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Was soll ich anlegen — Hast Du zuviel Geld?

(reload vom 23.3.06)

  • Verwirrungen durch ein Schweizer Verb
  • Fragt mich doch eine Schweizer Freundin: „Du, was soll ich anlegen“? Ich bin irritiert, und frage zurück: „Hast Du denn soviel Geld über, dass Du Dir über das Anlegen Gedanken machen müsstest?
    Sie sprach nicht von Geld, sondern von Kleidern, die man in der Schweiz nicht „anzieht“, sondern „anlegt“. Denn über Geld, das man anlegen möchte oder angelegt hat, darüber spricht man sowieso nicht in der Schweiz. Es reicht doch, wenn man es hat.

  • Schöne Kleider anlegen
  • Wenn wir als Deutsche hören, dass jemand „schöne Kleider anlegt“, dann vermuten wir, dass es sich hier um einen Kammerdiener bei eine königlichen Hoheit handelt, stundenlang damit beschäftigt, noble Roben anzulegen. Der Französische Sonnenkönig Ludwig XIV. (französisch Louis XIV, Louis le Grand) beschäftigte zahlreiche Adelige an seinem Hof in Versailles damit, ihm beim morgendlichen „Anlegen“ zu helfen. Die Adeligen durften ja nicht arbeiten, also blieb als Zeitvertreib nur das Theater, die Konversation in der höfischen Gesellschaft und die Jobs beim „Lever“ des Sonnenkönigs:

    Der Tagesablauf des Sonnenkönigs verlief wie ein feierlicher Staatsakt: Ludwig wurde in strenger Reihenfolge angekleidet und danach (am späten Morgen) erschienen die Prinzen und andere Adelige.
    Die Rangfolge des Ankleidens lautete: das Hemd, die Unterhose, die Strümpfe, das Beinkleid, die Schuhe, die Weste und der Rock. Ihm wurde ein kleines Waschbecken und ein Handtuch hingehalten, damit er sich das Gesicht und die Hände waschen konnte. Anschließend reichte man ihm die Parfümflasche, die Puderdose, die Lockenperücke, die Spitzenkrawatte, die Gürtelschärpe aus Seide und den Degen.
    (Quelle:)

    Für jedes Kleidungsstück, das „angelegt“ wurde, gab es ein eigenes Amt, das mit hohen Ehren verbunden war.

  • Leg dich nicht mit Bühnentechnikern an
  • In Deutschland wird „anlegen“ noch für „Streit suchen mit jemanden“ gebraucht. Etwas, was den Schweizern von Natur aus sehr schwer fällt. Immer auf Harmonie bedacht, in gegenseitiger Einvernahme allen zuzuhören und so lange zu diskutieren, bis eine Konkordanzlösung gefunden ist, gehört zu den grossen Tugenden der „Willensnation“. Die Deutschen lieben es direkter, möchten gern frei heraus und klar ausgedrückt hören, was eigentlich Sache ist, an statt diplomatisch miteinander umzugehen. So sagte der deutsche Intendant des Zürcher Schauspielhaus, Matthias Hartmann im Interview mit dem „Magazin“ über seine Zeit im Ruhrgebiet:

    In Bochum goutiert man den direkten Ton, da wollen die Jungs Bescheid wissen. In der Schweiz muss man das rhetorische Florett beherrschen. Aber ich bin ja ins Ausland gegangen, weil ich mir etwas davon erhofft habe.
    (Quelle: Das Magazin 11- 2006 S. 10)

    Und prompt legte sich die Bühnentechnik mit ihm an, nahm ihn als Deutschen „Sündenbock“ und Projektionsziel beim Streik wegen Gehaltsforderungen. Kurz darauf hatte im Zürcher Schiffsbau „Othello“ von Shakespeare Premiere, ganz ohne Bühnenbild und fast ohne Requisite. Aus der Not entstanden, ohne Technik arbeiten zu müssen? Als Trotzreaktion, so nach dem Motto: „Ich kann auch ohne Technik“? Oder tatsächlich eine rein künstlerische Entscheidung? Ganz egal, es war auf jeden Fall eine grandiose Inszenierung, Theater pur und zum Anfassen nah. Das Publikum wurde, wie so oft bei Hartmann, in das Spiel einbezogen. Es durfte bei der Hochzeit im Stück mit Sekt und Bier anstossen, und über den Zeitpunkt der Pause wurde demokratisch abgestimmt.

  • Goutiert man auch in Osnabrück?
  • Hat Matthias Hartmann wirklich „goutiert“ im Interview mit dem Magazin gesagt? Als Ex-Norddeutscher aus Osnabrück ein französisches Lehnwort verwendet? So schnell kann es gehen, wenn man in Zürich wohnt. Darum foutieren wir uns jetzt mal und rekurrieren zum „anlegen“. Das können die Schweizer nämlich noch woanders: Auf dem Schiessplatz beim obligatorischen Scharfschützentraining. So hat halt jedes Volk seine Vorlieben. Die einen streiten gern öffentlich, die anderen ballern lieber auf dem Schiessplatz und verlieren dabei hoffentlich auch ihre Aggressionen, zum Wohle aller. Die Deutschen hingegen ballern lieber weiter am Ballerman-Strand.

    

    9 Responses to “Was soll ich anlegen — Hast Du zuviel Geld?”

    1. Phipu Says:

      Wie in den Kommentaren zum Originaleintrag ( http://www.blogwiese.ch/archives/221 ) erwähnt, gibt es im Dialekt auch „d’Aaleggi“ (die Anlege) für „die Art sich zu kleiden“. Hat mir jemand dafür ein treffenderes deutsches Wort als „Outfit“? Die wörtlich übersetzte „Anziehung“ hat damit nämlich nichts zu tun.

      Ausserdem – steht ebenfalls in den Ur-Kommentaren – ist auch „ausziehen“ nach Deutschschweizer Spontanverständnis eher auf das Trennen elektrischer Steckverbindungen reduziert. Kleider „ausziehen“ nennt man im Dialekt nämlich (hier hochdeutsch verschriftet) „Kleider abziehen“. Sagt eigentlich heute noch jemand „Abziehbilder“ für Kleber (DE: Aufkleber) bzw. Sticker? Wer allzu schweizerisch denkt, könnte sich bei „Abziehbild“ auch ein Pin-up-Poster vorstellen.

    2. Lukas Says:

      Boote legen auch an 😉

    3. Rolf Wilhelm Says:

      Mich irritiert jeweils auch eine ähnliche Situation in Zusammenhang mit Brillen (ja, die Sehhilfen auf der Nase): Die werden in der Schweiz angezogen und abgezogen, während ich diese eher aufsetze und absetze.

    4. solanna Says:

      @Rolf Wilhelm

      Die Brille wird nicht angezogen, sondern „aaggleit“ (angelegt). Hingegen wird sie tatsächlich „abzoge“ (abgezogen). Wie bei Kleidern ist braucht es ja tatsächlich eine Ziehbewegung.

      Für Deutschlernende muss es schwierig sein, die Bedeutung von anziehen zu lernen. Beim Anziehen einer Schraube, bewegt sich die Schraube vom Anziehenden weg, beim Anziehen von Wespen bewegen sich die Insekten zum Anziehenden hin.

    5. Simone Says:

      @Phipu:
      „Kleber“ meint in Deutschland allgemein „Klebstoff“. Fordert die Lehrerin die Schüler auf, für den Kunstunterricht „Kleber“ mitzubringen, so meint sie vermutlich eine Tube Uhu, nicht aber einen Pritt-Stift.
      @Rolf Wilhelm:
      „Absitzen“ kann man in der Schweiz zum Beispiel auf einem Sessellift, in Deutschland meint „Absitzen“ eher eine zeitliche Pflichpräsenz. Manche Schüler sitzen bestimmte Fächer in der Schule ab, an der Uni geht es häufig um Vorlesungen. Absetzen kenne ich in der Schweiz nicht.
      „Abziehen“ kann man einen Gegner beim Tennis. Verliere ich einen Satz 0:6, hat man mich abgezogen.

    6. AnFra Says:

      @Rolf Wilhelm

      Beim Anziehen einer anzuziehenden rechtsdrehenden Schraube mit einem Schraubenzieher bzw. Schraubendreher bewegt sich diese Schraube mit Rechtsgewinde zwar bei Rechtsanziehung vom Anziehenden weg, aber die Schraube zieht sich und somit das anzuziehende Verschraubungsteil, um welches es ja nun bei diesem Ziehritual geht, an den anzuziehenden bzw. anzuschraubenden Gegenstand an.

      Bei Schreckschrauben verhält es sich reziprok.

      Klar oder noch Fragen.

    7. Phipu Says:

      Ist mir selber eingefallen: „Outfit“ heisst etwas deutscher wohl „Aufmachung“ (für „Aaleggi“).

      An Simone
      Neben „der Kleber“ – der sogar in grossen Mengen in Schweizer Kinderzimmern nicht auf eine Schnüffelsucht hindeuten muss – gibt es noch das hier markenneutrale und sächliche „s’Chläbi“ oder „s’Chloipi“ (das Klebi), womit „der Klebestreifen“ (DE: Tesa-Film, frz. „le scotch“) gemeint ist.

      Uhus und Pelikane tummeln sich auch schon auf der Blogwiese.
      http://www.blogwiese.ch/archives/916
      bzw.
      http://www.blogwiese.ch/archives/144

      Und hier noch weitere Markennamen, die zu Substantiven oder gar Verben wurden:
      http://www.blogwiese.ch/archives/1005
      bzw.
      http://www.blogwiese.ch/archives/192

      „Absitzen“ ist tatsächlich das Bewegungsverb für „sich hinsetzen“. Im Dialekt gibt es nur ein Tätigkeitswort „sitzen“, aber kein „setzen“, das die entsprechende Körperstellung und eben auch -Bewegung beschreibt. (In anderen Bereichen, z.B. Pflanzen, Mahnmal, Zeichen etc. gibt es „setzen“ schon). Hier noch weitere Blogwieseneinträge in diesem Zusammenhang:
      http://www.blogwiese.ch/archives/894
      und
      http://www.blogwiese.ch/archives/994
      bzw.
      http://www.blogwiese.ch/archives/183

      Neulinge im Dialektverständnis werden in der Schweiz beim Arzt oder beim Zahnarzt (falls dort das Personal überhaupt Mundart spricht) also erst mal schockiert sein, wenn es da heisst „Sitzed Sie bitte da ab und mached Sie s’Muul uuf“
      http://www.blogwiese.ch/archives/507

    8. Brun(o)egg Says:

      Eine Frau kann mich anziehen, bei Sympathie oder Hexenschuss wenn ich nicht mehr hochkomme. Bei Sympathie werde ich Geld anlegen um die Frau zu gewinnen.
      Eine Brille die mir sitzt, zieht mich gut an, wie Kleider, egal wieviel ich für sie aus(an)gelegt habe.
      Es ist so eine Sache mit der Anleger- und Auszieherei.

    9. Allmechtna Says:

      Frauen legen Schmuck an. Auch in Deutschland 🙂