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Nur nicht an Schwellkörper denken — Gschwellti in der Schweiz

(reload vom 12.8.06)

  • Was schwillt denn da?
  • Im heissen Sommer 2006 konnten wir in einer Zürcher Kantine zur Mittagszeit unseren kulinarischen Schweizerdeutschen Grundwortschatz (vgl. Schweizer Essen) um eine weitere Vokabel ergänzen, die sich, nur so vom Lesen, ohne praktisches Beispiel oder Foto, einem Deutschen nicht leicht erschliesst. Die Rede ist von „Geschwellti“.
    Gschwellti sind Pellkartoffeln in der Schweiz
    Nein, geschwollen brauchen wir jetzt nicht daher reden, und auf die Pelle rücke ich Ihnen jetzt nicht, auch wenn die Dinger in Deutschland „Pellkartoffel“ heissen. Unser Variantenwörterbuch hilft weiter:

    Gschwellti CH nur Plur. (Grenzfall des Standards):
    Erdapfel: Erdapfel in der Schale / Montur A
    Schelfeler A-West(Tir.)
    Kartoffel: Geschwellte Kartoffel CH;
    Gekochte Kartoffel D-mittelost/süd;
    Gesottene Kartoffel D-südost
    Pellkartoffel D-nord/mittel „ in der Schale gekochte Kartoffel als Speise“. Vorgestern gab’s Gschwellti mit selbst gemachter Mayonnaise (Blick 28.1.1998,7)
    (Quelle: Variantenwörterbuch DeGruyter Verlag)

    Dennoch haben wir keine Ahnung, was „geschwellen“ mit Kochen zu tun haben könnte, oder mit „schwellen“. Eine Eisenbahnschwelle heisst der Holzbalken, über den die Tür gebaut wird, oder über den man Schienen verlegt.

    Der Duden meint:

    schwellen (st. V.; ist) [mhd. swellen, ahd. swellan, H. u.]:
    1. [in einem krankhaften Prozess] an Umfang zunehmen, sich [durch Ansammlung, Stauung von Wasser od. Blut im Gewebe] vergrößern: ihre Füße, Beine s.; die Adern auf der Stirn schwollen ihm; die Mandeln sind geschwollen; sie hat eine geschwollene Backe, geschwollene Gelenke; Übertragung: die Knospen der Rosen schwellen; die Herbstsonne ließ die Früchte s.; schwellende (volle) Lippen, Formen, Moospolster.
    2. (geh.) bedrohlich wachsen, an Ausmaß, Stärke o. Ä. zunehmen:
    der Fluss, das Wasser, die Flut schwillt; der Lärm schwoll (steigerte sich) zu einem Dröhnen; während der Donner … verhallte, schwoll (steigerte sich) der Wind zum Sturm (Schneider, Erdbeben 105).

  • Ist es schwelen und nicht schwellen?
  • Ob die Kartoffeln in der Schweiz anschwellen, wenn sie in heissem Dampf gegart werden? Oder hat es gar nichts mit diesem Wort zu tun, sondern kommt von „schwelen„:

    schwelen (sw. V.; hat) [aus dem Niederd. < mniederd. swelen = schwelen; dörren; Heu machen, verw. mit schwül]:
    1. langsam, ohne offene Flamme [unter starker Rauchentwicklung] brennen:

    Ob man in der Schweiz die Pellkartoffeln nicht gekocht, sondern über „schwelendem Feuer“ gedörrt hat?
    Aber das dauert doch viel länger als kochen über dem Feuer.

    Auf jeden Fall bringt es das Wort auf 4950 Erwähnungen bei Google-CH, das meiste sind Rezepte.

    Die Lösung des Geheimnisses verdanken wir, wie so oft, dem alten Wörterbuch der Brüder Grimm, denn darin steht:

    im oberdeutschen ist schwellen sehr gewöhnlich in der bedeutung ‚etwas im wasser sieden, bis es weich wird, in siedendem wasser kochen,‘ bes. erdäpfel (kartoffeln), s. STALDER 2, 363. HUNZIKER 235. SEILER 267a. SCHM. 2, 630: o sprach Bruno, du wirst sie (die frau) swellen und essen mit dein czen. STEINHÖWEL decam. s. 565 Keller (9, 5); (man soll einer mastgans) trei mal im tage gersten, und inn wasser geschwöllten weytzen … zuessen geben. SEBIZ feldbau 111; er hat viel tag nichts dann einen geschwelten weitzen zu essen gehabt. RIVANDER 2, 222b. so auch (?): sawer und murrecht sehen, gleich als wann er ein pfann voller geschwelter teuffel gefressen hett. HÖNIGER narrensch. 30b.

    7) in Nürnberg bedeutet schwellen (schwach) auch fest schlafen und schnarchen. SCHM. 2, 630.
    (Quelle: Grimm)

    Dann wollen wir mal tun, was Bruno verlangt und unsere Frau essen, bzw wie in Nürnberg einfach tief schwellen.

    Na dann: En Guete!

    

    4 Responses to “Nur nicht an Schwellkörper denken — Gschwellti in der Schweiz”

    1. Ric Says:

      Hmmmm
      das hat mir grad ein Rätsel erklärt.

      In Bayern heißen Brühwürste „Gschwollne“. Also die die keine Haut haben sondern nackert im Wasser kocht werden. Das erklärt den Namen absolut ^^ Danke Herr Wiese.

    2. Volker Says:

      Als Hesse, muss ich hier mal eine Lanze für diesen Schweizer Ausdruck brechen. Denn bei uns heißt es „Gequellte“, wenn wir von Kartoffeln sprechen, die mit Schale gekocht werden.

      Das macht auch durchaus Sinn. Denn, nicht nur in der Schweiz quellen (schwellen) die Kartoffeln dabei wirklich auf (an), gut zu erkennen an der geborstenen Schale.

    3. AnFra Says:

      Bezüglich des Blogeintrages von @tholm vom August 21st, 2009 at 8:43 am und seinem Antrag, den „@ein zuercher zu ignorieren, bis die logorhöe abgeheilt ist, ist sicherlich die finite Möglichkeit, diesen Sumpf zwecks Torfbildung trocken zu legen. Zähle selbstkritisch mein Geschwalle auch dazu. Es ist sicherlich nicht für jeden Blogger verständlich, wenn beim Anblick eines Klabautermanns, Kinderschrecks oder Dorftrottels einem der „Kamm schwillt“, womit man schon beim Thema ist.

      Was lässt immer wieder „schwellen“ und „schwelen“ durcheinander bringen? Hinzu kommt noch die in Sinnsprüchen oft zitierte „Schwelle und der seltsame Brauchs des über die Schwellen tragen mit der daraus resultierenden Schwellenangst“.
      Wenn man den Ursprung der „Schwelle“ untersucht, hat diese eine autarke und somit eine nicht sinnverwandte Herkunft: Diese entstammt der indoger. Wurzel „sel“, wie auch die Säule. Das sind bautechnische Begriffe, welche die statischen Bauteile in Gebäuden beschreiben. Wenn die ältere histor. Bauart der germ. Lang- und der alten Flarz-Häuser untersucht wird, besitzen diese Gebäude üblicherweise keine Schwellen! Die späteren Fachwerkhäuser haben / benötigen als konstruktive Grundlage diese besagten Schwellen-Konstruktion, welche die von den senkrechten „Säulen“ / Stützen zugeleiteten statischen Kräfte auf den Untergrund ableiten. Da die Fußböden in den Häusern auf gleichem Niveau wie das äußere Terrain war, ist dadurch bedingt die Schwelle im ersten Moment tatsächlich ein echtes Hindernis.
      Meinen Wissens ist drum jeder Ehemann glücklich zu schätzen, dessen Ehefrau ihn vor der Hochzeitsnacht über die Schwelle tragen / bringen kann! So erklärt sich der wahre, furchtbare und heutzutage wohl falsche Sinninhalt der „Schwellenangst“!

      Beim „schwellen“ und „schwelen“ ist ein interessantes Detail zu untersuchen. Warum haben beide Worte im indogerm. die gleiche Wurzel: „suel“? Denn diese Wurzel ist für zwei scheinend unterschiedliche Begriffe anwendbar.
      Mit dem „schwelen“ wird ein flammenarmer, aber rauchstark brennender und leicht kochender bzw kockelnder Vorgang verbunden. Der Ursprung von „schwelen“ wird in Norddeutschland definiert. Und dadurch eröffnet sich auch ein glaubhafter Lösungsansatz! Denn eine fast vergessene Tatsache ist: Im Norden des heutigen Deutschland war einer der wichtigsten Brennstoffe der Torf. In der baumarmen irischen und schottischen Landschaft noch immer, davon zeugen die dortigen „Wässerchen“ mit den torfrauchigen Geschmacksnoten!
      Die folgende Wertigkeitsskala mit fallenden Heizwerten zeigt nun vereinfacht die Lösung: Steinkohle, Braunkohle, Torf, waldfeuchtes Holz. Torf ist somit ein nicht ganz optimaler Brennstoff, welcher durch restliche Eigenfeuchte und Innertstoffe zu starker Rauchbildung neigt. Dieser Rauch quillt, wallt, schwallt in der Luft, er verbreitet sich also bei Windstille fast wie eine Flüssigkeit, welche dann auch überall schwallt!
      Und die Wurzel für „schwellen“ ist im o. g. „suel“ für ausbreiten, anschwellen, aufquellen und wallen ( von u. a. Wasser, Dampf, Rauch und Schwaden) zu finden.
      Ergo: Die Bezeichnung „schwelen“ fürs heutige unter sauerstoffarme Verbrennung meint eigentlich den selben Vorgang wie beim „schwellen“ für z. B. aufquellen des Gewebes bei einer Körperquetschung, aufquellen mit folgenden Schalenplatzen beim Kartoffelkochen oder beim überströmenden Gebirgsbächen.
      Also hat sich m. E. die Sinnbezeichnung „schwalen“ des starken Rauchens augenscheinlich auf den Begriff des langsamen und schwachen, da sauerstoffarmen Feuerstellenbrennens und Speisenkochen übertragen.

      Der Küchenphilosoph sagt: „Vieles schwellt, auch wenn es schwelt!

      Wie so oft im Leben: eine Quelle, zwei Begriffe, drei Vorgänge und viel Wirrung!

    4. Milosz Says:

      Bei uns gibts die Isteiner Schwellen. Das sind ein Haufen Gesteinsbrocken mitten im Rhein die immer schwer passierbar waren. Weswegen die grosse Rheinschifffahrt lange Zeit nicht bis nach Basel gelangte. Dafür brauchte es sehr erfahrene Männer, die die Schiffe durch die Schwellen brachten. Später bauten die Franzosen den Kanal und ab da wars kein Problem mehr. Die Schwellen blieben bei uns am Altrhein. Jetzt sind sie halt ne Touristische Attraktion, weil man toll zwischen drin Wasserrutschen kann wenn man vorsichtig ist. Dass man den Begriff für Gesteinsbrocken im Rhein benutzen kann, die einen an der Passierbarkeit hinderten, habe ich vorher auch nicht gewusst. Deswegen habe ich lange Zeit nicht kapiert wieso man sie als Isteiner Schwellen bezeichnet. Vor allem weil es schon lange keine Schifffahrt durch den Altrhein mehr gibt.