Treffen, traf, getroffen — „träfe Sprüche“ in der Schweiz

August 21st, 2009

(reload vom 13.8.06)

  • Fürs Treffen sind die Schweizer berühmt
  • Die Schweizer sind für ihre Treffsicherheit weltweit berühmt. Jeder wehrhafte (nicht zu verwechseln mit „währschaft“ ) Schweizer Mann ist ein ausgebildeter Scharfschütze, Fachjargon auch „Sniper“ genannt und muss in der Lage sein, auf 300 Meter Distanz einen Kreis von 10 cm Durchmesser zu treffen. Der Schweizer Volksheld und mythische Ahne Wilhelm Tell traf aus 60-80 Meter den Apfel auf dem Kopf seines Sohnes,
    Der Tell trifft den Apfel
    (Quelle Grafik: tu-chmnitz.de)

    und die Schweizer Elfmeterschützen im Viertelfinale der Fifa-WM 2006 trafen alle zielsicher den Ball mit dem Fuss.

    Aber „treffen“ ist mehr in der Schweiz, denn „treffen“ gibt es auch als besonderes Adjektiv mit „ä“ geschrieben, allerdings nur in Kombination mit einem oder besser mehreren guten Sprüchen. So lasen wir im „Beobachter“, der so gar nicht „Völkisches“ hat in der Schweiz, sondern hierzulande als wichtige Institution im Konsumentenschutz der Schweizer gilt:

    Träfe Sprüche aus der Küche
    Kabarettist Simon Enzler verbreitet den Appenzeller Witz in der ganzen Schweiz. In der Küche mag er es lieber bodenständig als doppelbödig.
    (Quelle: Beobachter.ch)

    Wir hielten es zunächst für einen Schreibfehler, aber es gibt noch andere Belege:

    Lachen ist gesund!
    Hier sammeln wir träfe Sprüche Ihrer Kinder sowie Witze und Anekdoten rund um Zwillinge und Mehrlinge.
    (Quelle: twinmedia.ch)

    Oder hier bei den Älplern:

    Träfe Sprüche zum Erntedank
    «Gang nid zwiit, sisch Älplerchilbiziit»: Mit diesem Motto warb die Älplergesellschaft Hergiswil für die Älplerchilbi. Gefeiert wurde aber auch anderswo in Ob- und Nidwalden.
    (Quelle: aelper.ch)

    Wer jetzt nicht mehr weiss, was eine „Chilbi“ ist, kann hier nachschauen.

    Google-CH bringt 183 Belege von „träfen Sprüchen“.

  • Der träfe Wortschatz
  • Schliesslich fanden wir doch noch ein Beispiel für „träfe„, in einem Zitat von Ludwig Hasler, Publizist, Hochschuldozent für Philosophie und Medientherie:

    Der alte, träfe Wortschatz ist weg. Die Mundart erneuert sich nicht, sie wird nur dünner und einfältiger.
    (Quelle: NZZ am Sonntag vom 16.07.06, S. 69)

    Vom Kontext zu schliessen muss „träfe“ also ein Synonym für „treffend“, „bezeichnend“ sein.

    Wir müssen Hasler übrigens vehement wiedersprichen. Auch Mundart erneuert sich. Der Schriftsteller Franz Hohler bringt im gleichen Interview ein paar hübsche Beispiele:
    „Boldere“ als Neuform von englisch/deutsch „bouldern„, d. h. Klettern in Absprunghöhe ohne Seil. Genannt nach dem englischen Wort „Boulder“ = grosser Felsbrocken, an dem diese Variante des Freeclimbings zuerst betrieben wurde.

    Spotte“ der Zuschauer, die Kletternde anfeuern. Und schliesslich „solone„:

    är het d Eigernordwand gsolonet, das heisst er hat sie im Alleingang bestiegen. Die Begriffe sind dem Englischen nachgebildet, das ja der Mundart lautlich verwandt ist. Checken, fooden, Compi sind vom Klang her Schweizerdeutsch.

    Man lese nur aufmerksam das Züri-Slängikon. Ein grosser Anteil der Slangwörter dort sind aus dem Englischen abgeleitet. Beispiel: „tschuute“ von „to shoot“ und „chille“ von „in die Kirche gehen„.

    Nur nicht an Schwellkörper denken — Gschwellti in der Schweiz

    August 20th, 2009

    (reload vom 12.8.06)

  • Was schwillt denn da?
  • Im heissen Sommer 2006 konnten wir in einer Zürcher Kantine zur Mittagszeit unseren kulinarischen Schweizerdeutschen Grundwortschatz (vgl. Schweizer Essen) um eine weitere Vokabel ergänzen, die sich, nur so vom Lesen, ohne praktisches Beispiel oder Foto, einem Deutschen nicht leicht erschliesst. Die Rede ist von „Geschwellti“.
    Gschwellti sind Pellkartoffeln in der Schweiz
    Nein, geschwollen brauchen wir jetzt nicht daher reden, und auf die Pelle rücke ich Ihnen jetzt nicht, auch wenn die Dinger in Deutschland „Pellkartoffel“ heissen. Unser Variantenwörterbuch hilft weiter:

    Gschwellti CH nur Plur. (Grenzfall des Standards):
    Erdapfel: Erdapfel in der Schale / Montur A
    Schelfeler A-West(Tir.)
    Kartoffel: Geschwellte Kartoffel CH;
    Gekochte Kartoffel D-mittelost/süd;
    Gesottene Kartoffel D-südost
    Pellkartoffel D-nord/mittel „ in der Schale gekochte Kartoffel als Speise“. Vorgestern gab’s Gschwellti mit selbst gemachter Mayonnaise (Blick 28.1.1998,7)
    (Quelle: Variantenwörterbuch DeGruyter Verlag)

    Dennoch haben wir keine Ahnung, was „geschwellen“ mit Kochen zu tun haben könnte, oder mit „schwellen“. Eine Eisenbahnschwelle heisst der Holzbalken, über den die Tür gebaut wird, oder über den man Schienen verlegt.

    Der Duden meint:

    schwellen (st. V.; ist) [mhd. swellen, ahd. swellan, H. u.]:
    1. [in einem krankhaften Prozess] an Umfang zunehmen, sich [durch Ansammlung, Stauung von Wasser od. Blut im Gewebe] vergrößern: ihre Füße, Beine s.; die Adern auf der Stirn schwollen ihm; die Mandeln sind geschwollen; sie hat eine geschwollene Backe, geschwollene Gelenke; Übertragung: die Knospen der Rosen schwellen; die Herbstsonne ließ die Früchte s.; schwellende (volle) Lippen, Formen, Moospolster.
    2. (geh.) bedrohlich wachsen, an Ausmaß, Stärke o. Ä. zunehmen:
    der Fluss, das Wasser, die Flut schwillt; der Lärm schwoll (steigerte sich) zu einem Dröhnen; während der Donner … verhallte, schwoll (steigerte sich) der Wind zum Sturm (Schneider, Erdbeben 105).

  • Ist es schwelen und nicht schwellen?
  • Ob die Kartoffeln in der Schweiz anschwellen, wenn sie in heissem Dampf gegart werden? Oder hat es gar nichts mit diesem Wort zu tun, sondern kommt von „schwelen„:

    schwelen (sw. V.; hat) [aus dem Niederd. < mniederd. swelen = schwelen; dörren; Heu machen, verw. mit schwül]:
    1. langsam, ohne offene Flamme [unter starker Rauchentwicklung] brennen:

    Ob man in der Schweiz die Pellkartoffeln nicht gekocht, sondern über „schwelendem Feuer“ gedörrt hat?
    Aber das dauert doch viel länger als kochen über dem Feuer.

    Auf jeden Fall bringt es das Wort auf 4950 Erwähnungen bei Google-CH, das meiste sind Rezepte.

    Die Lösung des Geheimnisses verdanken wir, wie so oft, dem alten Wörterbuch der Brüder Grimm, denn darin steht:

    im oberdeutschen ist schwellen sehr gewöhnlich in der bedeutung ‚etwas im wasser sieden, bis es weich wird, in siedendem wasser kochen,‘ bes. erdäpfel (kartoffeln), s. STALDER 2, 363. HUNZIKER 235. SEILER 267a. SCHM. 2, 630: o sprach Bruno, du wirst sie (die frau) swellen und essen mit dein czen. STEINHÖWEL decam. s. 565 Keller (9, 5); (man soll einer mastgans) trei mal im tage gersten, und inn wasser geschwöllten weytzen … zuessen geben. SEBIZ feldbau 111; er hat viel tag nichts dann einen geschwelten weitzen zu essen gehabt. RIVANDER 2, 222b. so auch (?): sawer und murrecht sehen, gleich als wann er ein pfann voller geschwelter teuffel gefressen hett. HÖNIGER narrensch. 30b.

    7) in Nürnberg bedeutet schwellen (schwach) auch fest schlafen und schnarchen. SCHM. 2, 630.
    (Quelle: Grimm)

    Dann wollen wir mal tun, was Bruno verlangt und unsere Frau essen, bzw wie in Nürnberg einfach tief schwellen.

    Na dann: En Guete!

    Woher stammt das Deutschlandbild der Schweizer — Gibt es denn keine guten Deutschlehrer in der Schweiz?

    August 19th, 2009

    (reload vom 11.8.06)

  • Umfrage: Welche sind die Wesensmerkmale der Deutschen
  • Wir sind immer noch auf der Suche nach einer Erklärung für das typisch schweizerische Phänomen, gegenüber den Deutschen „im allgemeinen“ (meist) grundlos negativ eingestellt zu sein. Oft wird das relativiert und verharmlost: „Das ist ja nur Spass“, oder „Nur beim Fussball bin ich gegen Deutschland“. Ob das stimmt, können sie durch einen einfachen Selbstversuch leicht feststellen. Fragen Sie doch mal ganz nüchtern und neutral ein paar Schweizer in Ihrer Umgebung (vorausgesetzt, sie sind selbst Schweizer oder können sich erfolgreich eine helvetische Tarnkappe überstülpen, sonst wäre das Ergebnis nicht repräsentativ), welches die herausragendsten Wesenmerkmale der Deutschen sind. Fragen Sie dann vielleicht noch weiter, wo ihr Gesprächspartner diese Weisheit gelernt hat. Nicht etwa in der Schule?

  • Bestimmt ist die Schule schuld
  • Zumindest einen Schuldigen haben wir im Verlaufe von zahlreichen Gesprächen mit Schweizern über ihre Schulerinnerungen herausfinden können: Es muss an den Lehrern und am Deutsch- und Geschichtsunterricht liegen.

  • Wer hat positive Schulerinnerungen?
  • So oft wir Schweizer befragen, welche Erinnerungen sie an ihre die Schule und speziell an den Deutschunterricht haben, hören wir fast nur Negatives. Zunächst machte ihnen diese Sprache Spass, sie wurde ohne grosses Nachdenken aus dem Fernsehen übernommen. Obwohl auch dies nur die jüngeren Schweizer sagen können, denn so wahnsinnig lang ist das mit dem Kabelempfang und der Einspeisung von ARD und ZDF ins Schweizer Netz noch nicht her. Die Generation älter als 30 wuchs noch mit weitaus weniger Programmen auf, und ZDF stand da nicht immer zur Auswahl.

    Es sind dann folgende Aussagen, die immer wieder in veränderter Form von Schweizern gemacht werden:

  • Der Lehrer hat uns immer korrigiert, wenn wir Deutsch sprachen.
  • Es wurde uns gesagt: „Das lernt ihr nie, überlasst das lieber den Deutschen“.
  • Wir sollten Schweizer-Hochdeutsch sprechen, und nicht den spezifischen Deutschen Tonfall nachahmen.
  • Die Lehrer konnten es selbst nicht richtig und versprühten auch keine grosse Begeisterung für das Hochdeutsche.
  • Hochdeutsch war immer ein „Zwang“ für alle, bei jeder Gelegenheit wurde eine Entschuldigung gesucht und gefunden, jetzt doch plötzlich Mundart reden zu dürfen.
  • Auf Hochdeutsch kann man nicht über Gefühle reden.
  • Und dann treffen diese Schweizer irgendwann ihren ersten echten Deutsche, der mühelos so spricht, wie sie es selbst in der Schule auch mit Anstrengung nicht hinbekommen haben, und dem sie sich sofort argumentativ unterlegen fühlen. Schlussfolgerung: Man ist der aber arrogant!

    Es fehlen uns noch die Berichte, in denen jemand von einem „begeisterungsfähigen Deutschunterricht“ berichtet, in dem gern und freiwillig versucht wurde, ausschliesslich in dieser lebendigen Sprache zu diskutieren. Wenn wir doch so etwas erzählt bekamen, dann waren es oft junge Lehrer aus Deutschland, die da mit Elan und Engagement ans Werk gingen. Deutsch in der Schweiz zu lernen bedeutet vor allem, die Klippen und Fallstricke einer Schriftsprache zu üben, nochmals zu üben und schliesslich daran zu verzweifeln.

  • Wird denn keine aktuelle Literatur gelesen?

  • Es bedeutet weniger, sich mit der Sprache von Brecht, Böll oder Hesse auseinander zu setzen. Weder Uwe Timms Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ noch Bernhards Schlinks Roman „Die Vorleserin“ kommt auf dem Lehrplan vor. Nicht einmal Patrick Süsskinds „Parfüm“ wird behandelt. Es geht nicht darum, die Faszination einer moderne Literatur- und Alltagssprache zu lernen, zusammen mit dem Kosmos an Einsichten und Lebenswirklichkeiten, der sich darin verbirg, nein, es geht im Schweizer Deutschunterricht lediglich darum, Grammatik und Syntax einer Schriftsprache soweit zu trainieren, dass damit die allernotwendigsten Grundlagen des Schreibens vermittelt werden.

    Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, das Homo Faber von Max Frisch eine der häufigsten Schullektüren in der Oberstufe an deutschen Gymnasien ist.

  • Und was lernten Sie in Geschichte über Deutschland?
  • Die weiteren Informationen über Deutschland entstammen dem Geschichtsunterricht. Die Naziherrschaft mit ihrer Vorgeschichte und der Zweite Weltkrieg wird behandelt, danach ist Feierabend, der Lehrplan zu Ende oder sowieso keine Zeit mehr. Nach 1945 kommt Deutschland faktisch nicht mehr vor.
    Wie gesagt, dass ist nur unser persönlicher Eindruck aus Gesprächen mit Schweizern, die wir befragt haben. Wir würden uns freuen auf Mut machende Gegenbeispiele und Erinnerungen an lebendigen, erstklassigen Deutschunterricht, der auch Spass an dieser Sprache vermittelte, und sie nicht nur als Zwang „missbrauchte“. Oder an Geschichtsunterricht, der vielleicht auch die Geschichte der Deutschen Wiedervereinigung und dem Aufstand im Osten 1989 zum Thema macht. Oder das Kapitel „Weisse Rose“ bzw. das „Attentat vom 20. Juli 1944“ im Geschichtsunterricht behandelt.

    Gleichfalls wünschen wir uns für den Geschichtsunterricht an deutschen Schulen, dass vielleicht auch mal vermittelt wird, aus welchen Wurzeln die Schweiz entstand und welche gewichtige Rolle in ihrer Geschichte 1803 der französische Diktator Napoleon spielte:

    In diesem Moment griff der französische Militärdiktator und spätere Kaiser Napoleon Bonaparte ein, verlangte das sofortige Ende des Bürgerkriegs und rief Delegationen der Revolutionäre wie der Reaktionäre zu Verhandlungen nach Paris. Im Oktober 1802 kamen erneut französische Truppen in die Schweiz und entwaffneten die Aufständischen in der Zentralschweiz. Napoleon hatte sich allerdings schon früher mit der Situation in der Schweiz vertraut gemacht und begriff deshalb, dass der zentralistische Einheitsstaat in der Schweiz angesichts der grossen sprachlichen, kulturellen und religiösen Unterschiede und Gegensätze keine Chance hatte. Deshalb legte er einen föderalistischen Verfassungsentwurf vor.
    Die gängige Bezeichnung Mediation [Vermittlung] beschreibt die Rolle Napoleons allerdings kaum zutreffend, wenn auch Napoleon selbst sich gerne als Vermittler darstellte. In Wirklichkeit war die als Mediationsakte betitelte neue Verfassung für die Schweiz weitest gehend ein Diktat Napoleons. Die Mediationsakte gab den grössten Teil der staatlichen Kompetenzen an die 19 Kantone der neuen Eidgenossenschaft ab und eliminierte sowohl das nationale Parlament als auch die Zentralregierung.
    (Quelle: Geschichte-Schweiz.ch)

    Es ist für uns ein Lehrbeispiel dafür, dass die unabhängige und auf ihre Neutralität stolze Schweiz am Scheideweg der Geschichte 1803 auch nicht aus eigener Kraft zu dem wurde, was sie heute ist, so wie die Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg unter Kontrolle und Herrschaft der Alliierten entstehen konnte. Geschichte kehrt immer wieder, und ähnliche historische Erfahrungen auch, darum dürfen wir sie nie vergessen.

    Beim Zeus, du sollst nicht zeuseln

    August 18th, 2009

    (reload vom 10.8.06)

  • Zerzaustes Zeug zeuselt gut
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 8.7.06 auf Seite 15:

    Kinder zeuselten
    Bäretswil. – Der Grossbrand im Heilpädagogischen Institut St. Michael ist geklärt. Die Ermittlungen der Kantonspolizei Zürich ergaben, dass zwei zeuselnde Kleinkinder Heu in der Scheune angezündet hatten. (…)

    Kinder zeuseln
    (Quelle Tages-Anzeiger vom 8.7.06, S. 15)
    Und wieder ein wunderbares Wort der Schweizerdeutschen Sprache gelernt: Zündelt man in der Schweiz mit Zeug, dann ist das „zeuseln“.

    Die Nord- und Mitteldeutschen hingegen stehen mehr auf „Koks“, der schlecht brennt, und wenn es ums Spielen mit dem Feuer geht, dann wird dort nicht gezeuselt, auch nicht „gekokst“, sondern „gekokelt“:

    Unser Variantenwörterbuch kennt sie alle beide:

    zeuseln CH sw.V./hat (Grenzfall des Standards):
    zündeln A CH D (ohne ost), kokeln D-nord/mittel „unvorsichtig mit Feuer spielen“: Mutter Brigitte sass in der Küche, im Wohnzimmer zeuselten Adrian und Dario. Im Handumdrehen stand das alte Haus in Flammen (Blick 25.7.1997,9)

    Kind beim Kokeln
    Wir hoffen stark, dass es bei diesen beiden Varianten beschränkt bleibt und nicht plötzlich 20 weitere Verbformen für „unvorsichtig mit dem Feuer herumspielen“ auftauchen.
    Grimm meint dazu:

    ZEUSELN, verb., gelegentlich auftretende (H. FEDERER berge u. menschen 463) verhochdeutschte lautform des Bd. 31, Sp. 874 schweiz. züseln (STALDER schweiz. idiot. 2, 470; -ö- TOBLER appenz. 461a), welches seinerseits aus zünseln (th. 16, 623) entstanden ist. –
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Es steht also auch im Idiotikon, das wir leider bisher immer noch nicht finanzieren und nach Hause schleppen konnten, und ist eine „verhochdeutschte Lautform“ von „züseln“, oder „zünseln“. Ah, jetzt, ja! Und es kommt aus Appenzell, soviel ist klar.

    Bei Google-CH fanden wir 162 Belege.

    Zeuseln ist brandgefährlich
    Langnau: Feuerwehr schult Kindergärtler auf Brandschutz
    (Quelle: Zürichsee Zeitung)

    oder

    Zamt & Zunder zeuseln
    Mit dem Stück «Cowboy, Cowboy» zeigt das Theater Zamt & Zunder ein Stück über Gewalt. Lehrpersonen wird ausführliches, theaterpädagogisches Begleitmaterial überreicht.
    (Quelle: Zuonline.ch)

    Auch die Schreibung mit „ä“ kommt häufig vor.
    Beispiel:

    Jetzt zäuseln sie wieder:
    nehmt ihnen die Streichhölzer weg
    Oder soll das Schweizerhaus in
    Flammen aufgehen?
    (Quelle: freie-meinung.ch)

    Ist das nicht poetisch? Der Duden hat übrigens keine Ahnung von dem Wort, aber immerhin wird es im Deutsch (Schweiz) Thesaurus von Microsoft Word 2003 erwähnt! Ja genau, das berühmte Synonymwörterbuch aus Richmond, was in früheren Versionen zu „Puff“ das Synonym „Frauenhaus“, zu „Unternehmer“ einfach „Ausbeuter“ lieferte, und bei der Eingabe des Wortes „Realitätsverlust“ gnadenlos abstürzte. Ist aber lange nicht mehr so, da hilft kein Ausprobieren. Word ist trittsicher in Sachen Schweizerdeutsch geworden.

    Weise mir Herr Deinen Weg — Wegweise in der Schweiz

    August 17th, 2009

    (reload vom 9.8.06)

    Weise mir, Herr, deinen Weg dass ich wandle in deiner Wahrheit; erhalte mein Herz bei dem einen, dass ich deinen Namen fürchte.
    Psalm 86,11

  • Kirchen in der Schweiz
  • Die Schweiz ist kein rein reformiertes Land, wie wir erst kürzlich erfuhren, sondern es gibt auch sehr katholische Teile, wie den Kanton Luzern. Hinzu kommt die grosse Anzahl von 600 Freikirchen mit 150.000 Mitgliedern, die sich selbst als „Dritte Kraft“ zwischen den zwei grossen Kirchen verstehen (vgl. Freikirchen.ch)

  • 6 bis 10 Prozent Freikirchler mancherorts
  • Diese Freikirchen sind in bestimmten Gegenden stärker vertreten als anderswo, so z. B. in und um Winterthur:

    Knapp 3000 Personen in Winterthur gaben bei der letzten Volkszählung an, zu einer Freikirche zu gehören. Das sind 3.3 Prozent, was deutlich über dem Landesdurchschnitt von 2.2 Prozent liegt. In umliegenden Gemeinden wie Schlatt, Henggart, Truttkon oder Hüntwangen liege der Anteil der Freikirchler sogar zwischen 6 und 10 Prozent,(…).
    Damit sei diese Gegend eine „Hochburg der Evangelikalen“ – vergleichbar nur mit Teilen des Kantons Bern. (…)
    (Quelle: Artikel des Tages-Anzeigers, zitiert auf jesus.ch)

  • Wer weisst uns da den Weg?
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 19.07.06:

    Überarbeitetes Polizeigesetz mit klareren Regeln für Wegweisung
    (…) Umstritten war an dem Artikel vor allem die Wegweisung von Personen, die «die durch ihr Verhalten beim Publikum, namentlich bei Passanten, Anwohnern oder Geschäftsinhabern, begründet Anstoss oder Furcht » bewirkten.

    Diesen Personen weisst die Polizei nicht „den Weg“, sondern schickt sie „weg“. Gelesen sieht das fast gleich aus, wäre da nicht die Grossundkleinschreibung. „Platzverbot aussprechen“ heisst das in Deutschland. Und das wird nicht für zu prall aufgepumpte Luftballons ausgesprochen, sondern immer dann, wenn jemand „fehl am Platz“ ist:

    Nur gelegentlich müssen die Bibliothekarinnen Streit schlichten oder ein Platzverbot aussprechen. Einmal mussten sie die Polizei rufen, als eine Gruppe Mädchen randalierte.
    (Quelle: taz.de)

    Nur grade 262 Belege bei Google-CH im Vergleich zu 12.000 Bei Google-DE machen deutlich, dass „Platzverbot“ eine deutsche Angelegenheit ist.

  • Lichtstrahl, Regal, Speiche oder Wabe? Rayonverbot in der Schweiz
  • Zum Platzverbot sagen die Schweizer Behörden „Rayonverbot“, was uns am Anfang etwas verwirrte, denn das französische Wörtchen „rayon“ kann auch „Lichtstrahl“ heissen, oder „Regal“. Ist damit der Sonnenschein verboten? Oder das Warenregal im Supermarkt? Gemeint ist beim „Rayonverbot“ jedoch der „Umkreis“, der Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet. Es muss nicht unbedingt immer ein Platz sein, wie in Deutschland. Google-CH findet 597 Stellen.
    Damit ganz klar ist, um was es beim Schweizer Rayonverbot geht, gibt es dazu auch ein Merkblatt:

    Merkblatt: Rayonverbot
    Vermehrt haben wir festgestellt, dass unter dem Begriff „Rayonverbot“ ganz Unterschiedliches verstanden wird. Das Rayonverbot bzw. die Ausgrenzung von Personen, die keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzen, ist in Artikel 13e des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) verankert. Der Gesetzestext lautet:
    „1 Die zuständige kantonale Behörde kann einem Ausländer, der keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt und der die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet, insbesondere zur Bekämpfung des widerrechtlichen Betäubungsmittelhandels, die Auflage machen, ein ihm zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu betreten.
    (…)
    (Quelle: Merkblatt Rayonverbot)

    Ganz im „Bannstrahl“ des Gesetzes also. Es geht nicht nur ums „Wegweisen“, sondern auch ums Bleiben in einem Gebiet. Dessen Grenzen werden mit Laserstrahlen, den „rayons laser“ kenntlich gemacht, vermuten wir mal.

  • Bleib nicht am Rand stehen
  • Die Schweizer Behördensprache kennt noch einen weiteren Begriff, den wir erst lernen musste. Es geht um Menschen, die in der Schweiz immer am Rand stehen. Am Rand des Schwimmbeckens, am Rand der Street Parade, am Rand des Bahnhofsplatzes. Es sind hier keine Penner, Obdachlose oder Stadtstreicher wie in Deutschland, sondern „Randständige“. Für sie gibt es in er Stadt Zürich eine spezielle Einrichtung:

    Treffpunkt city für Randständige
    Der Treffpunkt city bietet sozial randständigen Menschen mit sehr niedrigem Einkommen und einem meist schlechten gesundheitlichen und psychischen Zustand Aufenthaltsmöglichkeit, günstige Verpflegung und stundeweise Beschäftigung an. Im Rahmen der Einzelfallhilfe erhalten die Besucherinnen und Besucher Beratung, Unterstützung und Vermittlung. Mindestens einmal pro Monat finden gemeinsame Aktivitäten und Veranstaltungen statt, bei deren Organisation die Besucherinnen und Besucher miteinbezogen werden.
    Der Treffpunkt city ist täglich von 10.15 bis 17.30 Uhr geöffnet.
    (Quelle: Treffpunkt für Randständige)

    Wir finden es besonders bemerkenswert, dass Randständige sich über dieses Angebot der Stadt Zürich im Internet schlau machen können, den Online-Zugang auf der Parkbank mal locker vorausgesetzt. Vielleicht zählt ja beim Angebot der „stundenweisen Beschäftigung“ auch ein Computerkurs dazu?