Darf man eigentlich mit Deutschen Mundart reden, auch wenn sie uns nur halbwegs verstehen?

November 9th, 2007
  • Mit Deutschen Mundart reden, darf man das?
  • Die Pendlerzeitung „20Minuten“ vom 6.11.07 fragte ihre Leser

    „Darf man eigentlich mit Deutschen Mundart reden, auch wenn sie uns nur halbwegs verstehen?“

    Rolf Fuchs, Sprecher Migrosklubschule, Anbieter von Mundartkursen: „Jein. Ja, denn so lernen es die in der Schweiz wohnhaften Deutschen am ringsten. Aber nein, da man deutsche Gäste, die nicht in der Schweiz wohnen, in Hochdeutsch ansprechen sollte. Der Knigge gebietet das. Aber: Wer weiss, vielleicht verstehen Deutsche unsere Mundart besser als unseren Versuch, ein gutes Hochdeutsch zu sprechen …“
    69 % stimmten mit JA, 31 % NEIN

    20 Min vom 6.11.07

    Man darf auch mit den Steinen in Graubünden sprechen. Die verstehen einen zwar nur halbwegs, aber es beruhig ungemein.

  • Wie spricht man „am ringsten?“
  • Bitte liebe Schweizer, sprecht weiterhin möglichst nur Mundart, denn nur so lernen wir rasch und unverkrampft so hübsche Wörter wie „am ringsten“. Ring, ringer, am ringsten. In Köln am Ring wohnt niemand gern, die Steigerung „am ringsten“ muss etwas typisch Schweizerisches sein. Wollen wir uns gleich merken.

  • Pop-Art, Op-Art, Cologne Fine Art, MundArt
  • „Art“ steht für Kunst, und in Art-Kursen, so wie Mund-Art-Kursen wird nun welche Kunstrichtung vermittelt? Richtig, die „Mund-Art“. Nach Pop-Art und Op-Art momentan ungeschlagen in der Popularität.

    „Wer weiss, vielleicht verstehen Deutsche unsere Mundart besser als unseren Versuch, ein gutes Hochdeutsch zu sprechen“. sagte Rolf Fuchs. Als grosser Fan jeder Kunstrichtung versuchen wir uns auch in Mund-Art. Warum die Schweizer allerdings nicht einfach ihre Sprache sprechen, von der doch sonst immer verbissen die Rede ist, haben wir noch nicht verstanden.

    Woran erkennt man eigentlich,die „deutschen Gäste, die nicht in der Schweiz wohnen“am Aussehen? Haben die einen Zettel „Made in Germany“ an der Stirn kleben? Ist es die Schlussfolgerung auf Basis eines munteren „Werweissens“ , welches die Deutschen als Deutsche entlarvt? Zur eindeutigen Erkennung benötigt man lediglich einen Messgerät zur genauen Feststellung des „bewerteten Schalldruckpegels“, denn merke die einfach Regel: Deutsche sind immer lauter!

  • Bescheidenheitstopos bei den Schweizern
  • Was soll diese ständige Understatement von wegen „unseren Versuch, ein gutes Hochdeutsch zu sprechen“? Es ist ein alter Trick aus der Mottenkiste der Rhetorik, bekannt unter der Bezeichnung: „Bescheidenheitstopos“. Sie kennen sicher die Situation, wenn jemand seine Rede eröffnet mit „ich bin kein grosser Redner“ und dann zwei Stunden ohne Punkt und Komma spricht. Er gehört zum permanenten rhetorischen Rüstzeug eines Schweizers, so zu sagen „ab Werk“ mitgeliefert. „Wir sprechen gar kein Hochdeutsch, nur Schriftdeutsch“.

    Um zur anfänglichen Fragestellung zurückzukommen: „Darf man eigentlich mit Deutschen Mundart reden, auch wenn sie uns nur halbwegs verstehen?“. Na klar darf man, wenn man nichts zu sagen hat braucht man ja auch nicht verstanden werden. Anders ausgedrückt: Wenn 50% der beabsichtigten Aussage ohnehin unsinniger Schrott ist, dann ist es doch eine glückliche Fügung, dass der Deutsche Gesprächspartner genau diesen Teil nicht verstehen wird.

    Anders kann ich mir diese Aussagen nicht erklären: „Ganz egal ob die nur die Hälfte verstehen, ich rede weiter wie mir der Schnabel gewachsen ist.“ Was steht da für eine Geisteshaltung dahinter? Sind das die gleichen Leute, die einfach lauter sprechen, wenn sie merken, dass ein ausländischer Tourist ihre Sprache nicht versteht?

    Nicht Weihnachten sondern Einnachten

    November 8th, 2007
  • Ich nachte ein, du nachtest ein, eine Nacht zum Einnachten
  • Wie immer sind des die kleinen Sprachfunde des Alltags, die seit unserem Umzug in der Schweiz bei uns die Überlegung aufkommen lassen: „Wie konnten wie bislang ohne dieses Wort überhaupt leben“?

  • Es wird Nacht Senorita
  • Der Wahlschweizer Udo Jürgens (seit Februar 2007 Österreichisch-Schweizerischer Doppelbürger ) dichtete schon 1969:

    Es wird Nacht, Senorita, und ich hab‘ kein Quartier.
    Nimm‘ mich mit in dein Häuschen, ich will gar nichts von dir!
    Etwas Ruhe, vielleicht; ich bin müde vom Wandern,
    Und ich bin außerdem nicht so schlecht wie die andern!

    Es wird Nacht, Senorita, sei nicht grausam zu mir!
    Nimm‘ mich mit in dein Bettchen, ich will gar nichts von dir!
    Einen Kuß nur, vielleicht; ich bin müde vom Wandern,
    Doch ich küsse auch dann nicht so schlecht wie die andern!

    Es wir Nacht, Senorita, siehst du nicht, wie ich frier‘?
    Drück‘ mich fest an dein Herzchen, ich will gar nichts von dir!
    Etwas Liebe, vielleicht; ich bin müde vom Wandern,
    Doch ich lieb‘ dich auch dann nicht so schlecht wie die andern!
    (Quelle: udojuergens.de)

    Zu diesem Text braucht wir nichts zu schreiben, geschweige denn ihn parodieren. Man sollte ihn als Rap neu herausbringen: „Ich bin müde vom Wandern, doch ich lieb‘ dich auch dann nicht so schlecht wie die anderen!“. Binnenreime, dass es nur so fetzt.

    Was wäre das für ein Lied geworden, wenn Jürgens „Es nachtet ein, Senorita“ gesungen hätte?

  • Nicht einschlafen, einmachen oder einsingen, sondern „einnachten“.
  • Viele Verben mit der Vorsilbe „ein“ fallen uns ein. „Einfallen“ zum Beispiel, oder „einschlafen“, „einmachen“, „einsingen“ oder „einnässen“. Aber „einnachten“?

  • Beim Einnachten zu Hause
  • Wir fanden im Internet

    Während der Dämmerung drohen vermehrt Einbrüche
    Erfahrungsgemäss nehmen nach der Umstellung auf die Winterzeit die Einbrüche in Einfamilienhäuser und Erdgeschosswohnungen zu, da viele berufstätige Bewohner beim Einnachten noch nicht zu Hause sind
    (Quelle: zio.ch)

    Unser Duden führt es „für einmal“ als unpersönlich „schweizerisch“ auf:

    einnachten sw. V.; hat; unpers.› (schweiz.): [allmählich] Nacht werden: heute nachtet es früh ein.
    (Quelle: duden.de)

    Jetzt im November, wenn es früh einnachtet, sollten wir es konsequent einführen, dieses „Einnachten“, und durch regelmässigen Gebrauch als Ersatz für „Es wird Nacht“ im Standard-Deutschen etablieren. Irgendwann schreibt dann sicher auch Udo Jürgens seinen Song um. Er könnte es ja dann durch so einen Trichter, genannt „Folle“ probesingen.
    Betruf durch Folle
    (Quelle Foto: Schweizerische Verkehrszentrale Zürich)

  • Beim Einnachten hört man den Bättäriäfä
  • Wer im Sommer am Abend in den Schweizer Bergen unterwegs ist, kann dort die akustische Begleitung des Einachtens vernehmen. Dieser Brauch heist „Betruf„, wobei hier kein Schreibfehler vorliegt und auch keine Kinder zu Bett gerufen werden. Es ist ein „Gebet-Ruf“:

    Dieses „Bättäriäfä„, wie es in einem der Urner Dialekte heißt, ist seinem Wesen nach ein Gebetsruf, mit dem der Senn – einen Bannsegen einschließend – Herde, Hütte und Weiden den Schutzheiligen sowie der Fürbitte der Mutter Gottes anbefiehlt. Ursprünglich wohl mit Zauber- und Viehsegen aufs engste verschwistert, stellt der Ruf seit dem 16. Jahrhundert eine mehr und mehr ins Christlich-Religiöse umfunktionierte Abwehr, Bitt- und Bann-Handlung dar, welcher das „Abgöttische“ vorerst noch anhaften blieb.
    (…)
    Der Betruf wird durch einen Milchtrichter, die „Folle“ gerufen, um den Schall megaphonartig zu verstärken. Seit wann dieses Hirtengerät nachweislich im musikalischen Sinne für den Bittruf gebraucht wird, ist schwer festzustellen.
    (Quelle: uni-bamberg.de)

    Wo ist die Taschenmunition? — Über das Loslassen können und das Versteckspielen

    November 7th, 2007
  • Das Lob für das Loslassen
  • In der frühkindlichen Entwicklung gibt es eine wichtige Phase, in der ein Kind lernt, dass „etwas loslassen können“ eine Fähigkeit ist, mit der sich eine enorme Wirkung erzielen lässt. Genannt wird diese Phase die „Anal-Phase“, bei der die Steuerung des Stuhlgangs vom Kleinkind, gemäss Sigmund Freud, bewusst eingesetzt wird, um damit Lob oder Kritik von Seiten der Bezugsperson Mutter zu erhalten: „Das hast Du fein gemacht!“ erfolgt als Lob nach dem grossen Geschäft. Loslassen können ist eine interessante Erfahrung für das Kind. Es kann steuern, ob es gelobt wird oder nicht.
    Wir lasen bei Wikipedia:

    In der analen Phase (von lat. anus: der After), die sich etwa vom zweiten bis zum dritten Lebensjahr vollzieht, erlangt das Kind zuerst durch das Ausscheiden von Exkrementen (Defäkation) und anschließend durch deren Zurückhaltung Befriedigung. Abhängig von kulturellen Normen können äußere Anforderungen in Konflikt zu diesen Bedürfnissen stehen, wodurch die Freude, die das Kind an dieser Stimulationszone empfindet, reguliert und unterdrückt wird. Diese Phase trägt zur Reinlichkeitserziehung, zum Erlernen des sozialen Miteinanders, zur Konfliktfähigkeit und zur späteren Über-Ich-Entwicklung bei. Nach Freud kann das Kind in der analen Phase in Konflikte geraten, je nachdem, wie von den Erziehern mit der Sauberkeitserziehung umgegangen wird. Ungelöste Probleme können unter Umständen zur Herausbildung eines so genannten „analen Charakters“ führen, der durch Geiz, Pedanterie und übertriebenen Ordnungssinn gekennzeichnet sei (siehe auch zwanghafte Persönlichkeitsstörung).
    (Quelle: Wikipedia)

    Das mit dem Loslassen ist also unter Umständen extrem schwierig und führt mit unter sogar zu „Zivilem Ungehorsam“. So zu beobachten derzeit in der Schweiz.

  • Von der Notdurft zur Notwehr
  • Im Tages-Anzeiger vom 07. Juni 2007 lasen wir

    Aktion «Notwehr» will Munition behalten. Im Berner Oberland hat sich ein Kampftrupp gebildet, der zum zivilen Ungehorsam gegen den Bundesrat aufruft. Bern. – Die Aktion «Notwehr jetzt!» hält die Schweizer Soldaten an, auf keinen Fall ihre Taschenmunition ins Zeughaus zu geben. Auch wenn dies der Bundesrat wolle.
    (Quelle: Tages-Anzeiger Online)

    Taschenmunition
    (Quelle Foto: zentralschweiz online)

    Die Aktion wurde ein nun umgesetzt:

    Plötzlich geht alles sehr schnell. Einen Monat nachdem das Parlament beschlossen hat, die Munition sei den Wehrmännern nicht mehr nach Hause mitzugeben, beginnt die Armee mit dem Einziehen der 257’000 Munitionspackungen. Bereits Ende 2008 soll der Grossteil eingesammelt sein. Wer die Munition nicht im WK abgibt, muss sie ins Zeughaus bringen.
    «Dass die Munition so rasch eingezogen wird, grenzt an Notrecht», sagt Werner Gartenmann, Initiator der Aktion «Notwehr jetzt!». Der Berner SVP-Politiker und Vize-Geschäftsführer der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) ruft zum Ungehorsam auf. Bereits hätten sich hundert Armeeangehörige entschieden, die Munition nicht abzugeben. Unter ihnen seien Mitarbeiter des Verteidigungsdepartements und auch Nationalräte.

    Da wird gehalten und gedrückt, was das Zeug hält. So lange kein Lob oder sonstiger Ansporn vom Über-Ich erfolgt, wird nicht losgelassen. Vielleicht lässt sich die Situation aber durch ein gemeinsames „Versteckspiel“ entschärfen:

    Gartenmann ist bereit, die Konsequenzen seines Verhaltens zu tragen – ihm droht eine Strafuntersuchung wegen des Aufrufs zum Ungehorsam. Die Munition gebe er aber keinesfalls her. Vielmehr verstecke er sie nun an einem sicheren Ort.
    (Quelle: Tages-Anzeiger 5.11.07)

    Bitte nicht in irgend einen der vielen schönen Schweizer Seen werfen. Dieses Versteck ist bereits bekannt, weil es in der Vergangenheit zu oft verwendet wurde.

  • Der Teppichklopfer bleibt daheim!
  • Als aussenstehende Beobachter sind wir äusserst gespannt, wie diese Entwicklung weiter verlaufen wird. Bis dahin ölen und fetten wir fleissig weiter unseren, selbstverständlich daheim aufbewahrten und vollständigen, nicht zerlegten Teppichklopfer. Wir empfehlen allen emotional Beteiligten, es uns gleich zu tun und sich nicht durch die derzeitige Aufregung beirren zu lassen.

    Zürich zu Deutschland — Über den herzlichen Umgang der Schweizer miteinander

    November 6th, 2007
  • Zürich zu Deutschland
  • In Zürich leben heute mehr als 22 000 Deutsche. Hinzu kommt eine grosse Anzahl Grenzgänger aus dem nahen Schwarzwald. Allein am Flughafen in Kloten arbeiten 600 Grenzgänger. Während des in allen Schweizer Medien verbissen und mit letzter Energie ausgetragenen Wahlkampfes zu den Nationalratswahlen wurde uns von einem neutralen Beobachter dieses Wahlplakat zugespielt.
    Zürich zu Deutschland

    Es zeigt deutlich, dass die erhebliche Zuneigung, welche die Deutschen in der Schweiz jeden Tag aufs Neue erfahren dürfen, sie auf eine Stufe stellt mit den Zürchern, die es im Kanton Zürich übrigens auch noch gibt! „Zürich zu Deutschland“, das ist doch mal ein konstruktives und pragmatisches Angebot für eine Verbesserung der Deutsch-Schweizer Beziehungen. Dann brauchen die Deutschen nicht mehr einwandern sondern nur noch umziehen.

  • Via Transit durch Zürich
  • Ob man für die Fahrten vom Aargau in den Kanton Schaffhausen dann einen längeren Tunnel bauen sollte? Oder doch nur eine zollfreie „Transitstrecke“, ähnlich der Flughafenstrasse von Basel zum Airport in Mulhouse?

    Wer die Details dieser Karte anschaut, wird noch weitere Entdeckungen machen: Das Puschlav gehört auf dieser Karte auch nicht mehr zur Schweiz und das Oberengadin fällt Italien zu. Die Orte Rüdlingen, Buchberg und Stein am Rhein wurden gleichfalls Deutschland zugeschlagen. Ist halt nicht so einfach mit der Schweizer Geographie.

  • Was tun mit den Zürchern in den Bergen?
  • Dass man mit Zürchern in den Bergen der Schweiz durchaus etwas Sinnvolles anzustellen weiss, zeigt dieser nette YouTube-Clip:

    Uns erfreut daran vor allem die überschwengliche und rasche Kommunikation des Einheimischen.

    Jetzt gehen sie wieder — Gehen sie wirklich?

    November 5th, 2007
  • Katrin Wilde kam nicht wieder
  • Am letzten Sonntag den 28.10.07 erschien in der NZZ ein Bericht von Sacha Batthany mit dem Titel „Jetzt gehen sie wieder“. Es ging um die Ereignisse um die deutschen Radiomoderatorin Katrin Wilde:

    Katrin Wilde (Bild: Lüs)
    (Quelle Foto: Lüs / 20Min)

    Gegen 600 E-Mails hat Katrin Wilde in nur drei Monaten erhalten, Rekord. Einige sollen aufmunternd gewesen sein, einige neutral. Viele mies und ein bisschen rassistisch. Büchi: «Und weitere fünfzig waren unter jeder Sau. Drei davon lebensbedrohend.» Ein Auszug: «Ihr Deutschen seid eine Epidemie.» Oder: «Frau Wilde, wenn Sie das nächste Mal in Ihr Land fahren, nehmen Sie den Viehtransporter, pferchen all Ihre Landsleute rein und bleiben, wo Sie herkommen.» Oder: «Schade, dass die Gasöfen in Deutschland abgestellt wurden. Denn da gehören Sie hin.» Nachdem man Katrin Wildes Auto demoliert hatte und sie ihre Wohnung ohne Alarmknopf nicht mehr verliess, gab sie dem deutschen Nachrichtenmagazin «Focus» ein Interview, in dem sie sich über die Schweiz beschwerte, was zu noch heftigeren Reaktionen führte. Katrin Wilde, erst 22, suchte Schutz bei ihren Eltern in Saarbrücken und kam nicht wieder.

    Sacha Batthany konnte seinen Artikel auch noch an den Stern verkaufen. Der dezente Titel dort: Ihr Deutschen seid eine Epidemie. In den letzten Tagen wurde mir der Link zur NZZ-Online Artikel und zum Stern-Online mehrfach zugeschickt, immer mit der besorgten Frage verknüpft: „Ist es wirklich so schlimm?“. Das erinnert uns an die Geschichte von dem Mann, der aus dem 10 Stockwerk eines Hochhauses fiel, und als er am 6. Stock vorbei fiel bei sich dachte: „Bis jetzt war das doch alles gar nicht so schlimm“. Nein, es ist nicht schlimm in der Schweiz.

    Nachdem am 4. Januar 2007 im Spiegel-Online mit dem Artikel „Geht doch heim ins Reich“ zum ersten Mal ein paar Geschichten über die allgegenwärtige Freundlichkeit mancher Schweizer Angesichts der vielen deutschen Gastarbeiter erschien, und der BLICK mit seiner Serie „Wieviele Deutsche verträgt die Schweiz“ (entwickelt von einer deutschen Werbeagentur) erfolgreich die Diskussion anheizte, war lange Ruhe im Schweizer Medienwald. Die Deutschen strömten munter weiter, von 170 000 stieg die Zahl auf 180 000, jetzt ist sie bei 188 137. So stand es in der NZZ, und dieses Blatt muss einen Zähler an der Grenze installiert haben, der täglich aktualisierte Zahlen liefert.

  • Nicht die erste Deutsche in der Schweizer Medienlandschaft
  • Katrin Wilde hatte einen exponierten Job als Moderatorin bei einem Lokalradio, bis dato eine Domäne, in der ausschliesslich Schweizerdeutsch gesprochen wurde, was per Definition nur Schweizer können, wie wir alle wissen. Was nicht heissen soll, dass sie die erste Deutsche in dieser Branche ist. Tontechniker, Musikredakteure, Journalisten, Kameraleute, die Schweizer Radio- und Fernsehlandschaft wird zu einem beträchtlichen Teil von Deutschen mitgestaltet. Nur halten die sich dezent im Hintergrund und machen dort die Jobs, für die es auf dem Schweizer Arbeitsmarkt nicht genügend Qualifizierte gab. Schweizerdeutsch am Mikrofon hat sie nicht gesprochen, und das störte so manchen Hörer.

    Katrin Wilde sprach schnell und flapsig, sie machte Witze, kündigte die neusten Hits an und sagte schlechtes Wetter voraus. Und sie machte ihre Sache gut. Drei Monate lang war sie «on air», dann blieb ihr die Luft weg. Katrin Wilde war die erste deutsche Moderatorin eines Schweizer Lokalradios, sie sagte «Guten Morgen» statt «Grüezi», was von Beginn an für einigen Wirbel sorgte: Jeder wollte sie hören, Radio Energy war im Gespräch, «Hit Music Only» auf 100,9 Megahertz – und Katrin Wilde war der grösste Hit von allen. Bis die Stimmung kippte. «Katrin war einfach besser als alle Schweizer Bewerber. Jung, erfahren und talentiert», sagt Daniel Büchi, er war ihr Vorgesetzter, (…)

    Das spezifisch Schweizerisches an „Energy“ und „Hit Music Only“ stets „on the air“ ist deutlich raus zuhören.

  • Es wird alles irgendwann normal
  • Macht uns diese Geschichte Angst? Nein, sie macht uns Mut, denn Katrin Wilde wird mit Sicherheit eine Nachfolgerin finden, die den Job in ähnlicher Form übernimmt. Die Normalität wird einkehren, Hochdeutsch wird neben Schweizerdeutsch zu hören sein, und keiner wird es in diesem wunderbaren zweisprachigen Land als etwas Besonderes mehr wahrnehmen. Für mich ist nach wie vor die grösste Sensation an dieser Geschichte, dass ein Sender wie „Radio Energy“ tatsächlich eine Deutsche Moderatorin eingestellt hat. Das macht mir Mut, denn es zeigt doch, dass sich langsam etwas bewegt in der „Swissness“. Eine entspannte Lockerheit im Umgang mit der zweiten Muttersprache Deutsch. Sie werden unter Garantie diese Aktion wiederholen. Die über 22’000 Deutsche in Zürich sind schliesslich auch eine Zielgruppe, die angesprochen werden möchte. Wie sagte der Geschäftsführer des Radios noch gleich, als Katrin Wilde ihre Job begann:

    «Bei über 22 000 Deutschen in der Stadt Zürich verträgt es auch eine sympathische deutsche Stimme im Radio.» Zudem habe man bei Energy Zürich schon positive Erfahrungen mit «Fremdsprachen» gemacht: «Eva Camenzind wurde von den Hörern auch akzeptiert, obwohl sie Baslerdeutsch spricht.»
    (Quelle: 20min.ch vom 21.08.07)

  • Ein Arzt ohne Reifen hilft niemanden
  • Natürlich waren die verbalen Angriffe auf Person von Katrin Wilde hässlich, aber gab es nicht auch genauso viele Heiratsanträge? Es war auch nicht klar, ob absichtlich gerade ihr Auto aufgebrochen wurde. Es stehen so viele Autos mit deutschen Kennzeichen in Zürich, und die vielen zerstochenen Reifen sind Vandalenakte, keine Frage, bei denen nicht danach geschaut wird, ob der Fahrzeughalter oder die -halterin beim Radio, als Pfarrer bei der Reformierten Kirche oder im Spital als Notfall-Chirurgin arbeitet.
    Wünschen wir diesen Vandalen, dass sie mal im Universitätsspital von einem solchen Fahrzeughalter im Notfall operiert oder auf Station gepflegt werden müssen.

    Deutsche werden nicht beschimpft, auch wenn alle Fahrgäste den Kopf schütteln, wenn die Berliner Tramchauffeuse in Zürich versucht, die Haltestellen möglichst schweizerdeutsch auszusprechen: «Opernhuus» – und es doch nicht schafft.

    Wie kann man die drei Silben von „Opernhuus“ eigentlich falsch aussprechen? Statt mit dem Kopf zu schütteln, wobei sinnlos Energie verschleudert wird und Hirnmasse unnötig in Bewegung gerät, rate ich in einem solchen Fall doch lieber gleich aufzustehen, das Tram auf direktem Wege zu verlassen oder nach vorn zu kommen, um dort
    a) ab sofort den Platz der Tramchauffeuse einzunehmen oder b) ihr einen kostenlosen Sprachkurs anzubieten.

  • Klapproth für die Tagesthemen, Anne Will zu 10 vor 10
  • Normalität in der Schweizer-Deutschen Medienwelt kehrt vielleicht ein, wenn Stephan Klapproth oder Susanne Wille mal ein paar Wochen beim ARD die Tagesthemen moderieren, und in der Zeit Anne Will bei 10 vor 10 die Vertretung macht. Von Sus-anne zu Anne und von Will-e zu Will ist ja nicht weit.