anlehnung ans Russische), rackere, robottere, rüttle, s Bättle versuume (zu wenig verdienen), schufte, tängle, wörke (von engl. to work)
    (Quelle: Slängikon)

    Sogar die Malocher aus dem Kohlenpott haben es sprachlich bis nach Zürich geschafft! Na dann: „Glück auf“.

    Schlötterlinge können nicht weinen — Hängen Sie auch manchmal einen Schlötterling an?

    Januar 28th, 2010

    (reload vom 20.11.06)

  • Neues aus der Schweizer Dichtung
  • Wir wurden von einer Übersetzerin gefragt, was denn bitte schön ein „Schlötterling“ sei. Wir waren sprachlos. Ob das eine fantasievolle Wortkreuzung aus Schlottern und „Schmetterling“ sein kann?

    Sie hatte das Wort aus einem Werk des Schweizer Dichters Jürg Amann:

    „Da wir schon einmal bei den Frauen waren, ging ich einen Schritt weiter, durchaus in der Erwartung (…) eines Walserschen Donnerwetters oder Schlötterlings, und fragte (…)“
    (Quelle: Amann, Verirren 116)

    Es muss etwas Unangenehmes sein. Und wirklich, die Erklärung findet sich in Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch:

    Schlötterling, der; -s, -e (mundartnah) eine anzügliche Bemerkung, ein derbes Spottwort.

    Sogar ein Zitat aus der NZZ wird dort genannt:

    Will man unter Demokratie das Recht verstehen, jedem Beliebigen an der Landsgemeinde Schlötterlinge anzuhängen, dann ist das … ein arger Missbrauch (NZZ 1965, Nr. 1804)
    (Quelle: Schweizer Wörterbuch, S. 227)

  • Schlötterlinge in der Poesie
  • Auch in Carl Splitters Gedicht „Olympischer Frühling“ findet sich dieser Ausdruck:

    Und wippten trotzig mit dem Strauß von Haselnuß,
    Denn, ohne wen zu ärgern – nicht wahr? – kein Genuß.
    War niemand, der im Abendrote sich erging,
    Der keinen Anwurf oder Schlötterling empfing.
    (Quelle: Projekt Gutenberg)

  • Schlötterlig ohne n
  • Im gesprochenen Dialekt verliert der Schlötterling leicht sein „n“ und mutiert zum „Schlötterlig„. Wir befragten eine ausgewiesene Kapazität des Schweizerdeutschen zu diesem Wort. Hier die Stellungnahme:

    Är het mer e Schlötterlig aaghänkt!“ heisst frei übersetzt: „Er hat mir ,Brehms Tierleben nachgeworfen‘“ oder „er hat mich mit einem Schimpfwort bedacht“. Meistens wird „Schlötterlig“ mit „anhängen“ benützt. Wenn die Konfrontation lange gedauert hat, „het är mir e ganze Cheib vou Schlötterlige aaghänkt“.„Einen Cheib voll“ = einen Haufen.
    (Quelle: private E-Mail)

    Wir wussten nicht, dass man „Brehms Tierleben“ auch gut werfen kann und werden uns gleich nächstens ein paar Exemplare antiquarisch besorgen um damit Ziel- und Weitwurf zu üben.

  • Schlötterling hat was mit Schnoddernase zu tun
  • Laut unserer Lieblingsquelle „Grimms Wörterbuch“ hat das Wort „Schlötterling“ etwas mit dem Schnupfen an der Nase zu tun:

    SCHLÖTTERLING, m. schweiz. im sinne von herabhängender rotz STALDER 2, 331, vgl. schlemperling sp. 628, schlenkerer, schlenkerling sp. 636; die redensart einem einen schlötterling anhenken (STALDER a. a. o., SCHM. 2, 537) zeigt, dasz schlötterling die bedeutung von schlötterlein annahm; vgl. noch HUNZIKER 224. SEILER 256a.
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

  • Schlötterling on Ice
  • Auf 10 vor 10 wurde sogar der Begriff in einem Beitrag im Zusammenhang mit den Beschimpfungen von Eishockeyspielern auf dem Spielfeld erwähnt:

    Viele Spieler der Schweizer Eishockey-Meisterschaft begeben sich verbal aufs Glatteis. Wie Müll werfen sie dem Gegner wüste Worte an den Kopf, um ihn zu verunsichern. Trashtalk nennt man das im amerikanischen Eishockey. Schlötterling on Ice.
    (Quelle: 10 vor 10 vom 22.03.05)

    Falls wir in Zukunft mal ein Problem haben, werden wir nur noch mit Schlötterlinge um uns werfen bzw. diese anderen anhängen. Denn Sie wissen ja: Schlötterlinge können nicht weinen! Das ist so wahr wie „Dänen lügen nicht“.

    Gegen ist in jeder Gegend was anderes — Vom Gegenmehr und Gegenbericht

    Januar 25th, 2010

    (reload vom 15.11.06)

  • Was steht „gegen 9000 Leute“
  • Wir haben schon häufiger an dieser Stelle die Wichtigkeit des Satzanfanges in der Schweizer Schriftsprachenvariante erläutert. Zu unseren absoluten Lieblingsformulierungen gehören das immer wieder kehrende „für einmal“, oder die in jedem dritten Artikel des Tages-Anzeigers verwendete „Bereits ist es geschehen“ Formulierung am Satzanfang. Jetzt sind wir über ein weiteres Wörtchen aus dieser Kategorie gestolpert.

  • Was heisst eigentlich „gegen“?
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 11.11.06 in einem Artikel von Marlène Schnieper aus Jerusalem:
    Gegen 9000 Leute versammelten sich am Freitag auf dem Campus der Hebräischen Universität in Jerusalem“.

    Gegen 9000 Leute
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 11.11.06.)

    Verunsichert, ob uns hier nicht unser eigenes Sprachgefühl erneut einen Streich spielt und wir einem stinknormales Standardwort aufgesessen sind, befragten wir den Duden:

    gegen: (bei Zahlenangaben) der angegebenen Anzahl od. Menge wahrscheinlich sehr nahe kommend; ungefähr: es waren gegen 100 Leute anwesend.

    Kein „Schweiz.“? Nicht mal ein klitzekleines „südd.“ oder „österr.“? Also schauten wir ins Synonymwörterbuch:

    circa, [in] etwa, rund, um, ungefähr, vielleicht, wohl; (österr.): beiläufig; (bildungsspr.): präterpropter; (ugs.): Pi mal Daumen/Schnauze, schätzungsweise, so, über den Daumen gepeilt, um … herum.

    „Präterpropter“ kannte ich nicht für „Pi mal Daumen“. Klingt proper. Was man auf Latein nicht alles schön umständlich ausdrücken kann. Dort steht auch ein kleines „österr.“! Aber vielleicht hilft uns direkt die Google-Suche weiter. Wir probieren in Google-CH und in Google-DE verschiedene Varianten von „Gegen 1000/2000/3000/4000 Leute“. Und tatsächlich bestätigt sich unser Anfangsverdacht. Alle Spuren der Verwendung von „gegen“ im Sinne von „circa, ungefähr“ führen in die Schweiz. Beispiel „gegen 1000 Leute“ (Google-Schweiz) 1´480 Funde:

    Beispiele:

    Gegen 1000 Leute haben dem Spektakel beigewohnt. Sie haben fantastische Leistungen der Sportler gesehen.
    (Quelle: race-inn.ch)

    Böse Zungen behaupteten, dass sich die Einladung an alle richtete, die ADSL buchstabieren können – so drängten sich denn auch gegen 1000 Leute um die Buffets und Bars.
    (Quelle: Blogg.ch)

    Funde in Deutschland belegen „gegen“ nur im Sinne „als Gegner“. Persönliches würde ich „gegen“ mit Zeitangaben verwenden: „Gegen drei Uhr bin ich bei Dir“, aber bei der Formulierung „gegen 1000 Leute“ doch an ein massives Polizeiaufgebot denken, dass sich da gegen eine Menschenmenge stellt.

    Oder bin ich da zu empfindlich? Ich finde die Formulierung „gegen plus Zahl“ nicht schlecht oder niedlich oder sonst wie komisch. Sie ist mir einfach nur aufgefallen. Aber vielleicht fange ich wirklich langsam an mit ungesunder sprachlicher Haarspalterei, je länger wir in der Schweiz leben.

  • Vom Gegenmehr und vom Gegenbericht
  • Die Schweizer verwenden „Gegen“ sonst noch in Kombination mit dem „Mehr“ als „Gegenmehr“, den „Gegenstimmen in einer offenen Abstimmung“ (Variantenwörterbuch S. 280) und im „Gegenbericht“. Den lernt man in der Schweiz kennen, sobald man seinen ersten Kontoauszug von der Bank zugeschickt bekommt. Denn die freundlichen Menschen von der Bank hätten dann gern so einen „Gegenbericht“. Sie sollten sich dann allerdings hüten, ihrer Bank einen ausführlichen Bericht aus ihrer Gegend zu schicken. Oder ihrerseits berichten, was sie alles so dagegen einzuwenden haben. Es sei denn, es bezieht sich auf die Kontoauszüge. Ein „Gegenbericht“ ist eine „Rückmeldung“:

    „Ohne Ihren umgehenden Gegenbericht werden wir uns erlauben, Ihnen ein ganzes Dutzend zu liefern“ (Rutishauser, Geschäftsbriefe 80)
    (Zitiert nach Variantenwörterbuch S. 280)

  • Lieber rechtzeitig gegenberichten
  • Solche Geschäftspraktiken sind selbstverständlich illegal, passieren aber häufig. Seit Monaten kriege ich eine Zeitschrift, für die ich im Sommer kurz ein Probeabonnement bestellt und bezahlt hatte. Ohne dies aktiv zu verlängern oder mich über die beabsichtigte Verlängerung zu informieren, kamen immer weitere Exemplare der Zeitschrift. Damit nicht demnächst noch eine Rechnung eintrifft, habe ich jetzt „Gegenbericht“ erstattet und die Abonnementsverwaltung darüber informiert, dass es sich hier um einen Irrtum handeln muss, ich nie etwas bestellt habe und darum bitte, die kostenlosen Zusendungen zwecks Kostendämpfung und Minderung meines Papiermüllaufkommens einzustellen. Mal sehen, ob die sich jetzt bei mir bedanken werden. Vielleicht mit einem weiteren Probe-Abo?

    Dort hingehen, wo es blaue Flecken gibt — gestossen voll

    Januar 8th, 2010

    (reload vom 1.11.06)

  • Wer sich stösst kriegt einen blauen Fleck
  • Wenn eine Lokalität in der Schweiz gut besucht wird, dann ist es dort voll. Sehr voll. So voll, dass man sich sogar den ein oder anderen schmerzhaften Stoss einfangen kann und sich fühlen darf, wie ein Eiswürfel im Martini von James Bond, welcher gerüttelt, aber nicht geschüttelt wird, und so im Glas herumgestossen wird. Dann spricht der Schweizer von „gestossen“ voll.
    Wir lasen in der Pendlerzeitung 20Minuten vom 23.10.06 auf Seite 3

    Der Laden war gestossen voll“

    1270 Mal fand wir „gestossen voll“ bei Google-CH, gegenüber nur 84 Mal bei Google-DE, wobei sich auch das ein oder andere „ich bin darauf gestossen. Voll gut find ich das“ darunter verirrte.
    Im Internet finden sich weitere Belege:

    Dazu folgende Szene: Der Saal ist gestossen voll. Aber ausgerechnet die Plätze neben dem sehbehinderten Ehepaar bleiben leer.
    (Quelle sbv-fsa.ch)

    Oder hier ein Beleg aus dem Zürcher Unterländer:

    Die Elternschule Bülach hat ins Forum Schwerzgrueb eingeladen. Der Raum ist gestossen voll.
    (Quelle: zuonline.ch)

  • Nicht stossend aber brechend
  • Was würde man in Deutschland sagen? Der Raum war „brechend voll“. Wird er gleich brechen? Oder muss er sich etwa „er-brechen“? „Brechend voll“ findet sich bei Google-DE 101.000 Mal , 100 Mal weniger bei Google-CH.

  • Wer bricht und wer stösst lieber?
  • Offensichtlich hat man Deutschland eher Angst, dass ein Saal, eine Kneipe, ein Zug oder eine sonstige beengte Räumlichkeit „bricht“, wenn sie „brechend voll“ ist, während man in der beengten Schweiz das „Anstoss erregende“ Wörtchen „stossend“ auch kombiniert mit „voll“ als Beschreibung für beengte Verhältnisse verwenden kann.

  • Stossen wir an darauf oder „dringe ma eima“? Alla guot.
  • Die „Lallers, vom Leben und Sterben einer badischen Familie,“ war eine SWR3-Comedy-Serie aus dem tiefsten Schwarwald, und die Familienmitglieder vereinten sich stets am Ende einer Folge zum „Anstossen“ mit dem Ruf „Dringe ma eima? Alla Guat!“. Original Radio-Comix auf Badisch-Alemannisch mit den Lallers gibt es hier zu hören.

    Heute schon mit grosser Kelle angerichtet?

    Januar 6th, 2010

    (reload vom 27.10.06)

  • Vom Agravolk zum Häuslebauer
  • Die Vorfahren der Schweizer dienten mit Spiessen bewaffnet als Söldner im Ausland oder waren daheim im „Agrarsektor“ tätig. Das bestätigten unsere sprachlichen Beobachtungen. Es wird hierzulande mit „gleichlangen Spiessen“ gekämpft , das “Heu auf der gleichen Bühne gelagert“ oder „der Mist geführt“, wenn nicht gleich alles „verhühnert“. Doch diese glorreichen Zeiten sind lange vorbei. Aus den ehemaligen Söldner und Bauern wurde solide „Häuslebauer“ und Maurer, denn wenn sie heute in der Schweiz aus dem Vollem schöpfen und sich besonders grosszügig zeigen wollen, dann müssen sie nicht Kaviar und Champagner auftischen oder doppelseitig geschmierte Butterbrezeln wie im Schwabenland, nein, dann greifen Sie am besten zum Speisseimer (nicht zum Essen, weil gefüllt mit Zement) und richten „mit grosser Kelle“ an.

    Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 19.10.06 auf Seite 2

    „Vor allem Uri und das Wallis haben mit der grossen Kelle angerichtet“.

    Mit grosser Kelle angerichtet

  • Was hast Du schon wieder angerichtet?
  • Etwas „angerichtet haben“ kann ja auch sehr negativ verstanden werden, wenn die Mutter das Kind fragt: „Na, was hast Du wieder angerichtet?“. Hier geht es aber wirklich um das Vorbereiten und Präsentieren von leckeren Speisen, am besten auf der „Anrichte“, wenn mit „grosser Kelle angerichtet“ wird.

    Das findet sich auch schon mal bei der Beschreibung eines Cadillacs im Tages-Anzeiger:

    Mit grosser Kelle angerichtet
    Damit der Escalade selber auch höhere Sphären erklettern kann, ist er permanent über alle vier Räder angetrieben, 60% der Kraft hinten, 40% vorne.
    (Quelle: Tagesanzeiger.ch)

    Die Kelle kann auch mal „allzu gross“ geraten:

    Die Kommission hat sich vergewissert, dass, nachdem mit allzu grosser Kelle angerichtet worden ist, nun Reformarbeiten abgeschlossen sind und die neue Führung überzeugt.
    (Quelle: gleichstellung.bl.ch)

    Das „Schweizer Wörterbuch“ von Kurt Meyer, das übrigens nicht mehr als Duden-Band, sondern jetzt wieder neu im Verlag Huber erhältlich ist, meint dazu:

    Kelle, die. *mit der grossen Kelle anrichten: grosszügig, nicht sparsam wirtschaften.

    Wir lernen daraus: Nimm eine kleine Kelle und bau sparsamer dein Haus. Dass es mit einer kleinen Kelle auch länger dauert, steht auf einem anderen Blatt. Denn „viel hilft viel“, das wissen wir alle. Doch nicht immer ist hier von der Maurerkelle die Rede, auch eine simple Suppenkelle zum Austeilen von Suppe kann gemeint sein. Wenn die kleiner ist, dauert es länger und es gibt weniger Suppe, folglich wird gespart!
    Eine Kelle sieht so aus:
    Eine Kelle
    (Quelle Foto: degewo.de)

    Aber auch das ist eine Kelle:
    Holzkelle
    (Quelle Foto tempora-nostra.de)

    Und dann gibt es da noch diese Kelle:
    Polizeikelle
    (Quelle Foto: oktoberfest.de)

    Die sieht man übrigens in der Schweiz erstaunlich oft im Berufsverkehr. Die Verkehrskontrollen bei Autobahnauffahrten, in der Agglo von Zürich, an Ausfallstrassen sind hier üblich und finden regelmässig statt. So regelmässig, dass es uns wundert, warum es sich hier überhaupt jemand traut, ohne Sicherheitsgurt (in der Schweiz gilt das „Gurtenobligatorium“!) oder mit Handy am Ohr durch die Gegend zu fahren. Mag sein, dass wir es einfach nicht wahrgenommen haben, als wir noch in Deutschland lebten, aber bis auf die garantiert regelmässigen Alkoholkontrollen in der Karnevalszeit können wir uns an keine Verkehrskontrollen durch die Polizei erinnern.

    Natürlich sieht es an der Autobahn nach Holland anders aus. Dort wird schon mal eine 100% Kontrolle durchgeführt . Auf den Autobahnen werden Raser und Drängler durch die Autobahnpolizei überwacht in Deutschland. Nur diese regelmässigen Verkehrskontrollen, einfach so, täglich wechselnd an bestimmten Stellen im Stadtgebiet, das war etwas Neues für uns in der Schweiz. Und dann gibt es halt die grosse Kelle mit dem roten Licht zu sehen, und hofentlich haben Sie dann nichts angerichtet!