Der Tolgen im Reinheft — Sie haben einen Fleck da!
Nein, nicht der „Fänger im Roggen“, der ist von J. D. Salinger. Der Tolgen im Reinheft ist eine typische Schweizer Angelegenheit. Niemand kann so richtig klären, woher das Wort „Tolgen“ stammt und was es eigentlich bedeutet. Aber lesen können Sie den Satz häufig.
Beispiel:
Dass sich die Genossenschaften mit den Löhnen der Verkäuferinnen einen Schnitzer erlaubten ist leider ein grossen Tolgen im Reinheft.
(Quelle: symlink.ch )
In der Schreibung mit zwei „g“ als „Tolggen“ finde er sich gar noch häufiger bei Google, nämlich 190 Mal.
Ich wehre mich für Pratteln, das bereits den grössten Ausländeranteil hat und wir brauchen keinen weiteren „Tolgen im Reinheft“.
(Quelle: pratteln.ch)
Es ist ein schwarzer Fleck, von dem hier gesprochen wird, ein „Schandfleck“, eine dunkle Stelle. Das „Reinheft“ ist das Schreibheft, in dem die Schweizer Primarschüler die Schönschrift üben. Mit französischen Schreibschrift-Z zum Beispiel. Ein Tolgen ist ein hässlicher Tintenfleck. Der Ausdruck heisst also soviel wie „einen Schandfleck haben“, oder „einen Fleck auf der weissen Weste haben“.
Kennen wir ja alle noch von Asterix bei den Schweizern: „Sie haben einen Fleck da“. Diese Sprüche aus dem Asterix-Band haben es weit in das kollektive Bewusstsein zum Thema „Schweiz“ gebracht. Dazu gehört die berühmte Fondue-Strafenfolge (1. Der Stock, 2. die Peitsche, 3. Mit einem Gewicht an den Füssen in den See) genauso wo Obelix Antwort, wie er denn die Schweiz fand: „Flach!„.
Als Kind hatte ich in Deutschland alle verfügbaren Asterix-Bände verschlungen und immer darauf gewartet, dass endlich mal „Asterix bei den Germanen“ erscheint. Den Band „Bei den Goten“ hatte ich zwar gelesen, aber absolut nicht verstanden, dass hier auf die Deutschen angespielt wurde (Ost-Goten vs. West-Goten, der Zweite Gotische Krieg etc.). So ist das mit der Selbstwahrnehmung als Deutscher. Einfach nicht vorhanden.
März 4th, 2006 at 10:22
„So ist das mit der Selbstwahrnehmung als Deutscher. Einfach nicht vorhanden.“
Ist mit uns Schweizern ähnlich. Deshalb lesen wir die Blogwiese.
Gruss
März 4th, 2006 at 13:00
Lieber Jens,
die Schweiz wird es in 20 Jahren nicht mehr geben, jedefalls nicht so wie wir es kennen – höchstens eine kulturlose Existenz von primitiven Vielvölkern.
Markus M.
März 4th, 2006 at 13:03
Die Geschichte des Bankgeheimnis wird auch in dem Asterixband sehr eindrücklich erzählt und wer so zum typischen Kundenstamm gehört…
März 4th, 2006 at 19:51
Die Blogwiese ist das Einzig schweizerische in der Schweiz, oder!? *g*
Markus M.
März 5th, 2006 at 0:38
Lieber Jens,
Der Tolgen wird sehr häufig mit zwei g geschrieben, also Tolggen. Sowohl Tages-Anzeiger wie auch NZZ benutzen zwei g, unter den Wikipedia-Helvetismen ist der Ausdruck ebenfalls so geschrieben. Von der natürlichen Betonung her würde ich auch eher für ein doppeltes g plädieren… Dieses Detail hilft aber wohl in keinster Weise, näher zu den Wurzeln des Wortes vorzustossen.
Gruss, Dänu
März 5th, 2006 at 7:27
@Dänu
danke für den Hinweis, ich habe es gleich ergänzt. Meine ursprünglicher Fundort war nur mit einem „g“, darum kam ich nie auf die Ideen, nach „Tolggen“ zu suchen.
Gruss, Jens
März 5th, 2006 at 8:51
@Jens
Meine letzte Aussage hat mir selber keine Ruhe gelassen. Ein doppeltes g lässt natürlich auf ein deutsches „ck“ oder „k“ schliessen. Im Grimmschen Wörterbuch (auf http://germazope.uni-trier.de/Projects/DWB) findet sich dann auch: „DOLKEN, hinschmieren, schlecht malen; vergl. dalken.“ „DALKEN, schwerfällig, ungeschickt, kindisch reden;…“ Gleich nach „dalken“ findet sich dann auch der „DALKENMACHER, m. einer der flecken macht, uneigentlich und verächtlich ein dintenkleckser,…, nach CAMPE wird an einigen orten das löschpapier dalkenfresser genannt.“
Also wohl ein weiterer Beweis dafür, dass wir Schweizer sprachlich überaus konservativ sind… 😉
März 5th, 2006 at 9:33
@Dänu
Klasse Recherche! Ich habe den GRIMM natürlich auch konsultiert, kam aber weder auf die Idee mit ck oder k, noch darauf, einfach unter „d“ zu schauen.
„Dalken“ klingt wie „talken“ = to talk, sehr Niederdeutsch irgendwie. Wie wir von „to talk“ zu den Tintenflecken kommen, ist zwar unklar, aber immerhin wenn CAMPE den dalkenfresser kennt, muss es schon sehr alt sein.
Vielen Dank!
Gruss, Jens
März 5th, 2006 at 12:02
Ich kenne den Tolggen einfach als Fleck. Man durfte in der Schule beim Schreiben unter keinen Umständen einen Tolggen in sein Reinschreibheft machen. Das war so ziemlich was vom schlimmsten, was einem beim schreiben passieren konnte. Daher wohl auch dieser stehende Ausdruck „Än Tolgge im Reinheft“.
Gruss
Bruno *mit damals vielen Tolggen, zwar nicht im Reinheft aber bei den Tuschzeichnungen in Geometrisch Zeichnen*
März 16th, 2007 at 10:48
Tolg(g)en ist nicht wirklich ein Schandfeld mehr eine Unschönheit. Also nicht ganz hart gemeint. Eher ein Ausrutscher. So verwende ich es zumindest…
November 9th, 2011 at 8:00
Servus!
Als Bayer kann ich das Wort evtl. etwas erhellen. Möglicherweise ist es mit mit dem bairischen Begriff „doikert“ (l-Vokalisierung aus talkert) verwandt, das in Bayern soviel wie tollpatschig heisst. Bei tollpatschig ist ja auch „toll…“ irgendwie drin…
lg,
ingo