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Ich wünsche Ihnen auch noch einen schönen Tag! — Die hohe Kunst der Schweizer Gesprächsbeendigung

(reload vom 24.12.06)

  • Verabschieden in der Truman Show
  • Erinnern Sie sich noch an den Film „Die Truman Show“ von 1998 mit Jim Carrey?

    Die zentrale Figur des Films ist der Versicherungsvertreter Truman Burbank, der – ohne davon zu wissen – der Hauptdarsteller einer Fernsehserie ist, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Leben eines Menschen von Geburt an zu dokumentieren und live im Fernsehen zu präsentieren. Zu diesem Zweck hat der Produzent der Serie, Christof, Truman als Baby von seiner Firma adoptieren lassen und eigens eine von Wasser umgebene Küstenstadt, Seahaven, unter einer riesigen Kuppel – dem OmniCam-Ecosphere-Gebäude – bauen lassen, unter der Truman, umgeben von Schauspielern aufwächst, täglich beobachtet von über 5000 Kameras.
    (Quelle Wikipedia)

  • Rumlümmeln auf Ikeasofas
  • Truman verbrachte seine Tage wie jeder gute Amerikaner. Er trug den Müll raus, ging arbeiten, traf Freunde etc. Es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, stundenlang auf einem Sofa abzuhängen. Kurze Zeit später strahlten zahlreiche europäische Fernsehsender das baugleiche TV-Format „Big Brother“ zum ersten Mal aus. Die ersten Teilnehmer wussten zwar, dass sie von Kameras bei all ihren Schritten beobachtet wurden, ahnten aber noch nichts von den medialen Konsequenzen ihres Handelns. Damals hatte Cablecom noch ca. 50 Stationen im Angebot (heute 37), und wer Lust hatte, konnte an einem gewöhnlichen Wochenabend beobachten, wie Menschen in Wohncontainern sich auf Ikeasofas rumlümmelten und dabei auf Englisch, Deutsch, Schweizerdeutsch, Österreichisch, Italienisch oder Französisch miteinander parlierten. Alles zur besten Sendezeit zwischen 20:00 und 21:00 Uhr. Truman wusste nicht, dass er gefilmt wird und er pflegte, als wohlerzogener Amerikaner, einen Ritus des „Guten Tag Wünschens“. Im Original-Drehbuch steht:

    TRUMAN
    Oh! And in case I don’t see ya‘! Good
    Afternoon, Good Evening, and Goodnight!
    (laughs jovially)
    Yeah…yeah…
    (Quelle: un-offical.com)

    Truman beim letzten Abschied
    (Foto Truman Show: Truman verabschiedet sich ein letztes Mal von seinem Publikum)

    Truman muss Schweizer Vorfahren haben, denn die Kunst, sich freundlich aus einer Situation zu verabschieden, wird in der Schweiz mit Hingabe gepflegt. Die notwendigen Sätze sind den Schweizern dabei so vertraut und in Fleisch und Blut übergegangen, dass ihnen die Ausführlichkeit ihres Verabschiedens gar nicht mehr bewusst ist und erst markant auffällt, wenn dass Ritual einmal fehlt, falls z. B. jemand am Telefon einfach nur knapp „Tschüss“ sagt und das Gespräch sofort beendet. Man sagte mir, dass diese Unsitte, sich so kurz angebunden zu verabschieden, in der Schweiz „sich französisch verabschieden“ genannt wird. Merkwürdig, ich hatte die Abschiedsriten in Frankreich immer mit viel „Küsschen hier“ und „Küsschen da“ in Erinnerung, sehr zeitaufwändig. Vielleicht wird das von Schweizern ja anders wahrgenommen.

  • Dann wünsche ich Ihnen auch noch einen recht schönen Tag!
  • Die Varianten, mit der Sie in der Schweiz ein Telefongespräch oder eine direkte Begegnung zu Ende führen können, sind zahlreich und hängen von der Tageszeit und vom Wochentag ab. „In dem Fall wünsche ich Ihnen auch noch einen recht schönen Abend“ gehört sicherlich noch zu den knapperen Varianten. „Einen recht schönen Tag noch und ein schönes Wochenende wünsche ich Ihnen!“. Den „schönen Tag“ gibt es gelegentlich im Kanton Zürich auch jovial verkleinert als „schönes Tägli“, ganz ohne „Schlägli“. Wir fragten unseren Fachmann fürs Schweizerdeutsche nach seiner Meinung:

    Sicherlich hast du im Raum Zürich schon oft ein verkaufsbeflissenes, verabschiedendes „… und no es schöns Tägli!“ gehört. Natürlich begleitet von den anderen geschäftstüchtigen Floskeln „danke vilmaal, uf Widerluege Frau/Herr …“ Eben, im Züribiet ist das durchaus gebräuchlich. Ausserhalb des Zürcher Sprachraums ist diese Formel aber eher selten, bzw. klingt eher lächerlich. Unter Kollegen wünscht man sich „no en schöne“, womit die Hauptaussage (Morge/Tag/Abig) gleich verstümmelt wird, wie in „en Guete“ (Appetit) , „es guets Nöis“ (Jahr). Die gewöhnliche Formel, womit man aber immer im richtigen Soziolekt ankommt, ist das einfache „no en schöne Tag„.
    (Quelle: private E-Mail)

    Es dürfte zugezogenen Deutschen schwer fallen, sich diesem Ritual auf Dauer zu verweigern und schroff und wortkarg mit „schönen Tach noch…“ davon zu ziehen. Vielleicht gewöhnen sie sich einfach meine Lieblingsformel für den kurzen Abschied am Freitag abend im Fahrstuhl an: „in dem Fall„. Aus der Truman Show haben wir gelernt, dass es in anderen Ländern und Kulturen ähnliche Verabschiedungsriten gibt.

  • Verabschieden in Frankreich
  • In Frankreich überlebten diese Höflichkeitsfloskel vor allem im offiziellen Briefverkehr. Anstelle eines preussisch-knappen „hochachtungsvoll“ pflegt man dort Verabschiedungen wie: „Restant à votre entière disposition, je vous prie d’agréer, cher Monsieur, l’expression de mes sentiments les plus distingués“ = (sinngemäss) „Ihnen vollumfänglich weiterhin zur Verfügung stehend bitte ich Sie anzunehmen, lieber Herr, den Ausdruck meiner unterwürfigsten Gefühle“.

    Nun, einen solchen verbalen „Kratzfuss“ müssen Sie verbal in der Schweiz nicht machen, schliesslich sind sie beim „einig Volk von Brüdern“, die sich in ihren souveränen Orten seit 1648 als Republik verstanden. (vgl. Wikipedia).

  • Verabschieden per Reinigungsmittel
  • Wie gesagt: Es ist ein Ritual der Höflichkeit, es wird kaum bewusst wahrgenommen geschweige denn bewusst ausgeführt. Aber es fällt sofort auf, wenn sie aus der Reihe scheren und mit einem knappen „Adé“ von dannen ziehen, vom „Tschüss“ ganz zu schweigen. „Adé“ wird im Südalemannischen Freiburg i. Brs. übrigens zu „Adaa„, das schon wieder fast wie ein Reinigungsmittel klingt, nämlich „Ata!“
    ATA Scheuer-Pulver
    (Quelle Foto: Ostprodukte-Versand.de)

    Nicht verwechseln mit Atta, Vorname Mohammed.

    

    5 Responses to “Ich wünsche Ihnen auch noch einen schönen Tag! — Die hohe Kunst der Schweizer Gesprächsbeendigung”

    1. Brun(o)egg Says:

      Das hätte ich jetzt nicht gedacht, der ZH so gebüldet ist. Mindestens was Pariser angeht.

    2. Gählfießler Says:

      „Hasch dich am Samschdag widda englisch verabschiedet?“

      So oder so ähnlich kanns klingen wenn man in unserer Gegend (rund um Baden-Baden) aus weiser voraussicht aus der Bar / aus der Kneipe / aus bierseliger Runde sich verabschiedet ganz ohne was zu sagen.
      Wenn man nämlich sich durch die ganze Runde wortreich verabschiedet könnte es passieren dass einem irgend jemand noch ein Getränk (und noch eins/und noch eins/und..) aufschwatzt und der nächste Morgen grausam wird.

      Alla, Adee!

      Könnte an der nähe zum Elsass liegen…

    3. Helza Says:

      Französisch sollte man können, wenn man die Sprache schon bemüht. Distingué heisst nicht unterwürfig, sondern vornehm, die Grussfloskel lässt sich in etwa mit dem deutschen „vorzügliche Hochachtung“ vergleichen. Sich französisch verabschieden heisst auch nicht, kurz angebunden zu sein, es ist etwas ganz anderes. In einer grösseren Gesellschaft gilt es als unhöflich, durch seinen Aufbruch und die damit verbundene Verabschiedung allenfalls sogar einzeln von allen Gästen, die Stimmung zu stören, und die andern zu animieren, ebenfalls aufzubrechen. Man verabschiedet sich deshalb überhaupt nicht, allerhöchstens vielleicht in einem anderen Raum unauffällig von den Gastgebern und geht so diskret wie möglich. Das ist die ‚französische‘ Art, sich zu verabschieden – damit die Party ungestört weitergeht. Erst wenn alle zusammen aufbrechen oder zumindest eine grössere Gruppe, kommt das bekannte Küsschen- und Komplimente- Gruss-Ritual zum Einsatz.

    4. rca Says:

      Auf welche Situationen bezieht sich dieser Artikel? Geschäftliches?

      Ich schweife zurück über meine letzten 100 Verabschiedungen, aber sooo ausführlich sind die nun auch wieder nicht. Wenn man sich kennt, reicht auch „schöna“ oder „tschüss“ (wobei die Basler ja das Tschüss auch zum Begrüssen hernehmen, was bei mir immer die Angst aufkommen lässt, ich hätte die letzten 5 Stunden verpasst und der Abend schon vorbei).

      Wenn es um Brötchenkaufen oder die Kioskfrau verabschieden geht, da würde ich zustimmen. Man darf zwar auch weglaufen ohnen nen schönen Tag/Abend gewünscht zu haben, aber steinigen tut einen da noch lange keiner.

    5. mista lovalova Says:

      ciao! schöne! hiube no! bis bau!
      aues ganz churz und ok

      aber im gschäft isches haut angersch, da muesch scho höflich si weisch 😉