Ist denn Deutsch ein Edelstein?
(reload vom 22.03.06)
Die Deutschen empfinden den französischen Akzent als „süss“. Harald Schmidt begriff dies schnell, als er seiner die Französin Nathalie Licard zum festen Bestandteil seiner Latennight-Show machte:
Nathalie. Die FAZ sah Nathalie Licard, die sympathische Französin mit dem landestypischen Akzent, schon als Stationsansagerin („Nächst ‚altestelle ‚auptbahn’of“) in irgendeiner U-Bahn versauern. Doch sie kehrt aus einer nur minimal verlängerten Kreativpause zurück und ist seit der Sendung am 19. Januar 2005 wieder regelmäßig im Einsatz.
(Quelle: wdr.de)
Die Franzosen hingegen pflegen den typisch Deutschen Akzent dadurch nachzuahmen, dass sie alle stimmlosen Konsonanten stimmhaft aussprechen, und alle stimmhaften hingegen stimmlos: Aus „bourg“ wird „pourg“ aus „les gens“ wird „les schooon“. Das Problem mit den stimmlosen und stimmhaften Konsonanten haben im Französischen in Wirklichkeit nicht alle Deutschen, sondern vor allem Schwaben, Badener (die sich selbst nicht Badenser nennen) und andere Alemannisch Sprechende, also auch die Deutschschweizer.
Und Deutsch? Wie ist kann deutsche Aussprache charakterisiert werden? Immer „geschliffen“, wie ein Edelstein. Ein Rohdiamant muss erst geschliffen werden, damit sein Form zur Geltung kommt. Offensichtlich gilt das auch für die Deutsche Sprache. Sie ist hart genug, um sie zu schleifen wie einen Diamanten
Google findet 165 Belege.
Und unser Duden erklärt uns:
geschliffen [2: eigtl. = abgeschliffen, geglättet]:
1. 1 schleifen.
2. (Adj.)
a) vollendet, tadellos in Bezug auf die äußere Form, überzeugend kultiviert wirkend:
Seine Sätze tragen etwas von geschliffenen Aphorismen an sich (Niekisch, Leben 187); Ein intelligenter Film mit subtilen, geschliffenen Dialogen (Nordschweiz 29. 3. 85) durch unermüdliches Engagement und dynamisches Auftreten, gepaart mit geschliffener Intelligenz (Caravan 1, 1980, 5);
b) (in der Formulierung) scharf:
sie hat eine geschliffene Zunge.
(Quelle: duden.de)
Dabei gibt es in Deutschland kaum jemanden, der einen „elaborierten Code“ freiwillig sprechen würde, es sei denn er will beim Theater Karriere machen. Wir Deutsche erkennen bei einer Diskussion auf Hochdeutsch den Schweizer immer daran, dass er „hyperkorrekt“ spricht, keine Laute verschleift, keine Endungen auslässt. Deutsche hingegen sprechen gern den „restringierter Code“:
Der restringierte Code ist üblicherweise die Sprache bildungsferner Gesellschaftgruppen. Hier einige Beispiele:
• Watt kuckse?
• Sach mich dat nochma!
• Aufe Fresse?
• Gehma am Telefon, ey
• Ey Olle, wie is? Muss! Und selbst?Merkmale für den restringierten Code:
• kurze, grammatikalisch einfache, häufig unvollständige Sätze
• begrenzte Anzahl von Adjektiven und Adverbien
• Verwendung von Sprichwörtern
• unpersönliche Sprechweise
(Quelle Wiki)
Besonders die Verwendung von Sprichwörtern ist für Nicht-Muttersprachler extrem schwierig zu lernen. Passiv werden sie beherrscht, aber aktiv wird dann leicht „Der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum“ draus. Fehler, die auch einem Deutschen Muttersprachler leicht unterlaufen können:
„Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht“
Diese Redensart ist eine Verballhornung, gebildet aus mehreren anderen:
Das schlägt dem Fass den Boden aus
das setzt dem Ganzen die Krone auf
das ist ein Schlag ins Gesicht
Gemeint ist einerseits, dass der Böttcher die Fassreifen zu stark aufschlägt und so der Fassboden herausspringt. Andererseits wurde früher Weinverkäufern, die schlechten Wein angeboten hatten, die Böden ihrer Fässer zerschlagen, damit sie ihre Ware wirklich niemandem mehr anbieten konnten.
(Quelle: detlev-mahnert.de)
Doch zurück zum „deutschen Edelstein“. Wir finden, dass der Ausdruck „geschliffenes Deutsch“ sprechen, also sehr klar und ohne jeglichen Akzent zu sprechen, ohne Verschleifung, ohne einen hörbaren Fehler, nur Wunschdenken ist und in der Realität kaum existiert. Auch die viel zitierten Niedersachsen aus Hannover, die so perfekt „Hochdeutsch“ sprechen sollen, obwohl sie im „Nieder“-Deutschen Gebiet leben, sind an ihrer Aussprache erkennbar. Zitieren wir zur Abwechslung mal aus der Alemannischen Wikipedia:
Die eigentlich Sproch in Niedersaxe isch aber nit Hochdytsch, sundern Platt. Es isch au nit so, dass Hochdytsch de Dialekt vu Hannover sei, sundern d’Hannoveraner chönne ihre aigene Dalekt fascht nimmi. Es git au plattdytschi Wikipedia, wo derzitt größer wie die Alemannisch isch. Plattdytsch giltet under Germaniste als eigeständige germanischi Sproch un numme nit als (ober)dytscher Dialekt.
(Quelle Wikipedia)
Also auch hier Fehlanzeige, was „geschliffenes Hochdeutsch“ angeht. Wer sich als Schweizer mit seinem Deutsch verbessern will, tut gut daran, ein bisschen auch den „restringierten Code“ zu üben, was wirklich nicht schwer ist, wenn man Deutsches Fernsehen „guckt“ (auch das ist offiziell kein Wort, das man schreiben darf) und nicht „schaut“. Nur leider wurde es den Schweizern ja schon in der Schule antrainiert, dass sie Schriftdeutsch langsam, korrekt und genau auszusprechen haben. Darum jetzt zum Schluss einen typischen Satz aus dem Ruhrgebiet zum Üben für alle:
„Datte mich dat nich gleich alle Leute verklickern tus, wat ich dir da gesacht habe,wa!“ (Phipu, einmal übersetzen ins Bärndütsche bitte!)
Februar 12th, 2009 at 7:31
@Wir Deutsche erkennen bei einer Diskussion auf Hochdeutsch den Schweizer immer daran, dass er „hyperkorrekt“ spricht, keine Laute verschleift, keine Endungen auslässt.
Noch einfacher erkennt man ihn wohl am „rchrrr“
z.B. „Irchrr glaube nirchrrt …“
Februar 12th, 2009 at 7:41
Lösung meiner Hausaufgaben sichtbar unter Originaleintrag: http://www.blogwiese.ch/archives/219#comment-2802
Februar 12th, 2009 at 8:45
Hm, der Autor verallgemeinert mal wieder zu sehr einen Teil der Bundesrepublik auf ganz Deutschland. Man wird auch in München, wo inzwischen geschliffenes Hochdeutsch geredet wird von 95% der Münchner, niemand „dat“ sagen hören dafür sind die Chancen jemanden aus Nord wie aus Süd „is“ anstatt „ist“ sagen zu hören bedeutend größer. Zusätzlich zu den alten regionalen Mundarten gibt es eben inzwischen eine Art neuen Dialekt der zwar für Unbedarfte „Hochdeutsch“ daherkommt aber wie schon richtig festgestellt wurde durchaus auch durch größere Abweichungen vom besten Standarddeutsch geprägt ist. Entgegen aller Meinungen des Volksmundes wird das nach dem Lehrbuch korrekteste Hochdeutsch nicht in Hannover auf dem Kröpke bestimmt sondern vom Wiener Hofburgtheater, die Sieb’sche Bühnensprache hat die Lautung dessen was wir heute als Hochdeutsch bezeichnen entscheidend geprägt und am Hofburgtheater ist die Aussprache absolut mustergültig. Dennoch wurde ein Hannoveraner die Aussprache von Chirurg als „Kirurg“ (was die korrekte Aussprache dieses FREMDWORTES ist) als Dialekt bezeichnen und seine umgangssprachliche Aussprache, „Schirog“, als das korrektere Deutsch ansehen (er kommt ja schließlich aus dem Norden also muss es ja stimmen!). Aber dieses Problem gibt es ja auch bei anderen Fremdwörtern, Anglizismen zB wenn ich da nur an die Aussprache von Microsoft Excel („Äxl“) denk, oder bei französischen Begriffe wie Chance die auf einmal zur „Schangse“ werden.
Wie alle Verallgemeinerungen sind Aussagen über DIE Deutsche Sprache falsch. Vergleicht man die regionale Akzentuierung dann gibt es butterweiche Akzente des Deutschen im Rheinland bis hin zu extrem harter kehllastiger Aussprache die einen wirklich an Klingonisch erinnern kann in der Schweiz (das ist dann das Deutsch was von Amerikanern immer als „harsh“ und „gutteral“ bezeichnet wird), die überall in den Schulen gespielten Aufnahmen von Hitler und seinem Geschrei dürften das Bild auch stark geprägt haben (aber ob dort auch erwähnt wird dass Hitler Österreicher war und dementsprechenden Akzent hatte?)
In jedem Fall sollte man bei all der Diskutiererei nie vergessen dass wir es hier mit keinem Problem sondern mit einem Reichtum an Vielfalt zu tun haben der nicht durch das sklavische Orientieren am Tagesschau-Deutsch zerstört werden sollte. Ich find es tolll in Berlin an exponierten Orten wie dem Brandenburger Tor zu stehen wo Touristen und Zugereiste aus ganz Deutschland sitzen und gehen und man dutzende Dialekte um sich hört und dazu noch sieht dass „die Deutschen“ auch optisch (Haarfarbe, Statur, Mode) eigentlich ein ziemlich buntes Völkchen sind. Viel bunter als alle Klischees.
Februar 12th, 2009 at 8:55
Deutsche sprechen sicher nicht nur Gossenjargon wie hier als Beispiele angeführt wird. Und auch ich habe in der Schule gelernt „ordentliches“ Deutsch so sprechen und nicht wie ein ungebildeter Prolet. Sicher gibt es auch in D Dialekte, je nach Region. Aber das ist kein restringierter Code, das kann man nicht miteinander vergleichen. Und welchen Dialekt sollen Schweizer in der Schule denn lernen? Den restringierten Code besser nicht, das ist unterstes Sprachniveau. Schade das man als Deutsche(r) auf diese sprachliche Stufe gestellt wird.
Februar 12th, 2009 at 12:44
Einer meiner Freunde ist griechischer Abstammung und er sagte „Für einen Griechen klingt hochdeutsch wie das Bellen eines Hundes“. Genau das ist der Punkt, Griechisch klingt für einen deutschen eher wie lispelndes Elfisch. Es kommt immer drauf an von welcher Seite aus man die andere Sprache betrachtet.
Klar es gibt viele Dialekte und regionale Abweichungen von Deutsch aber für einen Schweizer klingt es dennoch alles immernoch „geschliffen“, „poliert“ und etwas zu zackig.
Februar 12th, 2009 at 18:05
@Eric: Woher stammen denn diese phonologischen Erkenntnisse? In jedem vernünftigen Aussprachewörterbuch (z.B. Duden 6) steht die richtige phonetische Realisation von „Chirurg“. Allerdings dürfte das für einen “rchrrr”-Spreche (siehe roko) schwierig werden.
Februar 13th, 2009 at 9:51
@ EinZürcher
Ruhrpott Srech kann sehr sympathisch sein. Erinner Dich an den Kabaretiisten mit den den Jod S 11 Körnchen üfr den Wellensittich. Ist schon länger in den ewigen Jagdgründen und der Name ist mir entfallen. Menge oder so.
Aber der war doch echt gut mit seiner breiten Schnauze. Was man hinwiederum von Winterthurern mit ihrem furchtbar breiten „Ziiridytsch“ nicht behaupten kann.
Februar 13th, 2009 at 13:23
Die höchsten Anteile an geschliffenem Hochdeutsch dürfte es zwischen Kassel, Göttingen, Hannover und Bremen geben, mit Sicherheit aber nicht flächendeckend. Je weiter man nach Norden, auf die Inseln und zu den Seeräubern kommt, desto mehr setzt sich Platt durch.
Hier noch ein schönes Beispiel für den restringierten Code, originalzitiert aus einer ländlichen Gegend in Sachsen-Anhalt:
„Schasstin, tu ma die Oma winken.“
Wer mehr in diese Richtung hören möchte und auf die Erfahrung gespannt ist, dass der restringierte Code wesentlich mehr an Kasernenton in sich birgt als jedes geschliffene Hochdeutsch, dem sei „Cindy aus Marzahn“ (wie auch immer sich dieser Stadtteil Berlins tatsächlich schreibt) wärmstens empfohlen.
Wer es schafft, auch nur fünf Minuten des Kampfgeschorres in einen Schweizer Dialekt zu übersetzen, wird von mir zu einem guten Glas Rheingauer Rieslings eingeladen.
@Lukas:
Was stört Sie an dem Zackigen? Die Schweizer mögen doch ihr Militär so gerne.
Februar 13th, 2009 at 18:18
Korrektur:
„Cindy aus Marzahn“ kommt am Samstag um 22:30 Uhr auf rtl.
Februar 14th, 2009 at 13:05
Es geht hier um regionale Unterschiede der deutschen Sprache.
Es gibt aber auch situative (heißt das so?) Sprechweisen.
Beispiel:
http://www.ndr2.de/pages_std_lib/0,3325,OID4393590,00.html
Hier Imbissdeutsch anklicken.
Februar 14th, 2009 at 21:26
Hier noch ein Beispiel für süßes Französisch. Ich hoffe, der Link funktioniert.
Quelle:
http://www.ffh.de
http://www.ffh.de/programm/5177.php?cd=marie_aus_paris&mf=13
Februar 15th, 2009 at 1:43
“Cindy aus Marzahn” ist so ziemlich das Schlechteste, was es gibt. Vom Niveau ungefähr bei Dirk Bach … am Bauch muss sie noch arbeiten.
Davon abgesehen gibt es auch der Stadt Hannover mit dem vermeintlich besten Hochdeutsch einen eigenen „hannöverschen“ Dialekt. Wer den nicht kennt, sollte sich mal „Siggi und Rainer“ vom Frühstyxradio anhören.