Kein Reinfall am Rii beim Rheinfall

März 10th, 2010

(reload vom 3.1.07)

  • Riifall oder Rhfinfali?
  • Im Winter hatten wir Besuch aus dem hohen Norden, und das war uns Anlass genug, die lokalen Drei-Sterne Attraktionen des Guide Michelins vorzuführen. Nein, nicht die Restaurants, sondern die sonstigen „absolut sehenswerten“ Orte, wie z. B. den Rheinfall von Schaffhausen, den Riifall von Neuhuuse und seit kurzem auch den Rhfinfali:
    Rhfinfali

    Dieses Hinweisschild zeigt deutlich, dass auch hier schon die Schaffhausener Flurnamenreform gewütet haben muss. Denn „en fin“ gab es enfin „im Fall“ einen Reinfall mit „Rh“, den RHFINFALI.

    Tatsächlich handelte es sich nur um einen Dummenjungenscherz von Gästen der nahegelegenen Jugendherberge. In der Schweiz würde man von „Nachtbuben“ sprechen, die sich hier einen Schabernack erlaubt haben, denn bei näherer Betrachtung sind die Tippex Spuren beim E zu F und L zu I deutlich erkennbar. Aber clever gemacht, denn wir waren ziemlich irritiert.

    Dass Schaffhausen nicht mehr am Rhein sondern am Rii liegt hatten wir neulich erst gelernt:
    Schaffhausen am Rii
    (Quelle Foto: Offizielle Schulkarte von Schaffhausen gis.sh.ch)

    Im Schaffhuuser Wald waren wir am Hübüel vorbei zum Rii gelaufen. Klasse Gegend, nur den „Riihirt“ (siehe auf der Karte links) konnten wir nicht sehen.

    Später fanden wir dann am Rheinfall noch dieses Schild:
    Rheinfall

    Das war die Version für die Deutschen. Ein paar Schritte weiter dann noch das Hinweisschild in leider für uns absolut unleserlicher Schaffhuuser Extrem-mundartlicher Schreibweise:
    Mundart am Rheinfall

    Die Touristen aus Hokaido, die mit uns dort Fotos machten, waren bereits in einem Schweizerdeutschkurs mit den Verschriftungsregeln von Höchstalemannisch vertraut gemacht worden, sie schienen alles wunderbar zu verstehen.

    Nur 216 Kubikmeter Wasser Abfluss pro Sekunden, statt den üblichen 600 m3 im Sommer. Wir sehen deutlich, der Rheinfall ist bald zu Fuss zu durchqueren.
    Rheinfall im Winter

    Für altertümliche Kinderwagen aus den Sechzigerjahren gilt am Rheinfall übrigens Fahrverbot, wie dieses Schild beweist:
    Fahrverbot für Kinderwagen

    Ob die Verantwortlichen in Schaffhausen den berühmten alten Kinderwagen aus dem Stummfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ vor Augen hatte, der langsam eine Treppe hinabrollt, während rings um die Aufständigen erschossen werden?
    Kinderwagen Panzerkreuzer Potemkin

    Dieses Bild ist einer der am meisten zitierten Momente der Filmgeschichte und taucht sowohl in Woody Allens “Bananas“ als auch in Brian de Palmas “Die Unbestechlichen“ (und wiederum als Parodie auf dies Zitat in “Die nackte Kanone 33 1/3“) auf. Das sagt natürlich schon einiges über den Klassikerstatus von “Panzerkreuzer Potemkin“ aus, der auf allen Listen über “die besten Filme aller Zeiten ganz vorne zu finden ist.
    (Quelle: Highlightzone.de)

    Am Rheinfall hätte der Film nicht gedreht werden konnte, denn das Verbotsschild verhindert erfolgreich, dass je ein Kinderwagen die Treppen hinab zum Wasserfall rollen kann.

    Nach jedem Satz erst eine Sekunde warten — Über die Wahrnehmung von Ironie bei den Schweizern

    März 9th, 2010

    (reload vom 27.12.06)

  • Das Schweizerische Verzögerungsmoment
  • Kennen Sie das auch? Sie erzählen auf Hochdeutsch einem Schweizer eine Geschichte mit einer überraschenden Pointe am Schluss. Der letzte Satz ist verklungen, es vergeht eine Sekunde, dann erfolgt die Reaktion des Schweizer Zuhörers. Es passiert nicht immer, aber regelmässig, je nachdem wie genau ihr Zuhörer Ihnen folgen konnte. Ich nenne dieses Phänomen das „Schweizerische Verzögerungsmoment“, wobei ich damit nicht ausdrücken möchten, dass es mir nicht ganz genauso mit Schweizern ergeht. Neulich beim Einkauf im Coop sagte die Verkäuferin „Frohe Wiihnachte“ und danach dauerte es auch bei mir eine Sekunde, bis der Satz zum Kleinhirn durchgedrungen war und ich den Wunsch passend erwidern konnte. Wie drückten es Ursus&Nadeschkin in der hochdeutschen Fassung ihres Programmes „Hailights“ so schön aus:

    Können Sie uns verstehen? Begreifen Sie es auch?

    Etwas rein akustisch wahrzunehmen und es dann auch noch inhaltlich zu begreifen, können grundverschiedene Dinge sein bei der Kommunikation zwischen Deutschen und Schweizern. Es sind vor allem die feinen Nuancen und ironischen Anspielungen, mit denen beide Sprechergruppen Schwierigkeiten in einer Diskussion mit der anderen Gruppe haben.

  • Wann kommt denn nun das Postauto?
  • Meine erste leibhaftige Schweizerin lernte ich auf einer Trampfahrt durch Frankreich kennen. Wir standen am Strassenrand im Burgund und warteten auf den Überlandbus, denn mit Trampen wollte es nicht recht klappen an jenem heissen Julitag. Da sagte die Schweizerin neben mir mehrfach auf Hochdeutsch in einem quengeligen Ton: „Wann kommt denn nun das Postauto“. (Wahrscheinlich war es eher „Poschtauto“, so genau weiss ich es nicht mehr). Dass es sich beim „Postauto“ nicht um den französischen Briefträger sondern um den Überlandbus handelte, vermutete ich selbst ohne Erklärung. Dennoch konnte ich nicht einordnen, ob sie ironisch mit mir sprach, wirklich ungeduldig auf den Bus wartete oder sich sonst wie einen Spass mit mir erlaubte. Quasi mein erstes Deutsch-Schweizer Missverständnis.

  • Faszination und Wahrheitsvermutung beim Hochdeutschen
  • Bei Vorträgen habe ich später in der Schweiz regelmässig erlebt, welche Wirkung von einer hochdeutschen Rede auf Schweizer ausgeht. Sie ist für die meisten Schweizer zunächst mal grundsätzlich 20% wahrhaftiger und vertrauenswürdiger als eine Rede auf Mundart. Auf Hochdeutsch wird nicht gelogen, Hochdeutsch ist die sachliche Sprache der Nachrichten und Katastrophenmeldungen, darin erlaubt man sich keine ironischen Spässe oder Unwahrheiten! So wie das geschriebene Wort für viele Menschen immer eine höhere Glaubwürdigkeit hat als das gesprochen Wort. „Es stand sogar in der Zeitung“ ist ein Beleg für die Wahrheit einer Begebenheit, auch wenn die Zeitung BILD, BLICK oder Daily Mirror heisst. Was gedruckt wurde, muss einfach wahr sein.

  • Per Laserdrucker immer eine Note besser
  • Zu Beginn meines Studiums wurden Seminararbeiten noch mit der Schreibmaschine verfasst. Dann kamen die ersten PCs und Laserdrucker auf und ein paar Semester lang konnte man bei der Professorenschaft allein dadurch eine bessere Note erzielen, dass man seine Arbeit mit einem Laserdrucker im Blocksatz (nach erfolgter Silbentrennung) und in Times New Roman 12pt abgab. Das sah so hammermässig gut aus, der optische Eindruck der satten Schrift war so überwältigend wahr und positiv, dass manch inhaltliche Schwachstelle damit überbrückt werden konnten.

  • Auf Hochdeutsch wird kein Quatsch erzählt
  • So ähnlich ging es mir bei meinen ersten Schulungen als IT-Trainer auf Hochdeutsch vor Schweizern. Ich hatte oft das Gefühl, den grössten Unsinn erzählen zu können. Nur weil der Unsinn auf Hochdeutsch erzählt wurde, galt er in Schweizer Ohren zunächst als wahr, bevor er hinterfragt wurde. Eine Weile lang baute ich daher einen Test ein, einen kleinen Satz, der absoluten Blödsinn enthielt. Entweder die Zuhörer überhörten ihn, oder sie reagierten mit Verzögerung, dann meistens nicht alle, und schon gar nicht alle gleichzeitig.

  • BCC ist eine Blind Carbon Copy Version in Brailleschrift
  • So erklärte ich in Kursen zum Thema „E-Mail“ immer, dass die Abkürzung „CC:“ von „Carbon Copy“ kommt und eine Kohlepapier-Durchschlagsversion der Mail, also eine Zweitkopie bezeichnet, was auch ganz der Wahrheit entspricht. „BCC:“ hingegen komme von „Blind Carbon Copy“ womit die Version in Brailleschrift gemeint sei. Das klingt zwar logisch, ist aber absoluter Quatsch. Falls keine Reaktion erfolgte bei den Zuhörern wusste ich: Hochdeutsch spricht immer die Wahrheit.

  • Ein englischer Fachvortrag klingt super gescheit
  • Ich beobachte dieses Phänomen an mir selbst, wenn ich einen Fachvortrag auf Englisch höre. Auch hier bin ich so fasziniert von der flüssigen Rede, den vielen „gerund forms“, den geschickt angebrachten Argumenten und perfekt betonten Fremdwörtern, die im Englischen übrigens „hard words“ genannt werden, weil sie niemals „fremd“ sind, dass ich auch über eventuelle Banalitäten und Schwachstellen des Inhalts völlig hinwegsehen bzw. hören kann.

  • Haben Schweizer wirklich Mühe mit hochdeutscher Ironie?
  • Ich wehre mich vehement gegen das häufig angebrachte Vorurteil, die Schweizer hätten Mühe mit Ironie und gebrauchen selbst keine Ironie. Richtig ist, sie haben oft Mühe, die Ironie aus dem hochdeutschen Redefluss eines Deutschen herauszuhören weil sie genug damit beschäftig sind, die Rede an sich zu hören und zu verstehen. Deutsche schliessen aus der Tatsache, dass sie ihrerseits bei den Schweizern keine Ironie hören, fälschlicher Weise darauf, dass diese keine verwenden. Irrtum, denn diesmal wurde die ironische Nuance einfach vom Deutschen nicht verstanden, bzw. nicht begriffen. Anders ausgedrückt: Nur weil Sie als Deutscher bei den Schweizern noch nie Ironie bemerkt haben, heisst das noch lange nicht, dass Schweizer Ironie nicht verwenden, sondern lässt eher darauf schliessen, dass Ihr Schweizerdeutsches Hörverständnis noch nicht bis zu dieser Bedeutungsebene vorgedrungen ist. Denn „Was ich nicht höre, das gibt es nicht“ ist der falsche Ansatz. „Was ich hören kann habe ich deswegen noch lange nicht verstanden“ wäre besser.

  • Geschriebene Ironie muss als solche gekennzeichnet werden
  • Warum Schweizer häufig mit geschriebener Ironie ihre Problem haben hängt mit dem oben beschriebenen „Wahrheitsanspruch“ der Schriftsprache zusammen. Geschrieben wird in den Zeitungen und in Romanen, Schriftsprache hören kann man in einer Nachrichtensendung. All diese Verwendungen sind in der Regel frei von Ironie oder Doppeldeutigkeiten, darum muss bei Glossen oder ironisch gemeinten Texten immer deutlich mit 🙂 Smilies angefügt werden, damit für jeden Leser klar ist, dass es sich hier nicht um Sachtexte handelt. Die Blogwiese ist dafür ein gutes Beispiel.

    Seit ich im September 2005 auf der Blogwiese erklärt habe, dass „es schiesst mich an“ wahrscheinlich vom falsch aufbewahrten Gewehr im Schrank herrührt, welches plötzlich zu ballern beginnt, wurde mir sicherlich schon 20 Mal per Email erklärt, dass ich dieses Wörtchen falsch verstanden habe. Das „invisible Smiley“ im Originalartikel war schlichtweg übersehen worden. Kein Wunder, war ja auch „invisible“.

    Bitte auf keinen Fall mit der Ordonnanzwaffe! — Alternativen für den Schweizer Selbstmord

    März 8th, 2010

    (reload vom 22.12.06)

  • Zwei Drittel aller Selbstmorde werden mit der Ordonnanzwaffe begangen
  • Wir lasen im Internet bei Bluewin über ein Interview, dass die Berner Zeitung veröffentlich hatte:
    Ordonnanzwaffe bei Familiendramen
    (Quelle: Bluewin.ch/news)

    Mit grossem Erstaunen und Entsetzen erfahren wir, dass die zur Verteidigung der Schweiz in den häuslichen Kleiderschränken aufbewahrten Ordonnanzwaffen tatsächlich zum Schiessen benutzt werden, mehr noch, zum Schiessen auf Menschen mit nachgerader tödlicher Wirkung! Bisher gingen wir doch davon aus, dass es hier ausschliesslich um „Tradition“ und „Brauchtumspflege“ ging. Und natürlich um die Wahrung der persönlichen Sicherheit, vor allem dass es um die Sicherheit der Schweiz ging, und dass diese Waffen niemals als „Waffen“ eingesetzt werden, mit denen z. B. ein Selbstmord geschieht. Wir lasen im Text des Artikels:

    [sda] – Danach dürften jährlich fast 300 Menschen an Verletzungen von Schüssen aus Armeewaffen sterben. „Das ist sehr viel mehr als ich erwartet habe“, sagte Killias in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der „Berner Zeitung“.
    Bei den Suiziden dominierten mit zwei Drittel ganz klar die Ordonnanzwaffen. Bei Familienmorden seien es private (knapp die Hälfte) und Ordonnanzwaffen (36 Prozent). Die Untersuchungen hätten zudem gezeigt, dass bei Morden im öffentlichen Raum ganz klar die illegalen Waffen dominieren, sagte Killias.

    300 Menschen sterben im Jahr an Armeewaffen? Unmöglich! Und ein Drittel davon bei Suiziden? Das ruft unser Verantwortungsbewusstsein auf den Plan und wir haben beschlossen, für die anstehenden Festtage einen Aufruf zu starten. Falls Sie persönlich demnächst in der festlichen Weihnachtszeit geplant hatten, von eigener Hand aus dem Leben zu scheiden, dann tun Sie uns und den Schweizer Eidgenossen doch dabei bitte einen grossen Gefallen, der leicht zu realisieren ist:

    Nehmen Sie um Himmelswillen für ihr Vorhaben nicht die Ordonnanzwaffe!

    Sie zerstören sonst unseren Glauben in die Friedfertigkeit und Gewaltfreiheit der Schweizer. Wenn wir bis heute in einem Jahr die Zahl der Selbstmorde und Morde mit Ordonnanzwaffen auf Null herunterbringen könnten, dass wäre doch ein toller Erfolg. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.

  • Andere kreative Methoden sich umzubringen
  • Es gibt doch weiss Gott zahlreiche andere super gefährliche Gegenstände in ihrem Haushalt, mit denen Sie sich umbringen könnten, wie z. B. Ihren Vorschlaghammer, Ihre Stichsäge oder zur Not tut es auch ein KorkenZapfenzieher zum Öffnen der Pulsader. Auch eine Gabel kann zur tödlichen Waffe werden, wie wir in der Diskussion über die Gefährlichkeit des Sturmgewehrs lernen mussten. Warum testen Sie nicht einfach die Möglichkeiten der heimischen Stromversorgung (vgl. Selbstmord an der Steckdose)?

    Selbstmord an der Steckdose

    Auch der Zweitwagen Ihrer Frau ist eine gefährliche Waffe, wussten Sie das nicht? Sie müssen ja nicht gleich Ihr eigenes Auto zerdeppern. Ein geschickter Sturz von einer Brücke, und schon ist das Problem gelöst. Vielleicht nicht gerade in ein Naturschutzgebiet, das wäre unschön, wegen der Ölflecken im Feuchtgebiet.

    Sie sehen, es gibt viele Möglichkeiten. Alles ist erlaubt, nur lassen Sie bitte die Finger von der Waffe! Die Zahlen, die jetzt veröffentlicht wurde, sind deprimierend und rufschädigend für den Schweizer, der seine Waffe sorgsam daheim verwahrt. Wir sollten alle etwas tun, damit sich diese Zahlen in der Zukunft ändern. Sie könnten an Weihnachten Ihren ganz privaten Teil dazu beitragen!

  • Vielleicht gewinnen Sie als Preis den nächsten Darwin Award?
  • Falls es Ihnen an kreativen Ideen mangelt, wie man sonst noch aus dem Leben scheiden könnte OHNE dabei die Ordonnanzwaffe zu gebrauchen, wie es statistisch gesehen zwei Drittel aller Schweizer Selbstmörder im Jahr tun, dann hätten wir da eine gute Website als Tipp für sie: darwinawards.com

    Hier lesen Sie z. B. von der grandiosen Idee des für den Darwin Award 2005 Nominierten, der sich am Strand unter seinen Jeep zum Schlafen legte. Am nächsten Morgen stand ein einsamer Jeep mit den Rädern versunken im Sand, und vom Fahrer keine Spur. Als der Wagen nach Tagen immer noch dort stand, wurde er schliesslich abgeschleppt, und schon ward der Fahrer gefunden.

    Oder Sie nehmen sich die Geschichte des jungen Mannes als Beispiel, der sich am Strand ein tiefes Loch buddelte, um darin mit seinem Liegestuhl gegen Wind und Sonne besser geschützt zu sein. Leider wurde er dabei verschüttet und konnte nicht mehr rechtzeitig ausgegraben werden.

    Nun, es gibt zahlreiche weitere gute und nachahmenswerte Ideen, sein Erbgut nicht mehr für die nächsten Generationen zur Verfügung zu stellen, und vielleicht gewinnen Sie ja dann den Darwin Award 2007 mit Ihrer Glanztat (Schweizerdeutsch: „Exploit“). In der Schweiz ist das mit dem gewollten aus dem Leben scheiden übrigens nicht ganz so kritisch wie in anderen Ländern Europas.

  • Auch der Freitod wird liberal gehandhabt in der Schweiz
  • Die Schweizer haben da eine ganz besondere Rechtslage:

    In der Schweiz ist die aktive Sterbehilfe strafbar, selbst wenn sie auf ausdrückliches Verlangen hin erfolgt (Art. 114 des Schweizerischen Strafgesetzbuches). Nicht strafbar sind dagegen die passive und die indirekt aktive Sterbehilfe. Ebenfalls nicht strafbar ist die Beihilfe zum Suizid, solange diese nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen erfolgt (Art. 115 StGB).
    (Quelle : mediadesk.unizh.ch)

    Die Grundvoraussetzungen für Schweizer, ganz legal und bitte OHNE Zuhilfenahme der Ordonnanzwaffe aus dem Leben zu scheiden, sind also gegeben. Wir lasen im Tagi dazu:

    Die Schweiz kennt bezüglich der Sterbehilfe eine der liberalsten Regelungen in Europa. Die Beihilfe zum Selbstmord ist im Unterschied zu vielen Nachbarländern unter gewissen Voraussetzungen erlaubt. Sterbehelfer werden gemäss Strafgesetzbuch nur bestraft, wenn sie aus selbstsüchtigen Motiven gehandelt haben. Bei der Suizidhilfe vermittelt der Sterbehelfer in der Regel dem Patienten die tödliche Substanz, der Sterbewillige nimmt diese dann ohne Fremdeinwirkung selber ein.
    (Quell: Tagesanzeiger)

    Also, es muss wirklich nicht die Ordonnanzwaffe sein, die bei Ihnen daheim im Schrank steht! Und eines sollten Sie ganz besonders bedenken, falls Sie doch an die Verwendung dieser Waffe gedacht haben: Es ist verboten die Munition für einen Selbstmord zu verwenden! Denken Sie als an die strafrechtlichen Konsequenzen Ihres Tuns, das will gut überlegt sein!

  • Wer nicht mehr in den Ausgang gehen will, geht vielleicht zu EXIT
  • Sie bekommen in der Schweiz sogar eine Hilfe, die Sie sonst nirgends in Europa finden: Die Organisation EXIT. Wichtig ist, dass Sie dort Mitglied werden, bevor Sie ganz legal aus dem Leben scheiden dürfen. Die notwendige Hilfe wird nur Mitgliedern erteilt. Ob der Mitgliedsbeitrag für ein Jahr im voraus zu bezahlen ist? Dort heisst es unter dem Abschnitt „Freitodbegleitung“:

    „Wie muss ich mir eine Freitodbegleitung konkret vorstellen?“
    Befindet sich ein EXIT-Mitglied in einer von ihm als ausweglos und sinnlos empfundenen Situation, wendet es sich an die Geschäftsstelle und bittet – entweder persönlich oder über Angehörige – um Hilfe. Ein Mitglied des Freitodbegleitung-Teams besucht darauf das Mitglied und klärt im persönlichen Gespräch die Situation. Kann die Urteilsfähigkeit eindeutig bejaht werden und ist der Todeswunsch Ausdruck einer abschliessenden Bilanzierung der Lebenssituation, wird die Rezeptierung des von EXIT verwendeten Barbiturats (Natrium-Pentobarbital/NaP) veranlasst – sei es über den Hausarzt oder über einen Vertrauensarzt von EXIT.
    (Quelle: exit.ch)

    Wer wird da noch zur verbotenen Waffe greifen wollen? Ist doch alles perfekt organisiert. Aber am liebsten ist es uns, wenn Sie diesen dunklen Gedanken rasch verdrängen oder sich von der „Dargebotenen Hand“, Tel. 143, helfen lassen, denn wir wollen Sie ja weiterhin unter den Lesern und Kommentatoren der Blogwiese wissen. Auch diese Organisation ist etwas speziell Schweizerisches.

  • Komm gib mir Deine Hand
  • Im Land der Home-Suizides mit der Armeewaffe gibt es nicht nur die Organisation „EXIT“ sondern auch eine „Dargebotene Hand“, rund um die Uhr erreichbar unter Tel. 143:

    Die Dargebotene Hand ist rund um die Uhr eine erste Anlaufstelle nicht nur für Menschen in schwierigen Lebenslagen, sondern auch für solche mit alltäglichen Sorgen – unabhängig von Alter, kultureller oder konfessioneller Zugehörigkeit. Die Dargebotene Hand nimmt über Telefon und Internet die Rolle eines verständnisvollen, einfühlsamen und unvoreingenommenen Gesprächspartners ein, der wirklich zuhört und mit dem die Ratsuchenden über alles reden können. Selbstverständlich unter Wahrung völliger Anonymität und hundertprozentiger Diskretion.
    (Quelle: 143.ch )

    Und jetzt wissen Sie endlich, warum an allen Stellen in der Schweiz, die für Selbstmorde bekannt sind, ein Aufkleber mit einer Hand und der Nummer 143 klebt. Die Raterunde von „Genial-Daneben“ Deutschland wusste es nicht. Könnte man diesen Aufkleber nicht auch auf die Waffe im Schrank anbringen? Fände ich eine prima Idee.

    Die dargebotene Hand

    Also nicht vergessen: Finger weg von der Knarre im Schrank!

    Ich wünsche Ihnen auch noch einen schönen Tag! — Die hohe Kunst der Schweizer Gesprächsbeendigung

    März 5th, 2010

    (reload vom 24.12.06)

  • Verabschieden in der Truman Show
  • Erinnern Sie sich noch an den Film „Die Truman Show“ von 1998 mit Jim Carrey?

    Die zentrale Figur des Films ist der Versicherungsvertreter Truman Burbank, der – ohne davon zu wissen – der Hauptdarsteller einer Fernsehserie ist, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Leben eines Menschen von Geburt an zu dokumentieren und live im Fernsehen zu präsentieren. Zu diesem Zweck hat der Produzent der Serie, Christof, Truman als Baby von seiner Firma adoptieren lassen und eigens eine von Wasser umgebene Küstenstadt, Seahaven, unter einer riesigen Kuppel – dem OmniCam-Ecosphere-Gebäude – bauen lassen, unter der Truman, umgeben von Schauspielern aufwächst, täglich beobachtet von über 5000 Kameras.
    (Quelle Wikipedia)

  • Rumlümmeln auf Ikeasofas
  • Truman verbrachte seine Tage wie jeder gute Amerikaner. Er trug den Müll raus, ging arbeiten, traf Freunde etc. Es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, stundenlang auf einem Sofa abzuhängen. Kurze Zeit später strahlten zahlreiche europäische Fernsehsender das baugleiche TV-Format „Big Brother“ zum ersten Mal aus. Die ersten Teilnehmer wussten zwar, dass sie von Kameras bei all ihren Schritten beobachtet wurden, ahnten aber noch nichts von den medialen Konsequenzen ihres Handelns. Damals hatte Cablecom noch ca. 50 Stationen im Angebot (heute 37), und wer Lust hatte, konnte an einem gewöhnlichen Wochenabend beobachten, wie Menschen in Wohncontainern sich auf Ikeasofas rumlümmelten und dabei auf Englisch, Deutsch, Schweizerdeutsch, Österreichisch, Italienisch oder Französisch miteinander parlierten. Alles zur besten Sendezeit zwischen 20:00 und 21:00 Uhr. Truman wusste nicht, dass er gefilmt wird und er pflegte, als wohlerzogener Amerikaner, einen Ritus des „Guten Tag Wünschens“. Im Original-Drehbuch steht:

    TRUMAN
    Oh! And in case I don’t see ya‘! Good
    Afternoon, Good Evening, and Goodnight!
    (laughs jovially)
    Yeah…yeah…
    (Quelle: un-offical.com)

    Truman beim letzten Abschied
    (Foto Truman Show: Truman verabschiedet sich ein letztes Mal von seinem Publikum)

    Truman muss Schweizer Vorfahren haben, denn die Kunst, sich freundlich aus einer Situation zu verabschieden, wird in der Schweiz mit Hingabe gepflegt. Die notwendigen Sätze sind den Schweizern dabei so vertraut und in Fleisch und Blut übergegangen, dass ihnen die Ausführlichkeit ihres Verabschiedens gar nicht mehr bewusst ist und erst markant auffällt, wenn dass Ritual einmal fehlt, falls z. B. jemand am Telefon einfach nur knapp „Tschüss“ sagt und das Gespräch sofort beendet. Man sagte mir, dass diese Unsitte, sich so kurz angebunden zu verabschieden, in der Schweiz „sich französisch verabschieden“ genannt wird. Merkwürdig, ich hatte die Abschiedsriten in Frankreich immer mit viel „Küsschen hier“ und „Küsschen da“ in Erinnerung, sehr zeitaufwändig. Vielleicht wird das von Schweizern ja anders wahrgenommen.

  • Dann wünsche ich Ihnen auch noch einen recht schönen Tag!
  • Die Varianten, mit der Sie in der Schweiz ein Telefongespräch oder eine direkte Begegnung zu Ende führen können, sind zahlreich und hängen von der Tageszeit und vom Wochentag ab. „In dem Fall wünsche ich Ihnen auch noch einen recht schönen Abend“ gehört sicherlich noch zu den knapperen Varianten. „Einen recht schönen Tag noch und ein schönes Wochenende wünsche ich Ihnen!“. Den „schönen Tag“ gibt es gelegentlich im Kanton Zürich auch jovial verkleinert als „schönes Tägli“, ganz ohne „Schlägli“. Wir fragten unseren Fachmann fürs Schweizerdeutsche nach seiner Meinung:

    Sicherlich hast du im Raum Zürich schon oft ein verkaufsbeflissenes, verabschiedendes „… und no es schöns Tägli!“ gehört. Natürlich begleitet von den anderen geschäftstüchtigen Floskeln „danke vilmaal, uf Widerluege Frau/Herr …“ Eben, im Züribiet ist das durchaus gebräuchlich. Ausserhalb des Zürcher Sprachraums ist diese Formel aber eher selten, bzw. klingt eher lächerlich. Unter Kollegen wünscht man sich „no en schöne“, womit die Hauptaussage (Morge/Tag/Abig) gleich verstümmelt wird, wie in „en Guete“ (Appetit) , „es guets Nöis“ (Jahr). Die gewöhnliche Formel, womit man aber immer im richtigen Soziolekt ankommt, ist das einfache „no en schöne Tag„.
    (Quelle: private E-Mail)

    Es dürfte zugezogenen Deutschen schwer fallen, sich diesem Ritual auf Dauer zu verweigern und schroff und wortkarg mit „schönen Tach noch…“ davon zu ziehen. Vielleicht gewöhnen sie sich einfach meine Lieblingsformel für den kurzen Abschied am Freitag abend im Fahrstuhl an: „in dem Fall„. Aus der Truman Show haben wir gelernt, dass es in anderen Ländern und Kulturen ähnliche Verabschiedungsriten gibt.

  • Verabschieden in Frankreich
  • In Frankreich überlebten diese Höflichkeitsfloskel vor allem im offiziellen Briefverkehr. Anstelle eines preussisch-knappen „hochachtungsvoll“ pflegt man dort Verabschiedungen wie: „Restant à votre entière disposition, je vous prie d’agréer, cher Monsieur, l’expression de mes sentiments les plus distingués“ = (sinngemäss) „Ihnen vollumfänglich weiterhin zur Verfügung stehend bitte ich Sie anzunehmen, lieber Herr, den Ausdruck meiner unterwürfigsten Gefühle“.

    Nun, einen solchen verbalen „Kratzfuss“ müssen Sie verbal in der Schweiz nicht machen, schliesslich sind sie beim „einig Volk von Brüdern“, die sich in ihren souveränen Orten seit 1648 als Republik verstanden. (vgl. Wikipedia).

  • Verabschieden per Reinigungsmittel
  • Wie gesagt: Es ist ein Ritual der Höflichkeit, es wird kaum bewusst wahrgenommen geschweige denn bewusst ausgeführt. Aber es fällt sofort auf, wenn sie aus der Reihe scheren und mit einem knappen „Adé“ von dannen ziehen, vom „Tschüss“ ganz zu schweigen. „Adé“ wird im Südalemannischen Freiburg i. Brs. übrigens zu „Adaa„, das schon wieder fast wie ein Reinigungsmittel klingt, nämlich „Ata!“
    ATA Scheuer-Pulver
    (Quelle Foto: Ostprodukte-Versand.de)

    Nicht verwechseln mit Atta, Vorname Mohammed.

    Woher kommt der Schweizer Bergführer namens Jochen?

    März 4th, 2010

    Gastbeitrag vom Blogwiese-Leser Phipu:

    Vor einiger Zeit war ich auf einer Schneeschuhtour. Da war ein Bergführer dabei, der Berner Oberländer Dialekt mit nach meinem Gehör gewissen Unreinheiten – die ich aber nicht einordnen konnte – sprach. Die mit bernnahen Sprachen nicht so sehr vertrauten Zürcher Gruppenteilnehmer fragten ihn dann mal, woher er denn überhaupt komme. Darauf gab er die geheimnisvolle Antwort, wir sollen mal raten, woher er komme, das fänden jeweils die wenigsten heraus. Meine Antwort war sinngemäss: „Einzig anhand deines Vornamens Jochen tippe ich auf Deutschland„. Das war dann auch richtig. Voilà, das Ratespiel war anhand des Vornamens nach 15 Sekunden vorbei. Hätte ich mich auf den Dialekt abstützen müssen, hätte ich nebst dem Berner Oberland wirklich nicht sagen können, was da noch mitmischt.

    Die gesamte Lösung war folgende: Er war aus Süddeutschland (also immerhin mit Alemannenbonus), hatte mehrere Jahre als Hüttenwart auf einer Bündner SAC-Hütte gearbeitet, hatte darauf in Grindelwald (eben, Berner Oberland) die Bergführerausbildung gemacht, und hat heute eine Grindelwaldnerin zur Freundin.

    Es gibt sie also doch, die durch Immersion den entsprechenden Dialekt fast perfekt lernen, und denen man nicht von vornherein entmutigend sagt, sie sollen es bleiben lassen, das töne sowieso furchtbar. Vom anderen Bergführer erfuhr ich später, dass dieser Jochen innert drei Jahren Dialekt gelernt habe.

    Fazit 1: Nur nicht entmutigen lassen. Man kann sogar Dialekt sprechen lernen.
    Fazit 2: An alle künftigen Eltern: Durchkreuzt die zukünftigen Assimilationspläne eurer Kinder nicht, indem ihr sie allzu regional Ulf, Urs, Annebäbi, oder Anke tauft, dann doch lieber fantasielos und global Kevin oder Jessica. So wird das Herkunftsraten etwas spannender und beruht wirklich nur auf den Sprachfähigkeiten.

    Also dann, bis sonst wieder mal,
    Liebe Grüsse, Phipu