Die Tücken mit den tüütschen Tüten — Vorschlag für ein Referendum

April 25th, 2006

Die „Mailbox“ Kolumne von Peter Rothenbühler in der Weltwoche (vgl. Blogwiese) rief natürlich ein paar Leserbriefschreiber auf den Plan. So schrieb Ruedi Iseli aus Benglen:

Herrn Rothebühlers Deutschtümelei finde ich nicht nur peinlich, sondern auch befremdend. Seit die «Meteo»-Ansager(innen) Schweizerdeutsch reden, kommen sie locker und sprachgewandt daher.
(Quelle: Weltweoche Nr. 16.06)

Und die Zuschauer haben ihren Spass beim munteren „Werweissen“, um welche Dialektregion es sich jeweils handelt. Warum das eigentlich nicht jeweils eingeblendet wird: „Heute auf Walliserdeutsch“, oder: „Sie hören gerade eine durchwachsene Mischung Berndütsch-Solothurndütsch, angereichert mit etwas Baseldütsch“. Oder: „Sie meinen Sie hören Züridütsch? Falsch, es ist Schaffhauserdütsch..“ etc. Doch weiter im Leserbrief heisst es:

Nur eine unbedeutende Zahl von Deutschen und noch weniger Welsche sehen und hören SF1 und SF2 regelmässig. Deutsche wie Welsche belächeln höchstens das holperige Hochdeutsch, das unseren ausdrucksstarken Dialekten unterliegt.

165.000 Deutsche sind allerdings eine „unbedeutende“ Zahl, bei ca. 2.000.000 Ausländern in der Schweiz. Nicht mal 8.2 % sind das, wenn wirklich alle zuschauen. Die restlichen 97.8% machen vorher einen Crashkurs in der Migros-Clubschule. Ob die Deutschen und Welschen allerdings das „holperige Hochdeutsch“ weniger als die „ausdrucksstarken Dialekte“ belächeln, das können wir nicht entscheiden. Uns geht es beim Ansehen von Meteo weniger ums Lächeln als ums Verstehen der Wettervorhersage. Der Spass, wenn wir am nächsten Tag ohne Schirm im Regen stehen, kommt dann ganz von allein, zusammen mit der Schnupfennase.

  • Wettervorhersage im ausdrucksschwachen Hochdeutschen
  • Im ausdrucksschwachen Hochdeutsch gibt es — nebenbei bemerkt — auch ein paar Möglichkeiten, sich über die Art von „Regen“ zu äussern. Es kann „plästern„, „plädern„, „fiseln„, „schiffen“ oder auch ganz drastisch „pissen„, und trotzdem würde niemand im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Deutschlands bei einer Wettervorhersage dieses Vokabular gebrauchen, denn Meteorologen versuchen geradezu akribisch, ihrem stark an Astrologie und Wahrsagerei grenzenden Fachgebiet durch die Verwendung von Fachtermini einen wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen und damit eine grössere Glaubwürdigkeit zu erzielen. Erreicht man dies auch durch Meteo im Dialekt? Doch weiter im Leserbrief von Ruedi Iseli:

    Die klägliche Flucht in die Interpretation von «Deutsch» in der Bundesverfassung ist ebenso weit hergeholt. Nirgends steht «Hochdeutsch», sondern man könnte «Deutsch» der damaligen Zeit mit etwas Fantasie ebenso in «Tüütsch» ableiten.

    Richtig gesprochen, Herr Iseli! Und Sie bringen uns da gerade auf eine ganz kolossale Idee für ein Referendum.

  • Wir wollen Tüütsch!
  • In der Bundesverfassung soll doch bitte bei der Aufzählung der Landessprachen das unleidige Wörtchen „Deutsch“ ganz einfach ersetzt werden durch „Tüütsch“. Das nördliche Nachbarland benennen wir um in „Tüütschland“, den Unterricht in der Schule erteilen „Tüütschlehrer“, etwas anderes kommt doch gar nicht in die TüütscheTüüte. Ob dann die Polizeiautos auf den Strassen noch mit Blaulicht und „Ta-Tüü-tata“ fahren dürfen, oder das auch gleich geändert werden muss, wegen der Verwechslungsgefahr, bleibt zu diskutieren. Gefordert ist hier Fantasie, und schon sind wir die Tücken mit dem ungeliebten Wort „Deutsch“ in allen Varianten los. Der Souverain möge wie immer ganz souverän selbst entscheiden. Die Abstimmungsvorlage dann aber bitte auch nur auf „Tüütsch“ vorlegen, sonst wäre das nicht ganz stimmig bei der „Abstimmig„.

    Der Fünfer und das Weggli — Neue alte Schweizer Redewendungen

    April 21st, 2006
  • Kommt der Rappen aus Rapperswil?
  • Das Ortsbezeichung „Weiler“ [mhd. wīler] kommt laut unserem Duden von mlat. villare = Gehöft, zu lat. villa = die Villa. Also stand einst eine Römervilla, wo heute ein „-Wil“ im alemannischen Siedlungsraum zu finden ist. Der Ort „Rapperswil“ ist somit der Weiler aller Rapper? Oder hat der Name doch nichts mit Musik, aber mit kleinen Geldstücken zu tun? Ganz falsch, denn die Rapperswiler waren ein Ostschweizer Adelsgeschlecht, das um 1200 den Ort Rapperswil SG (es gibt noch eine gleichnamige Gemeinde in BE) gründete und 1238 gleich wieder ausstarb.

  • Woher kommt der Rappen?
  • Die Schweizer haben den Franken und die Rappen. Nicht des „Schusters Rappen“, mit denen man zu Fuss gehen kann, weil es sich bei diesen nicht um schwarze Pferde sondern um Schuhe handelt, sondern die kleinen runden Dinger aus dem Portemonnaie, zu dem die Deutschen seit 1871 lieber Geldbörse sagten. Der Name für die Münze hat allerdings mit schwarzen Pferden gar nichts zu tun:

    Die Bezeichnung „Rappen“ geht ziemlich eindeutig auf einen Ursprung zurück: Der in Freiburg ab dem 13. Jahrhundert geprägte Pfennig zeigte ursprünglich einen Adler, der dann zum Raben mutierte. Dieser Münztyp des (Raben-)Pfennigs war am Oberrhein sehr verbreitet. Im so genannten Rappenmünzbund von 1377 schlossen sich zahlreiche Münzstätten zusammen, darunter der Bischof von Basel auch für seine Münzstätte in Breisach; im Elsass Colmar und Thann; aus der heutigen Schweiz die Städte Basel, Schaffhausen, Zofingen, Zürich, Bern, Solothurn sowie Freiburg im Breisgau und weitere Gebiete im Breisgau und im Sundgau. Das Ziel war, ein einheitliches Münzwesen und damit wirtschaftliche Erleichterung zu schaffen. Der Rappenpfennig war darin die Hauptwährungseinheit.
    (Quelle: Wiki)

    Wenn wir dieses Kapitel der Wirtschaftsgeschichte des Oberrheins lesen, das sich in dieser Gegend nach Verschwinden der Zähringer abspielte, fühlen wir uns mächtig erinnert an die Gründe für die Einführung des Euros: „Einheitliches Münzwesen und damit wirtschaftliche Erleichterung“.

  • Fünfzig Rappen sind kleiner als zehn Rappen
  • Eine Kuriosität beim Schweizer Kleingeld ist das Phänomen, dass ein ½ Franken, also 50 Rappen, zwar fünf Mal soviel wert ist wie ein Zehn-Rappenstück, aber dennoch einen kleineren Durchmesser hat. Das soll einer verstehen. Diese kleinen halben Franken verlieren sich folglich leicht in der Geldbörse im Portemonnaie.
    50 Rappen sind ein halber Franken
    Das 5 Rappenstück zeigt den Kopf der Libertas , der personifizierten Göttin der Freiheit. Die gute Frau hat übrigens nichts mit der „Helvetia“ zu tun, mit der sie häufig verwechselt wird.
    5 Rappen mit Libertas
    Hier die genauen Masse der Rappenstücke, nur falls Sie sich mal eins selbst aussägen, schnitzen oder giessen möchten:

    5 Rappen Libertas-Kopf (…) Aluminiumbronze 17 mm 1.8 g
    10 Rappen Libertas-Kopf Kupfernickel 19 mm 3 g
    20 Rappen Libertas-Kopf Kupfernickel 21 mm 4 g
    ½ Franken Stehende Helvetia Kupfernickel 18 mm 2.2 g
    (Quelle: Wiki)

  • Warum ist der halbe Franken so klein?
  • Hierzu erhielten wir eine Mail direkt von der swissmint, die wir hier gern zitieren:

    Als im Jahre 1850 das Münzwesen in der Schweiz vereinheitlicht wurde, lehnte sich die neue Münzeinheit der Schweizer Franken eng an das französische Münzsystem. Dabei wurde der Franken wie folgt definiert: 1 Schweizer Franken = 5 Gramm Silber 900/000 fein. Da anfänglich alle Frankennominale vollwertig ausgeprägt wurden, bestand ein halber Franken demzufolge aus Silber 0,900 und war 2,5 Gramm schwer. 1875 wurde der Feingehalt des 1/2-Franken-Stückes auf 0,835 reduziert und die Prägung damit zur Scheidemünze (nicht vollwertig ausgeprägte Münze – das Gewicht blieb gleich), seit 1968 ist der Halbfränkler aus Kupfernickel (Gewicht 2,2 g). Seine Abmessungen sind seit Beginn unverändert.

  • Wenn der Fünfräppler 6 Rappen kostet
  • Auf den Fünfer wird abgerundet oder aufgerundet in der Schweiz, denn 1 Rappen-Stücke gibt es im Alltag so gut wie keine mehr. Die waren einst aus Bronze und hatten einen Durchmesser von 16 mm.

    Swissmint evaluiert zur Zeit, ob der Fünfräppler (5-Rappen-Münze) abgeschafft werden soll, da die Produktion einer 5-Rappen-Münze 6 Rappen kostet und die Münze bei der Bevölkerung eher unbeliebt ist. Als Gegenargument wird die zwingende Preisänderung genannt, da die Preise mit grösster Wahrscheinlichkeit aufgerundet würden.
    (Quelle Wiki)

    Am 13. April schrieb der Tages-Anzeiger dann, dass der Fünfräppler doch nicht abgeschafft werden soll, anders als der Einräppler, welcher zum 1. Januar 2007 aus dem Verkehr gezogen wird. Wir haben ihn ehrlich gesagt noch nie gesehen.
    Fünfräppler bleibt im Portemonnai

  • Fünfer und Weggli
  • Der Fünfer ist übrigens eine sehr begehrte Sache in der Schweiz. Zusammen mit dem Weggli, das wir in Deutschland als Brötchen, Schrippen, Semmel oder auch Wecken kennen, je nachdem in welchem hochdeutschen Gebiet wir unsere fein geschliffene und vor allem stets mit Politur gepflegte Sprache gerade sprechen. Alle wollen den Fünfer und das Weggli haben. Es finden sich bei Google-Schweiz 151 Fundstellen zu dieser Formulierung
    Es ist eine Art von Politik:

    Dies ist eine klassische Fünfer und Weggli-Politik auf dem Buckel der Mieterinnen und Mieter.
    (Quelle sp-zug.ch)

    Eine universelle Lösung für viele Probleme:

    Auf der Suche nach der Fünfer-und-Weggli-Lösung sind wir nun einen Schritt weiter gekommen.
    (Quelle: kocherhans.ch)

    Das wäre die Fünfer-und-Weggli-Lösung gewesen, nämlich eine staatliche Unterstützung ohne Staatseingriffe.
    (Quelle: parlament.ch)

    Oftmals finden wir noch ein „das“ dabei:

    Der Fünfer und das Weggli
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Auch umgedreht:

    Nein, Sie wollen „das Weggli und den Fünfer
    (Quelle: zuonline.ch)

    So könnten wir munter weiter Quellen zitieren, denn für „Fünfer unds Weggli“ gibt es bei Google noch 22 weitere Belege.
    Und für „Fünfer und das Weggli“ sogar 517 Stellen! Aber wir lassen es, denn sonst mutieren wir noch zur „Googlewiese“, und stattdessen war ja genfreie Genialität vorhergesagt für heute.

  • Aber was heisst denn nun dieser Ausdruck?
  • Sie müssen diese Kombination mögen, die Schweizer. Wir mögen eigentlich lieber Marmelade und frische Butter auf dem Wecken, dem Brötchen. Aber hier geht es ja nicht darum, den Fünfer mit dem Weggli zu essen. Nein, der Ausdruck bedeutet: Man kann nicht alles haben. Wer das Weggli kaufen möchte, muss den Fünfer hergeben. Frei nach dem alten Motto: „Wenn Du nie was ausgibst, kannst Du auch nie was sparen!

    Das zeigt uns, aus welcher alten Zeit diese Redewendung stammen muss. In Deutschland hätten wir als entsprechende Redewendung nur anzubieten:

    Man kann keinen Kuchen backen ohne Eier zu zerbrechen.

    Das gibt es auch auf Englisch

    You can’t have your cake AND eat it, too.

    Merke: Wir Deutschen denken an Kuchen und Eier, wenn wir beides haben wollen, und die Schweizer hingegen an Geld (zuerst) UND an was zu essen. So einfach ist das.

    Wenn der Traktor über Bord geht

    April 20th, 2006

  • Ein Bord hinunter stürzen ist nicht über Bord gehen

  • Wir entdeckten in einer Meldung der Polizei Basel-Landschaft:

    Am Freitag, 24. Februar 2006, um 10.00 Uhr, stürzte ein Traktor am Steinrieselweg in Brislach BL rund fünf Meter ein Bord hinunter. Der Fahrer blieb unverletzt.
    (Quelle: bl.ch)

    Wir machen uns natürlich Sorgen bei dieser Meldung, ob auch dem Lenker nichts zugestossen ist? Vielleicht ist er ja verbogen, in dem Fall? Besonders spannend finden wir an dieser Meldung die Bezeichnung „ein Bord“, denn das war uns bisher nur in ganz anderen Kontexten bekannt.

  • Mann über Bord, Tassen auf das Bord
  • Nämlich in der Seefahrt, wenn jemand „über Bord“ geht, und sich dann im Meer wiederfindet, in der Hoffnung, dass seine Kollegen „an Bord“ ihn wieder rausfischen werden. Oder in der Küche, wenn wir Tassen auf „ein Bord“ stellen, welches wir dann Neudeutsch „Cupboard“ nennen. Oder wir stellen sie im Wohnzimmer auf unser schickes neues „Sideboard“.

    Die Polizeimeldung berichtet weiter:

    Ein 29-jähriger Traktorfahrer war mit der an dem Gefährt angebrachten Schaufel damit beschäftigt, den Steinrieselweg, eine Naturstrasse, zu planieren. Plötzlich bemerkte der Mann, dass bei der Schaufelaufhängung ein Bolzen lose war. Er hielt auf der abfallenden Strasse an und wollte Nachschau halten. Weil er die Handbremse zu wenig stark angezogen hatte, machte sich der Traktor selbstständig und stürzte rund fünf Meter das Bord hinunter.
    (Quelle: bl.ch)

  • Haltet die Nachschau!
  • Auch die Nachschau haben wir noch nie gehalten, bisher kannten wir nur die „Nabelschau“. Wenn man die Nachschau nicht hält, läuft sie dann weg? Immerhin finden wir 63 weitere Belege für „Nachschau halten“ bei Google-Schweiz. Auch in Österreich und Deutschland ist diese Formulierung beliebt, mit Vorliebe taucht sie aber in Schweizer Berichten auf.

    Beim auf der Seite liegenden Traktor lief ein wenig Dieselbenzin aus, welches von der Feuerwehr Brislach aufgenommen wurde. Der Traktor konnte durch den von der Polizei Base-Landschaft aufgebotenen Abschleppdienst in einer spektakulären Aktion wieder auf die Strasse gehoben wurde.

    Andere Städte nehmen Flüchtlinge auf, manche Führungskräfte auch die Arbeit. Hier wird zur Abwechslung mal Dieselbenzin nicht entsorgt oder abgesaugt, sondern aufgenommen. Na klar, es hatte sich ja in der Zwischenzeit auch mit dem Erdreich verbunden. Das der Abschleppdienst nicht einfach bestellt oder geholt, sondern in der Schweiz gleich „aufgeboten“ wird, fiel uns zum Schluss gar nicht mehr auf. Hier dreht sich ständig alles ums „Aufgebot“ , da fällt ein Abschleppwagen mehr oder weniger auch nicht ins Gewicht.

    Nicht das wir uns jetzt als Deutschtümler oder ewige Sprach-Nörgler bezeichnen lassen. Die Meldung der Polizei-Basel (die im Original Text zur Base-Landschaft mutierte, kann mal passieren, bei soviel Säuren und Basen, welche dort in der Chemie produziert werden) ist sprachlich absolut einwandfrei, aber gleichzeitig ein ganz typisches Exemplar Schweizer Schriftsprache, erkennbar am „Bord“ und am „aufbieten“.

  • Was heisst „Bord“ in der Schweiz
  • Wir finden die Antwort im Variantenwörterbuch auf Seite 130:

    Bord CH das; -(e)s, -e/Börder:
    kleiner Abhang, Böschung
    ,
    aufgeworfener oder abschüssiger Rand:
    „Die Wucht des Aufpralls katapultierte [das] Auto zuerst gegen das Heck eines Lieferwagens und schleuderte es danach das Bord hinunter (NLZ 3. 10.2001, Internet)

    In „Gemeindeutschen“, wie das Variantenwörterbuch die Standardsprache nennt, sind nur „Schiffsbord“ und „Ablagebrett an der Wand“ bekannt. Und wenn die Deutschen vom „Bordstein“ oder der „Bordkante“ reden, dann meinen sie den Schweizer „Trottoirrand“.

    Es gibt auch noch die Varianten „Bachbord“ (das nicht mit dem „Backbord“ des Schiffes verwechselt werden darf), „Bahnbord“, „Strassenbord“, „Wegbord“ und, was uns ganz besonders freut, das „Wiesenbord“! Auf keinen Fall darf man an das hübsch Wort „Bord“ noch die Endung „-ell“ anfügen, denn dann ändert es gleich ungemein seine Bedeutung.

    Darf es etwas mehr sein? — Weniger als auch schon

    April 16th, 2006
  • Neu alte Schweizer Redewendungen
  • Wir lasen im Blick-Online vom 7.4.06

    Die Schweizer „gügeln“ weniger als auch schon

    (Quelle Blick-Online)

    Über das „gügeln“ hatten wir uns gestern geäussert (vgl. Blogwiese), wenden wir uns nun der wunderschönen Formulierung „weniger als auch schon“ zu.

  • Is auch schön!
  • Es handelt sich hier um ein sprachliches Kuriosum der ganz besonderen Art. Die Bestandteile sind reines Schriftdeutsch, allein die Kombination der Wörter gibt uns Rätsel auf. Rätsel, die sich mit den üblichen Nachschlagewerken wie Duden oder Variantenwörterbuch nicht knacken lassen. Leider haben wir unseren wiederaufgelegten Duden-Schweiz (von Kurt Meyer) noch nicht erhalten, obwohl er ab dem 1. April ausgeliefert werden sollte. Vielleicht war es doch nur ein Aprilscherz? Wie schrieb der Leser MaxH noch zum nicht mehr lieferbaren alten Duden-Schweiz:

    Das ist ein echtes Schätzchen… dieser Duden, den gibt es gebraucht bei Amazon uk! Und kostet (ist als “low price” ausgewiesen!) 58,60 PFUND! Für ein Duden Taschenbuch! Ich denke, das Buch gibt es nicht, weil alle Schweizer sich eines in ihr Bankschließfach gelegt haben. Ca. 150% Wertzuwachs in drei bis vier Jahren, das macht kaum eine andere Anlageform! Link zum gebrauchten Duden bei Amazon hier
    (Quelle: Kommentar MaxH)

    Versuchen wir doch einmal, uns dem Satz „weniger als auch schon“ analytisch zu nähern. Das „schon“ am Ende ist der merkwürdige Teil. Vielleicht ist es eine abgekürzte Form von „zu Schonzeiten“ (des zu jagenden Wildes) oder „schon früher Mal“, oder „als auch schon wieder weiss ich nicht, wann das war“. Jedenfalls gibt es 235 Belege für diese Formulierung bei Google-Schweiz.

    Darunter der Tages-Anzeiger:

    Alles in allem wächst der Ausländeranteil weiter, wenn auch weniger als auch schon. Ende Mai lebten gut 1,5 Millionen Ausländerinnen und Ausländer hier, gut 1 Prozent mehr als ein Jahr vorher.
    (Quelle tagesanzeiger.ch vom 17.8.2005)

    Die Aargauer Zeitung v. 6.12.2005

    Dass Drogen konsumiert werden, wissen wir. Die gefundene Menge ist aber um einiges tiefer als bei der letzten Razzia im April. Ich habe nichts anderes erwartet: Dass Drogen im Umlauf sind, aber weniger als auch schon.
    (Quelle: züristyle.ch)

    Sogar die NZZ, sonst immer vorsichtig bei der Verwendung von Helvetismen:

    40 000 Zuschauer, weniger als auch schon, drohten am Samstag in kollektive Trauer zu versinken, weil Andreas Buder als Siebenter der Beste des ÖSV-Teams war.
    (Quelle: nzz.ch vom 23.01.06)

  • Spielen Schweizer auch mit Sprache?
  • Wir fragen uns langsam, warum wir diese Formulierung nicht früher entdeckt haben. Ob es einfach nur eine „Verballhornung“ von Sprache ist? Ein Wortspiel, das sich irgendwann verselbständigt hat? Es erinnert stark an so hübsche Ausrufe wie „je höher des fall“, oder „je tiefer desto platsch“, die auch mit radikaler Sprachreduktion arbeiten. Ausserdem denken wir bei dem Satz „als auch schon“ schnell an die qualitativ und quantitativ hochgradig wertvollen Urteile von alten Damen aus dem Ruhrgebiet, die auf die Frage, wie ihnen ihr letzter Urlaubsort gefallen hat, stets die Antwort parat haben: „Da is auch schön!?“, wobei die Stimme am Ende des Satzes leicht fragend und empört angehoben werden muss.

  • Von weitem näher als von schön
  • Auch dieser hübsche Ausdruck würde in die erwähnte Reihe passen. Natürlich ist das hier eine einfache Verdrehung des Satzes: „Von weitem schöner als von nah“, geäussert als höflich verklausulierte Beurteilung der Schönheit einer Vertreterin des weiblichen Geschlechts. Doch der Witz besteht gerade darin, die Verdrehung und nicht das Original zu äussern. Jetzt müssen wir passen und das Feld den gewieften Schweizer Linguisten und Sprachlehrern überlassen, denn wir „kommen einfach nicht draus“, ob es sich bei „weniger als auch schon“ um einen grammatikalisch und semantisch vollständigen Nebensatz handelt, oder ob es eine neue Entwicklung ist, mit Sprache zu spielen, die sich einfach verselbstständigt hat. Beobachten kann man das bei der häufig geäusserten Floskel „in keinster Weise“. Ursprünglich ein Witz, dann als „Elativ“ vollkommen akzeptiert, wie wir beim werten Kollegen Zwiebelfisch Bastian Sick hier nachlesen dürfen.

    Gügeln, googeln oder kübeln?

    April 15th, 2006
  • Gügeln Sie auch manchmal?
  • Uns wurde von einem Aussendienstmitarbeiter ein sensationeller Aufmacher aus dem BLICK zugeschickt:
    Gügeln oder Googeln?
    (Quelle: blick.ch vom 7.4.06)

    Natürlich sticht in diesem Aufmacher sofort das Verb „gügeln“ ins Auge, es wird ja sogar durch original Schweizer «Anführungszeichen» als „nicht ganz schriftfähig“ gekennzeichnet. Wir denken bei dem Wort gleich an unsere Lieblingsbeschäftigung. Nein, die ist nicht „Saufen“, so wie sie jetzt meinen, sondern „Googeln“, welches mit 827.000 Einträgen bei Google selbst gar nicht so schlecht vertreten ist . Könnten wir doch gleich mal die Häufigkeit gewisser Tätigkeitsverben bei Google untersuchen:
    Saufengibt es 3 Millionen Mal, nur damit Sie beruhigt sind.
    Bumsenkommt 9 Mill. Mal vor, das synonyme Wort mit fi.. am Anfang 17 Mill. Mal
    Denken“ finden wir 66 Mill. Mal,
    Arbeiten“ 105 Mill. und
    Lernen“ 112 Mill. Soviel zum intellektuellen Anspruch von Webseiten. Wie oft „Sex“, „Liebe“ und „Computer“ bei Google vorkommt, müssen Sie jetzt selbst nachschauen. Sie wissen ja, wie man googelt.

  • Gügeln heisst googeln?
  • Wir finden nur 28 Belege für „gügeln“, alle scheinen eine Eindeutschung von „googeln“ zu bezeichnen. Nur ein Beleg bei Google-Schweiz weisst eindeutig in die Richtung „saufen“, so wie sie der BLICK-Aufmacher meinte.

    Das heisst für uns, dass nur die Schweizer dieses Wort im Sinne von „saufen“ gebrauchen, und dass diese Verbform mächtig unter Druck kommt durch die Neuschöpfung „googeln-gügeln“. Rein lautlich erinnert uns das Wort an „kübeln“, und das ist auch in Deutschland eine salopper Ausdruck für „schnell viel trinken“. Es kann ausserdem „wie aus Kübeln schütten“, und wenn jemand nicht trinkt sondern „kübelt“, dann verwendet er dazu meist ein etwas grösseres Glas, vielleicht sogar einen Kübel, damit es schneller geht, bis er keinen Bock mehr hat aufs Kübeln und zum Küblböck wird. „Kübeln“ ist nämlich in Deutschland auch die Gegenbewegung, wenn das soeben Getrunkene wieder nach draussen will. Aber jetzt wird das irgendwie unästhetisch.

    Nur in der Schreibung „gügele“ finden sich mehr 70 Belege bei Google-Schweiz.

  • Gugeln ist sehr alt
  • Diese Schreibweise findet sich bereits im Wörterbuch von Grimm:

    GUGELN, vb., um sich schlagen: mit den geberden, mit dem rauhen scharren, poltern, drowen, sawr sehen, mit händen und füszen guglen und zittern vor zorn C. HUBERINUS viertzig predig (1567) G 1a, wohl dasselbe wort, das heute noch als gügeln im schwäbischen gebräuchlich ist, besonders in der verbindung das herz gügelet mir hüpft vor freude; unklar ist der einmal belegte reflexive gebrauch: also (wie beim turmbau zu Babel) tuend vil der layen hie, die gügeln sich gar hoch enbor und wissend nit die rechte spor HERMAN V. SACHSENHEIM mörin 4378 Martin; das wort begegnet auch in den nachbarmundarten: gügelen vor zorn zittern STAUB-TOBLER 2, 159; gügeln schaukeln HALTER Hagenau 155; als gugen schwanken, schaukeln SEILER Basel 153; MARTIN-LIENHART 1, 204.
    (Quelle: Grimm)

    Die Schwäbische Variante „das Herz gügelet mir vor Freude“ finden wir besonders appart.

    Der eigentlich Fund für uns in diesem Artikel auf Blick-Online ist jedoch der Teil nach dem Wörtchen «gügeln»: Weniger als auch schon. Das erklären wir dann morgen!