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Alle Schweizer sprechen so wie Emil

(reload vom 18.4.06)

  • Alle Schweizer sprechen so wie Emil in der ARD
  • Es begann alles mit dem klassischen Missverständnis der Deutschen, die in den 70er und 80er Jahren Emil Steinberger am Fernsehen erlebten:

    Im Jahr 1977 stand er für neun Monate in der Manege des Circus Knie. Die in der ARD ausgestrahlten Emil-Aufzeichnungen machten ihn auch in Deutschland bekannt. Es folgten diverse Tourneen durch die Bundesrepublik und die Schweiz, auch in der DDR trat er mehrmals auf. Wegen dieser überaus erfolgreichen Tourneen entschloss er sich ab 1980 nur noch „Emil“ zu sein.
    (Quelle: Wiki über Emil)

    Daraus schlussfolgerten die Deutschen, die noch niemals gesprochenes Schweizdeutsch im Fernsehen gehört hatten: „Aha, so klingt also Schweizerdeutsch“. Kein Schweizer hatte bis dahin irgend etwas öffentlich auf Dialekt im Deutschen Fernsehen gesagt. Lilo Pulver sprach Hochdeutsch, oder manchmal auch leicht eingefärbtes Bairisch-Österreichisch, je nach Filmrolle. Von Bruno Ganz wusste ich lange gar nicht, dass er Schweizer ist. Er sprach ebenfalls in allen Filmen Hochdeutsch. Nur als Hitler, da sprach er Österreichisch.

  • Warum äffen Deutsche Comedians so blöd Schweizerdeutsch nach?
  • Noch heute wirkt das künstliche „Schweizerische Hochdeutsch“ von Emil nach bei vielen deutschen Comedians. So auch in der Sendung Genial Daneben auf SAT1: Liest Hugo Egon Balder eine Frage aus der Schweiz vor, dann ereifern sich alle sofort und verfallen in die „Emil-Sprechweise“, die sie von den ARD-Aufzeichnungen kennen. Sie mochten diese Sprechweise und halten das ohne Arglist tatsächlich für typisches Schweizerdeutsch!

    Viele Comedians in Deutschland können auf Knopfdruck ihre Vorbilder, mit denen sie aufgewachsen sind, rezitieren und imitieren: Otto Walkes Liveplatten, Sketche der Ulkserie „Klimbim“ (mit Ingrid Steeger), Didi Hallervorden und eben auch EMIL aus der Schweiz. Was anderes aus der Schweiz haben diese Comedians nie erlebt. Es wurde ihnen niemals Mani Matter gezeigt, Lorenz Keiser kam nie im Deutschen Fernsehen. Marco Rima hat in seiner Glanzzeit bei der Wochenschau niemals Schweizerdeutsch gesprochen, und wenn, dann nur in besagter „Emil-Sprechweise“.

    Woher sollen die Deutschen dann wissen, wie Schweizerdeutsch klingt? Selbst Ursus&Nadeschkin haben ihre Programm „Hailights“, das sie lange und mit grossem Erfolg in Deutschland spielten, in einer angepassten Schweizer-Hochdeutschen Version präsentiert. Man wollte dem Deutschen Publikum nicht zumuten, sich wirklich mit Dialekt auseinanderzusetzen.

  • Dialekte kennen die Deutschen auch, nur keine Schweizerdeutschen
  • Die Ignoranz der Deutschen, was die Schweizerdeutschen Dialekte angeht, ist also wirklich nicht ihr Verschulden. Die Deutschen würden auf Anhieb eher Sächsisch, Bairisch, Hessisch, Schwäbisch oder Plattdeutsch als Mundarten aufzählen können, als auch nur einen einzigen Schweizer Dialekt. Woher sollten sie die denn auch kennen. Sie werden ihnen in Film und Fernsehen einfach vorenthalten. Die erfolgreiche Komödie „Achtung, Fertig Charlie!“ wurde auch in Deutschen Kinos gezeigt, allerdings nur in einer auf Schweizer-Hochdeutsch synchronisierten Fassung. Solange wir in Deutschland immer nur den ewigen EMIL als Referenz für „typisches Schweizerdeutsch“ zitieren können, wird sich wohl nie was ändern an der Ahnungslosigkeit der Deutschen. Ob die von den Schweizern vielleicht so gewollt ist?

    

    10 Responses to “Alle Schweizer sprechen so wie Emil”

    1. Laertes Says:

      Die Synchronisation von Schweizerdeutschen Produktionen wird jedoch in der Regel vom deutschen Filmverleih oder Fernsehsender vorgenommen, oder zumindest in Auftrag gegeben.

      Die Schweizer Tatorte sind ein gutes Beispiel hierfür. Diese werden vom SRF auf Schweizerdeutsch produziert, jedoch in dieser Fassung nur in der Schweiz ausgestrahlt. In Deutschland und Österreich wird eine auf Geheiß der ARD synchronisierte Version gesendet (das SRF würde eine Lösung mit Untertiteln bevorzugen). Da man jedoch bei der ARD zugleich den „Regionalkolorit“ der einzelnen Tatortfolgen als wichtig erachtet, erfolgt die Synchronisation mit starkem Schweizer Akzent, was den Anschein erwecken muss, dass dies die in der Schweiz gesprochene Sprache sei. Vor diesem Hintergrund wird sich in naher Zukunft die Perzeption des Schweizerdeutschen in Deutschland kaum ändern.

      Mir stellt sich noch die Frage, inwiefern die im Süden Baden-Württembergers gesprochenen Dialekte in Deutschland bekannt sind (der Autor behauptet in diesem Blog-Eintrag ja, dass die Deutschen mit in Deutschland gesprochenen Dialekten vertraut sind). Denn diese sind dem Schweizerdeutschen sehr ähnlich, zum Teil eigentlich sogar identisch (Schweizerdeutsch ist ja auch nur eine Sammelbezeichnung für die auf dem Gebiet der Schweiz gesprochenen Alemannischen Dialekte).
      Hierzu ist folgender Link interessant:
      http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/suedwest/so-schwaetze-mr-doo

    2. Brenno Says:

      2/1
      Nun ja, früher oder später musste Emil seinen Auftritt bei Jens-Rainer Wiese haben. Der Kabarettist aus Luzern ist in der Tat ein Phänomen, nicht zuletzt deshalb, weil er auch in Deutschland und sogar in der französischsprachigen Schweiz Erfolge feiern konnte. Persönlich bin ich ein Fan von Emil, aber seine Beliebtheit außerhalb der Deutschschweiz beruht nach meinem Dafürhalten weitgehend auf einem Missverständnis, für welches Emil persönlich verantwortlich ist. Durch die unbedarfte Übertragung seiner Texte ins „Hochdeutsche“ bzw. Französische geht der beste Teil seiner Komik verloren, da zahlreiche Anspielungen auf schweizerische Verhältnisse und die schweizerische Mentalität auf der Strecke bleiben. Die Deutschen können bloss über den Schweizer Einfaltspinsel lachen. Obwohl es mich freut, dass der Luzerner sogar im Ausland reüssierte, waren mir jene Auftritte, von denen ich den einen oder anderen im Fernsehen mitverfolgen konnte, jeweils peinlich. Emil macht dabei haargenau das, was ich in meinem Kommentar v. 2. November 2012 zum Artikel „Deutsche wollen Klarheit, Schweizer brauchen Zuhörer“ beschrieben habe: Er überträgt den Originaltext Wort um Wort in die Sprache Goethes. Ob die Deutschen gerade dies amüsant finden?

    3. Brenno Says:

      2/2
      Über die nicht sehr geschickten Versuche von Deutschen, das Schweizerdeutsche bzw. das Schweizer Hochdeutsch nachzuahmen, braucht man sich nicht gross zu ärgern. Dass es auch anders geht, bewies seinerzeit O. W. Fischer im Film „Helden“ von 1958, in dem er einen Schweizer Hauptmann in serbischen Diensten spielt. Wie er, der Österreicher, den Eidgenossen spielt, ist einfach phänomenal. Akzent, Tonfall und Mimik stimmen so perfekt, dass es eine wahre Freude ist. Natürlich imitiert Fischer die Schweizer Sprechweise nicht einfach, sondern er parodiert sie auf eine höchst subtile und gleichzeitig komische Weise. Es soll übrigens niemand glauben, dass dies für einen Österreicher leichter ist als für einen Deutschen. Ein weiteres Highlight in diesem Film ist Fischers Partnerin Liselotte Pulver, die als bulgarische Gutsbesitzertochter Deutsch mit slawischem Akzent zu spielen hat. Ich habe mich schon gefragt, ob die Pulver dem österreichischen Schauspieler mit ein paar Tipps zu seiner überzeugenden Darstellung des Hauptmanns Bluntschli verholfen hat.

    4. Smilla Says:

      Kürzlich regte sich ein Schweizer Freund mit Schauspielausbildung, die ihm ein akzentfreies Hochdeutsch ermöglicht, total darüber auf, dass die Schweizer Radiosprecher während der schriftdeutschen Pflichtpassagen wie Nachrichten oder Verkehrsmeldungen (bereits das Wetter kommt dann wieder in Mundart) eben in dieses Emil-Deutsch verfallen. Für seine Begriffe sollten die Sender entweder Sprecher anheuern, die richtig Hochdeutsch können, oder eben auch die anderen Passagen in Mundart lesen lassen. Für mich sind Schweizer Mundarten nicht mit Dialekten zu vergleichen, sondern als eigene Sprachen zu betrachten. Bedingt durch dieses Emil-Deutsch in den Nachrichten und häufigen Mundart-Gebrauch im sonstigen Programm verzichte ich weitgehend auf die einheimischen Programme, sondern beschränke mich auf Schweizer Zeitungen.

    5. Werner Says:

      @Smilla
      „bereits das Wetter kommt dann wieder in Mundart“
      Da muß ich aber still lächeln. Als ich noch in der Schweiz lebte habe ich oft morgens Nachrichten und Wetter gehört, ich weiß aber nicht mehr, ob es DRS1 oder DRS3 war. Auf jeden Fall wechselten die Wetteransager regelmäßig und darunter war einer, der sprach für einen Schweizer wahrscheinlich reines Hochdeutsch. Ein fataler Irrtum, der Mann hatte einen ganz leichten, für Fremde kaum wahrnehmbaren, ja was wohl?, einen sächsischen Akzent. 🙂 Ich war immer wieder begeistert, sächsisch im DRS. Das hat schon was. (Nichts gegen Sächsisch. Goethe hat in Leipzig u.a. wegen der „zierlichen Sprache“ studiert.)

    6. Martin Says:

      @ Smilla

      > dass die Schweizer Radiosprecher während der schriftdeutschen Pflichtpassagen wie Nachrichten oder Verkehrsmeldungen (bereits das Wetter kommt dann wieder in Mundart) eben in dieses Emil-Deutsch verfallen.

      Das ist korrekt und bedenklich zugleich. Allerdings stimmt das auch nur für die lokalen und privaten Sender mit entsprechend addressiertem Publikum. Hören Sie doch mal in die Sender Radio SRF 2 Kultur und Radio SRF 4 News rein (www.srf.ch/programm/radio/radio-srf-2-kultur/). Insbesondere deren Nachrichtensendungen „Echo der Zeit“, „Kontext“, „Rendez-Vous“, „Tagesgespräch“, oder auch „Reflexe“ kann ich nicht nur sprachlich, sondern vor allem auch in journalistischer Hinsicht empfehlen. Und jedem Neuankömmling und politisch-gesellschaftlich Interessierten in der Schweiz in allen Tönen zu empfehlen. Überhaupt ist dem Radio heutzutage ein Kränzchen zu winden, weil sie dem journalistischen Tiefgang (glücklichwerweise immer noch) weit mehr Gewicht geben als jedes andere News-Medium.

      Im Übrigen, den für mich bisher beste Beitrag zur schweizerischen Eigenart einer Diglossie wurde vom emiritierten Literaturprofessor Peter von Matt geschrieben: „Deutsch in der Deutschen Schweiz“, in: Das Kalb vor der Gotthardpost. Zur Literatur und Politik der Schweiz. Hanser, München 2012

    7. F. Reich Says:

      Herr Wiese, keine Lust mehr oder finden Sie nichts mehr oder sind Sie angepasst worden?

    8. Laertes Says:

      Ich finde, dass Smilla, wenn sie das in Sendungen des SRF gesprochene regional eingefärbte Hochdeutsch pauschal als „Emil Deutsch“ bezeichnet, wohl ein wenig übers Ziel hinaus schießt. Zwar sind die Verkehrsmeldungen manchmal wirklich etwas grenzwertig, aber im großen und ganzen ist das im SRF gesprochene Hochdeutsch doch ganz manierlich.

      Wir sollten nicht vergessen, dass das Hochdeutsch als Kunstsprache basierend auf oberdeutschen Kanzleisprachen erschaffen wurde, um eine überregionale Verständigung zu ermöglichen. Eine einheitliche Aussprache wurde aber nie definiert. Heute gilt zwar, zumindest in Deutschland die norddeutsche Aussprachevariante als Norm, das bedeutet aber nicht, dass eine davon abweichende Aussprache weniger Hochdeutsch wäre.

      Es stimmt ja auch nicht, das Hochdeutsch die Sprache Deutschlands ist, die die Schweizer so zu sagen mifbenutzen. Die Schweiz war an dessen Entstehung und Entwicklung genauso beteiligt, wie andere Deutschsprachige Gebiete. Schaut man sich zum Beispiel Schriftstücke die in Eidgenössischer Kanzleisprache verfasst sind, so ist augenfällig, das die Schweizer schon im 16. Jahrhundert in einer Sprache schrieben, die dem heutigen Hochdeutschen wesentlich näher ist, als dem Schweizerdeutschen. Zum Beispiel die Bibelübersetzung von Ulrich Zwingli, die interessanterweise sogar vor Luthers Übersetzung vollendet war.
      http://www.e-rara.ch/zuz/content/titleinfo/1929192

      Beharrt man auf einer so engen Definition des Hochdeutschen, wie es Smilla in ihrem Beitrag tut, so spricht man zudem einen Autoren wie Friedrich Dürrenmatt oder einen Intellektuellen wie Hans Küng, die zweifelsfrei zu den Größen der deutschen Kultur zählen, die Fähigkeit ab, sich in der deutschen Kultursprache auszudrücken (bzw. ausgedrückt gekonnt zu haben).

    9. Schwabenstreich Says:

      Eins ums Neue lernen wir, dass wir Deutschen gutmütig-arglose, im Grunde genommen liebenswert-naive Trottel sind, die von hinterlistig-bösartigen Schweizern bewusst klein und dumm gehalten werden, damit besagte Schweizer sich auch ja an immer neuem Kanonenfutter von angeblicher Ignoranz und Arroganz der Deutschen gegenüber Schweizern ergötzen und sich einen ewigen Quell von Hass und Missgunst gegenüber ihren nördlichen Nachbarn verschaffen können. Das Schlimmste an dieser klischeehaft überspitzten Sichtweise ist die Tatsache, dass sie tendenziell auch noch stimmt. Um ein paar Störfrequenzen in dieses Bild hineinzubauen, nehme ich die Herausforderung des Bloggers zum Thema Ahnungslosigkeit bezüglich Schweizer Dialekte gerne an:

      Deutschsprachige Schweiz: Niederalemannische Enklaven in Basel und St. Galler Rheintal, Hochalemannisch in der übrigen nördlichen, deutschsprachigen Hälfte, Höchstalemannisch bis Walserdeutsch in der südlichen Hälfte und in der Tessiner Exklave Bosco/Gurin sowie Tiroler Bairisch im Samnauntal.
      Französischsprachige Schweiz: Fast vollständige Assimilation an die Pariser Normsprache, von einigen Resten des frankoprovenzalischen Sprachraums in Sprachinseln wie Evolène, Savièse oder Gruyères abgesehen.
      Italienischsprachige Schweiz: Allesamt alpinlombardische Dialekte sowohl im Tessin als auch in den Bündner Südtälern mit regionalen Besonderheiten und romanischen Mischdialekten wie dem Bargajot im Bergell.
      Rätoromanischsprachige Schweiz: Anstelle der künstlichen Hochsprache Rumantsch Grischun wird überall das regionale Idiom bevorzugt, etwa Sursilvan und Sutsilvan an Vorder- und Hinterrhein, Surmeir im Oberhalbstein oder die ladinisch beeinflussten Idiome Putèr im Ober- und Vallader im Unterengadin samt der lokalen Spezialität Jauer im Münstertal.

      Genügt diese Auflistung den Ansprüchen eines Philologen wie unserem geschätzten Blogger? Ergänzungen erbeten! (Ach ja, in den entsprechenden Varietäten der jeweiligen Gebärdensprachen, dem Rotwelschen bzw. Berner Mattenenglisch und dem Romanes kenne ich mich nun wirklich gar nicht aus…)

    10. Brenno Says:

      Nicht schlecht, das mit Samnaun. Die wenigsten Schweizer wissen davon.
      Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Samnaun (Abschnitt Sprachen)