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Nach jedem Satz erst eine Sekunde warten — Über die Wahrnehmung von Ironie bei den Schweizern

(reload vom 27.12.06)

  • Das Schweizerische Verzögerungsmoment
  • Kennen Sie das auch? Sie erzählen auf Hochdeutsch einem Schweizer eine Geschichte mit einer überraschenden Pointe am Schluss. Der letzte Satz ist verklungen, es vergeht eine Sekunde, dann erfolgt die Reaktion des Schweizer Zuhörers. Es passiert nicht immer, aber regelmässig, je nachdem wie genau ihr Zuhörer Ihnen folgen konnte. Ich nenne dieses Phänomen das „Schweizerische Verzögerungsmoment“, wobei ich damit nicht ausdrücken möchten, dass es mir nicht ganz genauso mit Schweizern ergeht. Neulich beim Einkauf im Coop sagte die Verkäuferin „Frohe Wiihnachte“ und danach dauerte es auch bei mir eine Sekunde, bis der Satz zum Kleinhirn durchgedrungen war und ich den Wunsch passend erwidern konnte. Wie drückten es Ursus&Nadeschkin in der hochdeutschen Fassung ihres Programmes „Hailights“ so schön aus:

    Können Sie uns verstehen? Begreifen Sie es auch?

    Etwas rein akustisch wahrzunehmen und es dann auch noch inhaltlich zu begreifen, können grundverschiedene Dinge sein bei der Kommunikation zwischen Deutschen und Schweizern. Es sind vor allem die feinen Nuancen und ironischen Anspielungen, mit denen beide Sprechergruppen Schwierigkeiten in einer Diskussion mit der anderen Gruppe haben.

  • Wann kommt denn nun das Postauto?
  • Meine erste leibhaftige Schweizerin lernte ich auf einer Trampfahrt durch Frankreich kennen. Wir standen am Strassenrand im Burgund und warteten auf den Überlandbus, denn mit Trampen wollte es nicht recht klappen an jenem heissen Julitag. Da sagte die Schweizerin neben mir mehrfach auf Hochdeutsch in einem quengeligen Ton: „Wann kommt denn nun das Postauto“. (Wahrscheinlich war es eher „Poschtauto“, so genau weiss ich es nicht mehr). Dass es sich beim „Postauto“ nicht um den französischen Briefträger sondern um den Überlandbus handelte, vermutete ich selbst ohne Erklärung. Dennoch konnte ich nicht einordnen, ob sie ironisch mit mir sprach, wirklich ungeduldig auf den Bus wartete oder sich sonst wie einen Spass mit mir erlaubte. Quasi mein erstes Deutsch-Schweizer Missverständnis.

  • Faszination und Wahrheitsvermutung beim Hochdeutschen
  • Bei Vorträgen habe ich später in der Schweiz regelmässig erlebt, welche Wirkung von einer hochdeutschen Rede auf Schweizer ausgeht. Sie ist für die meisten Schweizer zunächst mal grundsätzlich 20% wahrhaftiger und vertrauenswürdiger als eine Rede auf Mundart. Auf Hochdeutsch wird nicht gelogen, Hochdeutsch ist die sachliche Sprache der Nachrichten und Katastrophenmeldungen, darin erlaubt man sich keine ironischen Spässe oder Unwahrheiten! So wie das geschriebene Wort für viele Menschen immer eine höhere Glaubwürdigkeit hat als das gesprochen Wort. „Es stand sogar in der Zeitung“ ist ein Beleg für die Wahrheit einer Begebenheit, auch wenn die Zeitung BILD, BLICK oder Daily Mirror heisst. Was gedruckt wurde, muss einfach wahr sein.

  • Per Laserdrucker immer eine Note besser
  • Zu Beginn meines Studiums wurden Seminararbeiten noch mit der Schreibmaschine verfasst. Dann kamen die ersten PCs und Laserdrucker auf und ein paar Semester lang konnte man bei der Professorenschaft allein dadurch eine bessere Note erzielen, dass man seine Arbeit mit einem Laserdrucker im Blocksatz (nach erfolgter Silbentrennung) und in Times New Roman 12pt abgab. Das sah so hammermässig gut aus, der optische Eindruck der satten Schrift war so überwältigend wahr und positiv, dass manch inhaltliche Schwachstelle damit überbrückt werden konnten.

  • Auf Hochdeutsch wird kein Quatsch erzählt
  • So ähnlich ging es mir bei meinen ersten Schulungen als IT-Trainer auf Hochdeutsch vor Schweizern. Ich hatte oft das Gefühl, den grössten Unsinn erzählen zu können. Nur weil der Unsinn auf Hochdeutsch erzählt wurde, galt er in Schweizer Ohren zunächst als wahr, bevor er hinterfragt wurde. Eine Weile lang baute ich daher einen Test ein, einen kleinen Satz, der absoluten Blödsinn enthielt. Entweder die Zuhörer überhörten ihn, oder sie reagierten mit Verzögerung, dann meistens nicht alle, und schon gar nicht alle gleichzeitig.

  • BCC ist eine Blind Carbon Copy Version in Brailleschrift
  • So erklärte ich in Kursen zum Thema „E-Mail“ immer, dass die Abkürzung „CC:“ von „Carbon Copy“ kommt und eine Kohlepapier-Durchschlagsversion der Mail, also eine Zweitkopie bezeichnet, was auch ganz der Wahrheit entspricht. „BCC:“ hingegen komme von „Blind Carbon Copy“ womit die Version in Brailleschrift gemeint sei. Das klingt zwar logisch, ist aber absoluter Quatsch. Falls keine Reaktion erfolgte bei den Zuhörern wusste ich: Hochdeutsch spricht immer die Wahrheit.

  • Ein englischer Fachvortrag klingt super gescheit
  • Ich beobachte dieses Phänomen an mir selbst, wenn ich einen Fachvortrag auf Englisch höre. Auch hier bin ich so fasziniert von der flüssigen Rede, den vielen „gerund forms“, den geschickt angebrachten Argumenten und perfekt betonten Fremdwörtern, die im Englischen übrigens „hard words“ genannt werden, weil sie niemals „fremd“ sind, dass ich auch über eventuelle Banalitäten und Schwachstellen des Inhalts völlig hinwegsehen bzw. hören kann.

  • Haben Schweizer wirklich Mühe mit hochdeutscher Ironie?
  • Ich wehre mich vehement gegen das häufig angebrachte Vorurteil, die Schweizer hätten Mühe mit Ironie und gebrauchen selbst keine Ironie. Richtig ist, sie haben oft Mühe, die Ironie aus dem hochdeutschen Redefluss eines Deutschen herauszuhören weil sie genug damit beschäftig sind, die Rede an sich zu hören und zu verstehen. Deutsche schliessen aus der Tatsache, dass sie ihrerseits bei den Schweizern keine Ironie hören, fälschlicher Weise darauf, dass diese keine verwenden. Irrtum, denn diesmal wurde die ironische Nuance einfach vom Deutschen nicht verstanden, bzw. nicht begriffen. Anders ausgedrückt: Nur weil Sie als Deutscher bei den Schweizern noch nie Ironie bemerkt haben, heisst das noch lange nicht, dass Schweizer Ironie nicht verwenden, sondern lässt eher darauf schliessen, dass Ihr Schweizerdeutsches Hörverständnis noch nicht bis zu dieser Bedeutungsebene vorgedrungen ist. Denn „Was ich nicht höre, das gibt es nicht“ ist der falsche Ansatz. „Was ich hören kann habe ich deswegen noch lange nicht verstanden“ wäre besser.

  • Geschriebene Ironie muss als solche gekennzeichnet werden
  • Warum Schweizer häufig mit geschriebener Ironie ihre Problem haben hängt mit dem oben beschriebenen „Wahrheitsanspruch“ der Schriftsprache zusammen. Geschrieben wird in den Zeitungen und in Romanen, Schriftsprache hören kann man in einer Nachrichtensendung. All diese Verwendungen sind in der Regel frei von Ironie oder Doppeldeutigkeiten, darum muss bei Glossen oder ironisch gemeinten Texten immer deutlich mit 🙂 Smilies angefügt werden, damit für jeden Leser klar ist, dass es sich hier nicht um Sachtexte handelt. Die Blogwiese ist dafür ein gutes Beispiel.

    Seit ich im September 2005 auf der Blogwiese erklärt habe, dass „es schiesst mich an“ wahrscheinlich vom falsch aufbewahrten Gewehr im Schrank herrührt, welches plötzlich zu ballern beginnt, wurde mir sicherlich schon 20 Mal per Email erklärt, dass ich dieses Wörtchen falsch verstanden habe. Das „invisible Smiley“ im Originalartikel war schlichtweg übersehen worden. Kein Wunder, war ja auch „invisible“.

    

    12 Responses to “Nach jedem Satz erst eine Sekunde warten — Über die Wahrnehmung von Ironie bei den Schweizern”

    1. AnFra Says:

      Lieber Jens!

      Ist es eventuell nicht eine gute Entscheidung dieses Forum jetzt gezielt auf der Blogwiese zu liquidieren?

      Es kommt m. E. zu viel Protofascho-Geschreibe auf den unschuldigen Bildschirm. Denn dein Ansinnen war die Sprache und das Leben in der Schweiz, oder? Und nicht ein Gigaphon für jeden depperten (Ironie)-Hansel.

      Mit traurigen Grüße
      AnFra

    2. Egon Says:

      Hier ist ja immer noch alles beim Alten. Inhaltslose und mit heisser Luft aufgeblasene Beiträge einer Sch(witz)er Witzfigur, die sich aufmacht, den Weg zum Nazi onalhelden zu machen. Immer noch die gleichen Fehler: Schwitzer transferieren nicht. Sie transpirieren. Darum heissen sie doch so.

      Die Schwitzer strotzen auch. Ja, vor kritischer Selbstdistanz. Nie käme ein Schwitzer auf Gedanken, wie er habe die beste Armee der Welt. Schön sind solcher Vokabeln wie „schweizweit“. Andernorts sagt man dann: „Bei uns im Dorf“.

      Und dann diese profunde Sachkenntnis. Zum Beispiel betreffend die Notwendigkeit des Uebertragens von Deutsch in den jeweiligen Dialekt. Oder Broder. Schon hört man allerorts, wenn ein Schwitzer sich vorstellt: „Ich komme aus der Schweiz!!“, ein „zum Glück sind Sie nicht aus Zürich“.

      Aber natürlich gibt es Schweizer mit Selbstironie, die sich mit Händen und Füssen vorstellen:

      http://www.youtube.com/watch?v=sY8YOaw_CI0&feature=related

      Dann aber enthält der Text doch auch wieder die feinen schweizkritischen Hinweise: „Der Schweizer lacht bei Briten, auch wenn sie ernst sind.“ Ja, hier funktioniert alles nach dem Einordnungsprinzip: „Brite“ – aha lustig, „Walliser“ – Vorsicht, kein Auto von dem kaufen.

      Darum ist es ja auch so wichtig, direkt zu hören, woher jemand kommt. Dann kann man ihn gleich einordnen und weiss wie man sich zu verhalten hat. Das ist nämlich der Grundsatz des freien, selbstbestimmten Lebens. Also in der Sch(witz). Ich tue genau das, was zur Gebrauchsanweisung passt. „Brite“ – schmunzeln.

      Manchmal wechseln die Gebrauchsanweisungen. „Italiener“ – da muss man heute ein ganz anderes Verhaltenspaket auspacken. In den siebziger Jahren hatte die „Italianita“ noch Sperrstunde.

      Oder fast schon böse: „schweizweit goennerhaft gelacht“. Nein, so bitter sieht der Züricher seine Schwitzer. Es gibt auch welche, die einfach lachen können, ohne diesen verinnerlichten „Vor“urteilsapparat bemüht haben zu müssen.

      Denn wie war das: Liebe, Glaube und … Humor. Und der kleine Zuericher in uns allen, der stirbt zuletzt.

    3. Egon Says:

      nö, das ist zwar nicht lustig. Das Konzept ist ja auch mehr als ergraut. Das war, glaube ich, mal irgendetwas mit Dietmar Schönherr. Aber na, ja manche brauchen eben etwas länger. Ich verstehe die Moderatoren gut, mir geht es jede Stunde genau gleich. Und wenn Du so „ich weiss, wie soll ich dem sage“ … is no schwiiirickkk…“ Schwerentscheider vor Dir hast – dann, logisch: Abklemmen.

      Die Kunst besteht nur darin, es ohne grosse Ankündigung zu machen.

      Ansonsten würde ich mich Anfra anschliessen wollen. Und schlage vor, Dich abzuklemmen. Ist nämlich wirklich langweilig … schnarch warum heisst der Züricher Kuhschweizer? Muhah … und so weiter und so weiter

    4. Brun(o)egg Says:

      Klemm ihn doch ab Jens Wiese. Nicht elegant, nicht demokratisch, nicht fein, aber sehr effektvoll.

    5. Franzl Lang Says:

      Nein, nicht unverschämt, einfach dumm. Als ob man stolz drauf ist, den Intellekt einer Kartoffel zu haben.

    6. Yvonne Says:

      Ach Du Schande! Nach mehreren Monaten Pause schaue ich wieder mal hier rein und was sehe ich: die Schweizer hacken immer noch auf den Deutschen rum und die Deutschen hacken auch immer noch auf den Schweizern rum. Wie ARMSEELIG!!!!!!

      Vertragt Euch doch endlich, was für ein Kindergarten! Schade um den Blog!

      Viellicht ist der Vorschlag von AnFra wirklich nötig…

      Grüsse
      Yvonne

    7. AchimK Says:

      Als meist nur Lesender ist es mir nicht entgangen, dass die Tonart leider feindseliger geworden ist. Es macht in der Tat nicht mehr so viel Spass immer wieder die gleichenbleibenden Kommentare zu sehen, die immer tiefer unter die Gürtelline zielen.

      Kein Wunder wenn Unverschämtheit mit Humor verwechselt wird.

      Vielleicht kommt die Leichtigkeit wieder zurück. Wäre Schade diesen Blog sterben zu lassen.

    8. Lupino Says:

      @Bruno, AchimK: ich kann nur zustimmen. Der Zürcher hat es geschafft, einen hervorragenden Blog kaputt zu machen, und Du, Jens, lässt es zu. ‚Freedom of speech‘ gilt nur solange bis die Rechte anderer verletzt werden, auch wenn es in diesem Land bisweilen anders zugeht. Wenn ich an die Beiträge von Neuromat oder Phipu (unter anderem) zurückdenke, das war ein Genuss, häufig unbequem aber intelligent, wortgewandt, kreativ und informativ. Die sind vertrieben worden durch diese seichte, populistische Hetze … Schade! Eine Zensur, wäre hier wirklich notwendig. Ich fühle mich persönlich angegriffen, und werde wohl mit dem Lesen der Blogwiese aufhören müssen: seine Freiheit darf hier wohl nicht eingeschränkt werden.

    9. Wahnfried Says:

      Sind denn hier nur Ostdeutsche unterwegs? Bei soviel Jammern stellt sich die Frage, warum wir Deutschen ein derart schlechtes Ansehen in der Schweiz geniessen. Der Züricher bringt wenigstens Leben in die Bude! Wir freuen uns immer über seine witzigen Kommentare. Wenn der Züricher nicht mehr schreiben sollte, verliert sich dieses blog in völliger Belanglosigkeit und hat am Ende gar keine Leser mehr.

    10. Brun(o)egg Says:

      So beim lesen von Muuhahaha stellt sich die Frage: ist der Zürcher eine Kuh die sich vor den kalten Händen des Melkers grault?

    11. Franzl Lang Says:

      Ich find den Zürcher auch super! Aaaaaber: Er wiederholt sich. Weniger wäre manchmal mehr.

      Und naja, dass die Schweizer mehr Humor haben sollten als Deutsche ist auch eine gewagte These. Aber ich bin Rheinländer, bei uns sin se alle jeck!

      @Zürcher: Hoffe ich bin nach diesem Outing im Deutschenranking gestiegen…

    12. Guggeere Says:

      Also ich habe den Kerl abgeschafft. Ganz einfach ersatzlos gestrichen, wie ich es auch sonst Alltagsleben mit Trollen und anderen überflüssigen Typen tue. Und ich kann nicht ganz verstehen, weshalb das nicht alle tun. Es funktioniert nämlich bestens!