Er traf den Entscheid beim Hinschied – Paradoxe Gedanken zum Sterben

Dezember 27th, 2010

(reload vom 4.4.07)

  • Kurze Wörter in der kleinen Schweiz
  • Die Schweizer pflegen in ihrer Alltagssprache eine ganze Reihe von Wörtern der Deutschen Sprache, die wir als Deutsche zwar erkennen, aber in der Regel nur nach kurzem Nachdenken auch verstehen können. Ein Schweizer hätte jetzt wahrscheinlich eher geschrieben: „Nach kurzem Nachdenk“ , denn der Trend geht zur Kürze in der Schweiz. Ursus & Nadeschkin prägten die Frage ans Publikum: „Verstehen Sie uns? Gut! — Begreifen Sie es auch?

    Aus der „Entscheidung“ wird so der „Entscheid“ bei den Schweizern, und aus einer „Unterbrechung“ ein „Unterbruch“, oder aus der „Badeanstalt“ die „Badi“. Ganz besonders deutlich wurde uns dies, als wir lernten, wie aus dem „Hinscheiden“ der schweizerische „Hinschied“ wurde.

  • Schied oder Shit?
  • So wie manche Schweizer beim Wort „lecker“ eine akustisch begründete Aversion und Scheu haben und es ungern für die Beschreibung von „feinem“ oder „guetem“ Essen verwenden, weil ihnen dieses Wort zu stark nach einem Fluch mit „Läck‘“ klingt, sorry, natürlich „tönt“, so geht es uns Deutschen ähnlich bei Wortkombinationen mit „Schied“.

    Es klingt, schön nordisch kurz gesprochen, eher wie „Shit“. Und das ist nicht nur Englisch, sondern Platt, denn auf dem Deich kommt die Rede oft aufs „Schietwetter“, dem echten Mistwetter, wenn der Regen quer fliegt. Dann sagt schon mal der Bauer Maas zu seinem Knecht: „Knut, guck mal, da drüben schwimmt ne Mütze! — Nee, dat is der Bauer Hein, der mäht bei jedem Wetter“.

    Drum sind wir froh, dass der „Schiedsrichter“ ein „Referee“ bleibt in der Schweiz. Unser Lieblingsbeispiel hierzu ist Urs Meier, dem Vorzeige-„Swiss-Referee“, der mit seinem Ausspruch „Das schleckt keine Geiss weg“ entscheidend zum Bekanntheitsgrad Schweizer Redewendung im Deutschen Fernsehen beitrug (vgl. Blogwiese).

    Doch nun zum „Hinschied“. Wir fanden es bei Google-De nur schlappe 1540 Mal belegt, hingegen bei Google-CH an 14‘900 Stellen,
    also 9 Mal so häufig! Auch unser Duden weisst es eindeutig als Schweizer Variante aus:

    Hinschied, der; -[e]s ( schweizerisch für Ableben, Tod)

  • Gorleben, Senftleben, Ableben
  • Wer beim Gedanken an den Tod das Wörtchen „Hinschied“ eher präsent hat als das „Ableben“, und wer dabei überhaupt nicht mehr an Ausscheidungen denkt, der hat das norddeutschen „Schietwetter“ weit hinter sich gelassen und plant vielleicht schon sein preisgünstige Urnenbestattung unter einem Baum im Wallis (vgl. Blogwiese)

    Erst beim „Hinschied“ den „Entscheid“ zu treffen stellen wir uns jedoch schwierig vor, wenn nicht gar unmöglich, speziell beim eigenen. Das ist so, wie wenn du morgens aufwacht und feststellt, du bist tot. Dann hilft nur noch auf Neujahr zu warten. Kommt ja bald.

    Die Kunst des Vordrängelns — Über die Höflichkeit der Schweizer beim Einkauf

    Dezember 17th, 2010

    (reload vom 3.4.07)

  • Wer kommt als erstes dran?
  • Wir haben viel geschrieben über die berühmte Höflichkeit der Schweizer im Umgang miteinander, über die tief verinnerlichten „Codizes“, die instinktiv eingehalten werden, wenn man hierzulande ein Gespräch beginnt, führt und wieder beendet. Auch über die kleine aber feine Pause, die man am Telefon nach der ersten Vorstellung einhalten muss, damit der Gesprächspartner Gelegenheit hat, den Namen höflich zu wiederholen.

    Nun, es gibt da aber noch einen Bereich „ungeregelter Wildbahn“, in dem das Recht des Stärkeren gilt. Wer zuerst drängelt, der gewinnt. Die Rede ist von einer Schweizer Bäckerei am Samstagmorgen. Hier wird kein Platz verschwendet mit Schlangestehen, hier wird kein geheimes Ordnungssystem zu Anwendung gebracht. Hier gilt noch das Recht des Stärkeren. Wer sich am besten Gehör verschaffen kann und resolut auftritt, der kommt als erster zum Zug, bzw. zum Zopf, zum Hefezopf, um genau zu sein.

  • Warum heisst die U-Bahn bei den Briten „Tube“?
  • Wir erinnern uns in solchen Momenten wehmütig an die Briten, die das Schlangestehen in jeder erdenklichen Situation mit äusserster Perfektion pflegen. Mit zwei Ausnahmen: Beim Kampf um einen Platz in der vollbesetzten morgendlichen U-Bahn, die nicht umsonst „Tube“ genannt wird, weil man sich da rein quetscht, wie man sonst das Letzte aus der Zahnpastatube herausgequetscht. Und beim Bestellen einer Runde Pintes an der Theke im Pub, auch hier ist Schlangestehen nicht üblich und ein gewisses Mass an Durchsetzungsfähigkeit gefordert.

    Postamt in Oxford
    Warteschlange vor der Post in Oxford um 8.55 Uhr

    Warteschlange am Geldautomat
    Wartschlange vor einem Geldautomaten in Newcastle

    Bushaltestelle in London
    Warteschlange an einer Bushaltestelle in London

    Magpies Cafe in Withby
    Schlangestehen für die besten Fish&Chips weit und breit bei Magpies Cafe in Withby

    Und die Schweizer? Die wissen, warum sie in modernen Poststellen das „Nummernziehen“ eingeführt haben. So herrscht Ruhe und Ordnung, und niemand kommt auf die Idee, sich durch das abrupte Wechseln der Warteschlange, falls vorhanden, doch noch einen Vorteil zu verschaffen.

    Doch wehe wenn ein Deutscher kommt, der geht unter Garantie vorbei, wie wir hier beschrieben haben.
    Der Deutsche und die Warteschlange
    (Quelle Illustration: Remo Gmünder, Nebelspalter 07-2006, S. 12-13)

    Internet Banking for runaways — wie bezahlt man eine Rechnung in der Schweiz?

    Dezember 15th, 2010

    (reload vom 2.4.07)
    Am Wochenende ist Zeit für die private Buchhaltung. Schweizer machen gern ein grosses Geheimnis daraus, bei welcher Bank sie ihr Konto haben. Daher schicken alle Debitoren vorgefertigte Rechnungen mit rosa-roten Einzahlscheinen für die Post. Denn wenn man bei der Schweizer Post am Schalter in bar bezahlt, dann kostet es keine Gebühren, bzw. der Empfänger des Geldes übernimmt die Gebühren. Dazu geht man zur Post, denn die Post ist keine Bank in der Schweiz, aber dort haben alle Banken ein Konto, über das sie Geld beziehen können. Oder so ähnlich, denn so richtig haben wir dieses System auch nach sechs Jahren noch nicht begriffen.

  • Zu Fuss zur Post gehen hält fit!
  • Wir kommen aus dem Land der Lastschriften und Einzugsermächtigungen. Wer in Deutschland lebt, lässt alles automatisch abbuchen: Die Miete, die Stromrechnung, die Telefonrechnung, die Vereinsbeiträge, die Einkäufe bei Amazon.de, den Bierdeckel in der Kneipe an der Ecke. Nicht so in der Schweiz. Dort ist zwar dieses Abbuchungsverfahren ebenfalls bekannt, was aber noch lange nicht heisst, dass es irgend jemand tatsächlich praktiziert. Auch Daueraufträge soll es geben in der Schweiz, aber fast niemand benutzt sowas. Wozu auch, der Spaziergang zur nächsten Post ist viel gesünder, und so kommt man wenigstens mal an die frische Luft und in Kontakt mit den Nachbarn, die den gleichen Weg am Monatsende unternehmen (vgl. Blogwiese).

  • E-Banking für Farbenblinde
  • In Deutschland hat jede Bank eine BLZ = Bankleitzahl. Die Kombination von Kontonummer und BLZ reicht aus, um einen Betrag zuverlässig von Bank A zu Bank B zu transferieren. Die Angabe des Empfängernamens ist hilfreich, aber keine Pflicht. Das Geld ist dann sowieso noch 1-3 Tage unterwegs, abgebucht wird es sofort, gutgeschrieben ein paar Tage später. Genau damit wird bei den Banken Geld verdient. In der Schweiz gibt es zwar auch IBAN-Nummern, aber das meiste wird nicht direkt von Bank zu Bank abgewickelt, sondern über die Post. Mit Hilfe einer komplizierten Referenznummer sollte jede Buchung eindeutig zugeordnet werden können.

    Ich wollte also am Wochenende eine Rechnung bezahlen, die ohne rosa/roten Einzahlungszettel bei mir eintrudelte. Da die Post am Wochenende geschlossen hat, versuchte ich, das Geld via „Internet-Banking“ zu überweisen. Bekannt sind mir der Betrag, eine „PostFinance-Kontonummer“ und der Kontobesitzer. Ich versuche also bei auf der Webseite meiner Bank, das Geld in das richtige Formular einzutragen und zu überweisen. Ich starte den ersten Versuch mit einem „orangenen Einzahlungsschein“:

    Orangener Einzahlungsschein

    Der verlangt eine Konto-Nummer, die gebe ich ihm. Eine Referenz-Nr, die habe ich nicht, also lass ich das Feld leer, aber einen Betrag, den weiss ich wieder. Kaum gebe ich dort die PostFinance-Kontonummer ein, fängt das Formular an zu motzen: „ungültige Eingabe„. Also versuche ich es mit dem „roten Einzahlungsschein“. Finde ich übrigens ganz klasse, dass diese beiden Zahlscheine so glasklar und eindeutig von einander getrennt sind. Rot und Rosa, besser hätte man es nicht wählen können. Warum nicht Blau und Hellblau, oder Grün und Grünlich?

    Roter Einzahlungsschein

    Hier der rote Einzahlungsschein. Sehen sie, wie rot er ist? Nein, das ist kein Rosa, das ist Rot! Hier gibt es eine „Postkonto-Nr.“ einzutragen. Klingt doch fast wie „PostFinance-Konto“. Doch auch dieses Formular findet meine Empfänger-Kontonummer nicht gültig.

  • Alles clear beim IBAN-Banking?
  • Also starte ich den dritten Versuch, diesmal mit einer „Banküberweisung“. So von Bank zu Bank, sollte doch kein Problem sein. Obwohl, wenn die Post keine Bank ist, ist dann „PostFinance“ auch keine Bank? Was ist es dann?

    Banküberweisung in der Schweiz

    Doch nun soll ich die Clearing-Nr. oder IBAN Nummer des Empfängers eingeben. Die Bankkonto-Nr. allein wird wieder als „ungültig“ abgewiesen. Mir ist gar nichts „clear“, und mein Geld werde ich heute wohl nicht mehr los. Vielleicht packe ich den Betrag einfach in einen Umschlag und schicke ihn per A-Post ans Ziel. Für heute ist das Homebanking gescheitert. Immer noch versuche ich zu begreifen, was der Unterschied zwischen den Farben Rot und Rosa bedeutet. Ausserdem ist da auf diesen Formularen einfach nirgends ein Schweizerkreuz zu sehen, nicht einmal ein ganz klitzekleines. Das löst bei mir nach 10 Jahren in der Schweiz instinktives Misstrauen aus. Diesen Dingern soll ich mein Geld anvertrauen?

    So langsam verstehe, ich warum viele Schweizer lieber diese Zahlscheine dem Postangestellten zur Erledigung in die Hand drücken.

    Von einem der auszog, eine Carte de Séjour zu bekommen

    Dezember 12th, 2010

    (reload vom 30.03.2007)

  • Paris im Ausnahmezustand
  • 1987-88 verbrachte ich ein Jahr als „assistant de langue“ an einem Lycée in Paris, und nach ein paar Wochen Eingewöhnungszeit beschloss ich, ganz offiziell eine Aufenthaltsgenehmigung, eine „carte de séjour“ für Frankreich zu beantragen. Rein rechtlich war das schon damals nicht notwendig, weil ich mich als EG-Bürger in Frankreich aufhalten durfte, solange ich wollte. Nur um ein Girokonto zu bekommen, war dieser „titre de séjour“ mit eingetragener Wohnanschrift wichtig.

  • 1. Nachmittag: Îsle de la Cité
  • Also fuhr ich an einem schönen Septembermittag nach der Schule ins Zentrum von Paris zur Îsle de la Cité, weil ich mich daran erinnert hatte, dass es dort eine grosse Polizeidienststelle gab. Ein Polizist hatte mir gesagt, dass man eine Carte de séjours bei jeder Polizeidienststelle ausgestellt bekommt. Im Jahr zuvor waren in Paris einige Bomben explodiert, die in Papierkörben am Strassenrand versteckte worden waren. Das hatten meinen deutschen Vorgänger an der Schule dazu bewegt, seine Stelle „aus Sicherheitsgründen“ lieber nicht anzutreten.

    Es herrschte also immer noch „Ausnahmezustand“, und dementsprechend scharf waren die Sicherheitsvorkehrungen beim Betreten des Polizei-Gebäudes. Eine Metalldetektorschleuse am Eingang wie beim Flughafen, grimmig drein blickende Flics mit Maschinenpistole im Anschlag, dann stand ich am Empfangsschalter.

  • Sind sie über die Mauer in Berlin gesprungen?
  • (Original auf Französisch, hier übersetzt:) „Guten Tag, ich komme aus Deutschland und möchte gern eine carte de séjour beantragen“. Antwort: „Ist ihre Heimatland Mitglied der Europäischen Gemeinschaft?“ Kurz war ich verdattert und musste scharf nachdenken. Wusste die Dame das wirklich nichts von den Römischen Verträgen von 1957, den Gründungsstaaten der EWG und so weiter?

    Doch halt, vielleicht dachte sie ja, ich käme aus der (damals noch sehr existenten) DDR! „Nein, ich bin nicht über die Mauer geklettert, ich komme aus der R.F.A“. Dann fragte sie, wo ich denn wohne und ich nannte den Vorort in der Banlieu von Paris. Dort musste ich mich hinwenden, an den Hauptort des „Département de l’Essone“. Der Hauptort ist Evry, und dorthin fährt man ab der Gare de Lyon. Sicherlich nicht mehr am gleichen Tag, denn es ging auf 16:00 Uhr zu.

  • 2. Nachmittag: In Evry ist niemand zuständig
  • Am nächsten Tag nach der Schule fuhr ich zum Gare de Lyon und nahm von dort den nächsten Zug nach Evry. Unterwegs fiel mir plötzlich auf, dass die Zonen meiner Monatskarte nicht ausreichten für den Trip, denn Evry lag genau eine Zone weiter als ich eigentlich fahren durfte. Prompt geriet ich auch in eine Kontrolle, und um nicht zu viel Zeit zu verlieren, spielte ich den unbedarften nur Amerikanisch sprechenden Ausländer, der das mit den Zonen nicht blickt.

    Ziemlich fiese Masche, aber erfolgreich. Weder der Kontrolleur noch sonst jemand im Zug konnte mir auf Englisch weiterhelfen, aber aussteigen musste ich trotzdem und kam ohne Strafe davon. Mit Nachlösen und in den nächsten Zug steigen verging soviel Zeit, dass ich erst um 15:30 Uhr in Evry den Weg zur Departements-Verwaltung erfragen konnte. Dort angekommen war es kurz vor Büroschluss. Immerhin erhalte ich noch die Auskunft, dass ich hier sowieso am falschen Ort war. Denn nicht der Hauptort meines Departements sei für die Aufenthaltsbewilligung zuständig, sondern die mir am nächsten gelegene Polizeidienststelle.

    Also fuhr ich wieder heim, was in den Banlieus von Paris nicht so trivial ist, wie es sich anhört, denn alle Wege führen nach Paris, nicht „seitlich“ in die Nachbargemeinde, und so brauchte ich gut zwei Stunden und mehreren Buslinien dafür.

  • 3. Nachmittag: Geburtsname und Beruf der Mutter bitteschön?
  • Am nächsten Nachmittag fuhr ich dann direkt zum nächsten Ort mit Polizeidienststelle. Ich hatte dort angerufen und mich erkundigt, ob ich man mir dort eine „carte de séjour“ ausstellen könnte. Nun, den Antrag wollten sie schon entgegennehmen, aber das mit der Carte, das geht ein bisschen länger. So fand ich mich dort ein, und ein netter Polizist begann auf seiner Schreibmaschine mit dem Ausfüllen des Formulars. Vorname des Vaters, Geburtsort der Mutter, Schuhgrösse des Grossvaters und was es nicht noch alles für Details einzutragen gab, das alles im „Einfinger-Adler-such-System„.

    Als wir nebenbei auf Fussball zu sprechen kamen (irgendeine WM oder EM war gerade vorüber), taute er plötzlich auf und schien gar nicht mehr so interessiert daran zu sein, jedes Feld im Formular genauestens auszufüllen. Dann kam die Sichtung der von mir mitgebrachten Dokumente:

    Kopie des Personalausweises. Kopie des Reisepasses. Kopie meiner „carte professionelle“ die mich als Bediensteter des Französischen Staates auswies, beglaubigte und übersetzte Kopie der Geburtsurkunde, des Abitur-Zeugnisses, Kopie der letzten Stromrechnung, der Krankenversicherung etc. etc. Ich war gut präpariert und hatte alles dabei. Auch die 5 gleichen und neuen Passfotos in schwarzweiss sowie zwei Briefumschläge, an mich selbst adressiert, mit Briefmarke versehen und, ganz besonders wichtig, „autocollante“, d. h. selbst klebend, damit sich kein Französischer Beamter die Zunge beim Ablecken verkleben muss.

  • Ich habe eine Récépissé de carte de séjour!
  • Nach gut einer Stunde verliess ich die Polizeidienststelle mit einem gefalteten und gestempelten Karte, mit Foto und Unterschrift, betitelt als „récépissé de carte de séjour“, also einer „vorläufigen Aufenthaltsbewilligung“. Die eigentliche Carte wurde mir dann nach 8 Monaten in Frankreich schliesslich postalisch angekündigt. Sie kam an, ein Tag bevor ich das Land wieder verlassen wollte, und war dann noch 3 weitere Monate gültig.

  • Jens-Rainer veut dire Jean-René
  • Mit diesem „récépissé“ konnte ich auf einer Pariser Sparkasse mit dem hübschen Namen écureuil = Eichhörnchen ein Konto beantragen. Frage: „Quel est votre prénom?“ Antwort: „Jens-Rainer“. Rückfrage: „Comment?“ Antwort: „Jens-Rainer, ca veut dire ‚Jean-René‘ en Français“.
    Reaktion. „Alors je mets ‚Jean-René‘?“. Schade, dass ich in dieser Sekunde nicht schneller geschaltet habe, ich besässe sonst heute noch eine Caisse d’Espargne Ecureuil EC Karte mit „Jean-René“ statt „Jens-Rainer“. So leicht kann man seinen Namen ändern!

  • Köpenick is still alive!
  • Als ich später einem Pariser Freund die Geschichte erzählte, wie lange ich gebraucht hatte, um meine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen, begann er daraufhin seinerseits zu erzählen, wie er in Berlin versuchte hatte, sich an der Uni einzuschreiben. Das ging aber nur mit einem Krankenversicherungsnachweis. Den bekam man nur mit einem Girokonto bei einer Bank. Das wiederum erhielt man nur, wenn man an einem festen Wohnsitz in Berlin hatte. Er wollte in ein günstiges Studentenwohnheim einziehen. Ein Platz in einem Studentenwohnheim gibt es aber nur, wenn man korrekt an der Uni eingeschrieben war. Und einschreiben kann man sich nur mit Versicherungsnachweis. So ging das immer wieder von vorn los. Hauptmann von Köpenick lässt grüssen, er war damals noch sehr lebendig in der deutschen Bürokratie.

    Als mein Lebenslauf zu kurz war — Warum ein CV keine Löcher haben sollte

    Dezember 4th, 2010

    (reload vom 27.3.07)

  • Nur keine Kopie vergessen
  • Die Erlebnisse von Jul bei ihrem Umzug in der Schweiz riefen uns in Erinnerung, wie wir 1999 durch die behördliche Bürokratie-Mühle der Schweiz geschickt wurden. Es war ein ziemlicher Papierkram zu erledigen, um endlich den begehrten Ausländerausweis „B-Bewilligung“ zu erhalten. Einmal stockte das Verfahren über Wochen, weil von einem wichtigen Schreiben eine Kopie fehlte. Erst auf mehrmaligen Nachfragens des Treuhändlers, der für meinen damaligen Arbeitgeber den komplizierten Prozess abwickelte, wurde dies bekannt. Wir schickten dann die fehlende Kopie mit A-Post an die Behörde. Unter anderem wurde ein vollständiger Lebenslauf mit schulischem und beruflichen Werdegang verlangt, natürlich alles mit aussagekräftigen Zeugnissen und Zertifikaten belegt.

  • Was ist eigentlich Migration?
  • Meine erste Fassung geriet zu kurz, alles auf nur einer Seiten, mit drei beigefügten Zeugniskopien. „Mehr machen“ lautete die Anforderung des Schweizer Beamten, von dem ich damals noch nicht wusste, dass er für die „Migration“ arbeitete. Migration, das hatten wir zuletzt im Geographieunterricht beim Thema „Wanderbewegungen europäischer Völker“ behandelt. Im Kanton Zürich gibt es dafür, wie in allen anderen Kantonen, das „Migrationsamt“. Der Wunsch des Beamten war mir Befehl und so streckte ich das „Dossier“, was für mich bis dahin nur eine Antrag war, gehörig auf fünf weitere Seiten und zählte detailliert und pflichteifrig jede Zwischenprüfung und jedes Einzelexamen auf. Es reichte nicht, das Studium mit einem Staatsexamen abgeschlossen zu haben, der Weg dahin war wichtig, jeder bestandene Test musste belegt werden. Auch nach dem Uni-Abschluss sollte jede berufliche Fortbildung und Weiterqualifikation dokumentiert sein, mit Datum und Bescheinigung. Im Studium nannten wir diese Prozedur „Scheine sammeln“ und juxten schon damals damit rum, dass „der Schein trügt“.

  • Die Bildung gehört ins Büchlein
  • Die Schweizer haben die Nachweistechnik erfolgreicher Fortbildung perfektioniert durch die Erfindung des „Bildungsbüchleins“ . Dort hinein lässt sich der sorgsam fortgebildete Schweizer offiziell jede Fortbildung eintragen, abstempeln und unterschreiben. Man weiss ja nie, wann es einmal gebraucht wird. Das Wort ist in Deutschland unbekannt. Dort trägt man ja auch seine Bildung weder im Schulsack noch im Rucksack mit sich herum, und muss sie auch nicht in einem Büchlein dokumentieren.

  • Bitte den CV genau belegen
  • Der „Lebenslauf“ ist in der Schweiz ein CV, von „Curriculum Vitae“, und wird gesprochen wie „Zivi“, was Deutsche Ohren leicht missverstehen können als die Abkürzung für einen Zivildienstleistenden. Ausserdem ist der „CiVi“ leicht zu verwechseln mit der „CEVI“, der Schweizer Version vom CVJM und CVJF. Bis heute konnte mir niemand so genau erklären, was die vier Buchstaben eigentlich genau bedeuten. Wahrscheinlich entstand die Abkürzung beim Zvieri, der Schweizer Variante vom Deutschen „Kaffee-und-Kuchen“ um 15:00 Uhr. Nichts wird im CV so sehr gesucht und gefürchtet wie ein undokumentiertes „Loch“. Ein Satz wie „Zur Vertiefung meiner Kenntnisse in Knastrologie und Gitterkunde“ hielt ich mich von 1998 bis 2000 in Stuttgart-Stammheim in einer staatlich geführten Weiterbildungsreinrichtung auf“ kommt also gerade richtig. Nur nichts verschweigen oder Löcher entstehen lassen!

    Wer gern fremde CVs liest oder sich ein paar persönliche Daten zuverlässig beschaffen möchte, dem hilft die Google-Suche CV site:.ch filetype:pdf . Sie fördert 104.000 hübsche CV = Lebensläufe aus der Schweiz im PDF Format zu Tage. Als Word-Dokument gebe man am Ende einfach „filetyp:doc“ ein. Identitätenklau leicht gemacht, siehe hier.