Bereits am Satzanfang — Syntaktische Feinheiten der Schweizer Schriftsprache
(reload vom 20.9.06)
Seit einiger Zeit beobachten wir in den Schweizern Medien, vor allem im Tages-Anzeiger und in der Nachrichtensendung „10 vor 10“, eine syntaktische Besonderheit, von der wir nicht ganz sicher sind, ob sie nun spezifisch schweizerisch ist oder nicht. Es geht um den Satzanfang mit „bereits“, ohne ein folgendes Zeitwort.
Beispiel:
Bereits ist es den USA geglückt, dank der Lancierung der Pipeline Baku (Kaspisches Meer) – Tbilissi (Georgien) – Ceyhan (Türkei) eine Bresche in das russische Monopol beim Öltransport zu schlagen.
(Quelle: Tages-Anzeiger)
Oder hier:
Bereits ist es einigen Programmierern gelungen, auf der PSP raubkopierte Spiele laufen zu lassen
(Quelle: Tages-Anzeiger)
Der Satz ist nicht falsch, aber irgend etwas fehlt uns hier. Vielleicht ein „Bereits heute“, oder ein „schon jetzt“? Wir haben noch weitere Verwendungen gefunden:
Bereits ist es möglich, mit Techniken wie der Positron-Emission-Tomographie (PET) die Hirnaktivität beim Auftreten veränderter Bewusstseinszustände nicht nur zu messen, sondern die einzelnen Zustände entsprechenden Hirnregionen zuzuweisen.
(Quelle: Tages-Anzeiger, zitiert auf hanflobby.de)
Auch hier kommt uns das Ganze einfach zu knapp vor. Es fehlt ein „bereits heute“. Beim nächsten Beispiel ist es nur die Reihenfolge, die uns merkwürdig vorkommt:
Bereits ist es einige Zeit her, dass uns Anna Witzig verlassen hat.
(Quelle: Tages-Anzeiger)
Bei diesem Beispielsatz kommt uns die Wortstellung ungewohnt vor. Wer ein wenig die Augen offen hält und darauf achtet, wird sicher rasch weitere Beispiele finden. Für uns kommt diese Besonderheit der helvetischen Syntax in die gleiche wundervolle Sammlung mit „für einmal“ und „erst noch“ (vgl. Blogwiese).
Oder ist das alles gar nichts Besonderes und es findet sich auch massig Verwendungsbeispiele für „Bereits“ am Satzanfang ohne Zeitwort in Deutschland, und ich kriege hier einfach nur die helvetische Paranoia? Bereits spüre ich so ein Ziehen im rechten Ohr. Für einmal gibt es keine Erklärung und erst noch muss ich darüber nachdenken. Bereits ist es spät. In dem Fall bis morgen dann.
Oktober 12th, 2009 at 11:05
Eliptischer Satzbau findet zunehmend auch den Weg ins Schriftdeutsche. Das ist eher ein Zeichen dass diese schweizer Medien Teil des deutschen Sprachraumes sind und eben keine Sprachinsel bilden. Der deutsche Sprachraum vereinheitlicht sich zwar immer mehr, auch die jüngeren „Helveten“ konsolidieren sich ja offenbar zunehmend auf eine Art „Standard-Schweizerdeutsch“ wie man es im SF Wetterbericht hören kann.
Umgekehrt wird die Schriftsprache aber immer mehr „verumgangsprachlicht“, auch das sieht man in der Schweiz besonders krass, wo im Internet gern auf „Schweizerdeutsch geschrieben“ wird (was darauf hinausläuft dass mit schriftdeutschem Lautstand, ein ch bleibt ein ch etc., lautschriftlich aufgeschrieben wird wie derjenige es aussprechen würde).
Das macht offensichtlich vor keiner Sprachebene halt.
Sogar bei Spiegel Online kann man zunehmend norddeutsch-umgangssprachliche Syntax im Schema von „Da…. von“ anstatt „Davon…“ lesen.
Herr Wiese, Sie leben halt einfach nicht mehr in der Bundesrepublik und müssen sich daran gewöhnen langsam „den Anschluss“ zu verlieren 😉
[Antwort Admin: Interessant. Könntest du mal ein vollständiges Beispiel für dieses „Da.. von“ im Spiegel zitieren? Danke! ]
Oktober 12th, 2009 at 16:04
Bereits durch „Schon“ ersetzen und man ist bereits paranoid.
Oktober 13th, 2009 at 14:30
@ Ein Zuercher
1. Widerspruch! Ich bin zwar selbst ein Mundartverfechter, aber „das“ Schweizerdeutsch gibts nicht. Nur verschiedene allemanische Mundarten. Und eine eigene „Sprache“ stellen diese auch nicht dar, denn dann musst Du uns erstmal erklären, was überhaupt der Unterschied zwischen „Sprache“ und „Dialekt“ sein soll. Und wenn Du oder andere SVP’ler sowie sonstige heimatliebende Grüne mit ihren Mundartimkindergarten-Initiativen immer wieder das Gegenteil behauptet: Sowohl die allemanischen Mundarten (ja, in Samnaun wird „bairisch“ gesprochen) als auch das Schweizer Standarddeutsch gehören zum deutschprachigen Sprachraum. Daran gibts nichts (und zunehmend weniger) zu rütteln.
2. Es gibt kein „Hamburgeranisch“ sondern lediglich „Hamburgisch“!
Und: Woher hast Du Deine Informationen? Aus der Beiz?
Oktober 13th, 2009 at 16:49
Wie ist denn das mit einer Vergrößerung? Kann die Schweiz weitere Kantone aufnehmen, so wie die USA weitere Staaten?
Ich glaub die Allgäuer und Vorarlberger wären dafür sofort zu gewinnen 😉