Flucht auf die Hochdeutsch-Insel — Das Zürcher Schauspielhaus
(reload vom 7.3.06)
Es gibt nicht viele Orte, an denen in der Schweiz garantiert Hochdeutsch gesprochen wird. Im Deutschunterricht an den Schulen? Wir wollen es hoffen und fest dran glauben.
1) In der Reformierten Kirche beim „Vater Unser“ Gebet, das hierzulande mit „Unser Vater“ beginnt. Bisweilen auch in der Predigt, wenn der Pfarrer ein Deutscher ist oder bekennender Hochdeutsch-Fan: „Ich spreche langsamer und konzentrierter, wenn ich auf Hochdeutsch predige“, sagte uns mal ein Schweizer Pfarrer.
2) Als Kunden in einem Computer-Fachgeschäft werden wir immer auf Hochdeutsch bedient. Die Verkäufer wollen einen guten Eindruck machen und gekonnt fachlich beraten, also würden sie nie auf die Idee kommen, die Deutschen Kunden mit der Standardfrage „Verstehen Sie Schweizerdeutsch?“ zu Nahe zu treten. Würden wir auf Englisch fragen, wir sind sicher, die Beratung könnte in den meisten Fällen auf Englisch fortgesetzt werden.
3) In Tourismus-Zeiten oder –Zentren werden Sie auch garantiert mit Hochdeutsch beglückt, denn Sie sind zahlender und gern gesehener Gast auf Durchreise, und sollen ja nächstes Jahr wiederkommen. Für den Wetterbericht „Meteo“ im Schweizer Fernsehen organisiert die Tourismus-Branche sicher irgendwann noch die Simultanübersetzung in der Hotel-Lobby, alles kein Problem.
Und natürlich im Zürcher Schauspielhaus.
Wir lieben das Zürcher Schauspielhaus, diese „Insel des Hochdeutschen“ mitten in Zürich! Es scheint entweder der geheime Treffpunkt aller Deutschen in Zürich zu sein, oder die Schweizer geben, kaum dass sie das Haus betreten, alle ihre Dialektvarianten an der Garderobe zusammen mit den Mänteln ab und beginnen, einen Abend lang nur noch Hochdeutsch zu sprechen.
Es gibt hier den genialen „Theater-Montag“, da kosten alle Plätze nur 30 Franken, und wenn Sie frühzeitig die Karten übers Internet buchen, reicht es sogar für Luxusplätze in den ersten 5 Reihen. Falls Sie weiter hinten sitzen, ist es auch nicht schlimm. Denn das Schauspielhaus in Zürich ist klein, kleiner als manche Provinzbühne in Deutschland. Und so hört man auch von hinten gut. Denn so weit hinten ist hinten gar nicht.
Kurzum, gehen Sie einfach mal ins Schauspielhaus in Zürich. Sie werden es nicht bereuen. Ein Fest für alle Sinne erwartet Sie. Doch an eins können wir uns in Zürich nicht gewöhnen: Den mageren Applaus. Die Schauspieler geben ihr Letztes, verausgaben sich einen Abend lang für ihr Publikum, und die Zürcher? Die klatschen so müde und gelangweilt, als ob sie soeben einem 65jährigen Alleinunterhalter im Altersheim zugehört hätten, und nicht einer grandiosen Theatertruppe. Also müssen Sie einfach für drei Personen klatschen, mit den Füssen trampeln, laut „Bravo“ rufen, und am besten noch Blumen mitbringen, die sie auf die Bühne werfen können. Schauspieler lieben das, und in Zürich haben die das auch echt verdient.
Man nennt das hier in Zürich übrigens „Züriberg-Klatschen“, wenn nach dem dritten, langsamen Zusammenführen der beiden Handflächen wieder akute Ruhe eintritt. Für echte Leidenschaft und Begeisterung muss man nach Luzern fahren, die würde sich für einen Bewohner der Zwingli-Stadt nicht ziemen, hat man uns dieses Phänomen erklärt.
Januar 9th, 2009 at 9:34
& wo spricht man garantiert schweizerdeutsch? im zürcher märli-tram, mit dem ich gerne fahre, wenn ich der gummihälse überdrüssig bin.
Januar 9th, 2009 at 10:14
Richtig Roman,
Flucht auf die Hochdeutsch – Insel ? mittlerweile heisst es in Züri wohl eher ‚ wo gibts noch schweizerdeutsch – Inseln ?
Mittlerweile heisst selbst in den guten alten Beizen schon lautstark ich krieg‘ n bier hier …. 😉
Januar 9th, 2009 at 12:34
Schon Ottmar Hitzfeld sagte einst: „Das schweizerische Publikum ist einfach nur lauwarm, da kommt keine Begeisterung rüber“. Oder ist es am Abend ganz einfach zu müde um noch die Hände zu bewegen?
Januar 9th, 2009 at 15:28
Ich war mal auf einem Konzert im Kaufleuten. Da ging das Publikum richtig mit. Ich sagte zu meiner schweizer Freundin: „Sie mal einer an. Die Zürcher können doch richtig abgehen!“ Antwortet sie: „Es sind doch fast alles Deutsche hier.“ Richtig! Es war ein Roger Circero Konzert. Das hatte ich nicht bedacht.
Januar 9th, 2009 at 17:16
oh, ich dachte gummihälse hören nur fanta 4 und grönemeyer ;).
wir zürcher sind eben stille geniesser und müssen nicht rumbrüllen und rumhampeln …..
Januar 9th, 2009 at 17:36
@AchimK: Haha, das war bei Wir sind Helden genauso. Alle anderen Konzerte die ich hier in CH erlebt habe waren echt traurig, zum Teil mußte man Mitleid haben mit den Musikern-alles probiert, Null Stimmung. Das war bei Konzerten der gleichen Leute in D ganz anders.
Januar 9th, 2009 at 18:42
ich war in Zürich auch mal auf ner Beerdigung – zusammen mit den Rolling Stones.
Ich glaube, da habe ich auch thedude gesehen, kann aber auch sein, es war nur eine Schaufensterpuppe, zumindest war das Ding so reglos, konnte sich aber in der Nase bohren – ja, ihr Zürcher seid so richtig wilde Pferde.
Januar 10th, 2009 at 23:16
Alles besser, als dieses proletenhafte rumgedröhne, gejohle und endlos lautes Klatschen, das, sobald Musik im Spiel ist zum zeitverzögerten rythmischen die Hände zusammenschlagen und Fusstrampeln wird, sodass man weder die Musik, die Schauspieler noch sein eigenes Wort versteht und das, je nach Musik unweigerlich in Schunkeln ausartet.Karneval lässt grüssen. Ein kurzer, dezenter Applaus im Schauspielhaus oder einem anderen Theater bedeutet auch Respekt vor der Leistung der Schauspieler und der ganzen Truppe und den Wunsch, bald, sehr bald schon mehr davon zu hören und zu sehen, ohne dass die Darbietung durch störende Nebengeräusche überdeckt wird. Wer grölen und sich lauthals äussern möchte, wie dies viele Deutsche leider zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit tun zu müssen meinen, soll ins Sportstadion gehen. Oder in den Bierkeller.
Stil und Comment müssen die Deutschen in der Schweiz wohl noch lernen. Nicht aufgeben, das wird schon.
Januar 11th, 2009 at 11:28
Oder am besten mit Stil und Comment zuhause bleiben, da stört man keinen und wird nicht gestört!
Januar 12th, 2009 at 9:19
Je fester und lauter das Klatschen und rufen – desto besser ist es für die Schauspieler und Musiker, so die Meinung in Deutschland. Das ist hier in der Schweiz anders, man klatscht höflichen Beifall und dass muss genügen, immerhin hat man ja für den Eintritt gezahlt und damit bereits bewiesen wie viel einem die Aufführung wert ist. Wiedermal – andere Länder – andere Sitten, CH != DE.
Januar 15th, 2009 at 9:42
Gleich klatscht et, ävver nit Beifall!
Januar 16th, 2009 at 11:30
Sehr gut 🙂