Dem Teufel vom Karren gefallen — Neue alte Schweizer Redewendungen

Juni 8th, 2014

(reload vom 28.4.06)

  • Woher stammt das Wort „Karren“?
  • Ein Karren ist in Deutschland ein Fahrzeug, das von Hand oder von einem Zugtier gezogen oder geschoben werden muss. Diese Bezeichnung kommt von Lat. „carrus“ und ist in der Schweiz auch als „Garette“ (von ital. carretta) bekannt.

    Eine „Karre“ ist aber auch ein altes Auto, liebevoll auch als „Rostlaube“, „Nuckelpinne“ oder „Schrottkarre“ betitelt. In Süddeutschland und Österreich kommt noch „Schnauferl“ oder „Spuckerl“ als Kosename hinzu.

    Wir lasen in der Sonntagszeitung vom 9. April auf Seite 22

    Entweder wir stellen uns darauf ein, dass wir in regelmässigen Abständen mit schockierenden Geschichten und Bildern von «Foltercamps» konfrontiert werden – überlassen aber ansonsten diese dem Teufel vom Karren gefallenen Kinder und Jugendlichen ihrem Schicksal. Oder wir lassen unserer Entrüstung Taten folgen.

    Dem Teufel vom Karren gefallen
    (Sonntagszeitung vom 09.04.06 Seite 22)

  • Dem Teufel vom Karren gefallen
  • Wir waren, gelinde gesagt, schockiert über diesen Ausdruck. Wir haben ihn noch nie gehört, und wir verstehen auch nicht, wie er in der sonst so calvinistischen Schweiz, die von Ratio und merkantilem Denken geprägt ist, bis in die heutige Zeit überleben konnte. Es klingt nach finsterem Mittelalter, nach Hexenverbrennung und einem Karren mit Verurteilten auf dem Weg zum Richtplatz.

    Es finden sich bei Google-Schweiz 35 Belege für diese Redewendung, in Deutschland hingegen nur 10, von denen der erste ein Zitat des Schweizer Dichters Jeremias Gotthelf ist:

    Dann sei ein zweiter Fall, und der sei anders. Die Lismerlise im Bohnenloch kennten alle; wenn eine dem Teufel vom Karren gefallen, so sei es die.
    (Quelle: buecherquelle.com)

    Ein paar Belege weisen auf den katholischen Teil der Schweiz:

    Dem Teufel vom Karren gefallen
    Das Roma-Mädchen, die Behörden und die Öffentlichkeit
    Die Geschichte des kriminellen Roma-Mädchens und seiner Familie ist kein Asyl-Skandal, sondern eine Häufung von sehr verschiedenen Nöten.
    (Quelle: kath.ch)

    Die Coopzeitung zitiert Viktor Giacobbo zu seiner Kunstfigur Fredi Hinz:

    Trotzdem mögen Sie Fredi, oder?
    Absolut. Er ist wirklich eine Ausnahmefigur, einer, der dem Teufel vom Karren gefallen ist. Ein Verlierer, der in der untersten Schicht lebt und nie lacht, aber trotzdem gut gelaunt und immer zu einem tiefgründigen Gespräch bereit ist.
    (Quelle: coopzeitung.ch)

    Wie so eine merkwürdigen Redewendungen so lange überleben konnten? Aber so ist das halt mit der Sprache: Ist ein Ausdruck besonders blumig oder besonders brutal, dann prägt er sich leicht ein. Also wird weiterhin in der Schweiz der Teufel seinen Karren durchs Land ziehen, auf dem Weg zum Fegefeuer, und der ein oder andere Jugendliche hoffentlich unterwegs herunterfallen.

    Pfefferminze, Peppermint, Spearmint oder Swissmint?

    Oktober 3rd, 2013

    (reload vom 22.4.06)

  • Nicht Wrigleys Spearmint sondern Swissmint
  • Als wir die Bezeichnung „Swissmint“ das erste Mal lasen, musste wir an die Kaugummi Werbung für „Wrigleys Spearmint“ denken. Wie schmeckt wohl Swissmint? Etwa nach Schweiz? Präzise blumig und kühlich-käsig auf der Zugenspitze und mit einer zarten Schoko-Nougat-Blume im Abgang?

  • Mint heisst nicht nur Minze
  • Mint heisst „Minze“, wir kennen es vom Kaugummigeschmack Peppermint = Pfefferminz. Versuchen Sie Swissmint aber lieber nicht in den Mund zu nehmen um darauf rumzukauen. Sie beissen sich daran nur die Zähne aus. Denn diese „Mint“ ist eine „Münz„, und hinter „Swissmint“ verbirgt sich nichts anderes als die altehrwürdige Schweizer Münzstätte. Sie änderte 1998 ihren Namen:

    Die swissmint ist die offizielle Münzstätte der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den meisten wohl besser bekannt als Eidgenössische Münzstätte oder einfach „Münz“. Seit dem 1. Januar 1998 ist die traditionsreiche Institution eine selbständige Einheit der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Der neue Name signalisiert Aufbruch. Er steht für ein modern geführtes Unternehmen, das mit seinen Produkten und Dienstleistungen neue in- und ausländische Märkte erschliessen will. Die swissmint beschäftigt 21 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
    (Quelle: swissmint.ch)

    Die Schweizer Münzstätte
    (Foto: www.swissmint.ch)
    So modern, dass die Homepage gleich auch auf Englisch und Französisch angeboten wird. Das Tessin und die Räto-Romandie wird von dieser „traditionsreichen Institution“ auf der Website jedoch totgeschwiegen. Nur die Pressetexte gibt es auch auf Französisch und Italienisch. Wo bleibt die Fassung auf Ladinisch, Puter, Vallader, Sursilvan, Sutsilvan, Surmiran und Furlanisch? Oder wenigstens auf Rumantsch Grischun?

  • Was soll aufgebrochen werden?
  • Der neue Name „signalisiert Aufbruch„. Was wir darunter zu verstehen haben? Soll der Tresor mit den Goldvorraten der Schweiz aufgebrochen werden? Den haben sie doch erst kürzlich geleert, um die Vorräte zu versilbern und gerecht zu verteilen. Oder ist das nicht wörtlich zu nehmen? Will die swissmint tatsächlich grundsätzlichen Neuerungen bei den Schweizer Münzen wagen? Wenn man bedenkt, dass in der Schweiz noch 10-Rappen-Münzen aus dem Jahre 1879 (!) im Verkehr sind (vgl. Wiki).

  • Warum hat die swissmint einen englischen Namen?
  • Ganz einfach. Die Schweiz ist ein viersprachiges Land: Französisch, Italienisch, Rätoromanisch und Deutsch Schweizerdeutsch sind die offiziellen Landessprache. Darum heisst diese Anstalt für die Münze auch „swissmint„. Was daran jetzt einfach sein soll? Nun, anstatt vier Namen in vier Landessprachen zu erfinden, die viel Platz auf dem Schild benötigen, braucht es nur einen einzigen, und der ist Englisch, weil das alle verstehen. Warum das allerdings immer auch noch die Kleinschreibung erfordert, ist uns schleierhaft. Vielleicht um deutlich zu machen: Obacht, wir halten uns auch bei der Schreibweise daran: Das ist ein englischer Begriff!

    Gleiches können wir beobachten bei der halbstaatlichen Fernsehgebühren-Eintreib-Gesellschaft „Billag„, eigentlich Bill AG, die ihren Namen nicht von der Englischen Abkürzung von Willhelm „Bill“ Tell hat, sondern ganz profan „the bill = die Rechnung“ bedeutet.

    Wenn es knifflig wird in der Schweiz, wenn man keine der offiziellen Landessprachen bevor- oder benachteiligen will, dann wählen die Schweizer gern einen englischen Namen.

  • Gesucht wird ein neuer Name für das Bundeshaus in Bern
  • Cablecom ist noch so ein Beispiel (Kabelnetzanbieter für Telefon, Internet und Digital-TV) oder Swisscom (Telefon). Die deutsche Telekom schreibt sich übrigens ganz konservativ mit „k“ und nicht „c„, dafür wimmelt es von Anglizismen wie „Long-Distance-Call“ und „City-Call“ auf der Abrechnung der Telekom. Deswegen wurden in Deutschland schon Prozesse geführt, weil Kunden in einem Vertrag mit einem deutschen Unternehmen in Deutschland ein Recht auf deutschsprachige Dokumente haben. Bei soviel Kleingeist kann ich nur sagen: „Take your handy and come to Switzerland, before the English goes you on your biscuit…“

    Das Bundeshaus in Bern soll demnächst auch umbenannt werden. Gesucht wird ein Namen der kurz, präzise und auf Englisch sein sollte und den jeder ohne Anstrengung aussprechen kann. Ausdrücklich soll der Name die Hauptbeschäftigung der Parlamentarier, die vielen „Sitzungen“, und der permanente Prozess der „communication“ beinhalten. Wir hätten da auch gleich einen klasse Vorschlag als Namen für das Bundeshaus: „Sitcom“.

    Der Fünfer und das Weggli — Neue alte Schweizer Redewendungen

    Juni 27th, 2013

    (reload 21.04.06)

  • Kommt der Rappen aus Rapperswil?
  • Das Ortsbezeichung „Weiler“ [mhd. wīler] kommt laut unserem Duden von mlat. villare = Gehöft, zu lat. villa = die Villa. Also stand einst eine Römervilla, wo heute ein „-Wil“ im alemannischen Siedlungsraum zu finden ist. Der Ort „Rapperswil“ ist somit der Weiler aller Rapper? Oder hat der Name doch nichts mit Musik, aber mit kleinen Geldstücken zu tun? Ganz falsch, denn die Rapperswiler waren ein Ostschweizer Adelsgeschlecht, das um 1200 den Ort Rapperswil SG (es gibt noch eine gleichnamige Gemeinde in BE) gründete und 1238 gleich wieder ausstarb.

  • Woher kommt der Rappen?
  • Die Schweizer haben den Franken und die Rappen. Nicht des „Schusters Rappen“, mit denen man zu Fuss gehen kann, weil es sich bei diesen nicht um schwarze Pferde sondern um Schuhe handelt, sondern die kleinen runden Dinger aus dem Portemonnaie, zu dem die Deutschen seit 1871 lieber Geldbörse sagten. Der Name für die Münze hat allerdings mit schwarzen Pferden gar nichts zu tun:

    Die Bezeichnung „Rappen“ geht ziemlich eindeutig auf einen Ursprung zurück: Der in Freiburg ab dem 13. Jahrhundert geprägte Pfennig zeigte ursprünglich einen Adler, der dann zum Raben mutierte. Dieser Münztyp des (Raben-)Pfennigs war am Oberrhein sehr verbreitet. Im so genannten Rappenmünzbund von 1377 schlossen sich zahlreiche Münzstätten zusammen, darunter der Bischof von Basel auch für seine Münzstätte in Breisach; im Elsass Colmar und Thann; aus der heutigen Schweiz die Städte Basel, Schaffhausen, Zofingen, Zürich, Bern, Solothurn sowie Freiburg im Breisgau und weitere Gebiete im Breisgau und im Sundgau. Das Ziel war, ein einheitliches Münzwesen und damit wirtschaftliche Erleichterung zu schaffen. Der Rappenpfennig war darin die Hauptwährungseinheit.
    (Quelle: Wiki)

    Wenn wir dieses Kapitel der Wirtschaftsgeschichte des Oberrheins lesen, das sich in dieser Gegend nach Verschwinden der Zähringer abspielte, fühlen wir uns mächtig erinnert an die Gründe für die Einführung des Euros: „Einheitliches Münzwesen und damit wirtschaftliche Erleichterung“.

  • Fünfzig Rappen sind kleiner als zehn Rappen
  • Eine Kuriosität beim Schweizer Kleingeld ist das Phänomen, dass ein ½ Franken, also 50 Rappen, zwar fünf Mal soviel wert ist wie ein Zehn-Rappenstück, aber dennoch einen kleineren Durchmesser hat. Das soll einer verstehen. Diese kleinen halben Franken verlieren sich folglich leicht in der Geldbörse im Portemonnaie.
    50 Rappen sind ein halber Franken
    (Quelle: www.lexas.biz)
    Das 5 Rappenstück zeigt den Kopf der Libertas , der personifizierten Göttin der Freiheit. Die gute Frau hat übrigens nichts mit der „Helvetia“ zu tun, mit der sie häufig verwechselt wird.
    5 Rappen mit Libertas
    Hier die genauen Masse der Rappenstücke, nur falls Sie sich mal eins selbst aussägen, schnitzen oder giessen möchten:

    5 Rappen Libertas-Kopf (…) Aluminiumbronze 17 mm 1.8 g
    10 Rappen Libertas-Kopf Kupfernickel 19 mm 3 g
    20 Rappen Libertas-Kopf Kupfernickel 21 mm 4 g
    ½ Franken Stehende Helvetia Kupfernickel 18 mm 2.2 g
    (Quelle: Wiki)

  • Warum ist der halbe Franken so klein?
  • Hierzu erhielten wir eine Mail direkt von der swissmint, die wir hier gern zitieren:

    Als im Jahre 1850 das Münzwesen in der Schweiz vereinheitlicht wurde, lehnte sich die neue Münzeinheit der Schweizer Franken eng an das französische Münzsystem. Dabei wurde der Franken wie folgt definiert: 1 Schweizer Franken = 5 Gramm Silber 900/000 fein. Da anfänglich alle Frankennominale vollwertig ausgeprägt wurden, bestand ein halber Franken demzufolge aus Silber 0,900 und war 2,5 Gramm schwer. 1875 wurde der Feingehalt des 1/2-Franken-Stückes auf 0,835 reduziert und die Prägung damit zur Scheidemünze (nicht vollwertig ausgeprägte Münze – das Gewicht blieb gleich), seit 1968 ist der Halbfränkler aus Kupfernickel (Gewicht 2,2 g). Seine Abmessungen sind seit Beginn unverändert.

  • Wenn der Fünfräppler 6 Rappen kostet
  • Auf den Fünfer wird abgerundet oder aufgerundet in der Schweiz, denn 1 Rappen-Stücke gibt es im Alltag so gut wie keine mehr. Die waren einst aus Bronze und hatten einen Durchmesser von 16 mm.

    Swissmint evaluiert zur Zeit, ob der Fünfräppler (5-Rappen-Münze) abgeschafft werden soll, da die Produktion einer 5-Rappen-Münze 6 Rappen kostet und die Münze bei der Bevölkerung eher unbeliebt ist. Als Gegenargument wird die zwingende Preisänderung genannt, da die Preise mit grösster Wahrscheinlichkeit aufgerundet würden.
    (Quelle Wiki)

    Am 13. April schrieb der Tages-Anzeiger dann, dass der Fünfräppler doch nicht abgeschafft werden soll, anders als der Einräppler, welcher zum 1. Januar 2007 aus dem Verkehr gezogen wird. Wir haben ihn ehrlich gesagt noch nie gesehen.
    Fünfräppler bleibt im Portemonnai

  • Fünfer und Weggli
  • Der Fünfer ist übrigens eine sehr begehrte Sache in der Schweiz. Zusammen mit dem Weggli, das wir in Deutschland als Brötchen, Schrippen, Semmel oder auch Wecken kennen, je nachdem in welchem hochdeutschen Gebiet wir unsere fein geschliffene und vor allem stets mit Politur gepflegte Sprache gerade sprechen. Alle wollen den Fünfer und das Weggli haben. Es finden sich bei Google-Schweiz 151 Fundstellen zu dieser Formulierung
    Es ist eine Art von Politik:

    Dies ist eine klassische Fünfer und Weggli-Politik auf dem Buckel der Mieterinnen und Mieter.
    (Quelle sp-zug.ch)

    Eine universelle Lösung für viele Probleme:

    Auf der Suche nach der Fünfer-und-Weggli-Lösung sind wir nun einen Schritt weiter gekommen.
    (Quelle: kocherhans.ch)

    Das wäre die Fünfer-und-Weggli-Lösung gewesen, nämlich eine staatliche Unterstützung ohne Staatseingriffe.
    (Quelle: parlament.ch)

    Oftmals finden wir noch ein „das“ dabei:

    Der Fünfer und das Weggli
    (Quelle: www.tagesanzeiger.ch)

    Auch umgedreht:

    Nein, Sie wollen „das Weggli und den Fünfer
    (Quelle: zuonline.ch)

    So könnten wir munter weiter Quellen zitieren, denn für „Fünfer unds Weggli“ gibt es bei Google noch 22 weitere Belege.
    Und für „Fünfer und das Weggli“ sogar 517 Stellen! Aber wir lassen es, denn sonst mutieren wir noch zur „Googlewiese“, und stattdessen war ja genfreie Genialität vorhergesagt für heute.

  • Aber was heisst denn nun dieser Ausdruck?
  • Sie müssen diese Kombination mögen, die Schweizer. Wir mögen eigentlich lieber Marmelade und frische Butter auf dem Wecken, dem Brötchen. Aber hier geht es ja nicht darum, den Fünfer mit dem Weggli zu essen. Nein, der Ausdruck bedeutet: Man kann nicht alles haben. Wer das Weggli kaufen möchte, muss den Fünfer hergeben. Frei nach dem alten Motto: „Wenn Du nie was ausgibst, kannst Du auch nie was sparen!

    Das zeigt uns, aus welcher alten Zeit diese Redewendung stammen muss. In Deutschland hätten wir als entsprechende Redewendung nur anzubieten:

    Man kann keinen Kuchen backen ohne Eier zu zerbrechen.

    Das gibt es auch auf Englisch

    You can’t have your cake AND eat it, too.

    Merke: Wir Deutschen denken an Kuchen und Eier, wenn wir beides haben wollen, und die Schweizer hingegen an Geld (zuerst) UND an was zu essen. So einfach ist das.

    Wenn der Traktor über Bord geht

    April 16th, 2013

    (reload 19.4.06)

  • Ein Bord hinunter stürzen ist nicht über Bord gehen

  • Wir entdeckten in einer Meldung der Polizei Basel-Landschaft:

    Am Freitag, 24. Februar 2006, um 10.00 Uhr, stürzte ein Traktor am Steinrieselweg in Brislach BL rund fünf Meter ein Bord hinunter. Der Fahrer blieb unverletzt.
    (Quelle: bl.ch)

    Wir machen uns natürlich Sorgen bei dieser Meldung, ob auch dem Lenker nichts zugestossen ist? Vielleicht ist er ja verbogen, in dem Fall? Besonders spannend finden wir an dieser Meldung die Bezeichnung „ein Bord“, denn das war uns bisher nur in ganz anderen Kontexten bekannt.

  • Mann über Bord, Tassen auf das Bord
  • Nämlich in der Seefahrt, wenn jemand „über Bord“ geht, und sich dann im Meer wiederfindet, in der Hoffnung, dass seine Kollegen „an Bord“ ihn wieder rausfischen werden. Oder in der Küche, wenn wir Tassen auf „ein Bord“ stellen, welches wir dann Neudeutsch „Cupboard“ nennen. Oder wir stellen sie im Wohnzimmer auf unser schickes neues „Sideboard“.

    Die Polizeimeldung berichtet weiter:

    Ein 29-jähriger Traktorfahrer war mit der an dem Gefährt angebrachten Schaufel damit beschäftigt, den Steinrieselweg, eine Naturstrasse, zu planieren. Plötzlich bemerkte der Mann, dass bei der Schaufelaufhängung ein Bolzen lose war. Er hielt auf der abfallenden Strasse an und wollte Nachschau halten. Weil er die Handbremse zu wenig stark angezogen hatte, machte sich der Traktor selbstständig und stürzte rund fünf Meter das Bord hinunter.
    (Quelle: bl.ch)

  • Haltet die Nachschau!
  • Auch die Nachschau haben wir noch nie gehalten, bisher kannten wir nur die „Nabelschau“. Wenn man die Nachschau nicht hält, läuft sie dann weg? Immerhin finden wir 63 weitere Belege für „Nachschau halten“ bei Google-Schweiz. Auch in Österreich und Deutschland ist diese Formulierung beliebt, mit Vorliebe taucht sie aber in Schweizer Berichten auf.

    Beim auf der Seite liegenden Traktor lief ein wenig Dieselbenzin aus, welches von der Feuerwehr Brislach aufgenommen wurde. Der Traktor konnte durch den von der Polizei Base-Landschaft aufgebotenen Abschleppdienst in einer spektakulären Aktion wieder auf die Strasse gehoben wurde.

    Andere Städte nehmen Flüchtlinge auf, manche Führungskräfte auch die Arbeit. Hier wird zur Abwechslung mal Dieselbenzin nicht entsorgt oder abgesaugt, sondern aufgenommen. Na klar, es hatte sich ja in der Zwischenzeit auch mit dem Erdreich verbunden. Das der Abschleppdienst nicht einfach bestellt oder geholt, sondern in der Schweiz gleich „aufgeboten“ wird, fiel uns zum Schluss gar nicht mehr auf. Hier dreht sich ständig alles ums „Aufgebot“ , da fällt ein Abschleppwagen mehr oder weniger auch nicht ins Gewicht.

    Nicht das wir uns jetzt als Deutschtümler oder ewige Sprach-Nörgler bezeichnen lassen. Die Meldung der Polizei-Basel (die im Original Text zur Base-Landschaft mutierte, kann mal passieren, bei soviel Säuren und Basen, welche dort in der Chemie produziert werden) ist sprachlich absolut einwandfrei, aber gleichzeitig ein ganz typisches Exemplar Schweizer Schriftsprache, erkennbar am „Bord“ und am „aufbieten“.

  • Was heisst „Bord“ in der Schweiz
  • Wir finden die Antwort im Variantenwörterbuch auf Seite 130:

    Bord CH das; -(e)s, -e/Börder:
    kleiner Abhang, Böschung
    ,
    aufgeworfener oder abschüssiger Rand:
    „Die Wucht des Aufpralls katapultierte [das] Auto zuerst gegen das Heck eines Lieferwagens und schleuderte es danach das Bord hinunter (NLZ 3. 10.2001, Internet)

    In „Gemeindeutschen“, wie das Variantenwörterbuch die Standardsprache nennt, sind nur „Schiffsbord“ und „Ablagebrett an der Wand“ bekannt. Und wenn die Deutschen vom „Bordstein“ oder der „Bordkante“ reden, dann meinen sie den Schweizer „Trottoirrand“.

    Es gibt auch noch die Varianten „Bachbord“ (das nicht mit dem „Backbord“ des Schiffes verwechselt werden darf), „Bahnbord“, „Strassenbord“, „Wegbord“ und, was uns ganz besonders freut, das „Wiesenbord“! Auf keinen Fall darf man an das hübsch Wort „Bord“ noch die Endung „-ell“ anfügen, denn dann ändert es gleich ungemein seine Bedeutung.

    Alle Schweizer sprechen so wie Emil

    März 8th, 2013

    (reload vom 18.4.06)

  • Alle Schweizer sprechen so wie Emil in der ARD
  • Es begann alles mit dem klassischen Missverständnis der Deutschen, die in den 70er und 80er Jahren Emil Steinberger am Fernsehen erlebten:

    Im Jahr 1977 stand er für neun Monate in der Manege des Circus Knie. Die in der ARD ausgestrahlten Emil-Aufzeichnungen machten ihn auch in Deutschland bekannt. Es folgten diverse Tourneen durch die Bundesrepublik und die Schweiz, auch in der DDR trat er mehrmals auf. Wegen dieser überaus erfolgreichen Tourneen entschloss er sich ab 1980 nur noch „Emil“ zu sein.
    (Quelle: Wiki über Emil)

    Daraus schlussfolgerten die Deutschen, die noch niemals gesprochenes Schweizdeutsch im Fernsehen gehört hatten: „Aha, so klingt also Schweizerdeutsch“. Kein Schweizer hatte bis dahin irgend etwas öffentlich auf Dialekt im Deutschen Fernsehen gesagt. Lilo Pulver sprach Hochdeutsch, oder manchmal auch leicht eingefärbtes Bairisch-Österreichisch, je nach Filmrolle. Von Bruno Ganz wusste ich lange gar nicht, dass er Schweizer ist. Er sprach ebenfalls in allen Filmen Hochdeutsch. Nur als Hitler, da sprach er Österreichisch.

  • Warum äffen Deutsche Comedians so blöd Schweizerdeutsch nach?
  • Noch heute wirkt das künstliche „Schweizerische Hochdeutsch“ von Emil nach bei vielen deutschen Comedians. So auch in der Sendung Genial Daneben auf SAT1: Liest Hugo Egon Balder eine Frage aus der Schweiz vor, dann ereifern sich alle sofort und verfallen in die „Emil-Sprechweise“, die sie von den ARD-Aufzeichnungen kennen. Sie mochten diese Sprechweise und halten das ohne Arglist tatsächlich für typisches Schweizerdeutsch!

    Viele Comedians in Deutschland können auf Knopfdruck ihre Vorbilder, mit denen sie aufgewachsen sind, rezitieren und imitieren: Otto Walkes Liveplatten, Sketche der Ulkserie „Klimbim“ (mit Ingrid Steeger), Didi Hallervorden und eben auch EMIL aus der Schweiz. Was anderes aus der Schweiz haben diese Comedians nie erlebt. Es wurde ihnen niemals Mani Matter gezeigt, Lorenz Keiser kam nie im Deutschen Fernsehen. Marco Rima hat in seiner Glanzzeit bei der Wochenschau niemals Schweizerdeutsch gesprochen, und wenn, dann nur in besagter „Emil-Sprechweise“.

    Woher sollen die Deutschen dann wissen, wie Schweizerdeutsch klingt? Selbst Ursus&Nadeschkin haben ihre Programm „Hailights“, das sie lange und mit grossem Erfolg in Deutschland spielten, in einer angepassten Schweizer-Hochdeutschen Version präsentiert. Man wollte dem Deutschen Publikum nicht zumuten, sich wirklich mit Dialekt auseinanderzusetzen.

  • Dialekte kennen die Deutschen auch, nur keine Schweizerdeutschen
  • Die Ignoranz der Deutschen, was die Schweizerdeutschen Dialekte angeht, ist also wirklich nicht ihr Verschulden. Die Deutschen würden auf Anhieb eher Sächsisch, Bairisch, Hessisch, Schwäbisch oder Plattdeutsch als Mundarten aufzählen können, als auch nur einen einzigen Schweizer Dialekt. Woher sollten sie die denn auch kennen. Sie werden ihnen in Film und Fernsehen einfach vorenthalten. Die erfolgreiche Komödie „Achtung, Fertig Charlie!“ wurde auch in Deutschen Kinos gezeigt, allerdings nur in einer auf Schweizer-Hochdeutsch synchronisierten Fassung. Solange wir in Deutschland immer nur den ewigen EMIL als Referenz für „typisches Schweizerdeutsch“ zitieren können, wird sich wohl nie was ändern an der Ahnungslosigkeit der Deutschen. Ob die von den Schweizern vielleicht so gewollt ist?