Fremdsprache Deutsch — Helfen kann nur der Psychiater
(reload vom 6.3.06)
Unter der Überschrift „Fremdsprache Deutsch“ schrieb der Schweizer Journalist Mathieu von Rohr in der Zeitschrift „Das Magazin“ Ausgabe 06-2006 auf Seite 14:
„Die Deutschschweizer entfremden sich vom Hochdeutschen und verkriechen sich im Dialekt. Helfen kann nur der Psychiater“.
Wenn man Deutschschweizer Kinder beobachtet, wie sie durchs Wohnzimmer rennen und das geschliffene Hochdeutsch der Fernsehserien nachahmen, kann man sich nur schwer vorstellen, dass sie einst ein hochproblematisches Verhältnis zu dieser Sprache entwickeln werden. Aber der Weg ist ihnen vorgezeichnet, es gibt kein Entrinnen: Eines Tages werden sie zur Schule gehen müssen, und dort werden Lehrer auf sie warten, die selber Mühe haben mit dem Hochdeutschen, und die in die Mundart wechseln, wann immer möglich.
(Quelle aller Zitate: Das Magazin 06-2006)
Noch ein Bruder im Geiste! Wie oft haben wir das in 7 Jahren in der Schweiz als Deutsche beobachtet: Je jünger die Kinder, desto unbefangener haben sie automatisch auf Hochdeutsch mit uns gesprochen, so wie sie es aus der „Sendung mit der Maus“ oder von Peter Lustigs „Löwenzahn“ her kannten. Und wie oft haben wir selbst bei ausgebildeten Lehrern vermisst, dass sie mit uns Deutschen in der Sprache kommunizierten, die sie laut Anweisung der Eidgenössischen Erziehungsdirektion von Jahr zu Jahr früher im Primarschulunterricht verwenden sollten. Schriftdeutsch im Unterricht wurde stets von oben diktiert, aber konsequent dran gehalten haben sich wenige. Warum auch, Hochdeutsch mit den Kindern zu sprechen, das sei ein „Rohrkrepierer“, sagte ein Primarschullehrer zu uns.
Hier, in der Schule, lernen die Kinder, dass Hochdeutsch etwas Schwieriges und Fremdes ist. Sie lernen, dass Hochdeutsch den Deutschen gehört, dass die Schweizer es von den Deutschen nur zum Schreiben ausleihen und es sowieso nie so gut beherrschen werden wie die. Sie lernen, dass es unschweizerisch ist, so Deutsch zu sprechen wie die Leute im Fernsehen. Es dauert nicht lange, bis die kleinen Schweizer jede Freude an der deutschen Sprache verloren und diese ungesunde Mischung aus Verachtung und Bewunderung erlernt haben, die man als Schweizer einem geschliffen sprechenden Deutschen gegenüber zu empfinden hat.
Wenn es nicht positiv vorgelebt wird durch Lehrer und Medien, dass es schick und cool sein kann, sich auf Hochdeutsch zu verständigen, und dass das praktische Beherrschen dieser zweiten Muttersprache nicht nur für das Schreiben nützlich ist sondern auch relativ einfach lernbar, dann wird Deutsch von den Kindern eben bald als „schwierig“ empfunden und verachtet.
Wir können immer schlechter Hochdeutsch, und schlimmer noch, es scheint uns nicht zu kümmern. Viele Schweizer sind seltsam stolz auf ihre sprachliches Unvermögen, ist es doch der Beweis dafür, dass wir sind, wer wir sind, vor allem aber, dass wir anders sind als die. Es scheint zwar seltsam, sich über etwas zu definieren, das man nicht kann, aber etwas Besseres bleibt uns offenbar nicht: Das unbeholfene Deutsch macht uns Schweizer erst zu Schweizern.
Auch die Schwaben sind stolz auf ihre sprachliches Unvermögen. Sie machen Werbung mit dem Satz „Wir können alles – ausser Hochdeutsch“ und würden dennoch nicht auf die Idee kommen, in einem Vorstellungsgespräch für eine Lehrstelle in Stuttgart etwas anderes zu sprechen als geschliffenes Hochdeutsch, so weit möglich, um die gute Schulbildung damit unter Beweis zu stellen.
Das Problem ist aber nicht der Dialekt an sich. Die Sprachforschung hat gezeigt, dass es Kindern Vorteile beim sprachlichen Ausdruck verschaffen kann, wenn sie mit Dialekt und Hochsprache zugleich aufwachsen. Die Schweizer sind mit ihrem Dialekt auch nicht der Sonderfall, der sie so gerne wären. Hunderttausende von Kindern wachsen in Deutschland mit Dialekten auf, sprechen zu Hause erst Badisch, Hessisch, Kölsch oder Platt und müssen Hochdeutsch genauso in der Schule lernen wie die Schweizer. Aber während in Deutschland der Dialekt ein schlechtes Image hat und als Sprache der Ungebildeten gilt, ist es in der Schweiz genau umgekehrt: Der Dialekt wird verherrlicht, Hochdeutsch abgelehnt. Hier liegt das Problem. (…)
Wer in Hochdeutsch ungeübt ist, dem fällt es selbstverständlich schwer, sich darin präzise auszudrücken. Weil wir also kein Hochdeutsch können, ist es eine Fremdsprache, und weil es eine Fremdsprache ist, müssen wir es auch nicht besser beherrschen.
Was dabei untergeht, ist jegliches Vermögen, sich in einer Schriftsprache auszudrücken. Abgesehen von der immer grösseren Geschwindigkeit, die Schweizer Jugendliche dabei entwickeln, wenn sie im Dialekt SMS schreiben oder emailen. Wir haben in vier Jahren Primarschulzeit in Bülach vermisst, dass auch nur ein einziges Mal ein zusammenhängender Text im Deutschunterricht geschrieben werden musste: Kein Aufsatz „Mein schönstes Ferienerlebnis“, keine spannende Nacherzählung, keine Entfaltung der freien Fabulierlust, all das wurde von den Kindern nicht gefordert. Höchstens mal ein Lückentext mit einer Einsetzübung.
Kaufmännisches Rechnen wurde ausgiebig geübt, schliesschlich wollen alle ins KV. Die Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken in dieser „Fremdsprache Deutsch“, ist kein Thema. Zum Glück gibt es ja die Schweizer Blogger, die uns täglich davon überzeugen, dass es noch Schweizer gibt, die Spass daran haben, sich in der Schriftsprache gekonnt zu äussern. Obwohl auch hier die Dialekt-Blogger-Welle rollt.
Mathieu von Rohr kommt zum Schluss:
Unser Verhältnis zum Hochdeutschen ist weniger ein Fall für die Pädagogen als einer für den Psychiater. Gegen die Vorbehalte, die inneren Blockaden, die deutschfeindlichen Reflexe, die zu dieser Deutschschweizer Sprachneurose geführt haben, kommt frühes Hochdeutsch in Schule und Kindergarten nicht an. Und doch ist es natürlich ein richtiger Schritt – vorausgesetzt, der Gebrauch des Hochdeutschen wird mit aller Konsequenz durchgesetzt. Trotz unwilliger Schüler, Lehrern und Eltern. Ist dieser Kraftakt geschafft, können vielleicht wenigstens unsere Kinder lernen, Hochdeutsch, die Sprache Frisch und Dürrenmatts, als das Eigene zu akzeptieren und nicht länger als das Fremde zu verteufeln. Vielleicht gar: Hochdeutsch zu lieben. Die Schweiz würde dran nicht zu Grunde gehen. Schon eher aus dem gegenteiligen Grund. Man kann nicht auf Dauer mit einer Sprache leben, die man verachtet.
Das konsequente Durchsetzen des Hochdeutschen, daran hat es uns immer gefehlt in den Bülacher Primarschulen. Dort wurde auf Dialekt gesungen, wurden die Leitmotive für das Handeln der Lehrer auf Dialekt im Treppenflur an die Wand gehängt, wurde mit den Kindern auf Dialekt Theater gespielt. Alles verpasste Gelegenheiten, spielerisch und vorbildhaft Standarddeutsch zu üben und zu gebrauchen. Leider Fehlanzeige.
Der Artikel von Mathieu von Rohr löste übrigens eine Flut von Leserbriefen aus, zustimmend wie ablehnend. Bis hin zu einer im Dialekt geschriebenen Aufforderung an den Autoren, doch für immer das Land zu verlassen.
Wir sind überzeugt davon, dass die Schweizer besser Hochdeutsch und Schriftdeutsch und Standarddeutsch sprechen und schreiben, als sie selbst glauben. Wir haben viele Schweizer kennengelernt, die es uns gekonnt vormachten, ohne mit der Wimper zu zucken. Schaut euch doch die vielen lesenswerten Schweizer Blogs an!
Diejenigen, die erst nur Schweizerdeutsch mit uns sprachen, trauten sich nach ein bisschen Ermutigung gleichfalls, ihr Hochdeutsch zu praktizieren. Es ist doch alles nur eine Sache des Selbstvertrauen und der Übung. Lasst Euch doch nicht einreden, dass ihr es nicht könnt! Die Deutschen sind doch auch nicht alle perfekt in Sachen Grammatik und Rechtschreibung.
Nehmt jede Gelegenheit war und sprecht Hochdeutsch mit Deutschen! Schlagt deren Aufforderung „Sie können ruhig Schwiizerdütsch sprechen“ einfach in den Wind und sprecht weiter Hochdeutsch mit Ihnen! Deutsch ist auch Eure Sprache, eure zweite Sprache. Ihr habt sie nicht von den Deutschen ausgeliehen nur zum Schreiben, ihr teilt sie Euch doch mit Ihnen. Und warum sollen die Deutschen diese wunderbare Sprache einfach so für sich alleine besitzen? Pflegt Eure Zweisprachigkeit wo ihr könnt und lasst Euch nicht hollandisieren!
Januar 8th, 2009 at 8:14
Nun ja, wir differenzieren doch schon stark zwischen dem geschriebenem und gesprochenem Wort. Wer aber in 4 Jahren Primarschule keinen einzigen Aufsatz schreiben lässt oder zusammenhängenden deutschen Satz lehrt, der hat meiner Meinung nach definitiv den Job verfehlt. Ich würde da wohl auf die Barrikade gehen oder die Kinder gar an einer Privatschule anmelden. Ich bin der Meinung der Grossteil der heutigen Primarschullehrer hat wenig Ahnung von den Anforderungen die das Leben heutzutage an einen jungen Menschen stellt. Mit esoterischem Körnchenpicken und „Semi-Plausch“ hat dies auf alle Fälle wenig zu tun.
Mit dem Akzent der ein Schweizer beim Sprechen hat, hat dies alles aber nichts zu tun. Ich kann mich an einen deutschen Professor erinnern, der mir gesagt hat, ich soll doch meinen Dialekt ablegen, er hätte dies auch gekonnt. Dafür präsentiert er sich nun mit seinem herrlich deutschem Englisch sehr gebildet 🙂
Ich bin der Meinung, man darf ruhig merken, dass jemand aus der Schweiz kommt – aber nur wenn er den Mund aufmacht oder das ‚ß‘ auf seiner Tastatur nicht findet.
Januar 8th, 2009 at 9:59
Schweizerdeutsch hin oder her, der Vergleich mit den Niederlanden („Hollandisierung“) ist fehlerhaft. Niederländisch hat sich nicht „im 17ten Jahrhundert selbst vom Deutschsprachigen Raum isoliert“. Da hilft schon ein kurzes Nachschlagen bei Wikipedia, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Niederl%C3%A4ndische_Sprache#Herkunft_und_Entwicklung
Januar 8th, 2009 at 11:25
Was um Himmels willen heisst „geschliffenes Hochdeutsch“? Ist es die verbreite (von Brei, Mus), also verbreite Sprache, die man hört, bei der ein „r“ zu „a“ wird, als „Zimmer“ als „Zimma“ ausgesprochen wird? oder was ist gemeint?
Januar 8th, 2009 at 13:39
Ergänzend zu Mare:
In diesen Videofilmchen kann man sein Deutsch so (ab-)„schleifen“ lernen, dass es auch deutschlandtauglich wird.
http://fr.youtube.com/watch?v=ECWoPwPK864
http://fr.youtube.com/watch?v=ymm35eet92Q&NR=1
http://fr.youtube.com/watch?v=rad4A5YZiJA
Zum Glück gibt es solche Analysen, die auch Deutschschweizern zeigen, dass nicht alles was „schön“ nach deutscher Manier ausgesprochen ist, auch geschliffenes Deutsch ist.
Januar 8th, 2009 at 14:11
@Mare
Es steht ja nicht, dass die schweizer Kinder geschliffenes HOchdeutsch sprechen, sondern dass sie dieses nachahmen (was ihnen natürlich nicht perfekt gelingt).
Das habe ich so auch bei meinen Kindern (9 + 11) erlebt.
Ich habe leider auch das Foglende erlebt:
Eine 50jährige St. Galler Primarschullehrerin, die im Unterricht „Hauchdeutsch“ spricht, mit unverkennbarem SG-Akzent.
Als meine Tochter dann (ausnahmsweise) in möglichst akzentfreiem Hochdeutsch einen Satz vorgelesen hat, wurde sie von der Lehrerin zurechtgewiesen.
Ich bin nicht der Meinung, dass meine Tochter dafür hätte gelobt werden müssen, aber dass es die Lehrerin offenbar nicht toleriert, wenn die Schüler besseres Hochdeutsch als sie selber sprechen… da bleibt mir die Sprache weg.
P.S. Ich bin Schweizer, hier aufgewachsen und habe keinerlei deutsche Vorfahren.
Januar 8th, 2009 at 14:31
Seit Jahren habe ich hier mitgelesen. Mein Gefühl, mich hier nun einschalten zu müssen, weil es ernst wird, trügt mich nicht. Jetzt gehen sie zum Angriff über, die Schweizer, jetzt wollen sie uns wirklich wieder los werden und schreiten zum Aeussersten: Sie wollen selber hoch- oder schriftdeutsch reden!
Das wird sich nicht durchsetzen. Ausserdem braucht es zum Leben nicht viel: Des ische so, is no schwiirick, is ja au net geng gliich, reichen doch völlig aus.
Und ein entschlossenes: Jätzt müent mer luege! entspricht nicht nur einem Tagwerk sondern der Aufgabe einer ganzen Woche. Lasst uns Deutsche den Rest machen, wir reden gerne, mitunter auch in zusammenhängenden Sätzen, die frei von gestelzten Floskeln sind, deren einziger Sinn darin besteht zunächst mal zu verdeutlichen, wo einer herkommt. Wir uebernehmen auch das Erstatten von Berichten; denn wir schreiben auch gerne.
Lasst Euch vom Wiese nicht anstiften. Besonders nicht die KV-Stifte. Es braucht die dritte und die vierte Reihe. Es braucht die, die Erbsen zählen. Da muss man nicht lange drüber nachdenken, da braucht es keine komplizierte Verhandlungen, keine Formulierungen, lasst das weiter uns machen und unsere Kinder. Die sprechen Dialekt mit Euch, können aber fliessend Schriftsprache und lernen nicht selten auf internationalen Schulen vieles gleich in Englisch.
Den Mundart Leserbrief habe ich geschrieben. Wir brauchen diese von Rohrs nicht. Wir brauchen Deutsche. Die reden Deutsch und wir schnurren im Dialekt. So müsst Ihr denken – Ihr seid katzengleiche Wesen.
Ja und Mare hat doch genau recht. Also Schweizer: Sperma die Ohren auf. Es bleibt so wie es ist. Nachher fangt Ihr noch an und lest Buecher. Meine einzige Hoffnung: Den von Rohr hat keiner gelesen – war ja Schriftdeutsch aber meinen Mundartbrief den sicher.
Januar 8th, 2009 at 16:42
@Mare:
Kürzlich verwendete ein Schweizer Germanist in meiner Gegenwart den Ausdruck „ARD-Deutsch“, vielleicht ist es das, was „geschliffenes Deutsch“ meint.
Oh Leute, dieser von Rohr! Wie Recht er doch hat! Der Hass auf alles Deutsche scheint tief verwurzelt zu sein. Was ich in seinen Ausführungen vermisse, ist Plan B für die Deutschschweizer, als Alternative zum Psychiater:
Man sollte den Dialekt (ja, ich weiß, es gibt viele!) verschriftlichen und sich, ähnlich wie in Norwegen, auf zwei offizielle Dialektvarianten einigen, die verschriftlicht werden und die offiziell zu Amtssprachen erklärt werden. So erhält die Mundart eine offizielle Berechtigung mit allem Pro und Contra. Bei den Verhandlungen werden die Fetzen fliegen. Aber es gibt zwei Möglichkeiten:
1. Mundart wird zur offiziellen Schriftsprache und die Schweizer genießen es, sie endgültig praktizieren zu dürfen.
2. Die Schriftform der Mundart endet im Desaster, da sie von der Mehrheit abgelehnt wird.
Das Eintreten von Möglichzeit 2 lässt Spekulationen zu, dass die begeisterte Mundartpflege unter gleichzeitiger Ablehnung der hochdeutschen Standardsprache weniger mit einer Ablehnung der deutschen Sprache und Kultur an sich zu tun hat, sondern dass es sich vielmehr um eine Ablehnung einer Standardsprache an sich handelt. Denn, eine Sprache, die nicht schriftlich praktiziert wird, entzieht sich jeder Standardisierung und damit jedem grammatischen und orthographischem Regelwerk.
Also, wo bleibt sie, die schweizerdeutsche Einheitssprache?
Januar 8th, 2009 at 19:03
Ja leider ist das so. Bin in der Schweiz aufgewachsen und Schweizerdeutsch war so etwas wie meine Muttersprache. Danach 35 Jahre Deutschland, musste erst einmal Hochdeutsch lernen. Bei meinen Besuchen ab Ende der Neunziger Jahre in der Schweiz hatte ich tatsächlich den Eindruck, dass der Dialektzwang fast pathologische Züge angenommen hat. Je unverständlicher umso besser.
Januar 8th, 2009 at 20:14
Man greife in den Wörtersack der Brüder Grimm und werde fündig.
Zum „Hochdeutsch“ findet man eine einfache, kurze und erhellende Textpassage:
…..um die zweideutigkeit von hochdeutsch ….. zu vermeiden, hat wie es scheint, zuerst BÖDIKER für die dialekte des höher gelegenen theiles von Deutschland die gesamtbezeichnung oberdeutsch gefunden: ich theile die teutsche sprache, dasz ich itzt von der altteutschen und auch niederländischen nichts sage, inner Teutschland ab:
1. in die niederteutsche, 2. oberteutsche, und 3. hochteutsche. …..
die hochteutsche sprache ist keine mundart eines einigen volks oder einer nation der teutschen, sondern aus allen durch fleis der gelehrten zu solcher zierde erwachsen, und in ganz Teutschland im schreiben der gelehrten wie auch im reden vieler vornehmer leute üblich. …..
FRISCH nimmt die neue bezeichnung auf, deren bedeutung er in seinem wörterbuche angibt:
die bücher so im oberteutschen dialect ehmal geschrieben sind ….. darunter sind die meisten die schweizerischen alten chroniken .. und die wenigern die oberrheinischen, schwäbischen, bayerischen, oesterreichischen, etc. ADELUNG hat dieses wort zur allgemeinen geltung gebracht.
Wenn man diesen alten Text ruhig und emotionsfrei liest, wird manch ein Hitzkopf den Begriff „Hochdeutsch“ nicht mehr als die Sprache des arroganten und geschliffen ( etwa wie ein Stilett?) sprechenden Teufels (wohl damit ein Deutscher gemeint) empfinden, wie solch eine delikate Weisheit mir auch schon in der Schweiz in Alemannisch ins Ohr gebrüllt wurde.
Die Sprache in Norddeutschland als Niederdeutsches / Plattes wurde in den letzten 200 bis 300 Jahren durch die Anwendung der weiter entwickelnden hochdeutschen Sprache durch (fast sklavisches) nachsprechen der Schriftform nun zur sog. innerdeutschen Schriftsprache. Scheinbar ohne Akzent bzw. Dialekt.
Es muss aber beachtet werden: Der tatsächliche niederdeutsche / plattdeutsche Dialekt wirkte durch seine eigentümliche und trockene, spitzige (eigentlich zum süddeutschem / oberdeutschem Deutsch verglichen m. E. eigentlich FALSCHE) Betonung ein. Dies wird inzwischen als richtige Betonung in der Sprachanwendung empfunden und auch (leider) als zur Zeit das Korrekte angesehen.
Viele alemannisch sprechenden Menschen in Süddeutschland (Oberdeutschland), Schweiz, Österreich, FL uam. auf beiden Seiten des Rheins können, wollen und möchten oft sich nicht vorstellen:
Die früheren sprachlichen Grundlagen ihrer Vorfahren in Verbindung der Sprache / Regionaldialekte / Druckkunst / Sitten / Kultur haben zur Entwicklung der hochdeutschen Sprache geführt, die sie nun allzu oft irrational ablehnen.
So werden eigene sprachliche, kulturelle und zwischenmenschliche Möglichkeiten gerne auf dem Altar des Populismus geopfert.
Der „witzige“ Gipfel: „Wir können alles, außer Hochdeutsch!“
Dat is ne Ironie: Der Schöpfer lehnt sein eigenes Produkt ab!
Nix Humor: Dümmer geht’s nimmer!
Januar 10th, 2009 at 15:07
Ich bin gebürtiger und dort lebender Augsburger, verfolge diesen Blog einfach aus Interesse.
Augsburg ist die Hauptstadt vom Bezirk Schwaben – einer der sieben bayrischen Bezirke! Ja Schwaben gibt es nicht nur in Württemberg. Auch wenn unser Dialekt „Lechrainisch“ genannt wird von den Germanisten, kurz gesagt eine Mischung aus Altbairisch und Alemannisch. Was auch dazu führt dass wir weder von Schwaben, Schweizern noch von Bayern oder Österreichern wirklich gut verstanden werden wenn wir in Mundart reden. Von Norddeutschen gar nicht erst zu reden. Und auch weil die wenigsten Augsburger auch einheimische sind (alleine 33.000 Russen leben hier) ist Hochdeutsch die erste Alltagssprache, die Mundart etwas für „Spezis“ (unser Wort für „Freunde“, nach dem sogar ein Getränk benannt wurde – ja, das Spezi kommt aus Augsburg! 😉
Daher lasst mich kurz aus meiner Schulzeit erzählen, da ich meinen 20ern stecke ist die gar nicht lange her. Echte „Aukschburgr“ waren unter Lehrern die Schülern in der absoluten Minderheit, ob man dem Lehrer sagte „I wois nedda“, „Isch weiss nischt“ oder „Ich weiss nich“ – alle Antworten haben ihm gleich wenig gefallen.
Außer bei Aussprachevarianten habe ich die Herkunft meiner Lehrer eben nur am Akzent gehört. Der eine stellte sich als „Schemielehrer“ vor, der andere unterrichtete „Chemie“, und der Lehrer von hier natürlich „Kemie“. Ansonsten hab ich Mundart und Umgangssprache von meinen Lehrern nur am Wandertag („Ausflug“) oder bei gesprächen von Lehrern mit Kollegen untereinander erlebt.
All dies hat weder dazu geführt dass ich meine Mundart nicht beherrschen würde noch dazu dass unsere Mundart vom Aussterben bedroht wäre. Es gibt an der lokalen Uni sogar eine sehr aktive Mundartfakultät die zu den prominentesten im ganzen deutschen Sprachraum zählt. Es hat aber dazu geführt dass ich die deutsche Sprache, und ihre Mundarten, liebe; einen sehr großen (wenn meist auch nur passiv gebrauchten) Wortschatz besitze und auch im Deutsch LK immer gute Zensuren erhielt.
Dennoch reicht mir und meinen Spezis zur Kommunikation etwas was einer meiner Freunde aus Köln mal als „Grunzen“ bezeichnet hat. Ich kann aber anders wenn ich will oder muss. Und dies sehe ich als Bereicherung, nicht als Angriff auf meine Identität als Augsburger oder meine Mundart.
Die Schweizer kommen mir in diesen Dingen immer sehr kleinkariert und provinziell vor. Die Münchner (immerhin 4x soviele Einwohner wie Zürich, auch in der „Agglo“!) bezeichnen ihre eigene Stadt ja auch ohne falsche Scham als „Millionendorf“. Womit sie recht haben, was aber doch kein Makel ist!
Seid’s einfach gelassen, leben und leben lassen.
Januar 10th, 2009 at 22:45
@ Michi
Ich glaube, dass du in deinem Umfeld die richtige Einstellung zu deiner Mundart gefunden hast. Und du hast auch begriffen, dass du wortschatzmässig als perfekter Sprecher zweier Varianten der Muttersprache (Mundart und Standarddeutsch) einen grossen Vorteil hast.
Dass aber die Deutschschweizer «in diesen Dingen» kleinkariert und provinziell sind, muss ich verneinen. Wenn ein paar lautstarke kleinkarierte Superpatridioten plus eine gewisse Menge provinzielle Mitläufer die hochalemannischen Mundarten zu einer eigenen Nationalsprache heranschrei(b)en möchten, sind das noch lange nicht «die Schweizer».
Es ist aber so, dass der Dialekt in der deutschen Schweiz die wirkliche Umgangssprache ist. Das kann einem gefallen oder nicht, alle haben sich damit zu arrangieren (was nicht heisst, dass alle Einwanderer eine hiesige Mundart lernen müssen). Die meisten Dialekte in der räumlich kleinen deutschen Schweiz gleichen einander so, dass man sich problemlos versteht. Das ist in Deutschland nur schon deswegen anders, weil die Distanzen und somit auch die Unterschiede zwischen den Dialekten viel grösser sind. Was wiederum zur Folge hat, dass die Standardsprache für die Verständigung innerhalb eures Sprachraumes wesentlich wichtiger ist als bei uns.
Ansonsten hast du Recht mit dem Aufruf zu mehr Gelassenheit. Aber etwas beschäftigt mich doch noch: Stammte der Schemielehrer aus Schina oder aus Hhile? Oder kam er gar mit dem Iumbo-Iet aus Iamaika? 😉
Januar 11th, 2009 at 15:32
Das Phänomen mit der Ablehnung der Standardsprache zeigt sich auch innerhalb unserer kleinsten Sprachgruppe, der Rätoromanen. Da wird das romantsch grischun, die von Sprachwissenschaftlern und Lehrern entwickelte Standard- und Schriftsprache auch eher argwöhnisch beäugt und ist für viele Rätoromanen eben immer noch nicht ihre Sprache, sondern nur das über Jahrhunderte gewachsene Romanisch, das man in ihrer Region spricht. Sprache ist halt immer auch geistige Heimat, ein Anker, an den man sich halten kann, mir rein rationalen Argumenten muss man da niemandem kommen. Klar, wäre es am rationalsten und rationellsten, alle würden weltweit eine einzige, standardisierte Sprache sprechen und schreiben (würde dann wohl USA-Englisch sein). Dazu wird es aber nie kommen, weil … siehe oben. Und wisst Ihr was? Das ist ganz gut so. Es lebe Schweizerdeutsch, es leben seine lebendigen Dialekte, in denen wir uns zuhause fühlen. Wer gerne lupenreines Deutsch sprechen möchte, soll sich in der Gegend von Hannover niederlassen. So würden alle glücklich.
Januar 14th, 2009 at 18:44
servus liebe schweizer,
warum ich hier schreibe? ganz einfach zum ersten is es wahnsinnig interessant aber gleichzeitig auch sehr deprimierend warum ihr so einen hass gegen die deutschen habt und zum zweiten möcht ich hier einfach mal meine meinung zu alldem loswerden.. erst mal zu meiner person: ich bin deutsche wohne in münchen komme aber ursprünglich aus einem winzigen dorf, bin also richtiger bayer was mich an münchen wahnsinnig aufregt ist die tatsache dass nur „feinstes hochdeutsch“ geredet wird! ich musste und noch dazu als deutsche erstmal hochdeutsch lernen nachdem wir nach münchen gezogen sind und mir gefällt dass überhaupt nich weil hochdeutsch eben so klingt als hätte man nen stock im arsch um es mal genau zu sagen, da wo ich herkomme wird nur tiefstes bayrisch geredet und dass ist auch gut so! ja ich bewundere euch schweizer für eure sprache oder dialekt je nachdem wie ihr dass seht weil ihr einfach dabei bleibt und euch nicht verbiegen lässt! für was hochdeutsch also? ihr seit deswegen nicht weniger intelligent als deutsche! natürlich gibt es deutsche die sich über eure sprache lustig machen, aber es sind eben nicht nur deutsche sondern auch andere nationalitäten…und ich bin mir sicher dass es schweizer gibt die sich genauso lustig über dialekte der deutschen lustig machen (irgendwo verständlich schaut man sich die schwaben, berliner, sachsen an;) münchen hauptstadt von bayern ich geh in ein geschäft denke gerade nicht daran dass ich ja eigentlich hochdeutsch sprechen sollte und sag zur verkäuferin: servus kanntn sie mir a moi heifa i find des oane buach ned und a scheene koatn brauch i a no für an burtsdog! ich werde jetzt von der verkäuferin erst mal richtig blöd angeschaut und dann sagt sie: wenn sie hochdeutsch reden würden, könnte ich schneller in meine mittagspause gehen und würde auch verstehen was sie da komisches von sich geben! im ernst dass ist mir vor weihnachten letztes jahr passiert! also lieber schweizer was ich damit zeigen wollte bleibt bei eurer sprache verbiegt euch nur weil in deutschland hochdeutsch angesagt ist heisst es noch lange nicht dass es jeder kann und arrogant sind auch alle deutschen nicht! es ist schön wenn jemand bei seiner sprache bleibt ich würde mir dass auch wünschen dass wenn ich schon in bayern bin dass dann auch gefälligst so gesprochen wird wie es sich nun mal in bayern gehört…na denn servus mitanand und no a guade woch 😉
Februar 1st, 2009 at 14:48
Guten Tag,
Ich bin dafür, dass wir auch in Zukunft hochdeutsch schreiben. Wir gehören zum deutschen Sprachraum. Aber sprechen ..? Die deutsche „Standard“-Sprache ist eine Schriftsprache, also ausschliesslich zum Schreiben zu verwenden. Sprechen kann man sie nicht, denn: etwas das standardisiert ist, ist tot! Die französische Sprache erweist sich demgegenüber als sehr lebendig. Sie wird täglich verändert, ergänzt, ausgeweitet (ohne Anglizismen). Nicht nur Anderssprachige, auch die Franzosen sind sprachlich pausenlos gefordert. Diese Lebendigkeit ist natürlich auch sämtlichen deutschen Mundarten eigen (DE Oe CH), nicht aber der deutschen Standardsprache, da sie viel zu „verreglementiert“ und steif ist. Daneben wird sie gerade von Deutschen abgehackt statt fliessend gesprochen. Jede Silbe ist einzeln hörbar, wogegen in den Dialekten und im Französischen darauf geachtet wird, möglichst zusammenhängend zu sprechen. Schweizer werden sich an die Gift und Galle spuckenden Lehrkräfte im Französischunterricht erinnern: „Faites la liaison!!!“
Übrigens: Schweizer sprechen im Allgemeinen langsam – hochdeutsch jedenfalls. Ich weiss aber jetzt, wieso eine Freundin aus England immer behauptete, die Schweizer sprächen wahnsinnig rasch, kaum mitverfolgbar (und das in BE / SO). Wir haben eine geraffte Sprechweise; es werden beinahe nur die betonten Vokale (Selbstlaute) ausgesprochen, die Wörter sind meist zweisilbig oder werden entsprechend gekürzt, Endungen werden gekappt. Ich habe zum Spass letzthin versucht – bloss im Kopf – die Aussage eines Radio-Gastes simultan (gleichzeitig) ins Schriftdeutsche zu übersetzen. Ich geriet immer mehr ins Hintertreffen. Was im CH-Deutschen mit einem knappen Ausdruck dargelegt werden konnte, benötigte im Hochdeutschen einen halben Satz. Das war mir vorher noch nie so krass aufgefallen. Wenn ich gut drauf bin und mich das Thema packt, gelingt es mir oft sogar, aus dem Französischen simultan ins Schweizerdeutsche zu übersetzen. Auch die Satzstellung von CH-Deutsch ist oft identisch mit der französischen. Die deutsche Anordnung weicht manchmal ab, so dass wir mitten im Satz stocken und neu – mit einem anderen Satzteil – beginnen müssen. Deutsche haben dann den Eindruck: „Die bringen es nicht mal fertig, einen Satz ordentlich zu Ende zu bringen!“ Das passiert offenbar auch Schweizern, die schon länger in Deutschland leben: Huch, falsch angefangen – nochmals von vorn!
Liebe Deutsche, lasst uns doch unsere Identität! Wir möchten nicht ein minderwertiger Abklatsch von Euch sein, sondern etwas Eigenständiges. Messt nicht immer alles am deutschen Vorbild. Seht Euch als eine Ausgabe (Variante) unter vielen!
Sid so guet, gäuet!
s Margrit
Februar 7th, 2009 at 13:11
„…die Aussage eines Radio-Gastes simultan (gleichzeitig) ins Schriftdeutsche zu übersetzen. Ich geriet immer mehr ins Hintertreffen. Was im CH-Deutschen mit einem knappen Ausdruck dargelegt werden konnte, benötigte im Hochdeutschen einen halben Satz.“
Dafür geht das simultane Übersetzten von hochdeutsch geschriebenem Text ins Schweizerdeutsche ganz gut. Auch wenn meine Kinder inzwischen Hochdeutsch verstehen würden, lese ich immer noch alles auf Schweizerdeutsch vor, alles andere würde zu Protest führen.
Was ich aber nicht ausstehen kann, sind schweizerdeutsche Texte. Ich habe Mühe diese zu verstehen und ausserdem wäre es ja immer noch nicht mein Dialekt (Luzern Stadt, Luzern Land, Zürich) und müsste also trotzdem noch übersetzt werden…