Flucht auf die Hochdeutsch-Insel — Das Zürcher Schauspielhaus

Januar 9th, 2009

(reload vom 7.3.06)

  • Wo spricht man in der Schweiz Hochdeutsch?
  • Es gibt nicht viele Orte, an denen in der Schweiz garantiert Hochdeutsch gesprochen wird. Im Deutschunterricht an den Schulen? Wir wollen es hoffen und fest dran glauben.

    1) In der Reformierten Kirche beim „Vater Unser“ Gebet, das hierzulande mit „Unser Vater“ beginnt. Bisweilen auch in der Predigt, wenn der Pfarrer ein Deutscher ist oder bekennender Hochdeutsch-Fan: „Ich spreche langsamer und konzentrierter, wenn ich auf Hochdeutsch predige“, sagte uns mal ein Schweizer Pfarrer.

    2) Als Kunden in einem Computer-Fachgeschäft werden wir immer auf Hochdeutsch bedient. Die Verkäufer wollen einen guten Eindruck machen und gekonnt fachlich beraten, also würden sie nie auf die Idee kommen, die Deutschen Kunden mit der Standardfrage „Verstehen Sie Schweizerdeutsch?“ zu Nahe zu treten. Würden wir auf Englisch fragen, wir sind sicher, die Beratung könnte in den meisten Fällen auf Englisch fortgesetzt werden.

    3) In Tourismus-Zeiten oder –Zentren werden Sie auch garantiert mit Hochdeutsch beglückt, denn Sie sind zahlender und gern gesehener Gast auf Durchreise, und sollen ja nächstes Jahr wiederkommen. Für den Wetterbericht „Meteo“ im Schweizer Fernsehen organisiert die Tourismus-Branche sicher irgendwann noch die Simultanübersetzung in der Hotel-Lobby, alles kein Problem.

    Und natürlich im Zürcher Schauspielhaus.

  • Ein geheimer Treffpunkt für Deutsche?
  • Wir lieben das Zürcher Schauspielhaus, diese „Insel des Hochdeutschen“ mitten in Zürich! Es scheint entweder der geheime Treffpunkt aller Deutschen in Zürich zu sein, oder die Schweizer geben, kaum dass sie das Haus betreten, alle ihre Dialektvarianten an der Garderobe zusammen mit den Mänteln ab und beginnen, einen Abend lang nur noch Hochdeutsch zu sprechen.

  • Montags für nur 30 Franken Theater satt erleben
  • Es gibt hier den genialen „Theater-Montag“, da kosten alle Plätze nur 30 Franken, und wenn Sie frühzeitig die Karten übers Internet buchen, reicht es sogar für Luxusplätze in den ersten 5 Reihen. Falls Sie weiter hinten sitzen, ist es auch nicht schlimm. Denn das Schauspielhaus in Zürich ist klein, kleiner als manche Provinzbühne in Deutschland. Und so hört man auch von hinten gut. Denn so weit hinten ist hinten gar nicht.

  • Klatschen müssen Sie leider für drei
  • Kurzum, gehen Sie einfach mal ins Schauspielhaus in Zürich. Sie werden es nicht bereuen. Ein Fest für alle Sinne erwartet Sie. Doch an eins können wir uns in Zürich nicht gewöhnen: Den mageren Applaus. Die Schauspieler geben ihr Letztes, verausgaben sich einen Abend lang für ihr Publikum, und die Zürcher? Die klatschen so müde und gelangweilt, als ob sie soeben einem 65jährigen Alleinunterhalter im Altersheim zugehört hätten, und nicht einer grandiosen Theatertruppe. Also müssen Sie einfach für drei Personen klatschen, mit den Füssen trampeln, laut „Bravo“ rufen, und am besten noch Blumen mitbringen, die sie auf die Bühne werfen können. Schauspieler lieben das, und in Zürich haben die das auch echt verdient.

  • Kennen Sie Züriberg-Klatschen?
  • Man nennt das hier in Zürich übrigens „Züriberg-Klatschen“, wenn nach dem dritten, langsamen Zusammenführen der beiden Handflächen wieder akute Ruhe eintritt. Für echte Leidenschaft und Begeisterung muss man nach Luzern fahren, die würde sich für einen Bewohner der Zwingli-Stadt nicht ziemen, hat man uns dieses Phänomen erklärt.

    Fremdsprache Deutsch — Helfen kann nur der Psychiater

    Januar 8th, 2009

    (reload vom 6.3.06)
    Unter der Überschrift „Fremdsprache Deutsch“ schrieb der Schweizer Journalist Mathieu von Rohr in der Zeitschrift „Das Magazin“ Ausgabe 06-2006 auf Seite 14:

    „Die Deutschschweizer entfremden sich vom Hochdeutschen und verkriechen sich im Dialekt. Helfen kann nur der Psychiater“.

    Fremdsprache Deutsch

    Wenn man Deutschschweizer Kinder beobachtet, wie sie durchs Wohnzimmer rennen und das geschliffene Hochdeutsch der Fernsehserien nachahmen, kann man sich nur schwer vorstellen, dass sie einst ein hochproblematisches Verhältnis zu dieser Sprache entwickeln werden. Aber der Weg ist ihnen vorgezeichnet, es gibt kein Entrinnen: Eines Tages werden sie zur Schule gehen müssen, und dort werden Lehrer auf sie warten, die selber Mühe haben mit dem Hochdeutschen, und die in die Mundart wechseln, wann immer möglich.
    (Quelle aller Zitate: Das Magazin 06-2006)

    Noch ein Bruder im Geiste! Wie oft haben wir das in 7 Jahren in der Schweiz als Deutsche beobachtet: Je jünger die Kinder, desto unbefangener haben sie automatisch auf Hochdeutsch mit uns gesprochen, so wie sie es aus der „Sendung mit der Maus“ oder von Peter Lustigs „Löwenzahn“ her kannten. Und wie oft haben wir selbst bei ausgebildeten Lehrern vermisst, dass sie mit uns Deutschen in der Sprache kommunizierten, die sie laut Anweisung der Eidgenössischen Erziehungsdirektion von Jahr zu Jahr früher im Primarschulunterricht verwenden sollten. Schriftdeutsch im Unterricht wurde stets von oben diktiert, aber konsequent dran gehalten haben sich wenige. Warum auch, Hochdeutsch mit den Kindern zu sprechen, das sei ein „Rohrkrepierer“, sagte ein Primarschullehrer zu uns.

    Hier, in der Schule, lernen die Kinder, dass Hochdeutsch etwas Schwieriges und Fremdes ist. Sie lernen, dass Hochdeutsch den Deutschen gehört, dass die Schweizer es von den Deutschen nur zum Schreiben ausleihen und es sowieso nie so gut beherrschen werden wie die. Sie lernen, dass es unschweizerisch ist, so Deutsch zu sprechen wie die Leute im Fernsehen. Es dauert nicht lange, bis die kleinen Schweizer jede Freude an der deutschen Sprache verloren und diese ungesunde Mischung aus Verachtung und Bewunderung erlernt haben, die man als Schweizer einem geschliffen sprechenden Deutschen gegenüber zu empfinden hat.

    Wenn es nicht positiv vorgelebt wird durch Lehrer und Medien, dass es schick und cool sein kann, sich auf Hochdeutsch zu verständigen, und dass das praktische Beherrschen dieser zweiten Muttersprache nicht nur für das Schreiben nützlich ist sondern auch relativ einfach lernbar, dann wird Deutsch von den Kindern eben bald als „schwierig“ empfunden und verachtet.

    Wir können immer schlechter Hochdeutsch, und schlimmer noch, es scheint uns nicht zu kümmern. Viele Schweizer sind seltsam stolz auf ihre sprachliches Unvermögen, ist es doch der Beweis dafür, dass wir sind, wer wir sind, vor allem aber, dass wir anders sind als die. Es scheint zwar seltsam, sich über etwas zu definieren, das man nicht kann, aber etwas Besseres bleibt uns offenbar nicht: Das unbeholfene Deutsch macht uns Schweizer erst zu Schweizern.

    Auch die Schwaben sind stolz auf ihre sprachliches Unvermögen. Sie machen Werbung mit dem Satz „Wir können alles – ausser Hochdeutsch“ und würden dennoch nicht auf die Idee kommen, in einem Vorstellungsgespräch für eine Lehrstelle in Stuttgart etwas anderes zu sprechen als geschliffenes Hochdeutsch, so weit möglich, um die gute Schulbildung damit unter Beweis zu stellen.

    Das Problem ist aber nicht der Dialekt an sich. Die Sprachforschung hat gezeigt, dass es Kindern Vorteile beim sprachlichen Ausdruck verschaffen kann, wenn sie mit Dialekt und Hochsprache zugleich aufwachsen. Die Schweizer sind mit ihrem Dialekt auch nicht der Sonderfall, der sie so gerne wären. Hunderttausende von Kindern wachsen in Deutschland mit Dialekten auf, sprechen zu Hause erst Badisch, Hessisch, Kölsch oder Platt und müssen Hochdeutsch genauso in der Schule lernen wie die Schweizer. Aber während in Deutschland der Dialekt ein schlechtes Image hat und als Sprache der Ungebildeten gilt, ist es in der Schweiz genau umgekehrt: Der Dialekt wird verherrlicht, Hochdeutsch abgelehnt. Hier liegt das Problem. (…)

    Wer in Hochdeutsch ungeübt ist, dem fällt es selbstverständlich schwer, sich darin präzise auszudrücken. Weil wir also kein Hochdeutsch können, ist es eine Fremdsprache, und weil es eine Fremdsprache ist, müssen wir es auch nicht besser beherrschen.

    Was dabei untergeht, ist jegliches Vermögen, sich in einer Schriftsprache auszudrücken. Abgesehen von der immer grösseren Geschwindigkeit, die Schweizer Jugendliche dabei entwickeln, wenn sie im Dialekt SMS schreiben oder emailen. Wir haben in vier Jahren Primarschulzeit in Bülach vermisst, dass auch nur ein einziges Mal ein zusammenhängender Text im Deutschunterricht geschrieben werden musste: Kein Aufsatz „Mein schönstes Ferienerlebnis“, keine spannende Nacherzählung, keine Entfaltung der freien Fabulierlust, all das wurde von den Kindern nicht gefordert. Höchstens mal ein Lückentext mit einer Einsetzübung.

    Kaufmännisches Rechnen wurde ausgiebig geübt, schliesschlich wollen alle ins KV. Die Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken in dieser „Fremdsprache Deutsch“, ist kein Thema. Zum Glück gibt es ja die Schweizer Blogger, die uns täglich davon überzeugen, dass es noch Schweizer gibt, die Spass daran haben, sich in der Schriftsprache gekonnt zu äussern. Obwohl auch hier die Dialekt-Blogger-Welle rollt.

    Mathieu von Rohr kommt zum Schluss:

    Unser Verhältnis zum Hochdeutschen ist weniger ein Fall für die Pädagogen als einer für den Psychiater. Gegen die Vorbehalte, die inneren Blockaden, die deutschfeindlichen Reflexe, die zu dieser Deutschschweizer Sprachneurose geführt haben, kommt frühes Hochdeutsch in Schule und Kindergarten nicht an. Und doch ist es natürlich ein richtiger Schritt – vorausgesetzt, der Gebrauch des Hochdeutschen wird mit aller Konsequenz durchgesetzt. Trotz unwilliger Schüler, Lehrern und Eltern. Ist dieser Kraftakt geschafft, können vielleicht wenigstens unsere Kinder lernen, Hochdeutsch, die Sprache Frisch und Dürrenmatts, als das Eigene zu akzeptieren und nicht länger als das Fremde zu verteufeln. Vielleicht gar: Hochdeutsch zu lieben. Die Schweiz würde dran nicht zu Grunde gehen. Schon eher aus dem gegenteiligen Grund. Man kann nicht auf Dauer mit einer Sprache leben, die man verachtet.

    Das konsequente Durchsetzen des Hochdeutschen, daran hat es uns immer gefehlt in den Bülacher Primarschulen. Dort wurde auf Dialekt gesungen, wurden die Leitmotive für das Handeln der Lehrer auf Dialekt im Treppenflur an die Wand gehängt, wurde mit den Kindern auf Dialekt Theater gespielt. Alles verpasste Gelegenheiten, spielerisch und vorbildhaft Standarddeutsch zu üben und zu gebrauchen. Leider Fehlanzeige.

    Der Artikel von Mathieu von Rohr löste übrigens eine Flut von Leserbriefen aus, zustimmend wie ablehnend. Bis hin zu einer im Dialekt geschriebenen Aufforderung an den Autoren, doch für immer das Land zu verlassen.

  • Aufruf an die Schweizer: Sprecht Hochdeutsch!
  • Wir sind überzeugt davon, dass die Schweizer besser Hochdeutsch und Schriftdeutsch und Standarddeutsch sprechen und schreiben, als sie selbst glauben. Wir haben viele Schweizer kennengelernt, die es uns gekonnt vormachten, ohne mit der Wimper zu zucken. Schaut euch doch die vielen lesenswerten Schweizer Blogs an!

    Diejenigen, die erst nur Schweizerdeutsch mit uns sprachen, trauten sich nach ein bisschen Ermutigung gleichfalls, ihr Hochdeutsch zu praktizieren. Es ist doch alles nur eine Sache des Selbstvertrauen und der Übung. Lasst Euch doch nicht einreden, dass ihr es nicht könnt! Die Deutschen sind doch auch nicht alle perfekt in Sachen Grammatik und Rechtschreibung.

    Nehmt jede Gelegenheit war und sprecht Hochdeutsch mit Deutschen! Schlagt deren Aufforderung „Sie können ruhig Schwiizerdütsch sprechen“ einfach in den Wind und sprecht weiter Hochdeutsch mit Ihnen! Deutsch ist auch Eure Sprache, eure zweite Sprache. Ihr habt sie nicht von den Deutschen ausgeliehen nur zum Schreiben, ihr teilt sie Euch doch mit Ihnen. Und warum sollen die Deutschen diese wunderbare Sprache einfach so für sich alleine besitzen? Pflegt Eure Zweisprachigkeit wo ihr könnt und lasst Euch nicht hollandisieren!

    Von den Genen her sind die Schweizer Franzosen — Die genetische Karte Europas

    Januar 7th, 2009

    Norddeutsche sind genetisch anders als Süddeutsche

    Der „Club of Amsterdam“, ein „think tank“ in den Niederlanden, veröffentlichte im letzten Herbst eine interessante Studie über die „genetische Karte“ Europas. Es wurden DNA Proben von 23 Bevölkerungen hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht. Die Ergebnisse waren verblüffend. So stellte sich heraus, dass von den Genen her gesehen, die Bevölkerung Deutschlands sich ganz klar in streng von einander getrennte „Norddeutsche“ und „Süddeutsche“ unterscheidet:

    Die Genkarte Europas
    (Quelle: Club of Amsterdam)

    There is surprisingly little overlap between the northern and southern German populations, each of which has more in common with their other neighbours (Danish/Dutch/Swedish in the northern case, Austrian/Swiss/French in the other one).
    (Dieses und alle weiteren Zitate siehe: Clubofamsterdam.com)

    Haben Sie das Kleingedruckte gelesen in der Klammer? „(…) more in common with their neigbours (… Austrian/Swiss/French in the other one)“. Süddeutsche haben also mehr gemein mit Schweizern als mit Norddeutschen. Haben wir doch schon immer gewusst. Wahrscheinlich ist auch das Alemannisch Sprech- und Hörverständnis in Wirklichkeit bereits in den Genen angelegt.

  • Die Schweizer sind Franzosen
  • Noch überraschender war die Erkenntnis, dass die Schweizer, genetisch gesehen, als Teilmenge der Franzosen zu verstehen sind:

    The Swiss population is entirely subsumed by the French one, similarly, the Irish population almost doesn’t show any characteristics that would distinguish it from the British one.

    Die hohen Alpen waren eine ziemliche Barriere, welche die Ausbreitung der Gene verhinderte. Weil in Richtung Frankreich via Genf die Schweiz leichter erreichbar ist, kam wahrscheinlich die meiste genetische Erbmasse von dort zugewandert:

    The relative isolation of Italian genetics is probably due to the Alps, providing a geographic barrier to the free and unhindered flow of population to and from Italy… Although Hannibal, the Celtic and Germanic influence in Italy’s north and of course the expansion of the Roman Empire would seem to contradict this.

  • Italiener sind atypische Europäer
  • Sehr abgesondert sind aus den ähnlichen, geographischen Gründen ausserdem noch die Finnen und die Italiener:

    Genetically speaking, Finns and Italians are the most atypical Europeans. There is a large degree of overlap between other European ethnicities, but not up to the point where they would be indistinguishable from each other. Which means that forensic scientists now can use DNA to predict the region of origin of otherwise unknown persons (provided they are of European heritage)

    Man sollte diese Untersuchung unbedingt in 30-40 000 Jahren wiederholen, um festzustellen, welche Durchmischungen dann im Genmaterial stattgefunden haben. Wir halten Sie dann über neue Ergebnisse auf dem Laufenden.

    Ein Jahr am Südpol — Wenn es richtig kalt ist

    Januar 6th, 2009
  • Das Hörspiel am Zürichsee
  • Die Meteorologen haben für die nächsten Tage eisige Temperaturen vorausgesagt. In der Schweiz und in Süddeutschland noch etwas abgemildert durch den Hochnebel. Dieser Nebel sorgte zum Jahreswechsel in Zürich dafür, dass die zahlreichen Besucher des Feuerwerks am See, welches wie jedes Jahr pünktlich um 00:20 Uhr begann, wann sonst in dieser Nacht, nur ein eindrückliches „Hörspiel“ erlebten.

  • Akustik im Nebel
  • Es knallte im Nebel, ab und zu war ein Blitz zu erkennen. Ganz schlaue waren auf den Uetliberg oder auf den Züriberg gestiegen, dort soll die Akustik des Feuerwerks ganz phänomenal gewesen sein. Am besten gefiel uns allerdings die Live-Übetragung auf Tele-Züri: Alles weiss in weiss.

  • Sind minus 20 Grad schon kalt?
  • In Norddeutschland soll das Thermometer in diesen Tagen des Nachts auf minus 20 Grad fallen. Ist das kalt? Ein Freund von uns verbrachte einst ein Jahr am Südpol. Dort gibt es 6 Monate lang Sommer, ohne Dunkelheit, und 6 Monate Winter, ohne Sonnenschein. Im Winter liefert nur der Mond etwas Licht. Zwei Wochen sieht man ihn, zwei Wochen ist es komplett dunkel, und natürlich kalt. Sehr kalt. Minus 70 Grad in der Nacht sind normal. Unser Freund erzählte uns, dass das Wasserlassen in der Nacht vor dem Wohncontainer einen ziemlich Krach machte, weil der gefrorene Urin in Form von Eisstäben zu Boden fiel und dabei laut klirrte.

  • Friert die Spucke in der Luft, ist es kalt
  • Man misst die Kälte, ganz wie in Jack Londons Romanen beschrieben, durch Spuken auf den Boden. Friert die Spucke erst auf dem Boden, dann ist es nicht so kalt. Friert sie im Flug in der Luft, dann ist es kalt. Friert sie schon am Bart fest beim Ausspucken, dann macht man besser sein Testament, denn dann ist es es wirklich kalt.

  • Der Club der 180 Grad
  • Aus Kalifornien stammend gehörte es zur Kultur und Lebenseinstellung unseres Freundes, auch bei den tiefsten Temperaturen im T-Shirt und in Shorts herumzulaufen. Wenn das Versorgungsflugzeug kam, um Vorräte abzuwerfen, dann stand er draussen in Shirts bei minus 40 Grad und winkte dem Piloten zu, vorauf dieser glaubte, dass auf der Forschungsstation alle übergeschnappt waren. Auch eine Sauna gab es, auf plus 110 Grad heizbar, und die Mitarbeiter der Station gründeten den „Club 180“. In ihn wurde aufgenommen, wer von plus 110 Grad hinaus in die Kälte auf minus 70 Grad gewechselt hatte, manchmal mehrmals hintereinander. Gut aufgeheizt kann ein Mensch 30-60 Sekunden in der Kälte aushalten.

    Die Station wurde durch Diesel-Generatoren mit Energie beliefert. Damit der Diesel nicht einfriert, liegen grosse Heizdecken auf den Tanks. Fällt der Generator aus, dann hat man genau 30 Minuten Zeit, ihn wieder in Gang zu bekommen. Falls das nicht gelingt, ist der Diesel gefroren, man kann keinen mehr Strom erzeugen, und fertig ist die Laube.

  • 10 Jahre alte Cola
  • Um sich beim Spazierengehen in der Eiswüste nicht zu verlaufen, wurde im Abstand von 100 Meter Pfähle in den Boden gerammt, in eine Richtung ca. 2 Km weit. So konnten die Mitarbeiter von Pfahl zu Pfahl laufen, wenn sie Bewegung haben wollten, und nach 20 Pfählen umkehren. Einmal wollten sie noch weiter laufen, zu einem Flugzeugwrack, das dort 200 Meter entfernt liegt. Das war ein ziemliches Risiko, denn ohne Orientierung läuft jeder Mensch im Kreis, und einen Kompass kann man am Südpol nicht verwenden, denn in alle Richtungen ist Norden. Sie fanden das Wrack und wurden durch tiefgefrorene Coke-Dosen belohnt. Die waren 10 Jahre alt und fanden sich im Landeraum des Frachtflugzeugs.
    Ich gehe jetzt mal in den Garten zum Ausspucken um zu sehen wie kalt es ist.

    Supervision und Coaching für Deutsche in der Schweiz — Ein Angebot in Schaffhausen

    Januar 5th, 2009
  • Wer will zurück nach Deutschland?
  • Vor fast genau zwei Jahren, am 4. Januar 2007, erschien auf Spiegel-Online der Artikel Deutsche in der Schweiz — Geht doch heim ins Reich und informierte eine breite Öffentlichkeit in Deutschland über die nicht immer einfache Beziehung der Schweizer zu den Deutschen, und umgekehrt. Viel wurde seitdem über diese Thema geschrieben, doch weiterhin gilt die Schweiz als beliebtestes Auswanderungsland für Deutsche. Alle Versuche der Journalisten, ein paar Deutsche vorzuführen, die voller Frust die angeblich „unfreundliche“ Schweiz wieder verliessen, waren zum Scheitern verdammt. Entweder gibt es diese nicht, oder sie wollten nicht über Erfahrungen reden. Frust haben viele, dafür aber das Land wieder verlassen, will fast niemand. Nun gibt es professionelle Hilfe für Betroffene.

  • Supervision für Deutsche in der Schweiz
  • Die Deutsche Eva Werle hat in Schaffhausen eine Praxis für Supervision, Coaching und Mediation eröffnet, die sich mit ihrem Angebot speziell an Deutsche oder an Firmen, die Deutsche in der Schweiz beschäftigen, richtet. Ein Banner mit Verlinkung findet sich seit Januar auf der Blogwiese. Eva Werle schrieb uns zum Start ihrer Praxis diesen Beitrag:

    Ich bin Deutsche in der Schweiz.

    Ich bin Deutsche in der Schweiz.
    Früher hatten Nationalitäten für mich keine Bedeutung,
    schon gar nicht meine eigene.
    Da war ich ein Mensch von vielen auf dieser Welt.
    Jetzt bin ich Deutsche in der Schweiz.
    Nicht mehr ein Mensch in Deutschland.
    Noch nicht ein Mensch in der Schweiz.
    Nein, Deutsche in der Schweiz.

    Ich bin Deutsche in der Schweiz.

    Ich werde zum Januar in Schaffhausen eine Praxis für Supervision, Coaching und Mediation eröffnen. Was das ist, können Sie auf meiner Website nachlesen. Hier möchte ich Ihnen lieber erzählen, wie es dazu kam und warum ich mich mit diesem Angebot speziell an Sie wende.

    1978 war ich zum ersten Mal für einen längeren Aufenthalt in der Schweiz. Ich besuchte für ein Jahr eine Sprachenschule im Berner Oberland. Von dort zog ich 1979 nach Bern, um auf dem zweiten Bildungsweg mein Abitur nachzuholen. Ich habe damals mit meiner kleinen Tochter drei Jahre in Bern gelebt und wir haben uns beide in dieser Stadt sehr wohl gefühlt. 1982 habe ich die Eidgenössische Maturität abgeschlossen und bin zum Studium zurück nach Deutschland. Die Zeit in Bern habe ich immer in sehr guter Erinnerung behalten.

    Im Jahr 1999 – kurz bevor ich meine Zweitausbildung zur Logopädin abschloss – stieß ich auf ein Stellenangebot aus Schaffhausen.
    Zurück in die Schweiz? Das war verlockend.
    – Die guten Erinnerungen wurden wieder wach.
    – Die guten Arbeitsbedingungen ließen Stellenangebote aus Deutschland blass aussehen.
    – Der Reiz, im Ausland zu leben, war immer schon da.
    Also habe ich mich in Schaffhausen vorgestellt und erhielt eine Zusage nebst Arbeitsbewilligung. Damals musste mein Arbeitgeber noch nachweisen, dass meine Stelle von keinem Schweizer beansprucht wurde. Und ich musste noch jährlich eine Aufenthaltsbewilligung beantragen.

    Ich will sie nicht mit den Umzugs- und Zollformalitäten langweilen, die dann auf mich zukamen. Das kennen Sie alle selbst.
    Ich kann Ihnen auch nicht berichten, dass mir die Schweizer Sprache schwer fiel. Das war nicht der Fall. Ich mühte mich nach bestem Wissen und Gewissen, mein Berndeutsch aus alten Tagen wieder auszugraben und schlug mich ganz gut damit durch – auch wenn jeder Schweizer auf Anhieb merkte, dass ich nicht aus Bern war.

    Wirklich schwierig war für mich etwas ganz anderes: Schaffhausen war nicht Bern. Und 1999 war nicht 1982.

    Mit den schönen Erinnerungen waren hohe Erwartungen verbunden. Aber meine Situation in Schaffhausen war anders als die in Bern: Es ist Eines, Geld in die Schweiz zu tragen, um dort in die Schule zu gehen und es ist etwas Anderes in der Schweiz Geld zu verdienen, weil man dort arbeitet. Plötzlich sah ich mich mit Anschuldigungen konfrontiert, von denen ich mich zum unerwünschten Ausländer gestempelt sah: Ich nehme den Schweizern den Arbeitsplatz weg, ich will mich in der Schweiz bereichern, ich versuche mir einen Schweizer zu angeln und/oder die Staatsbürgerschaft zu erschleichen, ich setze mich ins gemachte Nest, ich will den Schweizern ihr Paradies verderben, ich bin nicht schweizerisch und somit auch nicht in Ordnung, ich rede anders und das ist unangenehm, ich lache zu laut und all die andern hübschen Klischees über die unangenehmen Deutschen.

    Coaching und Mediation für Deutsche in der Schweiz

    Ich kann nicht sagen, ob alle Ausländer dieser Welt überall auf dieser Welt ähnliche Erfahrungen machen. Ich kann nur sagen, dass ich überall auf der Welt andere Erfahrungen gemacht habe. Was mich zu dem Schluss kommen ließ: Arbeitnehmer in der Schweiz zu sein ist vermutlich schon schwer genug, ausländischer Arbeitnehmer in der Schweiz zu sein aber noch viel mehr.

    Ich kämpfte um einen Platz in dem Team, in dem ich arbeite. Ich kämpfte um die Anerkennung meiner Diplome aus Deutschland. Ich kämpfte gegen das Desinteresse und die Ausgrenzung. Ich kämpfte gegen die Einsamkeit und das Fremdsein. Ich kämpfte gegen die Vereinnahmung und den Druck. Ich kämpfte gegen die Abwertung meines Andersseins. Und täglich habe ich mit mir gerungen, die Schweiz wieder zu verlassen. Aber wie das so ist: Gehen kann man erst, wenn die Verstrickungen gelöst sind und nichts mehr bereinigt werden muss.

    Heute könnte ich gehen. Aber ich muss auch nicht mehr.

    Ich habe damals – wie so oft in meinem Leben – die Flucht nach vorne ergriffen und neben meiner Arbeit als Logopädin ein weiteres Studium begonnen. Ich habe Supervision, Coaching und Mediation studiert und letztes Jahr im November abgeschlossen. Seit dem treibt mich der Gedanke um, dass ich meine Beratungen zwar grundsätzlich allen Menschen anbieten möchte, die mit Schwierigkeiten im Berufsleben zu kämpfen haben, dass ich aber ganz speziell für ausländische Arbeitnehmer in der Schweiz da sein möchte. Arbeiten in der Emigration führt zu besonderen Fragestellungen und bringt ganz eigene Belastungen mit sich. Ich weiß inzwischen, wovon ich spreche. Ich will nicht nur meine beraterischen Fähigkeiten, sondern auch meinen besonderen Hintergrund als „Deutsche in der Schweiz“ in die Waagschale werfen – in eine Waagschale, die für jeden einzelnen ausländischen Mitbürger in der Schweiz stärker zu dessen Wohlbefinden ausschlagen sollte.

    Wir wünschen Eva Werle für ihren Praxis-Start alles Gute und viele erfolgreiche Mediation, Supervisionen und Coaching-Einsätze!
    www.eva-werle.com