Sind Sie auch sauber übers Nierenstück?
Lange mussten wir warten, um das passende Gegenstück zum „Tolgen im Reinheft“ (vlg. Blogwiese) der Schweizer zu finden. Doch dann stiessen wir im Fachblatt für das T-äglich A-ngewandte G-ebrauchs I-diom auf diesen Passus:
Giezendanner steht auf und legt Gerichtspräsident Christian Sigg Unterlagen auf dem Tisch. Sie sollen dokumentieren, dass seine Firma sauber übers Nierstück ist.
(Quelle: Tages-Anzeiger vom 24.05.06, S. 3)
Eigentlich haben Nierenstücke immer sauber zu sein. Schliesslich wollen wir sie ja essen. Es gibt sie vom Schwein genauso wie vom Rind:
(Quelle Foto: delicarna.ch)
Für uns Deutsche ist das Tollste an diesem leckeren Stück Fleisch die Tatsache, dass es überhaupt nichts mit der Niere von einem Schwein oder Rind zu tun hat, sondern das Wort „Niere“ (ohne Endungs-E) lediglich auf die Position verweist:
Grafik Wikipedia
(Zeichnung aus Wikipedia)
In Deutschland nennen wir dies sehr teutonisch-preussisch „Kotelett“:
Koteletts (von französisch côtelette für Rippchen aus französisch côte, bzw. lateinisch costa für „Seite, Rippe“) oder Karrees sind Scheiben aus dem Rippenstück (auch Karree, Rücken oder Kotelettstrang genannt) mit Knochen (…). Beim Schwein reicht der Kotelettstrang bis zur Hinterkeule. Die vorderen Koteletts werden wegen der anliegenden Rippenknochen Stiel- oder Rippenkotelett genannt, die hinteren, die auch Teile des Filets enthalten, Lummer- oder Lendenkotelett, schweizerisch Nierenstück. Dieses Teilstück ist besonders knochenarm und mager.
(Quelle: Wikipedia)
So müssen wir also keine Angst haben, Niere vorgesetzt zu bekommen, sondern können weiter von Koteletts träumen. Mag hier jemand Niere? Aber was hat ein leckeres Fleischgericht nun mit dem „Tolgen im Reinheft“ zu tun? Wir finden zwar eine Erklärung für die Redewendung „Sauber sein übers Nierenstück“:
eine weiße (o. reine o. saubere) Weste haben – sauber sein übers Nierenstück
(Quelle: proverbium.eu)
haben deswegen aber noch nicht verstanden, warum die Schweizer ausgerechnet an Koteletts denken, wenn sie eine „weisse Weste“ meinen. Mal sehen, wo sich diese Redewendung sonst noch finden lässt. Google kennt zwei Varianten: Mit und ohne Binnen-E: „Sauber übers Nierenstück“ und „Sauber übers Nierstück“. Besonders überrascht hat uns eine Fundstelle bei unserem Schweizer Lieblingsdichter, Gottfried Keller. Sie wissen schon, der Mann mit der Lizenz zum „i“ schreiben im Adjektiv „Züricher“ (vgl. Blogwiese) .
In seiner berühmten Novelle „Das Fähnlein der sieben Aufrechten“, die mehrfach verfilmt wurde (zuletzt etwas unglücklich 2001, siehe IMDB ) heisst es:
nie drängte sich einer von ihnen vor oder strebte nach einem Vorteil oder nach einem Amte, und ihre größte Ehre setzten sie darein, gelegentlich einem oder dem andern »berühmten Eidgenossen« schnell die Hand zu drücken; aber es mußte schon ein rechter sein und »sauber übers Nierenstück«, wie sie zu sagen pflegten.
(Quelle: Das Fähnlein der Sieben Aufrechten)
Auffallend ist hier, das Keller den Buchstaben „e“ zwar Hochdeutsch mässig mitschreibt, die Redewendung aber mit Gänsefüsschen als eine solche deutlich kennzeichnet. Helvetismen sind verdammt schwer zu finden bei ihm!
Auf einer christlichen Website finden wir den Ausdruck ebenfalls:
Jesus hatte keine Berührungsängste. Er konnte mit allen Menschen reden. Auch mit solchen, die nach dem Urteil der Gesetzeslehrer nicht sauber übers Nierstück waren.
(Quelle: Christkath.ch)
Laut unserem Sprichwörter-Duden galt die Niere früher als Sitz der Gemütsbewegungen, auch allgemein als Sitz der Lebenskraft. Daher rühren noch die Wendung „Es geht mir an die Nieren“ oder „etwas auf Herz und Nieren prüfen“. Die Schweizer scheinen hier pragmatischer veranlagt zu sein: Wer über dem Nierenstück sauber ist, hat eine reine Weste und nichts zu verbergen. Warum das wohl so ist? Hier müssen wir passen und bitte um Ratschläge von belesenen Metzgern, Fleischern und Kotelettspezialisten.
Juni 7th, 2006 at 7:57
Täglich ein neues Thema!! „Here today, gone tomorrow“.
Re Nierenstuck:
„Suuber über s Nierestuck“ = makellos dastehen
(Zürichdeutsches Wörterbuch)
P.S. Aus meinem Notizbuechli:
„trotz eines unschönen Tolggens in seinem Reinheft“ (p. 57, NZZ am Sonntag 28.04.02)
Juni 7th, 2006 at 8:09
@Fiona
Festzustellen, dass es eine Redwendung gibt, ist leicht.
Zu erklären, was sie bedeutet, ist auch nicht schwer, steht ja im Wörterbuch.
Rauszufinden, WARUM diese Redewendung verwendet wird und wie man vom Kotelette zur Unschuld kam, ist hingegen verdammt schwierig!
Juni 7th, 2006 at 9:43
@ Jens.
Es ist mir doch klar, warum solche Redewendungen verwendet werden:
– Die Wurzeln des Schweizer Volkes liegen in der Landwirtschaft
z.B. SAU >> sauguet, sauglatt, Sauerei, Sauwetter, Saugoof, Drecksau, und …… und sauweiter 🙂
– Weshalb haben solche Redewendugen „überlebt“? Weil die Schweiz bis ins 20. Jahrhundert von der Welt (insb. vom Meer) weitgehend
abgeschnitten war. Und wegen der Alpen vom Südeuropa auch abgeschnitten….
Also, Jens, „verdammt schwierig“ ist es nicht, rauszufinden weshalb diese
Redewendung zustande gekommen ist. An entrecôte is a tender, prized piece of meat.
Ob Du Post von einem Metzger * bekommen wirst, werden wir mal sehen –
Hauptsache, er muss sich beeilen – morgen kommt ein neues Thema auf die Blogwiese bestimmt 🙂
* useful link http://www.bell.ch
Fiona
Juni 7th, 2006 at 10:46
Ich möchte etwas zufügen:
An entrecôte is a tender, highly-rated piece of meat – und deshalb sundhaft teuer. Beim Einkaufen will die Hausfrau so ein Stuck Fleisch genau unter die Lupe nehmen resp. prüfen – es soll „makellos“ sein.
Mein Vater hat fast immer selbst beim Metzger den Sonntagsbraten gekauft – es musste „Sirloin“ sein, on the bone – with the filet on the one side, and the rump on the other side. (N.B. Rumpsteak – nicht Rumsteak, btw!). Und für die Beilage (Yorkshire Pudding) hat meine Mutter (Schottin) immer gesorgt.
Also, das war’s.
Fiona
Juni 7th, 2006 at 10:50
Ist das Nierstück wirklich ein Kotelett?
Hat das Schwein Rippen am Rücken?
Juni 7th, 2006 at 12:04
@Fiona
Du wirst es nicht glauben, aber es sollte möglich sein, heute die Beiträge von gestern zu diskutieren! 🙂
Juni 7th, 2006 at 14:34
Fleischer/Metzger sind immer ehrlich … bis auf die Knochen 😉
@Peter
Das „Kotelett“ muss nicht aus dem rippenbesetzten Teil der Wirbelsäule stammen. Als Kotelett werden die Teile bezeichnet, die an der Wirbelsäule anliegen und meist auch mit dem entsprechenden Knochenstück (also einem Teil des zersägten Wirbelkörpers) geliefert werden. Daher ist ein Nierstück durchaus ein Kotelett, genauso wie ein Nacken-Kotelett, auch wenn keine Rippen daran hängen 😉 Die Rippen sind eh nur verlängerte Versionen der Knochenfortsätze, die an allen Wirbeln vorhanden sind.
Juni 7th, 2006 at 20:28
Als ich das erste Nierstück meines Lebens im coop Zürich-Wollishofen entdeckte, habe ich immerhin sofort sehen können, dass es sich hierbei um im Grunde leckeres Fleisch handelt (und es tatsächlich auch nie für ein Kotelett gehalten, eben, weil kein Knochen dran ist, was in Deutschland zwingend dran wäre, am Kotelett, oder nicht?).
Den Nüsslisalat jedoch habe ich einen ganzen Sommer lang verschmäht, weil ich dachte, dass Nüsse im Salat doch eher im Winter auf die Speisekarte gehören würden… (Nur so als Anregung, Jens-Rainer, ich habe in deiner Suche noch nichts dazu gefunden.)
Juni 9th, 2006 at 23:06
Branitar:
Red’st du jetzt als Deutscher oder als Mundartler? Ich glaube jedenfalls, ich habe HIER immer nur Côtelettes mit Rippen gesehen. Es kann ja sein, dass dies in Deutschland nicht so ist.
Ist denn kein Metzger hier am Mitlesen, der mir helfen könnte?
Juni 21st, 2006 at 14:14
Metzger nicht, aber Koch. Dachte, die Deutschen bezeichnen unser Nierstück als Lendenstück. Oder ist das Lendenstück das Filet? Zu Hause habe ich ein Übersetzungsbuch für Köche CH-DE-AT-FR-GB muss mal nachschauen.
Mai 15th, 2007 at 19:54
@Fiona
„Also, Jens, “verdammt schwierig” ist es nicht, rauszufinden weshalb diese
Redewendung zustande gekommen ist. An entrecôte is a tender, prized piece of meat.“
Das erklaert aber noch nicht die Redewendung, insbesondere das „uebers“. Man sagt ja anscheinend auch nicht „sein Nierstueck ist sauber“ sondern eben „er ist sauber uebers Nierstueck“, was doch eher auf eigene(s) Fleisch/Herz/Niere hindeutet (und da denkt man ja wohl kaum an Fleisch, das besonders zart und schmackhaft ist). Ich glaube, dass Jens da mit seinem Herz und Nieren usw. dichter dran ist (= sein Herz ist rein).