Tritt ein bring Glück herein — Die Eintretensdebatte

Dezember 29th, 2005

Wir lasen am 15.12.05 in unserem Standardlehrwerk für den Schweizerdeutschen Politikjargon, dem Tages-Anzeiger:

Darüber waren im Rat die Meinungen geteilt: Zu reden gab in der Eintretensdebatte die unklare Verfassungsgrundlage. Auch Blocher räumte ein, dass unter Juristen die Bundeskompetenz zur gesetzlichen Regelung von Rayonverbot, Meldepflicht und Polizeihaft umstritten sei. (Quelle:)

Und wir beginnen zu grübeln… wer tritt da was ein? Die Polizei darf eine Tür eintreten, wenn sie eine „vorläufige Erschiessung Festnahme“ durchführen muss. Müssen die Jungs von der SoKo (=SonderEinsatzKommando) darüber noch debattieren?

Rein wörtlich handelt es sich um die „Debatte des Eintretens„, wie das Genitiv-S am Ende vermuten lässt. Wir suchen noch ein bisschen weiter und finden Rat beim Grossen Rat des Kantons Basel Stadt:

Eintretensdebatte
Liegt dem Parlament eine Gesetzesvorlage der Regierung oder einer Kommission vor, so diskutiert es zuerst, ob es überhaupt auf diese eintreten, d.h. sie behandeln will. Beschliesst es Nichteintreten, was relativ selten vorkommt, so signalisiert es, dass es eine Vorlage für überflüssig hält. Das Geschäft ist dann erledigt. Wird Eintreten beschlossen, so folgt die Detailberatung und die Schlussabstimmung. (Quelle: )

Auf diese eintreten„? Das liest sich wie der Bericht von einem Überfall einer Horde Skinheads. Und so geht das Parlament mit einer Gesetzvorlage um? Sie kannten das Wort zuvor auch nicht so genau? Das erstaunt uns sehr, denn allein bei Google-Schweiz finden sich 16.800 Beispiele für die Verwendung.

Uns erinnert das sehr an Kneipentouren mit Freunden. Wir spazieren durch die Stadt, kommen an einer Kneipe vorbei, und schon verspüren einige schrecklichen Durst und es beginnt eine „Eintretensdebatte„. Sollen wir nun eintreten oder nicht? Immer streng nach der Lehre des alten Journalisten-Kalauers (der auch als kürzester und schlechtester Witz bei Spiegel-Online zitiert wurde):

Gehen zwei Journalisten an ’ner Kneipe vorbei.

Foto aus dem Spiegel-Online Artikel:
Oh mein Gott, ist dieser Witz schlecht (Foto von Spiegel Online)

Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 15) — Fischen gehen mit Fussballrowdies

Dezember 26th, 2005
  • English for run-aways
  • Wir haben uns in den letzten Jahren daran gewöhnt, dass in der Schweiz die Fussballsprache nicht Deutsch sondern Englisch ist. Wie es sich für die Heimat der „Super League“ und „Champions League“ geziehmt (vergleiche: ), dass es hier keinen Torhüter sondern einen Goalie gibt, und dass der Schiedsrichter keinen Freistoss pfeift, sondern vom „referee“ ein „penalty“ „ge-whistle-d“ wird, das dann womöglich als „throw-in“ oder „corner“ endet, falls die Spieler nicht in die „offside trap“ gelaufen sind.

    Doch mitunter verstehen wird dennoch nicht genau, was damit gemeint ist, wenn im Tages-Anzeiger vom 16.12.05 zu lesen stand:
    Hooligans fichieren
    Werden sie „ge-fischt“, herausgefischt aus einer grösseren Menschenmenge?

    Oder geschieht sonst etwas Schreckliches mit ihnen, denn in dem Artikel wird ja gesagt, dass sie in der Schweiz „härter angepackt“ werden sollen. Werden sie „frittiert“ oder „filetiert“? So brutal wird es schon nicht, wenn es hier um eine nationale Datenbank geht.

    „Fichieren“ tut man in der Schweiz gern, Google-Schweiz findet das Wort 600 Mal.

    Diesmal findet sich die Lösung des Rätsels nicht in der Fussballsprache Englisch, sondern in der Lieblingsprache der Schweizer für alle Lehnwörter, dem Französischen.

  • Fichieren kommt von „ficher“
  • Fichieren ist die Schweizer Fassung von Französisch „ficher“, und das heisst laut Leo

    FRANZÖSISCH DEUTSCH
    f ficher einrammen
    f ficher einschlagen
    f ficher erfassen
    f ficher festmachen
    f ficher hineinstecken
    f ficher karteimäßig erfassen
    f ficher karteimäßig registrieren
    f ficher lustig machen
    f ficher machen
    f ficher pfeifen
    f ficher rausschmeißen
    f ficher registrieren
    f ficher werfen

    Nun, zwischen „einrammen“, „werfen“ und „rausschmeissen“ sind natürlich grosse Unterschiede. Gemeint ist hier in der Schweiz das „karteimässige erfassen, registrieren“, wenn von „fichieren“ die Rede ist. Die Schweizer kennen sich da gut aus, denn sie hatten einmal einen grossen „Fiche“ Skandal, und auch der hatte nichts mit Angeln und „Petri Heil“ zu tun, auch wenn die ganze Geschichte gewaltig stank, wie alter Fisch nur stinken kann.

  • Fichen-Skandal
  • Das Schweizer Synonym für den „Big-Brother“ Staat (nein, mit der TV-Sendung, bei der man stundenlang zusehen musste, wie sich gelangweilte Mitteleuropäer auf Ikea-Sofas rumlümmeln und Nichtigkeiten von sich gaben, hat das jetzt nichts mehr zu tun.) ist der „Fichen-Skandal“.

    Ein „fiche“ ist Französisch für eine Akte, eine Datei. Englisch „a file“, was eigentlich den Stahldraht bezeichnet, an dem diese „Fiches“ aufgehängt im Aktenschrank gelagert werden.
    Akten hängen im Aktenschrank an Stahldrähten = Files

    Gemeint ist mit dem Begriff „Fichenskandal“ das Bekanntwerden einer geheimen Staatsdatenbank, in der für alle Schweizer, ob schuldig oder nicht, solche „Fiches“ angelegt wurden mit Daten darüber, wer wo wann auf welcher Demo war, sich sonst wie auffällig verhalten hat, etc. Die ostdeutsche Stasi-Krake lebte in der Schweiz also munter weiter. Es wurden Informationen gesammelt was das Zeug hielt. Im Jahr 2002 bekam die Schweiz einen (negativ) Preis, für den grössten unbegründeten Datensammler:

    So ging am 30.10.2002 ein „Big Brother“-Preise in der Schweiz an Polizei, Geheimdienste, und Abhörbehörden

    Zum dritten Mal sind gestern Abend in der Schweiz die Big Brother Awards verliehen worden. Ausgezeichnet mit den „Preisen, die niemand will“ wurden Behördenstellen, Unternehmen und Einzelpersonen, die sich im laufenden Jahr durch die Geringschätzung der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger besonders hervorgetan haben. Organisiert wurde die Preisverleihung von der Swiss Internet User Group und dem Archiv Schnüffelstaat Schweiz.

    Wenige Tage nach den Preisverleihungen in Deutschland und Österreich sind gestern Abend im Casinotheater des Städtchens Winterthur zum dritten Mal die größten Datenschnüffler der Schweiz mit den „Big Brother“ Preisen ausgezeichnet worden. Neben den Ehrungen in den Kategorien Staat, Business, Telekommunikation und Lebenswerk, wurde ein weiteres Mal der so genannte Winkelried-Award – benannt nach einem Eidgenossen, der sich anno 1386 gegen die Habsburger heldenhaft in die Schlacht gestürzt hatte – für besonders lobenswerten Widerstand gegen Überwachung und Kontrolle vergeben.

    „Ein Preis, der niemand will“
    Die vier Negativ-Kategorien wurden von den üblichen Verdächtigen dominiert, die bereits in den vergangenen Jahren zu zweifelhaften Ehren gekommen waren. Als staatlicher Schnüffler Nummer 1 gilt seit gestern die Polizei des Kantons Zürich. Anlass ist die von t-systems Schweiz entwickelte Fahndungsdatenbank „Joufara II“, in der eine Vielzahl polizeilicher Vorgänge gespeichert werden können. Zugriff auf die Daten haben sämtliche Polizeibeamten des Kantons und der Stadt Zürich, sowie der Stadt Winterthur. Eine formelle gesetzliche Grundlage für die Datensammlung fehlt offenbar; dies hat die Kantonspolizei im vergangenen Juli dem Tagesanzeiger gegenüber bestätigt. Neben diesem Umstand war für die Auszeichnung vor allem die Tatsache Ausschlag gebend, dass die Einträge nur mangelhaft aktualisiert, respektive gelöscht werden. So figuriere eine unschuldig verhaftete Wissenschaftlerin aus Zürich nach wie vor als angeschuldigte Posträuberin in der Fahndungsdatenbank, schreibt die Initianten des „Big Brother-Awards“. (Quelle Heise.de)

    Nun, das ist jetzt alles schon 3 Jahre her, und seitdem wird sich die Situation natürlich deutlich verbessert haben. Es sei denn, sie sind ein Hooligan, dann ab in die Datenbank! Wie würden die Franzmannen sagen: „Fiche-moi la paix, je m’en fiche„. Zu Deutsch: Fische mit mir den Frieden, ich fische mit.

    Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 14) — Vernehmen oder Vernehmen lassen

    Dezember 25th, 2005
  • Lassen Sie sich auch vernehmen?
  • Wenn die Polizei in der Schweiz einen Verdächtigen festnimmt, dann wird er auf dem Revier von ihr nicht „vernommen“, sondern „einvernommen“. Das ist wichtig, denn das Wörtchen „vernehmen“ wird schon anderweitig gebraucht in der Schweiz. Wenn sich jemand „vernehmen lässt“, dann bedeutet das nicht, dass er freiwillig ins Verhörzimmer geht, um ein ungemütliches Tête-à-tête mit einem Hauptkommissar zu erleben. Vielmehr spricht man sehr laut und deutlich, um von den anderen wahrgenommen, gehört und „vernommen“ zu werden.

    Offensichtlich besteht dafür in der Schweizer Politik, speziell im Schweizer Parlament, der „Bundesversammlung“ verstärkter Bedarf. Hier wimmelt es nämlich nur von Dingen, die andere vernommen haben wollen, die sie darum „vernehmen lassen“. „Die Vernehmlassung“ ist eine völlig normale Sache für die Schweizer: „Vernehme“ sie, oder lasse sie andere „vernehmen“, das ist der politische Alltag in Bern. Nicht so brutal wie einst bei James Bond mit „to live and let die“ = Leben und Sterben lassen“, aber doch ein bisschen in diese Richtung.

  • Was ist eine Vernehmlassung?
  • Wenn Sie als Schweizer in einem Gespräch mit einem deutschen Kollegen mal tüchtig Eindruck schinden wollen, dann bringen Sie dieses Wort einfach ganz beiläufig in Ihren Redenfluss unter: „Hast Du schon gehört, da gibt es wieder eine neue Vernehmlassung“.
    Es wird ihm genauso unverständlich sein, wie „die Betreibung„, „die Betreibungsauskunft“ oder „die Verabgabung„. Je nachdem, wie lange Ihr Deutscher Kollege schon in der Schweiz lebt, können Sie folgende Reaktion beobachten:

    1. Er versteht das Wort ohne Probleme, weil er sich für die Feinheiten der Schweizer Gesetzgebung interessiert.

    2. Er versteht kein Wort, wird dies aber nicht zugeben, weil es für einen Deutschen einfach unmöglich ist, offen einzugestehen, dass er mal wieder ein hübsches Nomen seiner eigenen Muttersprache nicht kennt.

    3. Er versteht nichts, wird aber sofort nachfragen, wer sich jetzt hier auf was einlassen möchte bei der Vernehmung.

    Bei dem Wort „Vernehmlassung“ haben wir Deutsche das Problem, dass es dafür keine Entsprechung in Deutschland gibt. Die politische Tradition ist eine andere. In Deutschland ist das eine „Anhörung„, bei der wir nichts vernehmen sondern uns einfach nur zugehört wird.

    Man sieht hierbei deutlich den himmelweiten Unterschied im Demokratieverständnis der Deutschen und der Schweizer: Während in Deutschland ein Gesetz im Parlament vorgelesen wird und die Abgeordneten darüber dann diskutieren können, geht in der Schweiz ein Gesetz in die „Vernehmlassung„, es wird von allen Beteiligten gefordert, einen Kommentar abzuliefern.

    In Amerika und in der IT-Welt nennt man diesen Vorgang „RFC“ = „Request For Comments“. So werden die Definitionspapiere zur Computer-Standarisierungen betitelt. Über RFCs wird so gut wie alles in der IT-Technik genormt. Nur will hier niemand tatsächlich mehr einen „comment“ hören, denn wenn ein RFC draussen ist, ist es bereits Norm und hat den Zustand des „Drafts“ = Entwurfs schon hinter sich gebracht.

    Schauen wir, was Wikipedia zu Vernehmlassung meint:

    Die Vernehmlassung oder das Vernehmlassungsverfahren ist eine wichtige Phase im schweizerischen Gesetzgebungsverfahren. Bei der Vorbereitung wichtiger Erlasse und anderer Vorhaben von grosser Tragweite sowie bei wichtigen völkerrechtlichen Verträgen werden die Kantone, die politischen Parteien und die interessierten Kreise (insb. Verbände) zur Stellungnahme eingeladen. Das Ziel ist, die Erfolgschancen des Projektes im weiteren Gesetzgebungsprozess abschätzen zu können. Insbesondere im Hinblick auf ein mögliches Referendum ist es in der Schweizer Politik wichtig, bei der Vernehmlassung alle wichtigen Interessengruppen zu konsultieren, um so genannt „referendumssichere“ Vorlagen präsentieren zu können. Auch wer nicht persönlich zum Vernehmlassungsverfahren eingeladen wird, kann sich zu einer Vorlage äussern, auch als Einzelperson. (Quelle🙂

    Aber ich denke es wird Zeit, das Thema „Vernehmlassung“ jetzt zu lassen, es „vernimmt“uns sowieso keiner, denn schliesslich ist heute Weihnachtsfeiertag. Und dann ausgerechnet dieses Thema, so trocken wie eine Schachtel Spekulatius-Kekse vom Vorjahr….

    Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 13) — Nachtbuben und Strolchenfahrten

    Dezember 24th, 2005
  • Wenn Nachtbuben unterwegs sind
  • Die Schweizer bleiben in der Regel in der Nacht daheim, wenn sie nicht „im Ausgang“ unterwegs sind. In der Nacht geht es gefährlich zu in der Schweiz, denn dann sind die „Nachtbuben“ unterwegs. Nein, es sind keine „Nackt-Buben“, dieser Lesefehler ist uns beim ersten Mal auch unterlaufen. Darunter könnten wir uns ja noch etwas vorstellen. Ein Exhibitionist wird das sein, ein „Sittenstrolch“, wie er in Deutschland genannt wird. Aber ein „Nachtbube“? Vielleicht ist das ein sehr junger „Nachtwächter“?

    Unser Duden kennt viele zusammengesetzte Wörter mit „Nacht“, darunter die „Nachtarbeit“, den „Nachtangriff“, das „Nachtmahl“ oder „Nachtlicht“, auch den „Nachtisch“, den wir streng vom „Nachttisch“ zu unterscheiden wissen. Ersteres kann man essen und es ist lecker, weil ein Dessert, letzteres diente früher zur Aufbewahrung des schwäbischen „Potschamberles“ = Pot-de-chambre = „Nachtopf“ (im Norden sagten wir schlicht „Pisspot“ dazu)

  • Nachtbuben und Schulsilvester
  • Umtreiben tun sie sich in der Schweiz, diese „Nachtbuben“, denn so heissen hier die bösen Kerle, die nur Nachts unterwegs und grundsätzlich immer an allem Schuld sind.

    Nachtbuben am Werk
    Im letzten Juli waren wiederum Nachtbuben in der Umgebung des Wild Ma Horstes in Aktion. Neben Verwüstungen wurde auch die Materialkiste aufgebrochen und das sich darin befindliche Material zum Teil verbrannt oder in den Rhein geschmissen. (Quelle🙂

    Nachtbuben gibt es schon sehr lange in der Schweiz, wie diese Geschichte aus Rüti b. Büren im Seeland belegt:

    Kurz vor der Jahrhundertwende war in Rüti des öfteren eine Gruppe so genannter Nachtbuben unterwegs. (Quelle: )

    In Deutschland, zumindest im südlichen Teil, haben sich ähnliche Bräuche zur Walpurgisnacht (= die Nacht zum 1. Mai) und zu Halloween (= Nacht vor dem Feiertag „Allerheiligen“) eingebürgert. Da werden dann in ländlichen Gegenden schon mal Gartentore ausgehängt und verschleppt, oder Briefkästen mit Toilettenpapier verstopft und es passieren andere Scherze mehr.

  • Schul-Silvester gar nicht zu Silvester
  • Die Schweizer haben dafür das „Schulsilvester“ am letzten Schultag vor Weihnachten. Dann ist zwar noch nicht Silvester oder Weihnachten, das Schuljahr ist dann auch noch nicht um, aber die Schweizer Schulkinder stehen freiwillig irre früh auf, ziehen lärmend mit Töpfen und sonstigen Lärminstrumenten durch die Strassen, wecken ihre Lehrer und treiben in aller Herrgottsfrühe allerlei mehr oder weniger lustigen Schabernack im Ort. Später gibt es eine Party um 6.00 Uhr (in der Frühe!) im Schulhaus. Offiziell wird im Kanton Zürich immer wieder versucht, diese Art von Bräuche zu unterbinden, ohne Erfolg. Also wandelte man das Schulsilvester lieber um in eine Art organisiertes Schulfest, um die ausrastenden Kids besser unter Kontrolle halten zu können (Beispiel hier: ).

  • Die kleinen Strolche auf grosser Fahrt
  • Und dann sind da noch unsere lustigen Freunde aus der Zeit des amerikanischen Schwarz-Weiss-Films, die kleinen Strolche:
    Die kleinen Strolche kommen aus Amerika
    Denen wurde es in den USA zu langweilig, also machten sie sich auf nach Europa, genauer gesagt in die Schweiz, klauten sich da ab und zu ein Auto, und gingen auf „Strolchenfahrt“.

    362 Einträge verzeichnet Google für dieses Wort. Die sind also verdammt oft unterwegs, die kleinen Strolche. Und nie haben sie einen „Führerausweis“ oder „Führerschein“ dabei, denn der Schein trügt bekanntlich (siehe Blogwiese) .

    Manchmal treffen die kleinen Strolche dann unterwegs die Nachtbuben:

    Teure Strolchenfahrt für Berner Nachtbuben
    Bern – «Parkschaden» von 65 000 Franken haben ein 14- und ein 16-jähriger Jugendlicher auf Strolchenfahrt am Samstag gegen 21.15 Uhr in Bern verursacht. Nach Polizeiangaben entwendete der 16- jährige den Wagen einer verwandten Person und raste durch die Stadt. (klei/sda) (Quelle🙂

    Auch diesmal hilft der Duden weiter:

    Strol|chen|fahrt, die (schweiz.): Fahrt mit einem entwendeten Fahrzeug

    Und schon haben wir als Deutsche zwei neue Wörter gelernt: Die Strolchenfahrt und die Nachtbuben. Wir fragen uns dann: Wenn es diese Wörter in unserem Wortschatz bisher nicht gab, gab es dann die dazugehörigen Personen und Ereignisse in Deutschland auch nicht?

    Kaum vorstellbar. So etwas passiert doch sicher auch in Deutschland. Wie sagt man dann dazu im deutschen Polizei-Jargon? Wir hoffen auf stichhaltige Beispiele von „ennet“ der Grenze und bleiben bis dahin ahnungslos.

    Die Blogwiese wünscht allen Ihren Lesern ein Frohes Weihnachtsfest!

    Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 12) — Motion ohne E-motion und Motzern

    Dezember 22nd, 2005

    Wir lesen in unserem Standardwerk für die korrekte Schweizerdeutsche Schriftsprache, dem Tages-Anzeiger vom 27.11.05

    Motion fordert weitere Liberalisierung. (…)
    Traktandiert ist eine Motion des Ständerates, zu der sich der Bundesrat positiv gestellt hat (Quelle🙂

    Wir verstehen als ungebildete Deutsche mal wieder gar nichts, und müssen tief in unseren Lateinkenntnissen kramen: „Motion“ = Lateinisch für „Bewegung“. Wer oder was bewegt sich denn hier in der Schweiz? Geht das Volk auf die Strasse, als Volks-Bewegung? Hat sich der Ständerat gemeinschaftlich bewegt? So eine Art „Group Fitness Aerobic Aktion“ in Bern? Und der Bundesrat machte gleich voller Eifer mit? Es passieren rätselhafte Dinge im Bern dieser Tage.

  • Die Motion hat was mit Bewegung zu tun
  • Das englische Wort „Motion“ gebrauchen wir gewöhnlich nur in zusammengesetzten Formen, als „E-motion“ wenn wir von lauter Gefühlen stark bewegt sind, oder als „motion pictures“, wenn wir uns „bewegte Bilder“ im Kino anschauen. Motion hat was mit Bewegung zu tun.

    In der Sprachwissenschaft bedeutet es eine Veränderung in der Sexusmarkierung (Quelle Wiki:), auch der Duden äussert sich in dieser Richtung:

    Motion: ,-en (franz.). (Sprachw.) Abwandlung des Adjektivs nach dem jeweiligen Geschlecht;

    Doch leben wir zwar in der Heimat von Ferdinand de Saussures, der einst in Genf die allgemeinen Sprachwissenschaft begründet hat, aber eigentlich geht es hier um eine besondere Spezialität der Schweizer, nämlich der „Bewegung in der Politik“.

    Eine Motion ist in der Schweiz eine bestimmte Art von Parlamentarischer Vorstoss auf eidgenössischer, kantonaler oder kommunaler Ebene. Mit einer Motion verlangt ein Parlamentsmitglied von der Regierung, dass diese ein Gesetz oder einen Bundesbeschluss ausarbeitet oder eine bestimmte Massnahme ergreift. Dieser Auftrag ist zwingend, wenn ihm das Parlament zustimmt. Eine Motion kann vom Parlament in die abgeschwächte Form eines Postulats umgewandelt werden; allerdings nur mit dem Einverständnis des Motionärs respektive der Motionärin (Quelle:).

    Wohlgemerkt: Das mir niemand den „Motionär“ als „Motzer“ falsch ausspricht! Sowohl die Schweizer Motion als auch der Motionär werden im Duden würdig erwähnt:

    schweiz . fr. gewichtigste Form des Antrags in einem Parlament; der Motionär, -s, -e (schweiz. für jmd., der eine Motion einreicht)

    Da erspare ich mir doch lieber die übrigen Übersetzungen, die mir LEO für dieses hübsche Wort offeriert (Quelle Leo):

    Unmittelbare Treffer
    motion der Antrag
    motion Antrag bei einer Sitzung
    motion die Bewegung
    motion das Gesuch
    motion der Stuhlgang
    motion [tech.] das Treibwerk [Uhren]

    Mit Uhren hat es also auch etwas zu tun, nicht nur mit Stuhlgang. Obwohl Stuhlgang, war das nicht ein höfliches Wort für „Scheisse“? Sind Motionen auch dies? Müssen die Engländer und Amis denn alles so negativ sehen? Denken wir lieber wieder an ein Schweizer Uhrwerk, denn so sollte es in der Politik in Bern zugehen, bei diesen vielen Motionen. Da sind wir ja beruhigt.

    Bleibt die Frage: Warum sagen die eigentlich nicht einfach „Antrag“ in der Schweiz? Wegen der Kollegen aus der Westschweiz? Oder ist auch diesmal wieder Napoleon schuld, der mit Sicherheit dieses Wort in den Schweizer Politik-Wortschatz eingeführt hat? Immer diese Ausländer…