Hat da jemand beim „Streicheln“ das „S“ vergessen? — Was sind Treicheln

Januar 16th, 2009

(reload vom 10.3.06)

  • Hat da jemand beim „Streicheln“ das „S“ vergessen?
  • Nun leben wir mehr als 8 Jahre in der Schweiz und waren viel unterwegs, haben dabei Kühe mit wunderbaren Kuhglocken gesehen:
    Kuhglocke bei Bülach
    Und nun das: Wir erfahren durch eine Bildunterschrift im Tages-Anzeiger, dass diese Dinger in der Schweiz gar nicht „Kuhglocken“ heissen, sondern „Treicheln“.
    Treicheln klingen
    Bildunterschrift „Süsser die Treicheln nie klingen
    (Quelle: Tages-Anzeiger 23.02.06 S. 13)
    Nur warum ist das so? Hat es was mit „treiben“ oder „treideln“ zu tun? Klingt so ähnlich, oh pardon, „tönt genauso“ meinte ich natürlich. Tun Kuhglocken eigentlich klingen oder tönen?

    Wir haben schon Nord- und Süddeutsche darüber debattieren hören, ob man an einer Haustüre die „Schelle“ oder die „Glocke“ betätigen muss und ob das nun „klingeln“ , „schellen“ oder wohlmöglich gar „läuten“ heisst, was man da tut.

    Solche typischen Nord-Süd Sprachdubletten gibt es einige in Deutschland, ganz selten sind sie wirklich Synonym, so z. B.

    Samstag und Sonnabend
    Tischler und Schreiner
    Fleischer, Metzger oder Schlachter
    Klempner, Flaschner, Spengler oder Blechner
    Dachboden, Bühne, Speicher und Estrich (und „Stir“ in der Süd-West. Schweiz)

    Doch zurück zu den Kuhglocken oder –schellen, die in der Schweiz „Treicheln“ heissen.
    Unser Duden weiss warum:

    Treichel:
    1. Berufsübername für einen Jäger, Fallensteller (zu mhd. dru-ch ) Falle, um wilde Tiere zu fangen< + -l-Suffix: ) *Dräuchel/*Träuchel, entrundet > Treichel).
    2. Berufsübername zu schwzdt. Treichle „große Kuhschelle“ für den Hersteller.

    Heisst der Hersteller wirklich „Treichle“, mit dem „l“ vor dem „e“ am Ende? Oder gibt es da einen Druckfehler in unserem Duden? Egal, was würden wir anfangen ohne den Duden!

    Zu Google flüchten, was sonst: Für „Treicheln“ finden wir 2280 Belege bei Google-Schweiz und nur 374 Belege bei Google-Deutschland.

    Der „Treichel“ ist also ein Fallensteller, und „Träuchel“ erinnert auch entfernt an die Englische „trap“, die wir alle aus der „Mousetrap“, einem Theaterstück von Agatha Christie, kennen, zu Deutsch: „Die Mausefalle“:

    Das Kriminalstück „The Mousetrap“ (dt.: „Die Mausefalle“), 1947 entstanden, wird seit seiner Uraufführung am 25. November 1952 ununterbrochen jeden Abend in London gespielt und hält damit einen einsamen Rekord in der Theatergeschichte und steht damit auch im Guinness-Buch der Rekorde. Ursprünglich im „Ambassadors Theatre“ aufgeführt, zog es 1974 in das benachbarte, größere „St. Martin’s Theatre“ um. Am 25. November 2002 wurde das 50-jährige Jubiläum im Beisein von Queen Elizabeth II. gefeiert. Im Laufe der Jahre wurde das Stück alleine in London ca. 22.000 mal gespielt. Weiterhin wurde es bisher in 24 Sprachen übersetzt und in 40 Ländern aufgeführt. Damit hat es über 10 Millionen Zuschauer erreicht. Die Einnahmen aus den Autorenrechten erhält Agatha Christies Enkel.
    (Quelle: Wiki)

    Über dieses Stück erzählt man sich zahlreiche Anekdoten. So z. B., dass eines Abends eine Schauspielerin krank war und dann kurzer Hand eine Garderobenfrau für sie einsprang, die die Rolle vom vielen Zuhören schon lange auswendig kannte. Oder dass einmal ein neuer Schauspieler den Text vergass, worauf die Souffleuse aus dem Tiefschlaf geweckt werden musste, den Staub vom Textbuch abklopfte und aushalf.

    Und dann gibt es noch den deutschen Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel, dessen Romane wie
    Der Verlorene (1998) und
    Tristanakkord (2000) wir sehr schätzen.

    Doch zurück zu den Schweizer Treicheln. Warum haben die Kühe diese Dinger eigentlich um den Hals? Wiki meint dazu:

    Kuhglocken oder auch Kuhschellen dienen in der alpenländischen landwirtschaftlichen Erwerbswirtschaft dazu, Herden von Rindern zusammenzuhalten. Sie werden vom Leittier um den Hals getragen und es ist der Brauch, dass ältere Tiere größere Schellen umgehängt bekommen.
    Durch die Bewegung der Kuh, vor allem beim Äsen, bimmelt die Glocke, was allen anderen Tiere der Herde eine Orientierung ist. In losen Tierverbänden erhalten alle eine Kuhglocke, damit man Verirrte leichter wieder finden kann.
    (Quelle: Wiki)

    Womit wir auch verstehen, warum Hans-Ulrich Treichel einen Roman „Der Verlorene“ nannte, denn ohne Treichel können sich die Kühe verirren und gehen verloren.

    Ich märte, du märtest… — märten Sie auch gern?

    Januar 15th, 2009
  • Ende Jahr oder Jahresende?
  • Kurz vor „Ende Jahr 2008“ (in Deutschland wäre das kompliziert das „Jahresende“) lernten wir aus unserer Fachzeitschrift für die moderne Schweizerdeutsche Sprache der Gegenwart wieder ein neues Verb: „Märten“.

    Der Discounter Eschenmoser beispielsweise warb in den 70er-Jahren mit dem Slogan: «Wer fröhlich isch, chan au no märte.» Mittlerweile gehört der Elektronik-Fachhändler zum Fust-Center. Trotzdem: Beim gelben Discounter sagt ein Verkäufer zum Thema «Märten» vielsagend: «Fragen darf man immer.»
    (Quelle: Tages-Anzeiger 31.12.08 )

    Märten“ kommt von „Markt“, der jedoch in der Schweiz schon mal zum „Märt“ wird. In anderen alemannisch sprechenden Gegenden wie zum Beispiel dem Elsass wird daraus „Märik“. Bekannt z. B. der grosse Weihnachtsmarkt in Strasbourg, der „Christkindelsmärik“, welcher von zig Tausend Franzosen und Deutschen besucht wird.

    Christkindelsmärik in Strasbourg
    (Christkindelsmärik in Strasbourg)

    Frankreich hat sonst keine grossartige Weihnachtsmarkt-Tradition, und seitdem der TGV von Paris nach Strasbourg nur noch 2 Stunden und 20 Minuten benötigt, geht dort in der „Capitale de Noël“ kurz vor Weihnachten der Punk ab. Alle Hotels sind ausgebucht.

  • Heisst märten nun feilschen oder schmausen?
  • Doch zurück zum Märten: Der Tages-Anzeiger erklärt den Sachverhalten durch den Kontext:

    Um die Preise feilscht hier niemand. Der Betrag auf den mit Rotstift beschrifteten Etiketten, so macht es den Eindruck, ist den Zürchern sakrosankt. Was im Souk von Istanbul Pflicht ist, scheint in unseren Breitengraden verpönt: das Märten.
    (Quelle: Tages-Anzeiger 31.12.08 )

    Feilschen“ ist gemeint, und schon wieder haben wir ein neues Wort gelernt, welches der Duden nicht kennt. Mal sehen, ob wir da mit dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm besser dran sind:

    MÄRTEN, die volksmäszige form von Martin; in der formel sanct Märten loben, schmausen, zechen, weil der tag des heil. Martin, 11. november, die zeit festlicher schmäuse war
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Dann müsste ja „schmausen und zechen“ Pflicht sein beim Schlussverkauf! Es folgen etliche Einträge zu „Marter“, doch vom „märten“ im Sinne von „feilschen“ ist nichts zu entdecken. Egal, wenn der Tagi das Wort in diesem Sinne gebraucht, dann ist es Gesetz für uns. Da wird nicht lang gemärtet oder das Hirn gemartet. Merk dir märten!

    Woher kommt diese Verachtung für alles Deutsche?

    Januar 14th, 2009

    (reload vom 9.3.06)

  • Woher kommt nur diese Verachtung für alles Deutsche?
  • Der zweite Weltkrieg endete für Deutschland am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation. Das ist im Mail 64 Jahre her. So alt ist also auch die historische Erfahrung der Schweizer, vom nördlichen Nachbarn bedroht worden zu sein. „Die Schweiz das kleine Stachelschwein, das nehmen wir auf dem Rückweg ein“ soll das geflügelte Wort der Deutschen Soldaten gelautet haben, als sie Frankreich besetzten und dabei über das Elsass in Richtung Süden an der Schweiz vorbei marschierten.

    Kommt aus dieser Zeit die Angst vieler Schweizer vor den Deutschen? Ist es wirklich Angst, oder ist es mehr „Verachtung“, die sich vor allem dann lautstark äussert, wenn die Deutschen Fussballer gerade in irgend einem Meisterschaftsspiel gegen eine fremde Nationalmannschaft spielen? Dann schlägt das Herz für den Gegner der Deutschen, ganz egal ob der aus Brasilien, England oder einem Afrikanischen Staat kommt. Definiert sich das nationale Selbstverständnis, das Selbstvertrauen vieler Schweizer in der Besinnung auf alles „Schweizerisch“, das vor allem dadurch gekennzeichnet ist, das es „nicht Deutsch“ sein darf?

    Wie sagte der Schriftsteller Hugo Loetscher in dem Film „Kniefall & Karneval“

    Das hat natürlich mit einem Nationalismus zu tun, der sehr hartnäckig ist. Aber den man insofern verstehen kann, aus der Geschichte heraus, es war eine Selbstbehauptung, nicht, vor allem war das eben doch in den Dreissigern und dem Zweiten Weltkrieg, das man sich gegenüber Deutschland, also dem Nationalsozialismus behaupten musste, also behauptet man sich eben per „schweizerisch“, und plötzlich hat man eben Sachen als schweizerisch bezeichnet, die Schweiz als Qualitätsbegriff und nicht als Eigenschaft, ja eben als Eigenschaft genommen.
    (Quelle: Kniefall & Karneval)

    Und der Schweizer Philippe schrieb in einem Kommentar:

    Das Problem: Man muss sich abgrenzen von dem, das einem am nächsten ist. Deshalb sträuben sich den Schweizern, hören sie hochdeutsch, gleich die Nackenhaare.
    (Quelle)

    Abgrenzen von dem, was am nächsten ist. Darin liegt vielleicht das Problem. Die eigenen Schwächen, Fehler und schlechten Charaktereigenschaften kann man am besten dadurch bewältigen, dass man sich ein Ziel für die Übertragung sucht: Die Schweizer mögen an den Deutschen genau jene Eigenarten nicht, die sie an sich selbst auch nicht mögen. Aber so schafft es wenigstens Erleichterung, wenn man sie beim anderen verachten kann.

    Vielleicht müsst Ihr Deutschen einfach lernen, dass die Schweiz ein ganz normales Nachbarland mit einer eigenen Sprache und einer eigenen Kultur ist. Niemand käme auf den Gedanken, den Norwegern vorzuwerfen, sie sprächen eigentlich Dänisch, nur irgendwie falsch. Und es würde wohl zu grösseren Irritationen führen, wenn die Russen plötzlich erklärten, die Ukrainer sollten wieder mehr richtiges Russisch sprechen, weil das doch ihre Sprache sei. Das Vorurteil, dass die Schweizer eigentlich Deutsche seien, die das nur noch nicht begriffen hätten, schwingt bei vielen dieser Diskussionen unüberhörbar mit.
    (Kommentar des Schweizers Peter)

    Wir haben diesen Vorwurf häufig gehört und gelesen: Die Deutschen nehmen die Schweizer nicht für voll, die Deutschen glauben, dass „die Schweizer eigentlich Deutsche seien“ usw.

    Der Leser Jonny schrieb:

    Die Schweiz ist eben nicht das 17. Bundesland und Schweizerdeutsch nicht einfach ein Dialekt, sondern eine Sprache und deshalb hinkt der Vergleich mit dem Hamburger, der in Ba-Wü kein Schwäbisch spricht.
    (Quelle)

    Wir glauben, dass hier zwei Dinge miteinander vermischt werden. Man muss schon ziemlich belämmert sein und ohne Schulbildung, um durch die Welt zu laufen mit der Auffassung, die Schweiz sei so etwas wie ein „Teil von Deutschland“ und kein eigenständiges Land. Wir glauben gern, dass bei den Ballermann-Strand-Deutschen auf Mallorca solche Meinungen kursieren. Dort werden garantiert auch Kanadier für Amis gehalten, und Slowenen und Slowaken kommen aus dem gleichen Land. Gegen Ignoranz ist kein Kraut gewachsen, ausser das der Aufklärung.

    Der Satz, dass „Schweizer eigentlich Deutsche“ seien bezieht sich unserer Meinung nach nur auf die Sprache: Das Schweizerisch zum deutschen Sprachraum gehört. Ob nun eigenständig oder nicht, als eigene „Sprache“ oder nur als „Dialekt“, darüber mögen sich die Sprachwissenschaftler streiten. Der Begriff „Sprache“ kennt in der Linguistik zahlreiche Definitionen, da mag sich jeder eine passende aussuchen. Die Sprachwissenschaftler sprechen hier von „Höchst-Alemannisch“:

    Höchstalemannisch ist eine Gruppe von Alemannischen Dialekten, die im äussersten Südwesten des deutschen Sprachraums gesprochen wird.
    (Quelle: Wiki)

    Uns erstaunt bei dieser Diskussion oft die rigorose Abwehrhaltung mancher Schweizer gegenüber allem Deutschen. Die Angst, nicht für voll genommen zu werden. Die Angst, von Deutschen und ihrer Sprache vereinnahmt zu werden. Wir rätseln über die Herkunft dieses offensichtlichen Minderwertigkeitkomplexes, unter dem, Gott sei Dank, nicht alle Schweizer zu leiden scheinen, sonst gäbe es nicht 70.000 Auslandsschweizer in Deutschland, die auch in vielen Spitzenpositionen in Wirtschaft und Medien zu finden sind. (vgl. Blogwiese)

    Diese Auslandsschweizer in Deutschland kommen wunderbar aus mit den nördlichen Nachbarn, sie werden auch nicht ständig als „Kuhschweizer“ belächelt, wenn sie nur ihren Fuss über den Rhein setzen. Den Ausdruck „Kuhschweizer“ kennt in Deutschland niemand.

    Natürlich amüsieren sich die Deutschen, die neu in die Schweiz kommen oder nur zu Besuch hier sind, über echtes Schweizerdeutsch. Sie haben Freude dran, weil sie es nicht gewohnt sind, weil sie nur trockenes Hochdeutsch kennen und sonst wenig Varianten. Es gefällt ihnen auch ein deftiges Bairisch aus Oberbayern, oder sie gehen mit Freude in eine Vorstellung im „Millowitsch-Theater“ in Köln auf Kölsch. Wenn sie dann nicht mehr aufhören mit dem „Spass haben“, dann wird es erst kritisch. Der erste und wichtigste Satz, den man sich als Deutscher in der Schweiz merken sollte, lautet: „Denken sie immer daran: die Schweizer sprechen nicht so wie sie sprechen, damit Sie als Deutscher Spass haben“.

    Doch zurück zur Ausgangsfrage:

  • Warum diese starke Ablehnung von Hochdeutsch?
  • Wir fanden einen gute Erklärung im neuen „Variantenwörterbuch des Deutschen“ (De Gruyter Berlin 2004), S.19:

    Die Sprachsituation in der deutschen Schweiz ist geprägt vom Nebeneinander von Dialekt (Mundart) und Standardsprache (einer so genannten „Diglossie“). Im alltäglichen Verkehr unter deutschsprachigen Schweizerinnen und Schweizern wird fast ausschliesslich örtlicher Dialekt gesprochen. Nur in bestimmten formalen Situationen kommt die Standardsprache in ihrer spezifisch schweizerischen Ausprägung (Schweizerhochdeutsch) zur Anwendung. In vielen dieser Situationen stützen sich die Sprecher auf ein Manuskript. Das gilt für die Rede in einer Versammlung, die Voten der Politiker im Parlament, die Plädoyers der Anwälte vor Gericht, für die Predigt in der Kirche, Nachrichten und Kommentare im Radio und für die Vorlesung an der Universität.

    So weit, so gut. Das hatten wir alles schon erwähnt und ausgiebig diskutiert. Jetzt kommt ein neuer Aspekt hinzu:

    Das freie Gespräch in der Standardsprache ist fast ausschlieslich auf den Unterricht an Schule und Universtität und auf die Kommunikation mit Nicht-Dialektsprechern beschränkt. (…)
    Das Standarddeutsche ist für die Schweizer jeglicher sozialer Herkunft vor allem Schul- und Schriftsprache. Dies hat grosse Auswirkungen nicht nur auf die Sprachfertigkeit in der Standardsprache, sonder auch auf den aktiven Wortschatz und die kommunikativen Fähigkeiten insgesamt. Die Schweizer und Schweizerinnen können sich in der Standardsprache relativ gut über alles unterhalten, was Thema des Schulunterrichts ist oder war. Dagegen fehlt vielen der präzise standardsprachliche Wortschatz, wenn es beispielsweise um das Essen oder die Küche, die Einrichtungsgegenstände in der Wohnung oder um das spontane Äussern von Emotionen geht (z. B. fluchen, trösten, loben, „Pillow-Talk“). Über solche, in schriftlichen Texten eher selten abgehandelten Belange sprechen die allermeisten deutschsprachigen Schweizer ausschliesslich im Dialekt, so dass die Umstellung auf die Standardsprache vielen schwer fällt. Mangelnde Übung mit der Erinnerung an Schulsituationen verursacht häufig eine gewisse Scheu vor dem Gebrauch der Standardsprache.

    Wir finden das eine absolut überzeugende Argumentation: Negative Erinnerungen an fiese Lehrer, an Schulzwang, an Notendruck und das Gefühl, dabei überfordert zu sein, könnte der Grund für die negative Haltung zum Hochdeutschen sein. „Pillow-Talk“, das nennt man auch „Bettgeflüster“, darüber wurde im Deutschunterricht sicher nie gesprochen, das wurde auch nie aufgeschrieben, woher soll ein Schweizer das dann überhaupt auf Hochdeutsch können? Flüche schreibt man gleichfalls nicht auf, wie soll man sie also je auf Schriftdeutsch gelernt haben?
    Jetzt sind wir erleichtert: Es hat weniger etwas mit der geschichtlichen Erfahrung zu tun, bei der jüngeren Generation schon gar nicht, als mit den persönlichen Erinnerungen an Schule und Lehrer, sowie dem Umstand, dass dort nicht alle Lebensbereiche gleich intensiv in der Standardsprache behandelt wurden, daher die Lücken im Wortschatz und die Ablehnung, sich auf Hochdeutsch zu äussern.

    Oslo ist nicht in Finnland — Vergleich zweier Nachbarländer

    Januar 13th, 2009
  • Oslo liegt nicht in Finnland
  • Kurz vor Weihnachten erfuhr ich, dass ich im Januar beruflich nach Oslo reisen darf. Eine kurze Umfrage bei den Kollegen im Zürcher Büro ergab: 50 % meinten „Oslo liegt in Norwegen“, die andere Hälfte sagte „Oslo liegt in Finnland“. Ja, aber wenn Oslo in Finnland liegt, wo liegt dann eigentlich Helsinki? Eben. Oslo ist die Hauptstadt von Norwegen, bekannt durch die Nobelpreisverleihung und … Ja, durch was eigentlich? Eine grosse Unbekannte, diese Stadt genau wie dieses Land. Es gibt viele Berge mit Schnee, genau wie in der Schweiz.

  • Der grosse Nachbar erdrückt
  • Der Wirtschaft ging es bisher gut, wie in der Schweiz, jedoch nicht wegen der Banken sondern wegen der Erdölvorkommen in der Nordsee. Nebenan gibt es einen einwohnerstarken und kulturell fast erdrückend grossen Nachbarn, der fast die gleiche Sprache spricht. Eine Situation ähnlich wie in der Schweiz, nur das hier Schweden die Rolle von Deutschland spielt. Die Schweden kommen en masse nach Norwegen zum Arbeiten, wie die Deutschen in die Schweiz, und machen all die Jobs im Gastgewerbe und im Hotelfach, für die sich keine Norweger mehr finden. Nur was das Selbstbewusstsein gegenüber den Nachbarn angeht, da könnten die Schweizer noch etwas von den Norwegern lernen. Kommt vielleicht einfach daher, dass Norwegen grösser als Schweden ist.

    Norwegisch ist sehr schwierig
    (Norwegisch ist gar nicht so kompliziert, wie man hier sieht)

  • Fast jeder spricht Englisch
  • Norweger verstehen Schwedisch sehr gut, auch weil sie schwedischen Fernsehen empfangen können. Andersherum müssen sich Schweden in die norwegischen Dialekte erst einhören. Norwegisch wird oftmals völlig anders geschrieben als gesprochen, die Dialekte weichen stark von der Schriftsprache ab, auch das ist eine Parallele zur Situation in der Schweiz. Betritt ein Ausländer einen Raum, sprechen die anwesenden Norweger untereinander sofort auf Englisch weiter, aus Höflichkeit und mit grosser Leichtigkeit. Oftmals sprechen sie auch weiterhin Englisch, wenn die nicht norwegisch sprechenden Ausländer den Raum wieder verlassen haben, weil sie nicht mehr dran denken die Sprache zu wechseln.

  • Ein Bier für 12 Franken
  • Den modernen Airport-Train „Flytoget“ (Zug = „tog“, oder „fly-to-get“) zum Flughafen von Oslo können sie beim Verlassen des Bahnsteigs mit einer Kreditkarte in Sekundenschnelle bezahlen, gleiches gilt für ein Taxi. Oslo hat übrigens gleich drei internationale Flughäfen. Geflogen wird im Land viel, denn bis zum Nordkap im Norden sind es auf der Strasse 1969 Kilometer, ungefähr genauso weit wie bis nach Mailand, nur in die andere Richtung.

    Schwierig ist es in Norwegen nur, sich mal eben eine Dose Bier zu kaufen. Kein Kiosk und kein Supermarkt verkauft Alkohol. Den gibt es nur in staatlichen Monopolgeschäften, die früh am Abend schliessen, zu sehr hohen Preisen. Wer nach Ladenschluss noch Lust auf ein Bier hat, muss in eine Bar oder Kneipe gehen und bezahlt dort 12 Franken für ein Glas. Was glauben Sie, wie langsam Sie das austrinken werden.

  • Ohne Kronen keinen in der Krone
  • Angetrunkene Jugendliche am Samstagabend in der Stadt sieht man bei 17 Grad minus sowieso wenig, und anders als in Finnland haben die Norweger keine ausgeprägte Sauna-Kultur, um sich auf diese Art aufzuwärmen. Bezahlt wird in Norwegen nicht in Euro sondern in Kronen, und wenn Sie für die erste Taxifahrt ein paar Hundert Kronen gezückt haben (eine Krone = 16 Rappen), verlieren sie jedes Gefühl für Geldmengen, so wie früher in Italien, als es die Lira noch gab.
    Gewöhnungsbedürftig ist die durch die Nähe des Polarkreises verkürzte Tageszeit. Jetzt im Januar geht die Sonne gegen 10:00 Uhr auf und ab 14:00 Uhr können sie bereits wieder einen wunderbaren Sonnenuntergang über dem Fjord bewundern. Norweger schauen täglich in der Zeitung nach, um wieviele Minuten die Sonne früher aufgeht. Im Sommer dann sehnen sie sich nach der Dunkelheit, wenn es auch um Mitternacht hell genug ist zum Zeitunglesen.

  • Whü are Yü?
  • Zeitunglesen macht Spass, denn meistens lassen sich mit Deutschkenntnissen 60 % der Artikel erschliessen. Norddeutsche mit Niederdeutschkenntnissen sind dabei im Vorteil. Ein Feuerwehrschlauch ist eine „Brannslange“ und „ledig“ kann ein unbesetztes Zimmer genauso wie ein arbeitsloser Mensch sein, nur die unverheiratete Frau ist es nicht. Probleme haben Norweger mit Vokal „u“, der wird immer zu „ü“. Der Satz „Who are you?“ wird dann leicht zu „Hü are yü“. Ausgang heisst „Utgang“ und Sicherheit = „Sikkerhet“. Noch Fragen? Die Frage, warum Norweger zum Skifahren in die Schweiz kommen, wo sie doch selbst ausgezeichnete Skigebiete haben, blieb ungeklärt. Wahrscheinlich weil es hier wärmer ist und länger hell. Der Preis für Alkoholika spielt ganz bestimmt keine Rolle bei dieser Wahl des Ferienortes.

    Was pendelt denn da? Der Plämpel

    Januar 12th, 2009

    (reload vom 8.3.06)

  • Der Bembel ist kein Plämpel — Neue alte Schweizer Wörter
  • Bei der Winterolympiade in Turin 2006 gewann die Schweizerin Tanja Frieden die Goldmedaille, weil ihre Konkurrentin, die Amerikanerin Lindsay Jacobelli es sich bei uneinholbaren Vorsprung beim vorletzten Sprung nicht verkneifen konnte, noch rasch ein Showeinlage zu bringen, bei der sie dummerweise stürzte. Aus der Traum vom Gold. Eine Schweizer Fahrerin wäre nie auf die Idee gekommen, so arrogant noch schnell vor den anderen eine Showeinlage zu riskieren.

  • Hochmut kommt vor dem Fall
  • „In dem Fall“ wurde es ein Glücksfall für die Schweizerin, „im Fall“, die nun mit einer Medaille nach Hause fahren kann. Was lernen wir daraus? Bleibe ruhig und bescheiden, versuche nicht dich selbst in eine besseres Licht zu rücken, versuche nicht aufzutrumpfen. All dies sind typisch schweizerische Tugenden die hier eindeutig zum Sieg beigetragen haben.

    Tanja Frieden macht das zweite Gold perfekt
    «Das Glück der einen ist das Pech der anderen. Tanja hatte schon lange davon geträumt, und wir hatten darauf gehofft, dass sie einen Plämpel nach Hause bringt, aber dass es gerade ein goldener sein würde …»
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Was bringt sie da mit nach Hause? Einen „Plämpel“? Was ist das für ein Ding? Erinnert an den hessischen „Bembel“, oder „Geplänkel“. Alles falsch. In der Schweiz kennt man das Teil ganz genau, Google-Schweiz findet gleich auf Anhieb 140 Belege für Plämpel.
    Beim Wörterbuch von Wahrig Fehlanzeige, auch Langenscheidt hat keine Ahnung. Mit dem Duden haben wir ebenfalls diesmal kein Glück. Also müssen grössere Geschütze aufgefahren werden. Die 16 Bände des Grimms Wörterbuch sind gerade richtig. Grimms Wörterbuch kennt Plamper als Variante zu „pendel“:

    PLAMPER, m., basl. pendel, perpendikel SEILER 33a. vergl. plempel, plemper.
    PLAMPEN,BLAMPEN, verb., schweiz. freihangend, pendelartig sich langsam hin- und herbewegen, bampeln MAALER 318d. STALDER 1, 179. TOBLER 55b. SEILER 33a, dann nachlässig einhergehen, sich mühsam bewegen, langsam arbeiten, müszig, geschäftlos sein, faulenzen, überhaupt sich hin- und herbewegen, rutschen: die seiden (womit die wunde geheftet ist) hindert auch dero heilung, so sie hin und wider in den wunden plampet. WÜRTZ practica der wundartznei 10. vergl. bampeln, pampeln.

    So lassen wir ihn denn einfach pampeln, den Pämpel, und beschliessen, in Zukunft gleich den Grimm aufgeschlagen auf dem Tisch liegen zu lassen, wenn wir morgens den Tages-Anzeiger lesen. Wir haben ohne Nachschlagewerke hier im sprachlichen Exil sonst wenig Chancen.