Kleine Typologie der deutschfreundlichen Schweizer

Mai 27th, 2011

(reload vom 21.11.06)

  • Die aus dem „grossen Kanton“
  • Wir haben auf der Blogwiese viel über die versteckten und von den Deutschen zum Grossteil nicht wahrgenommenen Aversionen mancher Schweizer gegenüber den zugezogenen Einwohnern aus dem nördlichen Nachbarland berichtet. Schon die Umschreibung „die aus dem grossen Kanton“ zeigt uns eine Dichotomie auf, welche die uns bekannten Schweizer in zwei Gruppen teilt. Wir nennen sie die „Integrierer“ und die „Abgrenzer“. Wer von Deutschland als vom „grossen Kanton“ spricht, ist ganz offensichtlich ein Integrierer, denn hier wurde ganz Deutschland bereits zum Teil der Schweiz erklärt, natürlich nur im Spass, oder sollten wir ein Referendum „Beitritt Deutschland als 27. Kanton der Eidgenossenschaft“ ins Leben rufen? Warum nicht gleich alle Länder der EU? „Confoederatio Europae“ oder CE, mit Sitz in Bern, wo sonst, wäre doch kein schlechtes Staatenmodell für die Zukunft, oder?
    Aber es gibt noch mehr als nur diese beiden Grundtypen. Darum heute eine kleine Typologie der deutschfreundlichen Schweizer und wie Sie sie erkennen können.

  • Fragen Sie: „Soll ich Schweizerdeutsch lernen?“
  • Diese einfache Frage müssen Sie Ihren Schweizer Nachbarn, Kollegen, Freunden oder Bekannten stellen, um sie schnell und einfach in unsere kleine „Typologie der deutschfreundlichen Schweizer“ einordnen zu können:

  • Der Abgrenzer
  • „Ach nee, lass das lieber. Das tönt sowieso ganz furchtbar, wenn ein Deutscher versucht Schweizerdeutsch zu lernen. Bleib Du bei Deinem Heimatdialekt.“ Und im stillen denkt er sich noch: „… und lass uns den unsrigen, denn den geben wir nicht her, den wollen wir nicht teilen. Wenn wir den nicht hätten, wie sollten wir uns dann noch von Euch unterscheiden?“
    Abgrenzen, unterschieden, eine klare Trennlinie ziehen, dass ist die Vorgehensweise des „Abgrenzers“. Die Angst vor der Ähnlichkeit mit dem anderen, vor dem Verlust der eigenen Identität, die vielleicht nur auf die Sprache begründet ist, das mag hier die tiefenpsychologische Grundlage für die Denkweise des Ausgrenzers sein.

  • Der Integrierer
  • Na klar, lerne so schnell wie möglich Schweizerdeutsch! Aber geh erst in die Öffentlichkeit damit, wenn Du es perfekt kannst..“ Dann wirst Du so wie wir, einer von uns, kaum mehr zu unterscheiden.
    Der Integrierer hat erkannt, dass die Schweiz sowieso eine permanente Durchmischung und Vermischung von Dialekten erlebt, wie es im Begriff „Bahnhofbüffet-Olten-Dialekt“ zum Ausdruck kommt. Vielleicht hat er selbst schon mehrfach den Kanton gewechselt in jungen Jahren und stets wieder von vorn begonnen mit dem Dialektlernen. Das prägt fürs Leben.

  • Der Ungeduldige
  • Wie, Sie sind schon zwei Jahre hier und haben immer noch nicht den Schweizerpass beantragt? Wann lernen Sie endlich Dütsch sprechen so wie alle hier?“ . Auch solchen Menschen kann man in der Schweiz begegnen. In der Regel sind diese Menschen entweder nie aus der Schweiz herausgekommen, oder sie kamen selbst als Secondos hierher, und sind nun glühende Verteidiger der neuen Heimat. Alle Nachzügler müssen es ihnen gleich tun.

  • Der Ungläubige
  • Die Deutschen sind sowieso nicht in der Lage, überhaupt irgendeine Fremdsprache zu lernen. Manche der Jüngeren können Englisch, aber auf Mallorca bestellen Sie ihren Kaffee Haag mit Eisbein und Sauerkraut immer noch ausschliesslich auf Deutsch.“
    Der Ungläubige kennt die Deutschen gut, denn er gucke ja immer deutsches Fernsehen, da weiss man bald alles über das Land und die Menschen. Vor allem über das Schulsystem und die erste und zweite Fremdsprache dort. Die Filme sind seiner Meinung nach in Deutschland immer in der Originalfassung zu sehen, weil niemand dort Englisch oder Französisch kann.

  • Der Tolerante
  • Ach, du kannst reden wie Du willst. Soll ich auch Hochdeutsch reden oder kommst Du klar, wenn ich Schweizerdeutsch spreche?“. Der Tolerante hat unter Garantie selbst Jahre im Ausland verlebt, vielleicht seine Ehefrau von dort mitgebracht, und spricht 3-4 Sprachen fliessend.

  • Der Germanophile (aus der Westschweiz)
  • Oh, sprich doch bitte weiterhin Hochdeutsch mit mir! Es klingt so schön. Endlich kann ich reden, wie ich es jahrelang in der Schule gelernt habe. Hier in Zürich sprechen alle sofort Französisch mit mir, wenn ich nur den hochdeutschen Mund aufmache, dabei will ich doch mein Deutsch nicht verlernen. Ich werde wohl doch so einen Kurs bei der Migros-Klubschule besuchen müssen, wenn ich noch länger hier leben und arbeiten möchte.“

  • Und was meint der Wissenschaftler dazu?
  • Werner Koller ist Zürcher, Sprachwissenschaftler und hat die sprachsoziologische Untersuchung «Deutsche in der Deutschschweiz» veröffentlicht.
    Werner Koller auf seiner Homepage
    (Quelle Foto: hf.uib.no)
    In einem Interview mit dem Bund wurde er zu der Situation der Deutschen in der Schweiz befragt:

    «bund»: Manche Deutschen, die schon lange in der Schweiz leben, fühlen sich immer noch nicht heimisch – wie kommt das?
    Werner Koller: Deutsche haben beste Voraussetzungen für das «Heimisch-Werden» in der Schweiz: Sie unterscheiden sich weder vom Aussehen noch vom kulturellen Hintergrund stark von den Schweizern. Paradox ist: Gerade wegen der Ähnlichkeiten werden die Unterschiede umso stärkerer wahrgenommen. Es gibt viele Deutsche, die die ersten Jahre als problematisch, ja belastend empfinden. Sie erleben die Situation in der Schweiz verschiedener, als sie es erwartet haben. Das betrifft Mentalität und Charakter, die Art und Weise, wie Schweizer miteinander umgehen, und vor allem die Stärke der Vorurteile, die sie gegenüber Deutschen haben. Die Unterschiede müssen nicht gross sein, damit man in der Schweiz als Ausländer behandelt wird.
    (Quelle: Der Bund vom 17.06.06, auch alle weiteren Zitate dort)

    Streng nach der alten Devise: Jeder ist fast überall auf der Welt ein Ausländer. Wir erinnern noch einmal an die Bekannten aus Ostdeutschland, die hier in der Schweiz alles sehr schön fanden, „bis auf die schrecklich vielen Ausländer“. Kein Witz, bittere Realität ohne Selbsterkenntnis.

    Auf die Frage, ob die Deutschen Schweizerdeutsch lernen sollen, meint Werner Koller:

    Natürlich kann man Schweizerdeutsch, wie jede andere Sprache, lernen. Es gibt viele in der Schweiz wohnhafte Deutsche, die Schweizerdeutsch sehr gut sprechen. Bei einigen denken Schweizer höchstens, dass sie «aus einem anderen Kanton» stammen. Das Problem liegt nicht beim Können, sondern bei der Motivation: Man kann sich in der Deutschschweiz mit Hochdeutsch verständigen.

    Richtig. Ein Deutscher muss hierfür einsehen, was es bedeutet, in der Schweiz den nicht einfachen Lokaldialekt tatsächlich lernen zu wollen. Die wochenlangen Reportagen einer Deutschen bei Blick haben die Leser nicht nur amüsiert, sondern auch aufgezeigt, wie schwierig es ist, nicht verschriftete Sprachen systematisch zu lehren und zu lernen.
    Katia Murmann bei Mundart-Kurs
    (Quelle Foto: Blick.ch 02.10.06)

    Sprache ist mehr als ein Kommunikationsmittel. Werner Koller meint:

    Sprache markiert Identität, meine Sprache und ich – wir gehören zusammen. Zur sozialen Identität gehört auch die Zugehörigkeit zu einer Region, einem Dorf – und die Sprache verrät, «woher man kommt». Wenn Deutsche, die hauptsächlich Hochdeutsch sprechen, die Grussformeln Grüezi, Uf Widerluege verwenden, signalisieren sie die Bereitschaft, an den sprachlichen Ritualen teilzunehmen, sich den Gewohnheiten der Schweizer anzupassen.

    Warum kann beim Versuch, Deutsch zu lernen, auch das Gegenteil bei den Schweizern auslösen?

    (bund): Deutsche, die Schweizerdeutsch sprechen, kommen nicht gut an . . .
    (W. Koller) Das kann man so allgemein nicht sagen. Tatsächlich werden Deutsche mit zwei Haltungen konfrontiert. Einerseits geben Schweizer zu erkennen, dass sie durchaus sprachliche Anpassung erwarten. Andererseits hören Deutsche auch, sie sollten «bei ihrer Sprache bleiben». Die Abwehrreflexe kommen in Aussagen zum Ausdruck wie: Deutsche sollen ihre Identität bewahren und sich nicht «ins Schweizerische drängen». Deutsche sollen nicht Dialekt reden, weil der Dialekt der Abgrenzung gegenüber «dem grossen Bruder im Norden» dient.

    Da wären wir bei unserem Lieblingstypen, dem Abgrenzer. Es ist nicht leicht zu wissen, wie man mit all diesen verschieden Typen umgehen sollte, es gibt auch kein Patentrezept, denn nicht jedem fällt das Sprachenlernen leicht. Ich persönlich habe beschlossen, als nächstes mindestens zwei rätoromanische Sprachen zu lernen, um so mitzuhelfen, diese Varianten vor dem Aussterben zu bewahren. Mal sehen wie weit ich dann in Zürich komme, wenn ich auf Rumantsch nach dem Weg frage.

    Haben Sie heute schon legiferiert? — Neues aus dem Schweizer Sprachalltag

    Mai 22nd, 2011

    (reload vom 22.05.07)

  • Die lateinische Schweiz spricht kein Latein
  • Als „lateinische Schweiz“ bezeichnet man in der Schweiz die Landesteile, deren Bewohner sich auf Sprachen miteinander verständigen, welche aus dem Lateinischen, genauer gesagt dem gesprochenen „Vulgärlatein“ der Römer entstanden sind (vgl. Blogwiese). Dennoch sind Latein bzw. Fremdwörter aus dem Lateinischen in der Schweiz erstaunlich häufig anzutreffen, so z. B. in einem Artikel des Tages-Anzeigers, der sich ironischer Weise mit der „Diskriminierung der Deutschsprachigen“ im dreisprachigen Kanton Graubünden befasst:

    Am 17. Juni entscheiden die Bündner Stimmberechtigten erstmals in der Geschichte des Kantons über ein Sprachengesetz. Dessen oberstes Ziel ist es, „die Dreisprachigkeit als Wesensmerkmal des Kantons zu stärken“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger 19.05.07)

    Das Erstaunliche an dieser Abstimmung ist, dass sie überhaupt zu Stande kommt. Denn eigentlich war die Sache längst entschieden:

    „Der Grosse Rat hatte entschieden, dass eine Gemeinde künftig als einsprachig gelten soll, wenn 40 Prozent der Bevölkerung romanisch- oder italienischsprachig sind.“ (…)

    Der 49jährige Rechtsanwalt Peter Schnyder

    „ergriff zusammen mit ein paar Gleichgesinnten das Referendum. Er tat dies, obwohl der Grosse Rat das Sprachengesetz ohne Gegenstimme gutgeheissen hatte und ebenfalls fast einstimmig einen Antrag abschmetterte, die Vorlage dem Volk zu unterbreiten“
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 19.05.05, S. 3)

    Wir haben schon vor langer Zeit verstanden, dass das „Referendum“ nicht „ergriffen“ wird, weil es auf der Flucht ist (vgl. Blogwiese). Aber der nächste Satz liess uns dann wieder sehr an unserer eigenen „Deutschsprachigkeit“ zweifeln:

    „Die Ziele des Referendums seien illusionär, weil im Fall einer Annahme der Bund zu Gunsten des Rätoromanischen legiferieren würde“.

  • Legifer… was?
  • Lex, legis (f.), das weiss der Lateiner, heisst „das Gesetz“, weiblich. „Ferre“ = hervorbringen, schaffen. Und so erklärt uns unser Duden:

    legiferieren lat. legifer „gesetzgebend“ (dies zu lex, Gen. legis „Gesetz“ u. ferre „hervorbringen, schaffen“) u. …ieren>: Gesetze verabschieden (früher in Österreich)
    (Quelle: duden.de)

    Stutzig macht uns aber die kleine Randbemerkung „früher in Österreich“. Wie so oft scheint die Duden-Redaktion nicht ganz auf dem neusten Stand zu sein. Denn der kleine Google-Test belegt:
    Es finden sich bei 2’970 Belege für „legiferieren“ bei Google-CH, verglichen mit jämmerlichen 307 Stellen bei Google-DE, und das sind zumeist Zitate aus Fremdwörterbüchern, die das Wort erklären. Vielleicht ist Google-Österreich noch zu klein und unbedeutend, denn dort fand sich nur 10 Erwähnungen. Warum also die Schlussfolgerung „früher in Österreich“?

  • Wann legiferieren denn Sie?
  • Wir fragen uns bei solchen Wörtern im Tages-Anzeiger nur, ob sie wirklich in der Schweiz von jedem durchschnittlich gebildeten Zeitungsleser verstanden werden. Gleich morgen werden wir unser freundliches Gegenüber in der S-Bahn anquatschen ansprechen und fragen, wann er den zum letzten Mal beim Legiferieren zugeschaut hat oder ob er wohlmöglich selbst gelegentlich legiferiert?

    P.S.: Die erste Bülacher Bürgerin, die ich dann bei der Probe aufs Exempel beim Landi anquatschte ansprach, konnte mir das Wort nicht erklären, entgegnete mir aber schlagfertig auf Hochdeutsch (ich kannte die Frau nicht) „Aber das schreiben Sie sicher dann morgen in der Zeitung!“ Soviel zum Thema „anonymer Feldversuch“.

    P.P.S.: Die Sursilvan sprechende Graubündnerin Diana Juerg von DRS1 kannte das Wort auch nicht, konnte es aber halbwegs herleiten.

    Warum die Appenzeller einen Löffel an den Löffeln tragen — Neues aus der Ostschweiz

    Mai 18th, 2011

    (relaod vom 21.05.07)

  • Bei Sonnenaufgang mit der Kuh bergauf
  • Im Mai 2007 wurde von der SBB für Tagesausflüge in die Ostschweiz geworben, bezeichnet als das „Morgenland“ der Eidgenossenschaft, bevölkert von Menschen mit schwarzen Hüten und kleinen Löffeln an den Ohren, die bei Sonnenaufgang ihre Hunde Kühe an der Leine auf den Berg führen, oder so ähnlich. Die Kampagne hiess: „Entdecken Sie das Morgenland„.

    Morgenland der Schweiz
    (Quelle Foto: sbb.ch)

    Betrachtet man Appenzeller Männer genauer, fällt einem sofort ein merkwürdiges Teil am rechten Ohr auf:
    Appenzeller mit Ohrschmuck
    (Quelle Foto: appenzell.ch)

    Was die Appenzeller Männer da am rechten Ohr tragen, nennt sich „Ohrschuefe“:
    Ohrschuefen
    (Quelle Foto: appenzeller-schmuck.ch)

    Der Preis dieser Schmuckstücke (vergoldet, aber aus Silber) wird nur auf Anfrage bekanntgegeben, er ist offensichtlich genauso Geheimsache wie das Rezept der Kräutersulz für den Appenzeller Käse, das auch Heiner Lauterbach Uwe Ochsenknecht nicht erfuhr:


    Das Geheimnis der Kräutersulz ist für jeden aufmerksamen Beobachter offensichtlich. Man beachte einfach die Farbe und die Konsistenz der gezeigten Flüssigkeit.

    Was ist in den Flaschen?

    Auch der Form der Flasche oben rechts im Bild kommt mir vom letzten Spitalaufenthalt im Januar noch sehr bekannt vor (à propos: Dem Bein geht es besser, Nagel ist noch drin, Laufen geht langsam, Schwimmen und Velofahren sogar schnell). Man nennt solche Weithalsflaschen in der Chemie auch „Erlmeierkolben“ oder „Birnenmann“. Urea Pura oder auch Kohlensäurediamid soll sehr würzend sein. Wer nun Harndrang verspürt, bei dem sind die Reflexe noch in Ordnung.

  • Absatzsteigerung um 14 Prozent
  • Dieser Film wurde von der Agentur Contexta AG aus Bern für die Appenzeller Käse GmbH in Appenzell produziert:

    Appenzeller ist einer der profiliertesten Käse der Schweiz, hat aber wegen Konsumentenlust auf Abwechslung, sinkende Markentreue sowie Preisaktions- und Sortimentszunahme im Handel an Marktanteil verloren. Mit der Kampagne wurden der Aktualitätsgrad stark erhöht und die Kaufintervalle verkürzt. Daraus resultierte eine Absatzsteigerung um stolze 14%.
    (Quelle: EFFIE.ch)

    Der Film bekam den Werbepreis Swiss-EFFIE 2006.

    Vielleicht hat ja doch jemand verraten, was in der Sulz ist, weswegen der Marktanteil dann rapide verloren ging?

  • Wazu kann man diesen Schaufel-Löffel gebrauchen?
  • So ganz ist uns die Funktion dieses Löffels noch nicht klar geworden. Kann man ihn vom Ohr abnehmen, um schnell mal ein Pröbchen der Kräutersulz zu verköstigen, ohne sich dabei die Finger zu benetzen? Oder wird er benötigt, um damit über einer Kerzenflamme diverse Substanzen aufzukochen, sozusagen als portables Spritzenbesteck?
    Wir finden diese Erklärung

    Die Ohrschuefe ist ein kleiner Schöpflöffel der geschilderten Art, meistens aus vergoldetem Silber, aufgehängt an einem S-Haken, der in eine Schlange übergeht, die sich in den Schwanz beisst. Die Schuefe wird nur am rechten Ohr getragen.
    (Quelle: waldegg-teufen.ch)

    Bevor wir nun darüber spekulieren, welche geheime Bedeutung die Schlange haben mag, wenden wir uns lieber dem Appenzeller Dialekt zu. Zwei Männer mit Löffel im Ohr geben uns davon ein hübsches Beispiel:

    Sprachlich gesehen höchst interessant! Verstanden haben wir den Witz allerdings nicht so ganz. Oder war da gar keiner?

    Nicht gähnen bitte — Wenn alles „so gäh“ ist

    Mai 13th, 2011

    (reload vom 16.05.11)

  • Steil ist wichtig
  • Bei manchen Ausdrücken im gesprochenen Schweizerdeutsch sind die Gene des ehemaligen Bergvolkes noch deutlich zu spüren. Ein Bergvolk plagte sich dereinst ab an steilen Berghängen und Wiesen. Während im deutschen Flachland ein „steiler Zahn“ unter den Jugendlichen „Halbstarken“ in den Fünfzigern noch ein beliebter Ausdruck für ein hübsches Mädchen war, pflegen die Schweizer heutzutage in Erinnerung an die „steilen Lagen“ noch ein paar andere Ausdrücke für „steil“ zu verwenden:

  • So gäh = so steil
  • So gäh“ hörten wir in einem Gespräch zwischen jungen Zürchern in der S-Bahn, „so gäh“ sei eine Sache gewesen. Nein, sie sprachen gewiss nicht von der letzten Wanderung auf den Pilatus, dem Hausberg von Luzern.
    Die Erklärung für diese Wort fand sich dann glücklich im Slangikon

    So gäh
    (Quelle: Slangikon)

    es gaht zümftig abe, gäch, högerig, schtotzig, schtötzlig, spitzig, zünftig

    Nun, bei „zümftig“ und „zünftig“ sind natürlich die alten Zünfte mit im Spiel, die sich althochdeutsch noch mit „m“ schrieben als „Zumft“ (vgl. Wikipedia).
    Hingegen „schtotzig“, „schtötzlig“ müssen eindeutig von besagten unbequemen Bergpfaden hergeleitet worden sein. Selbst unser Duden spricht dieses Wort den Alemannen zu:

    stọtzig [alemann. stotzig = steil, zu: Stotz[e] = Hügel, Abhang] (bes. südwestd., schweiz.): steil: der Weg war stozig
    (Quelle: duden.de)

    Doch etwas fehlt in der Erklärung des Dudens, denn nicht der Weg allein war schtozig, schtotzlig oder stozig, sondern auch das letzte Event in Zürich, zumindest im Gespräch meiner S-Bahn Nachbarn. Oder sprachen die eventuell doch vom letzten Kletterwochenende?

  • Gäh ist alt
  • Aber gäh? Es erinnert uns an „gähnen“, dem plötzlichen Maulaufreissen, was wir kaum unterdrücken können, am Ende einer durchtanzten Nacht. Dabei hat dieses Wörtchen, bevor es im Zürcher Slangikon der Jugendsprache auftauchte, schon gewaltige Karriere im Deutschen gemacht, wie ein Auszug aus Grimms Wörterbuch belegt:

    1) rasch, von höchster schnelligkeit oder eile, mhd. die vorherschende bed., ahd. z. b. gâheჳ waჳჳer (…)
    a) von stürzenden dingen, wie eben ahd.: platzregen oder geher regen (…)
    der dick beschäumte flusz dringt durch der felsen ritzen
    und schieszt mit gäher kraft weit über ihren wall. (…)
    b) von menschen, thieren in bewegung, von allerlei thun überhaupt: ein gächs wenden im lauf, (…), man beachte den starken lat. ausdruck; darfst (brauchst) du nit ze eilen, so ist mir auch nit gäch. (…)
    c) meistens und vielleicht ursprünglich rasch mit ungestüm, ‚überstürzung‘: preceps … ein geher, gar gech, der sich übergrift. (…)
    e) auch als a d v . (wofür besser gach, s. d.): hoch kompt man nit gäh. (…)
    2) steil abfallend.
    a) mhd. zwar noch nicht belegt, aber sicher durch ahd. ‚gâhi abrupta‘ GRAFF 4, 129 und durch ein swinde gæhe, steile bergwand:
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Wir können nicht genug bekommen von diesen vielen Belegen in den unterschiedlichsten Schreibweisen. Die Verwandschaft von „gäh“ zu „jäh“, noch erhalten in „jähzorning“ wird deutlich.

    jähzornig [spätmhd. gæchzornig] : zu Jähzorn neigend; sich in einer Anwandlung von Jähzorn befindend: ein -er Charakter; j. fuhr er auf.
    (Quelle: Duden.de)

    Und nun wird klar, dass wir mit diesem vermeintlich neuem Schweizerdeutschen Wort einfach ein sehr altes Deutsches Wort in der S-Bahn gehört und im Zürcher Slangikon wiederentdeckten hatten. Nebenbei bemerkt: Auch im Ruhrgebiet wird ein „jetzt“ zu „getzt“ verhärtet. Und getzt ist Feierabend.

    Ob Spanner auch zusammen spannen? — Neue Schweizer Lieblingswörter

    Mai 9th, 2011

    (reload vom 15.05.07)

  • Was ist eigentlich ein Spanner?
  • Ein „Spanner“ ist eine Vorrichtung zum Spannen, erklärt uns unser Duden:

    Spạnner, der; -s, -:
    1. a) Vorrichtung zum Spannen von etw.: den Tennisschläger in den Spanner stecken;
    b) kurz für Hosenspanner;
    c) kurz für Schuhspanner.

    Das Verb „spannen“ kann in der Schweizer weitere spannende Bedeutungen bekommen, denn hier wird ständig gespannt, und zwar zusammen und in Gemeinschaft:

    So hörten wir in der Sendung 10 vor 10:

    „Die UBS spannt zusammen mit dem WEF“

    Und lasen im Tages-Anzeiger:

    Vergangenes Jahr lehnte es beispielsweise das reiche Brugg in einer Volksabstimmung ab, mit dem verschuldeten Windisch zusammenzuspannen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger 10.03.07 S. 5)

    Die hochindustrialisierte Eidgenossenschaft, in der gern mal das „Heu auf der gleichen Bühne gelagert“ wird, oder so mancher „sauber überm Nierenstück“ ist, pflegt auch im 21. Jahrhundert das Zusammenspannen:

    Es spannt die Binnenwirtschaft zusammen
    (Quelle: www.sbv-usp.ch)

    Die SBB mit dem SRK (Schweizer Roten Kreuz) (Quelle: redcross.ch), und sogar der japanische Mischkonzern Sanyo mit Telion.

    Unser Duden erklärt:

    zusạmmenspannen :
    1. als ein Gespann einspannen: vier Pferde z.; Ü einen alten und einen jungen Mann z.
    2. (schweiz.) sich mit jmdm. zusammentun, zusammenschließen: sie spannte mit ihrer Nachbarin zusammen.
    (Quelle duden.de)

    Eindeutig ein helvetisches Erbe in der gemeinsamen Deutschen Sprache! Die belegen zusätzlich die 33.500 Fundstellen bei Google-CH für „spannt zusammen“. Deutlich erkennen wir die Sprache der ehemaligen Pferdebesitzer. Vom anfänglich erwähnten Spanner, der sein privates Hobby des Spannens gern allein und nicht zusammen ausübt, ist leider nirgends mehr die Rede. Doch unser Duden kennt auch ihn:

    3. (salopp) a) Voyeur: er ist ein alter Spanner;
    b) jmd., der bei unerlaubten, ungesetzlichen Handlungen die Aufgabe hat, aufzupassen u. zu warnen, wenn Gefahr besteht, entdeckt zu werden.
    (Quelle: duden.de)

    Die zweite Bedeutung unter b) kannten wir nicht. Das war bisher jemand, der „Schmiere steht“. Aber man lernt ja nie aus. Den Schmetterling namens „Spanner“ haben wir auch unerwähnt gelassen. Wo gibt es denn noch Schmetterlinge, ausser im Papilorama bei Kerzers?
    Echter Spanner
    Echter Spanner
    (Quelle Foto: rotholl.at)