Kein Geld überweisen, aber Postulate
(reload vom 21.09.06)
Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 14.09.06, Seite 15:
Der Zürcher Gemeinderat möchte, dass in öffentlichen Gebäuden nicht mehr geraucht wird. Ein Postulat der Grünen wurde klar überwiesen.
Ein Postulat, dazu meint unser Duden:
Postulat, das; -[e]s, -e [lat. postulatum]:
1. (bildungsspr.) etw., was von einem bestimmten Standpunkt aus od. aufgrund bestimmter Umstände erforderlich, unabdingbar erscheint; Forderung: ein ethisches, moralisches, politisches Postulat; ein Postulat der Vernunft; Eine weitere Pressekonzentration ist demnach unausweichlich. Fragt sich nur, ob diese Entwicklung mit dem Postulat Pressevielfalt vereinbar ist (Tages Anzeiger 19. 11. 91, 5); Ebenso deutlich war ein Postulat für die Erstellung einer Kunsteisbahn … abgelehnt worden (NZZ 1./2. 5. 83, 22); das Postulat von der welthistorischen Sonderrolle des deutschen Volkes (Fraenkel, Staat 209).
(Quelle: Duden.de)
Haben Sie auch bemerkt, dass die Belegstellen allesamt aus der Schweiz stammt? Dem Heimatland des gelben „Postautos“, dass erst kürzlich seinen 100sten Geburtstag feiern durfte? Postulate gibt es also häufig in der Schweiz, und wenn, dann werden sie stets „überwiesen“.
Die Kombination „Postulat überweisen“ findet sich bei Google-CH 1500 Mal, bei Google-DE überhaupt nicht. Dabei tun sich doch die Schweizer sonst so schwer mit den Überweisungen, jedenfalls, wenn es ums Geld und ums Bezahlen von Rechnungen geht, und stellen sich lieber jeder Monat bei der „POST“ hinten an. (vgl. Blogwiese)
Doch unser Duden ist schlau. Er kennt das Postulat auch noch als bildungssprachlich und philosophisch:
2. (bildungsspr.) Gebot, in dem von jmdm. ein bestimmtes Handeln, Verhalten verlangt, gefordert wird: ein Postulat befolgen.
3. (Philos.) als Ausgangspunkt, als notwendige, unentbehrliche Voraussetzung einer Theorie, eines Gedankenganges dienende Annahme, These, die nicht bewiesen od. nicht beweisbar ist:
ein Postulat aufstellen; die Existenz Gottes ist ein Postulat der praktischen Vernunft.
Dann erst, wenn wir schon klein beigeben wollen, rückt er mit der eigentlich interessanten Information heraus:
4. (schweiz. Verfassungsw.) vom schweizerischen Parlament ausgehender Auftrag an den Bundesrat, die Notwendigkeit eines Gesetzentwurfs, einer bestimmten Maßnahme zu prüfen.
Jetzt ist der Zürcher Gemeinderat kein Parlament, aber die Verfahrensweise ist sicher ähnlich dort. Wenn also die Grünen ein „Postulat überweisen“, dann erteilen sie einen Auftrag, die Notwendigkeit einer bestimmten Massnahme zu prüfen.
Der letzte Satz des Artikels im Tages-Anzeiger lautet:
Das Postulat wurde mit 75 zu 19 überwiesen.
Also hat man darüber abgestimmt, dass die Zürcher Exekutive prüfen soll, ob das Rauchen in öffentlichen Gebäuden verboten werden soll. So eine Art „Eintretensdebatte“, bzw. die Abstimmung über die Aufnahme der Eintretensdebatte. Wenn wir das jetzt noch alles richtig auf die Reihe kriegen, wird über so eine Sache mindestens dreimal abgestimmt. Beim Postulat, das überwiesen werden soll, wird entschieden, ob sich die Exekutive damit befasst. Bei der Eintretensdebatte wird entschieden, ob darüber diskutiert wird, und dann kommt noch die Vernehmlassung, in der die beteiligen Tabakonzerne und Pro-Rauchen-Lobbys ihren Senf bzw. Rauch beisteuern dürfen. Dann stimmt das Parlament ab, und dann kommt das ganze nochmals zur Abstimmung vor das Volk. In der Zwischenzeit vergehen ein paar Jährchen. Demokratie kann ganz schön kompliziert sein in der Schweiz.
Wir fragten heute gleich die freundliche Nachbarin in der S-Bahn, was denn „ein Postulat überweisen“ eigentlich bedeutet. Ihre Antwort:
„Wie soll ich das wissen, das Frauenwahlrecht gibt es noch nicht so lange in meinem Heimatkanton..“
Oktober 13th, 2009 at 13:28
In Zürich wird ja bekanntlich viel und gerne und gerne viel geredet. Da ist so ein Parlament schon nützlich.
Oktober 13th, 2009 at 17:31
In der Schweiz hat 1. jede Gemeinde ein Gemeindeparlament und eine Gemeindeexekutive, 2. jeder Kanton ein Kantonsparlament und eine Kantonsexekutive und 3. der Bund das Bundesparlament und die Bundesexekutive.
Die Gemeindeparlamente können Stadtrat, Gemeinderat heissen.
Die Kantonsparlamente heissen Kantonsrat oder auch Grosser Rat, die Exekutuve Regierungsrat oder auch Staatsrat – in der Schweiz ist der Kanton der Staat.
Das Bundesparlament ist der Nationalrat und der Ständerat.
Oktober 13th, 2009 at 22:31
Ehe ich es vergesse: Es gibt in der Schweiz Gemeinden und Städte, die haben kein Parlament, sondern eine Gemeindeversammlung, zu der alle stimm- und wahlberechtigten BürgerInnen gehen sollten.
Dort heisst dann die Exekutive „Gemeinderat“