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Als mein Lebenslauf zu kurz war — Warum ein CV keine Löcher haben sollte

(reload vom 27.3.07)

  • Nur keine Kopie vergessen
  • Die Erlebnisse von Jul bei ihrem Umzug in der Schweiz riefen uns in Erinnerung, wie wir 1999 durch die behördliche Bürokratie-Mühle der Schweiz geschickt wurden. Es war ein ziemlicher Papierkram zu erledigen, um endlich den begehrten Ausländerausweis „B-Bewilligung“ zu erhalten. Einmal stockte das Verfahren über Wochen, weil von einem wichtigen Schreiben eine Kopie fehlte. Erst auf mehrmaligen Nachfragens des Treuhändlers, der für meinen damaligen Arbeitgeber den komplizierten Prozess abwickelte, wurde dies bekannt. Wir schickten dann die fehlende Kopie mit A-Post an die Behörde. Unter anderem wurde ein vollständiger Lebenslauf mit schulischem und beruflichen Werdegang verlangt, natürlich alles mit aussagekräftigen Zeugnissen und Zertifikaten belegt.

  • Was ist eigentlich Migration?
  • Meine erste Fassung geriet zu kurz, alles auf nur einer Seiten, mit drei beigefügten Zeugniskopien. „Mehr machen“ lautete die Anforderung des Schweizer Beamten, von dem ich damals noch nicht wusste, dass er für die „Migration“ arbeitete. Migration, das hatten wir zuletzt im Geographieunterricht beim Thema „Wanderbewegungen europäischer Völker“ behandelt. Im Kanton Zürich gibt es dafür, wie in allen anderen Kantonen, das „Migrationsamt“. Der Wunsch des Beamten war mir Befehl und so streckte ich das „Dossier“, was für mich bis dahin nur eine Antrag war, gehörig auf fünf weitere Seiten und zählte detailliert und pflichteifrig jede Zwischenprüfung und jedes Einzelexamen auf. Es reichte nicht, das Studium mit einem Staatsexamen abgeschlossen zu haben, der Weg dahin war wichtig, jeder bestandene Test musste belegt werden. Auch nach dem Uni-Abschluss sollte jede berufliche Fortbildung und Weiterqualifikation dokumentiert sein, mit Datum und Bescheinigung. Im Studium nannten wir diese Prozedur „Scheine sammeln“ und juxten schon damals damit rum, dass „der Schein trügt“.

  • Die Bildung gehört ins Büchlein
  • Die Schweizer haben die Nachweistechnik erfolgreicher Fortbildung perfektioniert durch die Erfindung des „Bildungsbüchleins“ . Dort hinein lässt sich der sorgsam fortgebildete Schweizer offiziell jede Fortbildung eintragen, abstempeln und unterschreiben. Man weiss ja nie, wann es einmal gebraucht wird. Das Wort ist in Deutschland unbekannt. Dort trägt man ja auch seine Bildung weder im Schulsack noch im Rucksack mit sich herum, und muss sie auch nicht in einem Büchlein dokumentieren.

  • Bitte den CV genau belegen
  • Der „Lebenslauf“ ist in der Schweiz ein CV, von „Curriculum Vitae“, und wird gesprochen wie „Zivi“, was Deutsche Ohren leicht missverstehen können als die Abkürzung für einen Zivildienstleistenden. Ausserdem ist der „CiVi“ leicht zu verwechseln mit der „CEVI“, der Schweizer Version vom CVJM und CVJF. Bis heute konnte mir niemand so genau erklären, was die vier Buchstaben eigentlich genau bedeuten. Wahrscheinlich entstand die Abkürzung beim Zvieri, der Schweizer Variante vom Deutschen „Kaffee-und-Kuchen“ um 15:00 Uhr. Nichts wird im CV so sehr gesucht und gefürchtet wie ein undokumentiertes „Loch“. Ein Satz wie „Zur Vertiefung meiner Kenntnisse in Knastrologie und Gitterkunde“ hielt ich mich von 1998 bis 2000 in Stuttgart-Stammheim in einer staatlich geführten Weiterbildungsreinrichtung auf“ kommt also gerade richtig. Nur nichts verschweigen oder Löcher entstehen lassen!

    Wer gern fremde CVs liest oder sich ein paar persönliche Daten zuverlässig beschaffen möchte, dem hilft die Google-Suche CV site:.ch filetype:pdf . Sie fördert 104.000 hübsche CV = Lebensläufe aus der Schweiz im PDF Format zu Tage. Als Word-Dokument gebe man am Ende einfach „filetyp:doc“ ein. Identitätenklau leicht gemacht, siehe hier.

    

    12 Responses to “Als mein Lebenslauf zu kurz war — Warum ein CV keine Löcher haben sollte”

    1. Ändu Says:

      Hm, ich fand beim Bewerbungsprozess eigentlich genau die gegenteilige Auffassung vor. Es wurde nicht geschaut, ob eine kontinuierliche Erwerbsvita vorliegt (in meinem Fall habe ich ein Jahr in Griechenland gelebt und habe sechs Monate Vietnam/Laos bereist), sondern eher, welches Entwicklungpotential jemand mitbringt. Nach Vorlage des unbefristeten Arbeitsvertrages und der Adresse des WG-Zimmers (Probezeit abwarten) gab es ohne weiteres die B-Bewilligung für fünf Jahre.

      Die Behörde in Bern war sehr freundlich und sehr effizient: im Warteraum schon ging jemand herum, fragte was benötigt wird und die Unterlagen auf Vollständigkeit geprüft. Falls es etwas „Schnelles“ war, wurde die Arbeit umgehend erledigt und der Kunde vorgezogen. Für deutsche Verhältnisse undenkbar. Ein Umstand, den ich hier sehr schätze.

    2. Brun(o)egg Says:

      Ein „Loch“ im CV ist an und für sich kein Problem, wenn die „Pause“ belegt werden kann. Ein Auslandsaufenthalt genügt. Und wenn kein „Beleg“ vorhanden ist für die fehlende Zeit, hab ich das immer hinterfragt. Meistens spürt man ja wenn etwas nicht stimmt. Ich stell ja niemanden ein der immer in die Portokasse greift oder vermiete eine Wohnung an unseriöse Leute.
      Und was den Amtschimmel hier in der Schweiz angeht: Hängt vom Amt ab. Aber ich denke 9 von 10 machens schnell und unkompliziert.

    3. Smilla Says:

      Für Europäer gilt das nicht mehr. Ich musste 2006 folgendes vorweisen:
      Reisepass, ein Foto, Kopie Arbeitsvertrag und Kopie Mietvertrag. Als die L-Bewilligung dann in B umgewandelt wurde, genügten dieselben Dokumente wieder. Bei C braucht es dann noch einen Strafregisterauszug und einen Betreibungsausweis. soviel ich weiß.

    4. Schoggistaengel Says:

      Bildungsbüchlein? Noch nie gehört.

    5. Bavaroise Says:

      @Brun(o)egg
      Naja in Europa, war bisher überall so wo ich war, werden Stellenausschreibungen als ein „Aussortierprozess“ angegangen. Es wird nach Makeln gesucht, nicht nach Stärken. So sortiert man auf Stromlinienform aus. Die dubiosen Leute, aber auch die markanten mit umso größerem Potential. Das, kombiniert mit dem heiligen Glaube an Formalqualifikationen und der Scheu vor dem amerikanisch-hemdsärmligen „Ich geb dir mal ’ne Chance“, ist eine Hauptursache für die Verkrustung Europas. Da sind einige Länder, vorallem die etwas agileren Kleinstaaten wie Schweiz oder Dänemark, lediglich „Einäugige im Tal der Blinden“. Aber wenn Sie sich die Migrationsströme der absoluten HiPotentials anschauen die alleine gen Silicone Valley pilgern dann ist das mehr als ganz Europa von den Eliteschmieden Asiens abkriegt. Hier kommen die hin die in den USA nicht genommen wurden. Und so geht es dann innereuropäisch weiter runter in der „Hackordnung“ der Einkommen. Aber mehr als zweite Wahl ist nichts in Europa. Diese Verkrustung, die sich ja u.a. im Arbeitsleben zeigt aber nicht nur da, ist der Grund. Woanders lacht man laut wenn man hört dass in der Schweiz jahrelange Debatten mit Volksabstimmungen über Verkehrsprojekte geführt werden, oder analog dazu im benachbarten Württemberg jahrelange Planfeststellungsverfahren mit Bürgerprotesten. In der selben Zeit baut man in China ganze Städte – und zwar mit Technologie vom Feinsten. Die größer als jede Stadt der Schweiz sind. Siehe diese, mit bereits über 600.000 Einwohnern: http://de.wikipedia.org/wiki/Lingang_New_City

      Und wie will da Europa irgendwie noch eine Zukunftsfähigkeit behalten? Geschweigedenn diese Kleinstaaterei – ja nicht einmal der deutschsprachige Raum schafft es die Kirchturmpolitik und Volkstümelei beiseite zu wischen und zu kooperieren. Ist ja nicht nur Deutschland/Schweiz/Österreich die sich jeweils eifersüchtig beäugen, auch innerhalb dieser Nationen geht das ja so weiter bis hin zu Nachbarschaftshändel. Ein alter, grantiger, Kontinent.

    6. Mare Says:

      @Bavaroise
      Wirklich: den Chinesen geht’s ja gläünzend! Sie sind alle so ungeheuer zufrieden mit ihren aus dem Boden gestampften Städten und ihren Stauseen, unter denen ganze andere Städte versinken – vom Feinsten! Und die Grubenarbeiter schätzen die Sicherheit, die ist auch vom Feinsten! Und die Textilarbeiter in den geschlossenen Fabriken schätzen es sehr, wenn irgendwelche Notausgänge vom Feinsten gesperrt sind, damit sie bei einem Brand fein verbrennen.

    7. Guggeere Says:

      @ Bavaroise
      Die USA für als Vorbild für das angeblich verkrustete Europa? Das war einmal. Heute halte ich die USA für das beste Land der Welt für die Gesunden und die Reichen. Ansonsten sieht dort, wer mit offenen Augen durchs Land fährt, leere Fabriken, rückständige, zerfallende Infrastrukturen wie in der Dritten Welt, und zwar in zahlreichen Gegenden rundherum bis zum Horizont, Megastädte mit unlösbaren, stetig wachsenden Megaproblemen und ein Volk, das langsam aus dem amerikanischen Traum erwacht. – Nein danke; da bevorzuge ich Europas bunte alte Krusten.
      Und was soll eigentlich gegen gute Qualifikationen sprechen? Ich habe ja nichts gegen Hemdsärmel, bin jedoch allergisch gegen Typen, die im Stile von «Hallo, ich bin der Grösste; also gebt mir gefälligst diesen Job» hier auftauchen. Und wer von zwei ansonsten gleich guten Bewerbern jenen mit der besseren Ausbildung bevorzugt, ist deshalb noch lange kein Chancenverweigerer.

    8. Brun(o)egg Says:

      @ Bavaroise

      Du hat mit etwas recht: Europa ist stinklangweilig, bedächtig. Insbesondere die Schweiz. Diese Stinlangweiligkeit hat aber einen entscheidenden Vorteil: Sie gibt zeit zum nachdenken bevor etwas für definitiv entschieden wird.
      Und was die Entwicklung in China betrifft: Das ist Dir ja wohl nicht ernst oder?

    9. pfuus Says:

      @bavaroise

      „In der selben Zeit baut man in China ganze Städte – und zwar mit Technologie vom Feinsten. “

      …Und korrupte Lokalpolitiker enteignen Land u. ganze Dörfer- und zwar vom Feinsten.

      Wie heissts doch so schön: “ Best things in life are free if you got money“

    10. Ändu Says:

      In Diktaturen kann man tolle architektonische Projekte durchführen. Seit Albert Speers Germania wusste man das aber doch?

    11. Ole Says:

      @Ändu:
      Das wusste man schon seit dem Turm von Babel/ den Pyramiden 🙂

    12. Ändu Says:

      @Ole: die Planung des Hauptbahnhofes von Bern ist absolut demokratisch zustande gekommen. Der in Beton gegossene Konsens sozusagen.
      Herzog & de Meuron sollten sich ein Vorbild an Le Corbusier nehmen. Sollte die Geschichte eine andere Wertung des Reiches der Mitte finden, ist der Abdruck auf der Zehn-Franken-Note gefährdet.