Was ist ein Marschhalt — Beim RS und WK gelernt

Januar 23rd, 2009

(reload vom 12.3.06)

  • Immer diese Abkürzungen beim Militär
  • Die Schweiz hat eine Milizarmee und folglich ist in der Schweiz fast jeder Schweizer Milizionär. Militärische Vokabeln lernt man nicht nur in der RS, was hier nicht für die „Reitschule“ sondern für „Rekrutenschule“ steht, oder später in einem „WK“, was hier keine „Wanderklasse“ sondern ein „Wiederholungskurs“ ist. Warum diese Dinger nur ständig alle abgekürzt werden? Aus Geheimhaltungsgründen höchst wahrscheinlich. Darf ja auch niemand wissen, dass beim VBS niemand Microsoft VisualBasicScript fliessend programmiert.

    So lasen wir im Tages-Anzeiger vom 25.02.06 auf Seite 3

    Blocher will bei seiner Analyse vom Marschhalt profitieren, mit dem das Parlament 2003 den geplanten Ausbau der Strafverfolgung vorläufig gestoppt hat.

    Was bedeutet Marschalt
    Diesmal ist das Wort zum Glück selbsterklärend. „Marschhalt“ muss ein Befehl sein, der bedeutet, dass die marschierende Truppe anhalten soll.

    Aber wie das so ist mit dem militärischen Vokabular: Da alle mal beim Militär waren, kennen alle dieses Vokabular:
    Zum Beispiel beim „EJPD“, dm Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, was Sie hoffentlich noch wussten, sonst empfehlen wir es hier nachzulesen.

    «Ein Marschhalt ist nicht schlecht»
    (Quelle: ejpd.admin.ch)

    Oder in der NZZ:

    Nachbessern bedeutet nicht Marschhalt
    (Quelle: ssn.ethz.ch)

    Wir fanden 735 Belege bei Google-Schweiz.

  • Wer hat den Marschhalt erfunden?
  • Und jetzt kommts: Niemand wagt es, diese äusserst wichtige militärische Vokabel richtig zu erklären! Sie ist offenbar so geheim, dass sie weder im Duden, noch im Wahrig oder Grimm, und schon gar nicht im Langenscheidt vorkommt. Alle kennen nur den „Marschall“, aber nicht den „Marschhalt“. Womöglich ist das ein Kunstwort? In der Schweizer Armee erfunden, damit es von Ticinos und Welschen ebenfalls verstanden wird? „Kompanie stillgestanden“ ist für welsche Ohren vielleicht nicht so leicht zu verstehen wie „Marschhalt“ (was dann wohl eher wie „Marsch-alt“ klingt.

    Auch heute hilft uns das Variantenwörterbuch. Mein Gott, das hätten wir schon früher haben müssen. Es ist besser als jedes Fremdwörterlexikon, es wird zu unseren zweiten Bibel bzw. zum „Handbuch für das Überleben im Schweizerdeutschen“:

    Marschhalt CH der: -(e), -e:
    1. Rast auf langen Märschen
    : Bei einem kurzen Marschhalt auf einer Bergwanderung setzte sich doch ein Bergdohle auf meinem Fuss (Blick 20.5.1996,11).
    2. [Denk]pause: Die Arbeitgeber stehen zu den heutigen Sozial-Zusagen. Wir müssen aber einen Marschhalt beim weiteren Ausbau unseres Sozialstaates einlegen (Blick 28.6.1996, 4)
    (Quelle: Variantenwörterbuch S. 491)

    Wer das Wort erfunden hat? Wir wissen es nicht, und wir werden es auch nie erfahren, da die Kunst der Landesverteidigung in der Schweiz eine höchst geheime Kunst ist, die nur von Eingeweihten verstanden und unter Eid genossen werden darf.

    Ist „Minne“ eigentlich ein „altertümelndes“ Wort? Für den Duden ja. Für den Tages-Anzeiger nein.

    Januar 22nd, 2009

    (reload vom 11.3.06)
    Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 24.02.06 auf Seite 2 einen Artikel zu einer damals anstehenden Abstimmung. Thema: Bundesrat, Parlament und die Kantone warben gemeinsam für den „Bildungsraum Schweiz“. Der Artikel war überschrieben mit

    In Minne für Schul-Harmonisierung

    In Minne für Schul-Harmonisierung
    Die Minne ist bekannt aus der „Minne-Lyrik“, den Liebesgedichten zur Zeit des Mittelhochdeutschen, zur Zeit der Dichter „Walther von der Vogelweide“, „Hartmann von Aue“ und „Gottfried von Strassburg“:

    Minne ist eine spezifisch mittelalterliche Vorstellung von gegenseitiger gesellschaftlicher Verpflichtung, ehrendem Angedenken und Liebe, die die adlige Feudalkultur des Hochmittelalters prägte.
    (Quelle: Wiki)

    Der Sprachstand dieser Literatur ist dem modernen „Höchst-Alemanisch“, dem Schweizerdeutschen also, erhalten geblieben:

    Hôchzit statt Hochzeit,
    muot statt Mut,
    Lîb statt Leib,
    frouwe statt Frau

    sind nur einige Beispiele dafür.

    Die Minne, die hier der Tages-Anzeigers zitiert, wird sogar im Duden erwähnt:

    Mi.n|ne, die; – [mhd. minne, ahd. minna, eigtl. = (liebevolles) Gedenken]:
    1. (im MA.) verehrende, dienende Liebe eines höfischen Ritters zu einer meist verheirateten, höher gestellten Frau:
    die hohe M. (höfischer Dienst als Ausdruck sublimierter, vergeistigter Liebe für die verehrte Frau als Leitideal der höfischen Erziehung); die niedere M. (Befriedigung des Geschlechtstriebs; sinnlicher Genuss).
    2. (altertümelnd) Liebe (1 b):
    man verzeiht sich, alles in Minne, man lächelt, man scherzt (Frisch, Cruz 84).
    (Quelle: Duden.de)

    Das Zitat unter 2. ist von Max Frisch, neben Dürrenmatt und Gottfried Keller der bekannteste Schweizer Schriftsteller. Folglich ist diese Variante von „Minne“ für das Wort „Liebe“ in der Schweiz noch üblich. Von wegen „altertümelnd“, wie kommt die Duden-Redaktion nur wieder zu dieser Einschätzung? Der Tages-Anzeiger ist eine moderne überregionale Tageszeitung, die würde doch nicht auf „altertümelndes“ Vokabular zurückgreifen!

    Vergessen wir kurz den Duden und greifen wir zum „Variantenwörterbuch des Deutschen“, dort wird uns das Wort ohne Wertung erklärt:

    Minne: in Minne
    CH „In gegenseitigem Einvernehmen, ohne Streit, in Frieden“
    : Der Abend endete in Minne und mir brachte er sogar eine Riesenüberraschung. Das Substantiv Minne in der Bedeutung „höfische Liebe im Mittelalter“ ist gemeindt.
    (Quelle: Variantenwörterbuch S. 504)

    Schon gemein, dieses Deutsch, dieses „gemeindeutsch“, Minne aufs Mittelalter zu beschränken. Unser neues Wörterbuch hat Recht. Die Kombination „in Minne“ findet sich bei Google-Schweiz 1’220 Mal, darunter auch die Weltwoche:

    Schwerer dürfte es der Schweizer Delegation fallen, die innenpolitisch umstrittenen Probleme in Minne zu lösen, vor allem bei der unumgänglichen Meldepflicht für Waffen.
    (Quelle: Weltwoche.ch)

    Zurück zur Minne und zum Mittelhochdeutschen. Das folgende Kurzgedicht ist einer Tegernseer Handschrift vom Ende des 12. Jahrhunderts entnommen. Es beschließt den lateinischen Brief einer Frau an einen Kleriker:

    Dû bist mîn, ich bin dîn.
    des solt dû gewis sîn.
    dû bist beslozzen
    in mînem herzen;
    verlorn ist das sluzzelîn:
    dû muost ouch immer darinne sîn.
    (Quelle: literaturnische.de)

    Schweizer Leser haben beim Verständnis sicher keine Probleme. Deutschen Lesern empfehle ich den Studiengang „Mittelhochdeutsch“ an jeder gut sortierten Deutschen Philologischen Fakultät (=Universität) zu besuchen, auf Magister oder Diplom möglich, auch für ein Lehramtsstudium wird er angerechnet. Wem das zu anstrengend ist, der lese einfach fleissig den Tages-Anzeiger oder ziehe direkt in die Schweiz. Das erspart manches Mittelhochdeutsch-Seminar. Na denn, verbleiben wir in Minne?

    Die Hassliebe zu den Deutschen — Roger de Weck befragt Thomas Maissen

    Januar 21st, 2009

    In der Sendung „Sternstunde Philosophie“ des Schweizer Fernsehens brachte am 7.12.08 ein Gespräch zwischen Roger de Weck und dem Schweizer Historiker Thomas Maissen. Es ist eine kleine „Nachhilfestunde“ in Sachen Schweizer-Deutsche Geschichte, sehr sehenswert!

    Die Hassliebe zu den Deutschen. Roger de Weck befragt den Schweizer Historiker Thomas Maissen

    Steuerstreit mit der Bundesrepublik und ihrem Finanzminister, Flughafenstreit rund um Zürich-Kloten, Warnrufe vor der «Verdeutschung der Hochschulen: Der »grosse Kanton« weckt nach wie vor Ressentiments. Früh wollten sich die Eidgenossen, vor allem die Deutschschweizer, vom Deutschen Reich absetzen: eine Konstante der helvetischen Geschichte. Zugleich aber ist die Intensität der Beziehungen zwischen den beiden Ländern einzigartig. In der Schweizer Wirtschaftsgeschichte spielten Deutsche – wie der Frankfurter Apotheker und Nestlé-Gründer Heinrich Nestle – eine Schlüsselrolle.

    Ebenso wurden ETH und mehrere Schweizer Universitäten im 19. Jahrhundert von deutschen Professoren grossgezogen. Heute ziehen bestausgebildete Deutsche in die Schweiz. Umgekehrt machen unzählige Schweizer Karriere in Deutschland, zum Beispiel Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank. Und doch stellt sich die Frage: Kennen sich eigentlich die Nachbarn, die so viel miteinander zu tun haben und trotzdem unverdrossen Klischees und Feindbilder pflegen? Thomas Maissen kennt wie wenige Geschichte und Gegenwart des Wechselspiels zwischen zwei ungleichen, wiewohl nicht unähnlichen Nachbarn.

    Die ganze Sendung gibt es zum nachträglich anschauen hier:

    Ein Januarloch nur für die Schweizer

    Januar 20th, 2009
  • Ein Loch nur in der Schweiz?
  • Noch ist Januar, die Weihnachtsfeiertage und die lange Silvesterpause, die bis zum 2. Januar in der Schweiz geht ist vorbei, und es beherrscht ein Thema die Medien: Das Januarloch. Die Pendlerzeitung „20Minuten“ gibt Tipps:

    „So kommen Sie dieses Jahr um das Januarloch herum“

    Januarloch auf 20Minuten
    (Quelle: 20Min.ch) http://www.20min.ch/life/eat_and_drink/story/22766994

    Was für ein Loch ist das denn, so mitten im Januar? Wir kannten bislang nur das „Sommerloch“, wenn die Zeitungen nichts zu schreiben wussten. Die kurze Googleprobe verrät uns, dass diese Wort 10mal beliebter in der Schweiz als in Deutschland ist: „Januarloch“ findet sich bei Google.de nur 1’500 Mal, zumeist aus der Schweiz stammend, und 13’800 Mal bei Google.ch, die Januarlöcher der letzten Jahre gleich mitgezählt.

  • Ein Loch ist ein Thema
  • Auch das St. Gallener TAGBLATT fragte am 8. Januar 2009:

    „Ist das Januarloch ein Thema?“

    Januarloch im Tagblatt
    (Quelle: tagblatt.ch)

    Erstaunlich, dass diese Januarloch-Diskussion in Deutschland zur Zeit nicht stattfindet. Weil man sich dort im „Dauerloch“ befindet? Immerhin 124 Belege bei Google-De und nur 5 bei Google-CH.

  • Was ist das Januarloch?
  • Das Januarloch bezeichnet in der Schweiz die finanziellen Engpässe der Konsumenten, die sich für Weihnachten zu sehr verausgabt haben, genauso wie die Flaute an den Skiliften, wenn es keinen Schnee gibt oder die Touristen wegen der Finanzkrise ausbleiben. Es scheint ursprünglich aus diesen Ferienregionen zu stammen. Im Dezember haben die Menschen Zeit und Geld zum Skiurlaub, im Februar auch, denn dann sind extra „Sportferien“ in der Schweiz. Doch im Januar? Keine Ferien und kein Geld, schon ist das Januarloch geboren. Die Österreicher haben es auch, allerdings als „Jännerloch„. Das Wort ist sehr lange schon in Gebrauch, wie uns befragte Schweizer bestätigten.

    Passend zum Januarloch gibt es in vielen Geschäften Artikel, die besonders billig sind, so dieser „Januarloch-Kuchen“ für sensationelle 9.50 CHF. Das Loch in der Mitte macht ihn so billig.

    Januarloch Kuchen

    Zusätzlich zum Loch im Kuchen gibt es einen „Foiferli“ aus Schokolade dazu.

    Le bon allemand — Touche pas à mon suisse-allemand

    Januar 19th, 2009
  • C’est quoi, le „bon allemand“?
  • Der westschweizer Radiosender „Radio Suisse Romande“ brachte am letzten Samstag einen interessanten Beitrag über das Verhältnis zwischen „Hochdeutsch“ und „Suisse allemand“ in der Schweiz. Vom Hochdeutsch wird in dieser Sendung stets als vom „Le bon allemand“ gesprochen. Das gute Deutsch! Da geht uns doch das Herz auf. Oder meinen die vielleicht den Dialekt von Bonn, am Rhein? Le Bonn-Allemand? Wir lesen auf der Webseite von „info.rsr.ch“:

    Touche pas à mon suisse-allemand (I ha di gärn … Moi non plus)
    L’ouverture des frontières suisses aux travailleurs de l’Union européenne a entraîné l’arrivée de milliers d’Allemands à Zurich. Le phénomène est devenu si important qu’il exacerbe la relation très ambiguë que les Suisses allemands entretiennent avec le „hochdeutsch“ – le bon allemand.
    (Quelle: info.rsr.ch)

    Auch Christa Dürscheid, die als Deutsche an der Uni Zürich als Professorin arbeitet, wird auf Französisch interviewt.
    Radio Susse Romande über Hochdeutsch in der Schweizer

    Es wird erklärt, warum der Satz „Ich liebe dich“ einem Schweizer nie über die Lieben geht, und warum Schweizer Theaterschüler, die ihre Ausbildung in der „Bühnenhochsprache“ absolvierten, erst wieder lernen müssen, auf Züridütsch zu spielen.

    Die ganze Sendung zum Nachhören gibt es hier.