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Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 6) — Kommen Sie raus oder bleiben Sie drin?

  • Vom Rauskommen und Drinbleiben
  • Wenn ein Schweizer Kind zu einem Freund sagt: „Kommst Du raus?“, in meinem laienhaften Unverstand transkribiere ich das jetzt mal ganz naiv mit „Chrumsch ruus?„, dann will es nicht wissen, ob das andere Kind nach draussen kommt zum Spielen, sondern vielmehr, ob das andere Kind das Problem verstanden hat und die Lösung kennt.

  • Aus einer vertrackten Situation einen Ausweg finden
  • Ich komm nicht raus“ sagen also die Schweizer nicht, wenn sie Stubenarrest haben oder daheim das Bett hüten müssen, sondern sobald sie etwas nicht verstanden haben. Wenn ich diesen Satz höre, dann pflege ich kurz und bündig darauf zu entgegen: „Dann bleib doch drin“.

    Wenn auch Ihr Kind eines Tages „nicht mehr raus kommt“ bei einem Problem und Sie um Hilfe bittet, dann ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass es sich in der Schweiz mit der Zeit perfekt akklimatisiert hat.

    Wir fragen uns dennoch, woher sie wohl stammen mag, diese absolut wunderbare Redewendung „nicht rauskommen„. Gab es da in den Frühzeiten der Schweiz eine Geländeübung im Sumpf oder im dichten Unterholz, bei der es galt, möglichst schnell „raus zu kommen“ aus dem braunen Dreckloch, aus dem pieksenden Unterholz? Das würde zu einer weiteren typisch Schweizer Nationalsportart passen, dem „Orientierungslauf„.

  • Laufen und Plan lesen
  • Das kennen Sie nicht? Nun, es ist ein Mischung aus Dauerlauf und „Wer kann am schnellsten den Falkplan entziffern ohne nach dem Weg fragen zu müssen„. Gibt es hier in der Schweiz regelmässig Meisterschaften zu. Falls Sie sich mal bei einer Wanderung in einem Schweizer Wald verlaufen haben sollten, und sie kommen an einem solchen Fähnchen vorbei,
    Posten für den Orientierungslauf

    dann brauchen Sie sich nur daneben stellen und warten. Über kurz oder lang wird ein Läufer mit Orientierung vorbeigelaufen kommen, und den können Sie dann einfach nach dem Weg fragen. Der hat unter Garantie auch ein Karte und einen Kompass dabei. Und wenn Sie extrem gut in Form sind, laufen Sie ihm einfach hinterher. So finden Sie dann wieder raus aus dem Wald.

    Die Gewinner der Schweizer Meisterschaften in OL werden dann nach Tokyo geschickt zu einer kleinen spassigen Stadtrally. Denn in Japan gibt es keine Strassennamen und Hausnummern, und fragen kann man dort auch niemanden. Welcher Japaner versteht schon Schwiizerdütsch? Das ist dann sozusagen der „Ironman des Orientierungslaufes„:

    In Tokyo laufen keine zwei Strassen parallel, keine einzelne geradeaus. Außerdem ist der Grund leicht hügelig und um die Orientierung vollends zu erleichtern, gibt es keine Adressen und keine Strassennamen. Du rennst also nicht nur kreuz und quer, sondern auch rauf und runter. (Quelle)

    

    22 Responses to “Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 6) — Kommen Sie raus oder bleiben Sie drin?”

    1. clarissa Says:

      Wo nimmst Du bloss immer Deine Ideen her? *schmunzel*

      Hier (Aargau) wird “Chrumsch ruus?“ übrigens „Chonnsch druus“ gesprochen. Ich wüsste nicht, wo man „chrumsch“ sagt…

    2. Urs Müller Says:

      Lieber Jens
      Du kommst nicht *d*raus! Das heisst „Du chunsch nöd druus“…
      Aber woher das wohl kommt? Da kann ich Dir auch nicht helfen.
      Vielleicht wollten die Schweizer aus dem Unterholz da raus kommen…;-)

    3. Says:

      nö, es heisst:

      chunnsch usë? = kommst du nach draussen

      chunnsch druus? = hast du es verstanden

      …aber vor allem gehts bei der betonung drum, dass ihr deutschen die buchstaben bzw. laute nicht so betont wie auf hochdeutsch. sondern eher auf die lateinische weise… 😉

    4. Thuner Fränzi Says:

      Lieber Jens

      Meine „Vorschreiber“ haben Dich ja nun schon bereits aufgeklärt. Auch wir hier im Bernbiet reden von „chunsch druus?“ = hast Du verstanden? „Ig chume nid druus“ die Antwort. Eventuell. 🙂
      Herrliche Situation! *MEGAGRINS*

      Ich hätte da noch eine lustige Situation beizusteuern – sie betrifft die Worte EIN und AUS.

      „Soll ich Dir ein Bad auslassen?“ („söu ig dir es Bad uselaa?“), so fragte ich damals meinen Stern, als ich zum ersten Mal Deutschland besuchte.
      Er sah mich etwas konsterniert und ungläubig an … hätte ein digitales Leuchtschriftband seine Denkerstirne geziert – na ja, so wirklich hätte ich nicht lesen wollen, was mann denkst.

      Ich habe gelernt: Während ich hier in der Schweiz ein Bad „uselah“ muss ich es in Deutschland EINLASSEN.
      Ig chume nid druus!! 🙂

      Es lebe der kleine Unterschied. Damit wir noch viel zum lachen haben und dem BLOGWIESE die Themen nicht ausgehen.

      Liebe Grüesse von der Frau aus dem Berner Oberland, deren Herzheimat der Ruhrpott geworden ist.

      Herzlichst
      Ds Thuner Fränzi

    5. Administrator Says:

      Moin moin,
      hatte ich nicht deutlich gewarnt vor meinem „laienhaften Unverstand“ bei der Verschriftung von Schweizerdeutsch? Also das „r“ nach dem „ch“ war mein Versuch, das Rachenkratzen zu verschriftlichen, und ein „m“ statt ein „n“ zu nehmen, nun, schreiben wir dies meinen beschränkten apperzeptiven Fähigkeiten zu, mit dreckigen Ohren und so. Aber ich freue mich über alle Korrekturvorschläge und verspreche hiermit, sie in der Zukunft zu beherzigen, wenn ich mal wieder nicht rauskomme sondern lieber drin bleibe.
      Gruss, jens

    6. Marcel Widmer Says:

      Heute morgen: alles ist mit herrlichweissem Schnee, Himmel knallblau, herrlicher Sonnenschein. Und deshalb gilt:
      „Wär bi dem Wätter nöd use chunt, chunt nöd drus!“ *grins*

    7. reidan Says:

      Ich wollte heute auch nicht rauskommen, nachdem ich gestern dank dem perfekten Paar „SBB und Schnee“ vergnügte Stunden auf verschiedenen Bahnhöfen verbracht habe.

    8. geissenpeter Says:

      „Ich komm nicht draus“ posten dann die Schweizer Kids in deutsche Foren – und wundern sich, dass niemand „draus kommt“.

    9. Phipu Says:

      Wunderschön, was wir alles so sagen, und erst merken, dass es typisch schweizerisch ist, wenn es von „dusse“ (draussen) – inkl. Verständnis-Schwierigkeiten – thematisiert wird! Wie lebten wir bloss, vor Aufschalten der Blogwiese? In kompletter Ignoranz. Wir „kamen“ einfach „nicht draus“. (mir sind nöd drus-cho – der Bindestrich steht nur, damit niemand „sch“ liest.)

      Es wurde von diversen Vorkommentatoren bereits erwähnt: Wenn ein Kind also krank ist , „chunnt‘s nöd use“ (kommt es nicht raus) zum Spielen. „use“ (heraus/hinaus) hebt sich akustisch stark von „drus“ (daraus) ab. Im Sommer können die Kinder übrigens wieder „dusse“ (draussen) spielen. Was lernen wir da „drus“? „Drus“ ist also mit „daraus“ zu übersetzen. Nicht dass deswegen der Satz „Jetzt komme ich endlich daraus!“ plötzlich Sinn machen – Entschuldigung an die Puristen – Sinn ergeben würde!

      Es gibt auch die Formulierung „ich komme nicht nach“ (ich chume nöd noche). Die scheint mir verständlich auf deutsch, wird aber wohl trotzdem ein Helvetismus sein. Letztere Version ist wohl eher mit „ich komm nicht mehr mit“ zu übersetzen.

    10. Uhr-Vieh Says:

      So ungewöhnlich finde ich den Ausdruck „draus kommen“ nun auch wieder nicht. Man sagt doch auch im Schriftdeutschen, man habe etwas noch nicht rausbekommen, wenn einem z.B. eine gewünschte Information fehlt.

    11. joramsens Says:

      hey jens, ich habe jetzt auch nen blog! http://www.myblog.de/chaosteenie . ist nicht die suüerlative wie deiner, hat auch noch nicht soviele besucher, es gibt ihn auch erst seit einer woche… schau mal vorbei, würd mich freun, am desin wird noch gearbeitet, ich blick da nicht wirklich durch^^ hab dich aber schon verlinkt :op

    12. Administrator Says:

      Zum Uhr-Vieh,
      um es noch mal ganz klar zu sagen: Es gibt dies tolle Redewendung im Hochdeutschen nicht. „Ich kapiere das nicht“ — „Ich steh auf dem Schlauch“ — „Ich schnalle nix“ — „Ich verstehe nur Bahnhof“ All das kannst Du sagen, aber nicht „Ich komme nicht raus“. Dabei ist es eine total praktische Erweiterung der Deutschen Sprache. Vor allem in der Kurzfassung: „Kommts draus?“ Die will ich auch nicht mehr missen und verwende sie selbst, aber glaubt bloss nicht, dass 80 Millionen Sprecher der Deutschen Sprache das dann auch verstehen werden.
      Gruss, Jens

    13. Janine Says:

      Mir fällt da auch noch ein schönes Wort für draussen ein: Forusse.
      …hüt isches nämli sauchalt forusse… 🙂

    14. Phipu Says:

      an Janine
      Sehr schön bemerkt. Man kann tatsächlich „es isch chalt dusse“ oder „es isch chalt vorusse“ (es ist kalt draussen) sagen. Sinngemäss müsste man „vorusse“ als „draussen vor der Tür“ übersetzen. Auf Deutsch sagt man „aussen vor“. Dies bedeutet auch, dass man z.B. draussen, vor der Tür, bleiben muss (Z.B. die Schweiz bleibt in der EU bis auf weiteres aussen vor).

    15. HaegarCH Says:

      Hin und wieder habe ich schon das Gefühl, dass Jens trotz all den Jahren, die er schon hier ist, noch nicht ganz druus cho isch, dass er die etwas feinen Anfänge der Wörter nicht hört. Aber er hat ja noch Jahre Zeit. Bis in etwa 20 Jahren hat er das auch verstanden. Wie im Englischen hat auch der Schweizer Kurzformen, die er verwendent. Da werden einfach die Begleiter abgekürzt (kann mir jemand sagen wie die Kids heute der, die und das in der Schule nennen müssen. Subjekt, Pronomen???? Chume nöd druus).

      Jedenfall kann es aus zu Berg gehen ein z’Berg go geben. Oder „das Anne-Kätti“ wird zu „s’Anne-Kätti“.

    16. Sylvie Says:

      @haegar
      aber Anne-Kätti ist doch nicht sächlich. Das ist etwas, das mich heute noch verwirrt, dass man von „ES Mutti“ spricht und ihr sozusagen die Weiblichkeit nimmt! 🙂
      Liebe Grüsse
      s`Sylvie

    17. Phipu Says:

      an Hägar
      die Wörter, die du meinst, sind Artikel. Der, die, das = bestimmte Artikel, ein, eine, ein (und in der Mehrzahl „–„) = unbestimmte Artikel.

    18. Nicole Says:

      jajaja..genau. ich sass im büro und war am arbeiten. auf einmal fiel mir auf, das lauter kids draussen rumrennen. und immer einzeln. erst hab ich gedacht, da flüchtet einer, der von seinen schulkollegen vermöbelt wird. aber dann bekam ich die aufklärung, das das ein orientierungslauf von der schule ist. 🙂

    19. Schnägge Says:

      Interessant, was hier alles so rauskommt, da kommt man normalerweise ja gar nicht drauf.

      Bei einer Umfrage zum Verständnis englischer Werbeslogans in Deutschland kam heraus, dass die Douglass-Werbung „Come in and find out“ von vielen Leuten so verstanden wurde, dass sie befürchteten, nicht mehr aus dem Laden herauszufinden, wenn sie erst einmal drin sind. Die sind wohl nicht drausgekommen…

    20. neuromat Says:

      Na ja schnägge, mit dem Coming out ist das wohl auch nicht so einfach

    21. Alexa Says:

      Naja, ich bin mal so zufällig hier rauf gestoßen, ich bin, wohlgemerkt leidenschaftlicher OL-er. xdxDxDxDxd
      Ich hab mich halb totgelacht xd

    22. Peter Says:

      Bei der Sache mit dem Orientierungslauf komm ich auch nicht draus…