Bereits am Satzanfang — Syntaktische Feinheiten der Schweizer Schriftsprache

Oktober 12th, 2009

(reload vom 20.9.06)

  • Bereits ohne alles
  • Seit einiger Zeit beobachten wir in den Schweizern Medien, vor allem im Tages-Anzeiger und in der Nachrichtensendung „10 vor 10“, eine syntaktische Besonderheit, von der wir nicht ganz sicher sind, ob sie nun spezifisch schweizerisch ist oder nicht. Es geht um den Satzanfang mit „bereits“, ohne ein folgendes Zeitwort.

    Beispiel:

    Bereits ist es den USA geglückt, dank der Lancierung der Pipeline Baku (Kaspisches Meer) – Tbilissi (Georgien) – Ceyhan (Türkei) eine Bresche in das russische Monopol beim Öltransport zu schlagen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Oder hier:

    Bereits ist es einigen Programmierern gelungen, auf der PSP raubkopierte Spiele laufen zu lassen
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Der Satz ist nicht falsch, aber irgend etwas fehlt uns hier. Vielleicht ein „Bereits heute“, oder ein „schon jetzt“? Wir haben noch weitere Verwendungen gefunden:

    Bereits ist es möglich, mit Techniken wie der Positron-Emission-Tomographie (PET) die Hirnaktivität beim Auftreten veränderter Bewusstseinszustände nicht nur zu messen, sondern die einzelnen Zustände entsprechenden Hirnregionen zuzuweisen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger, zitiert auf hanflobby.de)

    Auch hier kommt uns das Ganze einfach zu knapp vor. Es fehlt ein „bereits heute“. Beim nächsten Beispiel ist es nur die Reihenfolge, die uns merkwürdig vorkommt:

    Bereits ist es einige Zeit her, dass uns Anna Witzig verlassen hat.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Bei diesem Beispielsatz kommt uns die Wortstellung ungewohnt vor. Wer ein wenig die Augen offen hält und darauf achtet, wird sicher rasch weitere Beispiele finden. Für uns kommt diese Besonderheit der helvetischen Syntax in die gleiche wundervolle Sammlung mit „für einmal“ und „erst noch“ (vgl. Blogwiese).

  • Bereits paranoid?
  • Oder ist das alles gar nichts Besonderes und es findet sich auch massig Verwendungsbeispiele für „Bereits“ am Satzanfang ohne Zeitwort in Deutschland, und ich kriege hier einfach nur die helvetische Paranoia? Bereits spüre ich so ein Ziehen im rechten Ohr. Für einmal gibt es keine Erklärung und erst noch muss ich darüber nachdenken. Bereits ist es spät. In dem Fall bis morgen dann.

    Wie lange knorzen Sie daran schon? — Neue alte Schweizer Lieblingswörter

    Oktober 9th, 2009

    (reload vom 19.9.06)

  • Es knorzt im Tages-Anzeiger
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger, dem Fachblatt für angewandtes Schweizerdeutsch, vom 14.09.06 auf Seite 17:
    Knorzen an der Uni

    Die Uni knorzt am Reglement zu sexueller Belästigung

    Wir dachten zunächst, es handele sich hier um einen Schreibfehler, es sei „knackt“ gmeint. Aber irgendwie klang es nicht schlecht, dieses „knorzt“. Ein bisschen wie „harzt“ (vgl. Blogwiese) . Vielleicht harzt und knorzt es ja manchmal im Duet, so als kleine Waldmusik.

    Muss was Lautmalerisches sein, wenn es knorzt. Es erinnert uns auch an die vielen Wörter für den Brotanschnitt (vgl. Blogwiese), die jetzt sogar der Zwiebelfisch Bastian Sick im Spiegel-Online als Thema entdeckt hat: „Knäppchen, Käuschen, Knörzchen“.
    Knörzchen beim Zwiebelfisch
    (Anfang des Artikels auf Spiegel-Online.de)

    Knust und kein Knörzchen

  • Ob „Knörzchen“ von „knorzen“ kommt?
  • Doch „für einmal“ hat es nichts mit dem vielbenannten Brotanschnitt zu tun, es geht um eine Variante der anstrengenden Art. Sogar unser Duden kennt es:

    knorzen (sw. V.; hat):
    1. (südd., schweiz. mundartl.) sich abmühen, plagen:
    daran knorzen wir schon lange.
    2. (schweiz. mundartl.) übertrieben sparsam, geizig sein.

    Wenn die Uni knorzt, dann plagt sie sich, dann müht sie sich ab. Und das ganz direkt, ohne „sich“ zu bemühen.

    Das Wort ist alt, sehr alt, und schon in alemannischen Quellen um 1219 belegt. Im Schwäbischen Raum beschreibt dieses Wort eine Tätigkeit bei der Traubenverarbeitung. Diese werden mit den Füssen im Trog getreten oder „geknorzt“.

    Grimms Wörterbuch meint:

    KNORZEN,KNÖRZEN,KNORTSCHEN, landschaftlich.
    1) knorzen, kneten, knitschen, quetschen, so schwäb., schweiz. SCHMID 320, z. b. trauben knorzen durch treten im troge STALD. 2, 115. TOBLER 112b: die trauben werden in einem hölzernen trog getreten und geknorzt. (…)

    schaff, wannen, zuber, do die frawen
    teglich eindewen, knorzen und sudeln.
    H. FOLZ von hausrat, fastn. sp. 1219, GÖZ, auswahl von H. Sachs 4, 157;

    Bei den Schweizer geht es nicht um Trauben pressen, sondern ums Wäsche waschen:

    2) schweiz. auch knortschen, knörtschen (…), und knorschen, auch vom manschen, klatschenden reiben, kneten bei der wäsche, vom patschen in nässe und kot. knorschen stellt sich zu knorsen, und das ganze wort könnte denselben ursprung haben wie knorsen, mit dem knitschenden, platschenden klange als begriffskern.

    Und schliesslich die heutige Bedeutung, die wir auch im Duden fanden:

    3) anders schweiz. knorzen, mühsam arbeiten RÜTTE 48, vgl. gnürzi m. ängstlicher, mühsamer arbeiter, knauser 32: das halstuch band es (das mädchen dem burschen) um mit all seiner macht .. knorzete ihm dann mit groszer anstrengung einen lätsch (schleife) zweg (zu wege). GOTTHELF 7, 64, auch da aber läszt sich kneten als grundbegriff annehmen, vgl. kneten 4, c. auch am Mittelrhein knorzen, pfuschen KEHREIN 236b, knörze machen? so kärnt. knorzen verkrüppeln (trans.) LEXER 163.

    Bei Gotthelf wurde also ein Lätsch zu wege geknorzt. Kling nach dem Beginn eines brutalen Raubmordes, oder? Zum Glück wird dabei nur eine Schleife geknotet, und kein Mensch gemeuchelt. Auf jeden Fall ein Klassewort, was wir in unseren Sprachschatz aufnehmen werden. Mit freundlicher Genehmigung des Dudens. Wir nehmen uns vor, gleich morgen lange und ausgiebig zu knorzen was das Zeug hält.

    Gruust es oder gruselt es Ihnen?

    Oktober 2nd, 2009

    (reload vom 13.09.06)

  • Gruust es oder gruselt es Ihnen?
  • Im württembergischen Tübingen sahen wir einst eine Unterführung mit dem apokalyptischen Graffiti „Stell Dir vor, vorne und hinten ist zu“. Es gruselt uns heute noch, wenn wir daran denken. Den Schweizern gruust es derweilen ohne „e“ und „l“. Auch schick. 205 Funde verzeichnet Google-CH für „es gruust“. Den Deutschen graust es weniger, ihnen gruselt es mehr.

    Menschen nördlich des Rheins dürfen sich mal bis morgen daran versuchen, folgenden Auszug aus einem Schweizer Forum ins Neumitteldeutsche zu übersetzen. Die anderen verharren wissend und wartend auf das Unheil, dass da kommen wird:

    s hüülerli isch go schaffe aber i glaub sie meint, dass d’Fraue immer bhaute es gruust sie ned aber wenn s de druf a chunt denn …
    ooooder si isch verrucht, das findi aber erscht hüt zabig use
    (Quelle: guggenmusik.ch)

    P.S.: Die Amerikaner setzten im Zweiten Weltkrieg Navajo Indianer ein um unknackbare Codes zu entwickeln:

    Sie dienten bei den Nachrichtentruppen und übermittelten in ihrer Muttersprache unverschlüsselt Befehle und Meldungen. Das sparte nicht nur viel Zeit, sondern brachte den japanischen Geheimdienst fast zur Verzweiflung. Wie sollte dieser auch auf die Idee kommen, dass die abgehörten Nachrichten nicht in einer genialen Geheimsprache durchgegeben wurden, sondern in einer den Japanern unbekannten Sprache eines Indianerstammes?
    (Quelle: welt-der-indianer.de)

    Bräuchten die Schweizer Navajos? Quatsch, die würden sich ein paar Walliser aus den hintersten Tälern holen, und schon wäre der Geheimcode perfekt. Uns bringt das alles nicht zur Verzweiflung, denn wir trainieren eisern weiter Bärndütsch.

    Kann man über Kant auf Schweizerdeutsch diskutieren?

    September 9th, 2009

    (reload vom 24.08.06)

  • Vom Dialekt zur Standardsprache
  • Es erzählte uns ein Deutscher vom Niederrhein, dass er erst in der 5. Klasse des Gymnasiums mit Hochdeutsch konfrontiert wurde. Die Familie, die Freunde, selbst die Lehrer in der Grundschule sprachen in der Regel Dialekt, also auf Plattdeutsch. Es wurde ab der Grundschule auf Hochdeutsch geschrieben, jedoch nicht gesprochen. Diktate gehörten mit zum Schwersten für ihn. Erst im Gymnasium lernte er wie es ist, sich nur noch auf Hochdeutsch zu verständigen. Er lernte die „Hochsprache“ kennen als ein geregeltes System, mit dem sich zwei Hauptfunktionen von Sprache erfüllen lässt:

    1. Kommunikation mit anderen, die auch diese Standardsprache sprechen

    2. Speicherung von Information in schriftlicher Form

  • Jede Sprache kann Wissenschaftssprache sein
  • Um in einer Sprache einen Gedankengang entwickeln zu können, muss die Möglichkeit bestehen, in ihr Begriffe zu definieren und Bedeutungen festzulegen. Jeder Philosoph wird nicht umhin kommen, zunächst festzulegen, welche Fachwörter er verwenden möchte und wie sie für ihn umgrenzt sind.

    Das liegt an der „Beliebigkeit“, der „Arbitrarität“ von sprachlichen Zeichen. Ein und dasselbe Gemüse wird von den Schweizern „Peperoni“ und von den Deutschen „Paprika“ bezeichnet. Die Festlegung ist nur innerhalb einer Sprachgruppe oder einer Fachsprache gültig. Wären die sprachlichen Zeichen innerhalb einer Sprechergruppe beliebig, könnte Kommunikation nicht funktionieren. Erst wenn die Begriffe definiert sind, kann in jeder Wissenschaft damit gearbeitet werden. Bei manchen Wissenschaften funktioniert das besser als in anderen. So wurde in der Mathematik genau festgelegt, was ein Produkt oder eine Summe ist. Doch schon das Wort „Produkt“ hat in anderen Wissenschaften eine ganz andere Bedeutung. Die Linguisten streiten darüber, was „Sprache“ ist und allein der Begriff „Wort“ hat es auf etliche Definitionen gebracht.

  • Bestimmt die Sprache die Art des Denkens?
  • Können wir klarer formulieren, klarer denken, anders denken wenn wir uns einer genormten Standardsprache bedienen, als wenn wir dies in einem nicht standardisierten Dialekt tun? Ist die Philosophie von Kant oder Descartes eine andere, wenn Sie nicht mehr in der ursprünglichen Sprache, sondern in einer Übersetzung gelesen wird? Zu mindestens Kant baut ein höchst komplexes Geflecht von Begriffen wie „Sein“ und „Wesen“ und „Gewesensein“ etc. auf, dass sich nur schwer adäquat auf Englisch übersetzen lässt.

    Das es einen Zusammenhang zwischen „Sprache und Denken“ gibt, wurde vor allem durch die Sapir-Whorf-Hypothese behauptet:

    Die Sprache ist nicht als eine Leistung zu verstehen, die das Denken unterstützt, postuliert Benjamin Lee Whorf in seinem Werk „Denken, Sprache, Wirklichkeit“ (1963). Sie schreibt uns vielmehr vor, was wir zu denken haben und auch, was wir tatsächlich denken. Nach Whorf ist ein Denken ohne Sprache gar nicht vorstellbar. Es gibt kein Denken, das sich nicht in den syntaktischen Strukturen unserer Sprache vollzieht.
    Die Hypothese, die sich mit der Abhängigkeit von Sprache und Denken befaßt, wurde maßgeblich von drei Persönlichkeiten geprägt: Franz Boas, Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf. Sie ist noch heute umstritten und bietet Ansätze für zahlreiche Untersuchungen.
    (…)
    Edward Sapir (…) war der Ansicht, daß die Denkprozesse des Menschen durch die Eigenheiten seiner Sprache strukturiert und gesteuert werden. Er glaubte also an eine direkte Beeinflussung des Denkens durch die Sprache. Die Eigenheiten und Einstellungen, so meint er, sind Resultat spezifischer Sprechweisen. Sprache wird in dieser Theorie zum Spiegel sozialer Wirklichkeit. Dies leitet er aus der Beobachtung ab, daß es keine Sprachen gibt, die einander so ähneln, daß sie annähernd gleiche soziale Realitäten wiederspiegeln können.

    Benjamin Lee Whorf, (…), vertrat die radikalste Position. Seiner Meinung nach sind sogar die grundlegendsten menschlichen Begriffe wie Raum, Zeit oder Materie ein Resultat der Sprache. Diese Begriffe sind relativ und haben für Menschen unterschiedlicher Sprachräume ganz unterschiedliche Bedeutung. Whorf macht diese Annahmen mehrfach am Vergleich der Sprache durchschnittlicher Europäer (SAE – Standard Average European) und der von Hopi-Indianern deutlich.
    (Quelle: hausarbeiten.de)

  • Denkt man auf Schweizerdeutsch anders als auf Hochdeutsch?
  • Sprecher von Sprachen mit anderen Begriffen von Vorzeitigkeit, von Zukunft, von Konditionalis etc. nehmen die aussersprachliche Wirklichkeit nicht in gleicher Weise auf wie Sprecher von SAE, dem „Standard Average European“. Denken Sie dadurch auch anders? Kunstwissenschaftler sagen gern: „Der Mensch sieht (in der Kunst) nur das, was er kennt“. Eskimos haben mehr Wörter für die Arten des Schnees als Europäer, für Wüstenbewohner gibt es etliche Wörter für Sand, Weinkenner gebrauchen etliche Adjektive für ihren Wein, der für Norddeutsche nur süss oder trocken, rot oder weiss ist, und Schweizer haben zwanzig Wörter für die Tätigkeit „arbeiten“.

    Der Wortschatz von Dialekten kommt in der Regel mit der permanenten Entwicklung des Wortschatzes in der Standardsprache nicht nach. Zwar füllt das Idiotikon der Schweizer Dialekte bald 16 Bände, darin werden sie aber kaum neue Schweizer Formen für „Leasing“, „googlen“ oder „MP3-Player“ finden. Die Wortfelder, in denen Dialektwörter noch stark differenziert sind, stammen zumeist aus dem häuslichen Umfeld oder der Landwirtschaft und gehen, mit der abnehmenden Bedeutung dieser Lebensbereiche, immer mehr in Vergessenheit.

  • Wie lösen Gehörlose Menschen mathematische Probleme?
  • Von Gehörlosen weiss man, dass ihre Gebärdensprache nicht identisch ist mit der Normalsprache, sondern hinsichtlich Grammatik und Syntax stark vereinfacht wird. Das kann jeder beobachten, der bei einem Fernsehfilm die Untertitel für Gehörlose einblendet. Die gesprochenen Dialoge werden vereinfacht wiedergegeben, Zeiten und Nebensatzkonstuktionen sind weniger komplex. Dennoch können diese Menschen viele Berufe erlernen, Autofahren, mathematische Probleme lösen und sind auch sonst zu Abstraktionen fähig, auf Basis ihrer Sprache.

  • Kant auf Schweizerdeutsch diskutieren?
  • Für eine homogene Sprechergruppe von Schweizern, die sich auf einen gemeinsam verwendeten Dialekt verständigen kann, sollte das möglich sein. Knifflig wird es nur, wenn dann in der Standardsprache definierte Fachwörter in die Diskussion einfliessen. Wir erleben im Gespräch mit Schweizern regelmässig, wie dann überlegt wird, ob ein Fachwort nun auf Hochdeutsch oder in Mundart ausgesprochen werden soll. Es entsteht dann eine kleine Verzögerung im Sprachfluss. Die Folge ist eine Mischform, wie man sie in der Schweiz sehr häufig zu hören bekommt. Dialekt durchsetzt mit hochdeutschen Wörtern.
    Wenn es ans Verschriften der Beiträge geht, ist die Verwendung der Standardsprache wieder einfacher. Kleine Fingerübung zum Schluss: Versuchen Sie doch mal Kants Definition von „schön“ und „erhaben“ in ihren Dialekt zu übertragen und niederzuschreiben:

    „Schön ist das, was in bloßer Beurteilung (also nicht vermittelst der Empfindung des Sinnes nach einem Begriffe des Verstandes) gefällt. Hieraus folgt von selbst, dass es ohne alles Interesse gefallen müsse. Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt.“
    (Quelle: Wikipedia)

    Anschliessend lesen Sie einem Sprecher ihrer Sprachgruppe diesen Satz vor. Erst auf Dialekt, dann auch Hochdeutsch. Messen Sie dabei die Zeit, die er andere benötigt, um den Satz aufzufassen und zu verstehen. Wenn sich das überhaupt messen lässt, aber Sie merken sicherlich schon, worauf das hinausläuft. Es denkt sich doch rascher auf Hochdeutsch, oder?

    Treffen, traf, getroffen — „träfe Sprüche“ in der Schweiz

    August 21st, 2009

    (reload vom 13.8.06)

  • Fürs Treffen sind die Schweizer berühmt
  • Die Schweizer sind für ihre Treffsicherheit weltweit berühmt. Jeder wehrhafte (nicht zu verwechseln mit „währschaft“ ) Schweizer Mann ist ein ausgebildeter Scharfschütze, Fachjargon auch „Sniper“ genannt und muss in der Lage sein, auf 300 Meter Distanz einen Kreis von 10 cm Durchmesser zu treffen. Der Schweizer Volksheld und mythische Ahne Wilhelm Tell traf aus 60-80 Meter den Apfel auf dem Kopf seines Sohnes,
    Der Tell trifft den Apfel
    (Quelle Grafik: tu-chmnitz.de)

    und die Schweizer Elfmeterschützen im Viertelfinale der Fifa-WM 2006 trafen alle zielsicher den Ball mit dem Fuss.

    Aber „treffen“ ist mehr in der Schweiz, denn „treffen“ gibt es auch als besonderes Adjektiv mit „ä“ geschrieben, allerdings nur in Kombination mit einem oder besser mehreren guten Sprüchen. So lasen wir im „Beobachter“, der so gar nicht „Völkisches“ hat in der Schweiz, sondern hierzulande als wichtige Institution im Konsumentenschutz der Schweizer gilt:

    Träfe Sprüche aus der Küche
    Kabarettist Simon Enzler verbreitet den Appenzeller Witz in der ganzen Schweiz. In der Küche mag er es lieber bodenständig als doppelbödig.
    (Quelle: Beobachter.ch)

    Wir hielten es zunächst für einen Schreibfehler, aber es gibt noch andere Belege:

    Lachen ist gesund!
    Hier sammeln wir träfe Sprüche Ihrer Kinder sowie Witze und Anekdoten rund um Zwillinge und Mehrlinge.
    (Quelle: twinmedia.ch)

    Oder hier bei den Älplern:

    Träfe Sprüche zum Erntedank
    «Gang nid zwiit, sisch Älplerchilbiziit»: Mit diesem Motto warb die Älplergesellschaft Hergiswil für die Älplerchilbi. Gefeiert wurde aber auch anderswo in Ob- und Nidwalden.
    (Quelle: aelper.ch)

    Wer jetzt nicht mehr weiss, was eine „Chilbi“ ist, kann hier nachschauen.

    Google-CH bringt 183 Belege von „träfen Sprüchen“.

  • Der träfe Wortschatz
  • Schliesslich fanden wir doch noch ein Beispiel für „träfe„, in einem Zitat von Ludwig Hasler, Publizist, Hochschuldozent für Philosophie und Medientherie:

    Der alte, träfe Wortschatz ist weg. Die Mundart erneuert sich nicht, sie wird nur dünner und einfältiger.
    (Quelle: NZZ am Sonntag vom 16.07.06, S. 69)

    Vom Kontext zu schliessen muss „träfe“ also ein Synonym für „treffend“, „bezeichnend“ sein.

    Wir müssen Hasler übrigens vehement wiedersprichen. Auch Mundart erneuert sich. Der Schriftsteller Franz Hohler bringt im gleichen Interview ein paar hübsche Beispiele:
    „Boldere“ als Neuform von englisch/deutsch „bouldern„, d. h. Klettern in Absprunghöhe ohne Seil. Genannt nach dem englischen Wort „Boulder“ = grosser Felsbrocken, an dem diese Variante des Freeclimbings zuerst betrieben wurde.

    Spotte“ der Zuschauer, die Kletternde anfeuern. Und schliesslich „solone„:

    är het d Eigernordwand gsolonet, das heisst er hat sie im Alleingang bestiegen. Die Begriffe sind dem Englischen nachgebildet, das ja der Mundart lautlich verwandt ist. Checken, fooden, Compi sind vom Klang her Schweizerdeutsch.

    Man lese nur aufmerksam das Züri-Slängikon. Ein grosser Anteil der Slangwörter dort sind aus dem Englischen abgeleitet. Beispiel: „tschuute“ von „to shoot“ und „chille“ von „in die Kirche gehen„.