English for run-aways
Wir haben uns in den letzten Jahren daran gewöhnt, dass in der Schweiz die Fussballsprache nicht Deutsch sondern Englisch ist. Wie es sich für die Heimat der „Super League“ und „Champions League“ geziehmt (vergleiche: ), dass es hier keinen Torhüter sondern einen Goalie gibt, und dass der Schiedsrichter keinen Freistoss pfeift, sondern vom „referee“ ein „penalty“ „ge-whistle-d“ wird, das dann womöglich als „throw-in“ oder „corner“ endet, falls die Spieler nicht in die „offside trap“ gelaufen sind.
Doch mitunter verstehen wird dennoch nicht genau, was damit gemeint ist, wenn im Tages-Anzeiger vom 16.12.05 zu lesen stand:
Werden sie „ge-fischt“, herausgefischt aus einer grösseren Menschenmenge?
Oder geschieht sonst etwas Schreckliches mit ihnen, denn in dem Artikel wird ja gesagt, dass sie in der Schweiz „härter angepackt“ werden sollen. Werden sie „frittiert“ oder „filetiert“? So brutal wird es schon nicht, wenn es hier um eine nationale Datenbank geht.
„Fichieren“ tut man in der Schweiz gern, Google-Schweiz findet das Wort 600 Mal.
Diesmal findet sich die Lösung des Rätsels nicht in der Fussballsprache Englisch, sondern in der Lieblingsprache der Schweizer für alle Lehnwörter, dem Französischen.
Fichieren kommt von „ficher“
Fichieren ist die Schweizer Fassung von Französisch „ficher“, und das heisst laut Leo
FRANZÖSISCH DEUTSCH
f ficher einrammen
f ficher einschlagen
f ficher erfassen
f ficher festmachen
f ficher hineinstecken
f ficher karteimäßig erfassen
f ficher karteimäßig registrieren
f ficher lustig machen
f ficher machen
f ficher pfeifen
f ficher rausschmeißen
f ficher registrieren
f ficher werfen
Nun, zwischen „einrammen“, „werfen“ und „rausschmeissen“ sind natürlich grosse Unterschiede. Gemeint ist hier in der Schweiz das „karteimässige erfassen, registrieren“, wenn von „fichieren“ die Rede ist. Die Schweizer kennen sich da gut aus, denn sie hatten einmal einen grossen „Fiche“ Skandal, und auch der hatte nichts mit Angeln und „Petri Heil“ zu tun, auch wenn die ganze Geschichte gewaltig stank, wie alter Fisch nur stinken kann.
Fichen-Skandal
Das Schweizer Synonym für den „Big-Brother“ Staat (nein, mit der TV-Sendung, bei der man stundenlang zusehen musste, wie sich gelangweilte Mitteleuropäer auf Ikea-Sofas rumlümmeln und Nichtigkeiten von sich gaben, hat das jetzt nichts mehr zu tun.) ist der „Fichen-Skandal“.
Ein „fiche“ ist Französisch für eine Akte, eine Datei. Englisch „a file“, was eigentlich den Stahldraht bezeichnet, an dem diese „Fiches“ aufgehängt im Aktenschrank gelagert werden.
Gemeint ist mit dem Begriff „Fichenskandal“ das Bekanntwerden einer geheimen Staatsdatenbank, in der für alle Schweizer, ob schuldig oder nicht, solche „Fiches“ angelegt wurden mit Daten darüber, wer wo wann auf welcher Demo war, sich sonst wie auffällig verhalten hat, etc. Die ostdeutsche Stasi-Krake lebte in der Schweiz also munter weiter. Es wurden Informationen gesammelt was das Zeug hielt. Im Jahr 2002 bekam die Schweiz einen (negativ) Preis, für den grössten unbegründeten Datensammler:
So ging am 30.10.2002 ein „Big Brother“-Preise in der Schweiz an Polizei, Geheimdienste, und Abhörbehörden
Zum dritten Mal sind gestern Abend in der Schweiz die Big Brother Awards verliehen worden. Ausgezeichnet mit den „Preisen, die niemand will“ wurden Behördenstellen, Unternehmen und Einzelpersonen, die sich im laufenden Jahr durch die Geringschätzung der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger besonders hervorgetan haben. Organisiert wurde die Preisverleihung von der Swiss Internet User Group und dem Archiv Schnüffelstaat Schweiz.
Wenige Tage nach den Preisverleihungen in Deutschland und Österreich sind gestern Abend im Casinotheater des Städtchens Winterthur zum dritten Mal die größten Datenschnüffler der Schweiz mit den „Big Brother“ Preisen ausgezeichnet worden. Neben den Ehrungen in den Kategorien Staat, Business, Telekommunikation und Lebenswerk, wurde ein weiteres Mal der so genannte Winkelried-Award – benannt nach einem Eidgenossen, der sich anno 1386 gegen die Habsburger heldenhaft in die Schlacht gestürzt hatte – für besonders lobenswerten Widerstand gegen Überwachung und Kontrolle vergeben.
„Ein Preis, der niemand will“
Die vier Negativ-Kategorien wurden von den üblichen Verdächtigen dominiert, die bereits in den vergangenen Jahren zu zweifelhaften Ehren gekommen waren. Als staatlicher Schnüffler Nummer 1 gilt seit gestern die Polizei des Kantons Zürich. Anlass ist die von t-systems Schweiz entwickelte Fahndungsdatenbank „Joufara II“, in der eine Vielzahl polizeilicher Vorgänge gespeichert werden können. Zugriff auf die Daten haben sämtliche Polizeibeamten des Kantons und der Stadt Zürich, sowie der Stadt Winterthur. Eine formelle gesetzliche Grundlage für die Datensammlung fehlt offenbar; dies hat die Kantonspolizei im vergangenen Juli dem Tagesanzeiger gegenüber bestätigt. Neben diesem Umstand war für die Auszeichnung vor allem die Tatsache Ausschlag gebend, dass die Einträge nur mangelhaft aktualisiert, respektive gelöscht werden. So figuriere eine unschuldig verhaftete Wissenschaftlerin aus Zürich nach wie vor als angeschuldigte Posträuberin in der Fahndungsdatenbank, schreibt die Initianten des „Big Brother-Awards“. (Quelle Heise.de)
Nun, das ist jetzt alles schon 3 Jahre her, und seitdem wird sich die Situation natürlich deutlich verbessert haben. Es sei denn, sie sind ein Hooligan, dann ab in die Datenbank! Wie würden die Franzmannen sagen: „Fiche-moi la paix, je m’en fiche„. Zu Deutsch: Fische mit mir den Frieden, ich fische mit.