Schweizer Lieblingsredewendungen: „Sich etwas ans Bein streichen“
Die Schweizer haben keine Tempos, also keine „Papiertaschentücher“. Erstens ist die Marke „Tempo“ in der Migros nicht zu haben, und zweitens benutzen die Schweizer keine Tücher für ihre Taschen, sondern für ihre Nasen, drum sprechen sie lieber von ihren „Nastüechli“, den Nasen-Tüchern, denn dafür sind sie da, diese Papierdinger: Für die Nase und nicht für die Tasche.
Dennoch versteht Sie ein Deutschschweizer, wenn Sie ihn höflich um ein „Tempo“ bitten. Denn er guckt ja Deutsches Fernsehen und Deutsche Filme, auch wenn er das ungern zugeben würde, denn die amerikanischen Originalfassungen ohne Synchronisation sind ihm 1.000 Mal lieber im Kino. Durchs Fernsehen hat der Schweizer einen enorm grossen Passiv-Wortschatz. Auch das Wörtchen UHU als Synonym für Papierkleber ist ihm ein Begriff, oder Tesa für ein Klebeband.
Ganz nebenbei: Auch in der Schweiz können wir beobachten, wie eigenständige Markennamen zum Synonym für eine Sache werden. So beim „Bostitch“, einem sehr bekannten Tischhefter aus den USA.
Hier eine sehr alte Version:
Das Wort „Bostitch“ ist einfach nur ein Eigenname und hat keine weitere Bedeutung. Ausser dass die Schweizer eben „Bostitch“ sagen, wenn wir Deutsche „Hefter“ meinen und das sie das Teil dabei mit stimmlosen Plosiv-Laut wie „Postisch“ aussprechen. Kleine Stilübung für zwischendurch:
Fragen Sie mal die Schweizer in ihrer Umgebung, wie man diesen Tischhefter ausspricht und vor allem schreibt: Postich, Bostisch, Postisch, um nur ein paar Varianten zu nennen. Wenn es um Verschriftung geht, dann sind sie kreativ, die Schweizer.
In Amerika heisst das Ding „stapler“ und wird von der Firma Stanley Bostitch produziert:
Bostitch mit Beschriftung:
Wie kamen wir noch mal darauf? Ach ja, es ging um Taschentücher. Ein solches Papiertaschentuch kann einem ganz schön fehlen, und darum sucht der findige Schweizer nach alternativen Entsorgungsmöglichkeiten für den Schnodder in der Nase. Lösungsvorschlag Nummer Eins:
Die Hand!
Denn kräftiges Abschneuben in die leicht geöffnete Hand befreit die verstopfte Nase ungemein. Doch wohin jetzt mit dem Inhalt der Hand? Wir dekorieren einfach unsere schwarze Hose damit! Falls wir auf einem Fussballfeld stehen, im Winter, ist das übrigens in der Schweiz „der Trainer“. Nein, wir meinen jetzt nicht diesen Mann, der alle ständig durch die Gegend scheucht und dafür auch mal von den Schweizern nach Köln ausgeliehen wird, sondern das was die Jungs auf dem Feld so am Leibe tragen: Einen Trainingsanzug.
Den dekorieren wir mit dem Inhalt der Hand (das hatten Sie doch wohl nicht vergessen, dass da noch was klebt?) und lernen gleich eine neue Schweizer Redensart kennen:
Diese Art der Problementsorgung ist in der Schweiz beliebt. Wir finden 714 Belege bei Google-Schweiz.
Was wird da nicht alles ans Bein gestrichen!
Zum Beispiel eine Idee:
Die Idee, in Cambridge über dort absolvierte Vorlesungen Prüfungen zu machen und diese an der ETH anerkannt zu kriegen kann man sich ans Bein streichen.
(Quelle: mobilitaet.ethz.ch)
Oder die CO2-Abgabe:
(…),können wir uns die Einführung der CO2-Abgabe definitiv ans Bein streichen.
(Quelle: energiestiftung.ch)
Auch jede Menge Geld:
Die Aktionäre müssen sich 2,745 Mio. ans Bein streichen und die Politik verabschiedet sich aus dem Unternehmen.
(Quelle: rz-online.ch)
Aber um jetzt hier keine Vorurteile über Schweizer und ihre sauberen Hände aufkommen zu lassen: Google-Deutschland kennt auch diese Redewendung, aber nur im geringen Umfang.
Wir haben den Verdacht, dass es sich hier um ausgewanderte Schweizer handelt, die diese Art der Problementsorgung einfach mitgenommen haben ins Exil. Wir fragten jedenfalls diverse Kenner der Deutschen Sprache, aber niemand kannte diese Redewendung. Falls es jetzt hier doch einen Deutschen Leser gibt, der von sich behaupten kann: „Ooch, das sage ich auch ständig“, dann möge er jetzt vortreten und uns seine Handflächen vorweisen: Sind sie sauber? Dann hat er die Wahrheit gesprochen.
Wie würden wir in Deutschland sagen für „das kannst Du Dir ans Bein streichen„?
Vielleicht: Das kannst Du Dir von der Backe schminken / abschminken.
Oder: Das kannst Du den Hasen geben.
Oder: Das kannst Du in die Tonne treten.
Oder : Das kannst Du inne Pfeife rauchen.
So schöne saubere Hände wie die Schweizer kriegen wir davon natürlich nicht. Seufz.
Februar 24th, 2006 at 8:33
in der Unix-Welt gibt es noch:
Das kannst Du getrost nach /dev/null pipen.
Februar 24th, 2006 at 9:43
Also mir war in Deutschland noch nie zu Ohren gekommen, dass da jemand sogar offen zugegeben hätte, sich etwas ans Bein streichen zu wollen.
Dementsprechend kam ich nun etwas ins Grübeln, als ich das erste Mal von so einem Beinstreicher las. So etwas wie „Das kannst du dir abschminken“ fiel mir schon als erstes ein, aber die Ähnlichkeit zu „sich etwas ans Bein binden“ (sovielwie: „sich unnötigen Ballast aufladen“ war doch irgendwie gross.
Und gäbe es dann womöglich nicht auch die negierte Form „Das streiche ich mir nicht ans Bein!“ im Sinne von „Den Schuh ziehe ich mir nicht an!“ (etwa:“Dafür übernehme ich nicht die Verantwortung!“, „Ich bin nicht schuld daran!“)? Und da gab es doch auch noch so eine Wendung mit „streichen“ … mal googeln … Hier:
„Kanzler Kohl hat getan, was er konnte, um seiner Rolle als Türöffner gerecht zu werden; mehr kann man den Chinesen kaum um den Bart streichen. (Quelle: Süddeutsche Zeitung 1995)“. Wobei in der erweiterten Wendung noch erwähnt wird, dass es Honig ist, der gestrichen wird. Könnte es also sein, dass Schweizer statt den Bart lieber das Bein streichen, um sich bei jemandem einzuschleimen? Ja genau, denn bei „Schleim“ sind wir ja wieder auf der richtigen Fährte, oder, Jens? 😉
Und was mir noch an Synonymen fürs Beinstreichen einfällt:
Das kannste vergessen.
Das kannste knicken.
Eine Tonnen-Variante: Das kannste in die Tonne kloppen.
Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen.
Und mal aus Meck-Pomm gehört: „Das kannste unter Ulk verbuchen.“
Grüsse,
Martin
Februar 24th, 2006 at 10:15
ja und dazu gibts noch farbigere Ausdrücke für besagtes Tempo Taschentuch ( mir persönlich ist ja Kleenex lieber :))
Schnuderlumpe (schnuder=rotz)
Böögealbum (naseböög= popel)
Schnuderhudu (hudu=löchriges tuch)
könnte hilfreich sein wenn du mal ins Bernbiet/Seeland kommst:) das versteht dort (fast) jeder:)
Februar 24th, 2006 at 12:41
Als Ossi kannte ich die Dinger früher nur unter dem Namen „Zellstofftaschentuch“, da sie ja aus Zellulose, also Zellstoff, gemacht werden und es Tempo als Marke bei uns ja nicht gab. Hier im Westen bin ich damit natürlich böse auf die Nase gefallen, weil den Begriff hier keiner kennt. Mittlerweile habe ich mich aber zu dem Kompromiss „Tempotaschentuch“ durchgerungen und komme damit ganz gut zurecht…
Februar 24th, 2006 at 12:56
Einige Markennamen wurden sogar zu Verben, entgegen Tempo und Uhu: Google mal nach Beispielen für „bostitchen“ oder „bostichen“.
Die alte Rechtschreibung erlaubt auch „zusammenbostitchen“.
Übrigens gibt es das auf englisch auch, z.B.: „to hoover“ (staubsaugen, Hoover = Staubsaugermarke)
Februar 24th, 2006 at 13:07
Also ich kenne „ans Bein binden“, allerdings eher als Abwehrreaktion: „Das binde ich mir nicht auch noch ans Bein!“ Ob ich das jetzt aber aus München oder Iserlohn (bei Dortmund) habe (die beiden Stationen meiner Jugend), weiss ich nicht mehr.
Ansonsten: Köstliche Unterhaltung!
Thomas
Februar 24th, 2006 at 14:41
bosTiTsch heissts! 🙂
den balkan-witz dazu lasse ich jetzt mal aus, wir sind ja schliesslich nichte rassistisch!
Februar 24th, 2006 at 14:57
@Biit
Dann schau dir mal das Foto vom Bostitch genau an, da ist kein s mehr vor dem ch.
Du hast Schreibweise No. 3 zitiert, neben
Postisch
Bostisch
Postich
Gruss, Jens
Februar 24th, 2006 at 19:15
Mir fällt noch so ein „Markenverb“ ein, nun auf französich: „scotcher“ (= mit Klebestreifen ankleben).
Februar 24th, 2006 at 19:19
man kann es sich auch an “ den hut stecken „.
Februar 24th, 2006 at 23:05
>
Googlen ist ja das beste Beispiel dafür 🙂
Februar 24th, 2006 at 23:05
Nochmals:
—-
Google mal nach Beispielen für „bostitchen“ oder „bostichen“.
—-
Googlen ist ja das beste Beispiel dafür
Februar 25th, 2006 at 14:30
Also das Beispiel mit dem Naseninhalt ans Bein streichen, fand ich schon sehr unappetitlich und ich mache ernsthaft Sorgen, ob sich beim Autor bereits negative Einflüsse vom Bülach-Ghetto bemerkbar machen.
Februar 25th, 2006 at 15:43
@Miki Studer
Wat wotsch? Gehen wir mal auf den Platz zusammen, dann zeig ich Dir mal meinen Trainer… kunti-bunti .. brauch ich echt kein Nastüchli für.
Gruss, Jens
Februar 25th, 2006 at 21:45
„es isch fürd Füchs oder fürd Chatz“
würde es auch noch geben…
ausserdem @Jens, du schreibst: Postich, Bostisch, Postisch seien Varianten; ich meine da fehlt das zweite „t“ wie es ja im Markennamen vorkommt, so ist es mir zumindest geläufig und so höre ichs auch immer wieder, „Bostitsch“, das wollte wohl Biiit auch mitteilen…
Februar 26th, 2006 at 16:40
Habe soeben mit Google „googeln“ gegoogelt… (knapp 400’000 !)
Februar 27th, 2006 at 16:05
Wenn man“google“ googelt bekommt man 905’000’000 Beiträge.
Februar 28th, 2006 at 13:58
Die Franzosen und Westschweizer sagen sogar „stabilo bosser“ zu etwas mit Leuchtstift markieren… (von Stabilo Boss)
Februar 28th, 2006 at 14:48
Ich sage „Scotch“ statt Klebeband. Liegt wohl an meinen italienischen Wurzeln.
http://inchiostro.unipv.it/articolo.php?id=169
April 5th, 2006 at 17:35
In Österreich nennt man Klebeband „Tixo“ vom Namen einer Österreichischen Firma die Klebeband und so ähnliche Produkte macht.
Oktober 31st, 2006 at 16:09
ihr sit doch alles buure us de berge
Februar 15th, 2007 at 17:55
kannste dir anne lenne prömmeln…
kennen sicher nicht allzuviele oder?
Oktober 27th, 2007 at 23:18
Im Raum Wien gebräuchlich:
Das kannst du dir aufzeichnen.
Das kannst du dir in die Haare schmieren.
Das kannst du dir einmagerieren.