Gedächtnistraining für den Eisverkäufer — Es gibt ein Eiscafé in Bülach!
Juni 30th, 2009(reload vom 26.06.06)
Wir hatten bereits früher festgehalten, dass wir als Deutsche in der Schweiz die Eisdielen vermissen (vgl. Blogwiese ). Doch die Not hat ein Ende! Seit zwei gibt es in Bülach, der Lifestylemetropole des Unterlands, ein schickes italienisches Cafe, in dem hausgemachte Eisspezialitäten verkauft werden. Die Eisspezialitäten brauchen Sie dort auch nicht mit „Glacehandschuhen“ anfassen, auch wenn Sie dort besser nicht „Eis“ verlangen, denn das gibt es nur in Form von Würfeln.
Wir sind gleich für einen Testkauf dort hingegangen und haben versucht, Eis zu kaufen. Es gibt eine Verkaufstheke mit wundervoll aufgeschichteten, zu Kugeln geformten und mit leckeren Früchten dekorierten Eissorten. Die bewunderten wir am Morgen, am Mittag war sie immer noch unverändert, und als wir am Abend unser dritte Eis kaufen gingen (täglicher Durchschnittsverbrauch eines Deutschen), sah sie immer noch komplett unangetastet aus wie beim ersten Besuch am Morgen.
Ist das vielleicht nur Dekoration und in Wirklichkeit alles aus Plastik? Wird die Oberfläche mehrmals täglich frisch geformt? Oder sind wir schlichtweg die einzigen, die hier tagsüber Eis kaufen? Zumindest im Frühsommer war das so. Es gibt doch in der Schweiz dieses berühmte leckere Packungsseis von Mövenpick mit den fettreichen bröseligen Sorten. Wie kann man da nur auf die Idee kommen, frisches Speiseeis essen zu wollen? Das Café ist voll und beliebt. Viele trinken hier ihr „Cüpli“ um den Feierabend einzuläuten, und bis Nachts um 2.00 Uhr ist geöffnet! Sensationell für den Matratzenforschungsstandort Bülach.
Ich stelle mich an die Theke, erlange die Aufmerksamkeit des Kellers und bestelle: „Einmal drei Kugeln im Hörnchen“. Kein Gipfeli, sondern im „Cornet“ wäre angebrachter gewesen in der Schweiz. „Zitrone, Erdbeere und Schokolade“. Der Typ nimmt einen Becher vom Stapel und schaut mich fragend an, um die Sorten zu erfahren. „Nein, im Cornet bitte“, wiederhole ich, jetzt den Landessitten besser angepasst. Er stellt den Becher zurück und nimmt ein Hörnchen. „Wie viele Kugeln?“ Sagte ich das nicht bereits? Ich wiederholte brav. „Drei: Zitrone, Erdbeere und Schokolade“. Der Typ stellt das kleine Hörnchen zurück und nimmt ein neues Hörnchen, diesmal gross genug für drei Kugeln. Ohne weitere Rückfrage beginnt er dann mit der Suche nach Zitrone.
Da ich strategisch günstiger stehe und die Beschriftung der Sorten von meiner Seite der Theke besser lesen kann, weise ich mit dem Finger hilfreich auf die Sorte. Die erste Kugel ist geschafft. Der Type schaut mich fragend an. „E poi?“. Ob der glaubt, ich bin Italiener? „Dann noch Erdbeere und Schokolade“. — „Fragola, si!“ Diesmal findet er Erdbeere allein, wäre nur beinahe kurz bei der ebenfalls rosaroten Sorte Himbeere hängen geblieben. Fragender Blick und: „E poi?“
In diesem Moment kommen mir die Zweifel, ob ich hier nicht gerade in einem Grundkurs für Mnemotechnik stecke oder vielleicht bei den Dreharbeiten für die nächste Folge von „Versteckte Kamera“. Spiegel an den Wänden gibt es genug. „Schokolade bitte“. „Si, cioccolata, prego…“. Wahrscheinlich ist das Übersetzen der Sortenbezeichnung ein Trick zur Aktivierung des extremen Kurzzeitgedächtnisses. Muss ich mir merken… äh, wie ging dieser Trick noch gleich?
Unterdessen beginnt die Eiswaffel plötzlich wegen der ungewohnten Belastung, denn drei Kugeln sind zwei mehr als eine, Risse zu bekommen. Er flickt sie kunstvoll durch Einwickeln in mehrere Papierservierten. Bevor ich zahlen kann, beginnt er noch ein Gespräch mit dem Kollegen hinter sich an der Theke. Dann kehrt der Blick zu mir zurück, fragend: „Prego“? Ich würde gern zahlen, es waren drei Kugeln bitte. Es tut sich was, offensichtlich Kopfrechnen, denn die Stirn legt sich massiv in Falten und der Blick geht hilfesuchend zur Wand, wo die Preise für eine, zwei, drei, vier usw. Kugeln je nach Grösse aufgelistet sind. Ich lasse den jungen Mann bei seinen Rechenkünsten ungestört, lege die Franken passend auf die Theke und gehe.
Wow, jetzt glaube ich das Geheimnis entdeckt zu haben, warum die Schweizer doch lieber ihr Eis beim Coop aus dem Kühlregal nehmen statt in einer Gelateria zu kaufen. Beim nächsten Mal werde ich mich besser präparieren und vorgefertigte Schilder für die Sorten mitbringen, die ich dann sukzessive einzeln hochhalten kann, um den Mann nicht zu überlasten. Wenn er mag, kann er sich ja später ein schickes Eissorten-Memorie daraus basteln. Trainiert ungemein die kleinen grauen Zellen.
Die beschriebene Szene hat sich wirklich so ereignet, aber das Eis war absolut klasse. In den italienischen Eisdielen in Deutschland werden in jedem Sommersaison junge Jobber aus der Heimat der Eisdielenbesitzer an die Theke gestellt, nach einem 3-Tage-Crashkurs in Sachen „Eisverkauf Spezialvokabular“. Dazu gehört „Danke schön – bitte schön – in der Waffel – im Hörnchen – im Becher – mit Sahne – einpacken – Zitrone, Erdbeere, Vanille etc.“
Und es gehört vor allem das Training der Fähigkeit, sich 5-8 Sortenwünsche des Kunden merken zu können, damit die Abfertigung schnell geht, denn die Schlange der Wartenden ist lang. Zeit ist Geld dort, und zwar Bargeld, denn Eisverkauf an der Theke läuft grundsätzlich ohne Registrierkasse oder Bon. Fragen Sie mich nicht, wie die eigentlich ihre Einnahmen versteuern.
Dann entdeckten wir noch diese Plakat beim Bioladen, zum Beweis, dass die Schweizer wirklich nur „Glace“ und „Cornet“ sagen, und nicht „Eis im Hörnchen„: