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Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 15) — Fischen gehen mit Fussballrowdies

  • English for run-aways
  • Wir haben uns in den letzten Jahren daran gewöhnt, dass in der Schweiz die Fussballsprache nicht Deutsch sondern Englisch ist. Wie es sich für die Heimat der „Super League“ und „Champions League“ geziehmt (vergleiche: ), dass es hier keinen Torhüter sondern einen Goalie gibt, und dass der Schiedsrichter keinen Freistoss pfeift, sondern vom „referee“ ein „penalty“ „ge-whistle-d“ wird, das dann womöglich als „throw-in“ oder „corner“ endet, falls die Spieler nicht in die „offside trap“ gelaufen sind.

    Doch mitunter verstehen wird dennoch nicht genau, was damit gemeint ist, wenn im Tages-Anzeiger vom 16.12.05 zu lesen stand:
    Hooligans fichieren
    Werden sie „ge-fischt“, herausgefischt aus einer grösseren Menschenmenge?

    Oder geschieht sonst etwas Schreckliches mit ihnen, denn in dem Artikel wird ja gesagt, dass sie in der Schweiz „härter angepackt“ werden sollen. Werden sie „frittiert“ oder „filetiert“? So brutal wird es schon nicht, wenn es hier um eine nationale Datenbank geht.

    „Fichieren“ tut man in der Schweiz gern, Google-Schweiz findet das Wort 600 Mal.

    Diesmal findet sich die Lösung des Rätsels nicht in der Fussballsprache Englisch, sondern in der Lieblingsprache der Schweizer für alle Lehnwörter, dem Französischen.

  • Fichieren kommt von „ficher“
  • Fichieren ist die Schweizer Fassung von Französisch „ficher“, und das heisst laut Leo

    FRANZÖSISCH DEUTSCH
    f ficher einrammen
    f ficher einschlagen
    f ficher erfassen
    f ficher festmachen
    f ficher hineinstecken
    f ficher karteimäßig erfassen
    f ficher karteimäßig registrieren
    f ficher lustig machen
    f ficher machen
    f ficher pfeifen
    f ficher rausschmeißen
    f ficher registrieren
    f ficher werfen

    Nun, zwischen „einrammen“, „werfen“ und „rausschmeissen“ sind natürlich grosse Unterschiede. Gemeint ist hier in der Schweiz das „karteimässige erfassen, registrieren“, wenn von „fichieren“ die Rede ist. Die Schweizer kennen sich da gut aus, denn sie hatten einmal einen grossen „Fiche“ Skandal, und auch der hatte nichts mit Angeln und „Petri Heil“ zu tun, auch wenn die ganze Geschichte gewaltig stank, wie alter Fisch nur stinken kann.

  • Fichen-Skandal
  • Das Schweizer Synonym für den „Big-Brother“ Staat (nein, mit der TV-Sendung, bei der man stundenlang zusehen musste, wie sich gelangweilte Mitteleuropäer auf Ikea-Sofas rumlümmeln und Nichtigkeiten von sich gaben, hat das jetzt nichts mehr zu tun.) ist der „Fichen-Skandal“.

    Ein „fiche“ ist Französisch für eine Akte, eine Datei. Englisch „a file“, was eigentlich den Stahldraht bezeichnet, an dem diese „Fiches“ aufgehängt im Aktenschrank gelagert werden.
    Akten hängen im Aktenschrank an Stahldrähten = Files

    Gemeint ist mit dem Begriff „Fichenskandal“ das Bekanntwerden einer geheimen Staatsdatenbank, in der für alle Schweizer, ob schuldig oder nicht, solche „Fiches“ angelegt wurden mit Daten darüber, wer wo wann auf welcher Demo war, sich sonst wie auffällig verhalten hat, etc. Die ostdeutsche Stasi-Krake lebte in der Schweiz also munter weiter. Es wurden Informationen gesammelt was das Zeug hielt. Im Jahr 2002 bekam die Schweiz einen (negativ) Preis, für den grössten unbegründeten Datensammler:

    So ging am 30.10.2002 ein „Big Brother“-Preise in der Schweiz an Polizei, Geheimdienste, und Abhörbehörden

    Zum dritten Mal sind gestern Abend in der Schweiz die Big Brother Awards verliehen worden. Ausgezeichnet mit den „Preisen, die niemand will“ wurden Behördenstellen, Unternehmen und Einzelpersonen, die sich im laufenden Jahr durch die Geringschätzung der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger besonders hervorgetan haben. Organisiert wurde die Preisverleihung von der Swiss Internet User Group und dem Archiv Schnüffelstaat Schweiz.

    Wenige Tage nach den Preisverleihungen in Deutschland und Österreich sind gestern Abend im Casinotheater des Städtchens Winterthur zum dritten Mal die größten Datenschnüffler der Schweiz mit den „Big Brother“ Preisen ausgezeichnet worden. Neben den Ehrungen in den Kategorien Staat, Business, Telekommunikation und Lebenswerk, wurde ein weiteres Mal der so genannte Winkelried-Award – benannt nach einem Eidgenossen, der sich anno 1386 gegen die Habsburger heldenhaft in die Schlacht gestürzt hatte – für besonders lobenswerten Widerstand gegen Überwachung und Kontrolle vergeben.

    „Ein Preis, der niemand will“
    Die vier Negativ-Kategorien wurden von den üblichen Verdächtigen dominiert, die bereits in den vergangenen Jahren zu zweifelhaften Ehren gekommen waren. Als staatlicher Schnüffler Nummer 1 gilt seit gestern die Polizei des Kantons Zürich. Anlass ist die von t-systems Schweiz entwickelte Fahndungsdatenbank „Joufara II“, in der eine Vielzahl polizeilicher Vorgänge gespeichert werden können. Zugriff auf die Daten haben sämtliche Polizeibeamten des Kantons und der Stadt Zürich, sowie der Stadt Winterthur. Eine formelle gesetzliche Grundlage für die Datensammlung fehlt offenbar; dies hat die Kantonspolizei im vergangenen Juli dem Tagesanzeiger gegenüber bestätigt. Neben diesem Umstand war für die Auszeichnung vor allem die Tatsache Ausschlag gebend, dass die Einträge nur mangelhaft aktualisiert, respektive gelöscht werden. So figuriere eine unschuldig verhaftete Wissenschaftlerin aus Zürich nach wie vor als angeschuldigte Posträuberin in der Fahndungsdatenbank, schreibt die Initianten des „Big Brother-Awards“. (Quelle Heise.de)

    Nun, das ist jetzt alles schon 3 Jahre her, und seitdem wird sich die Situation natürlich deutlich verbessert haben. Es sei denn, sie sind ein Hooligan, dann ab in die Datenbank! Wie würden die Franzmannen sagen: „Fiche-moi la paix, je m’en fiche„. Zu Deutsch: Fische mit mir den Frieden, ich fische mit.

    

    10 Responses to “Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 15) — Fischen gehen mit Fussballrowdies”

    1. zunderobsi Says:

      Ja, die Fichen-Affäre. Wurden damals noch so staatsbedrohliche Vorlieben wie „trinkt abends gerne ein Bier“ in den Akten festgehalten. Zukünftig muss schon mit einem Rayon- oder Ausreiseverbot rechnen, in wessen Akte steht: „Hat 2 rotblaue Schals“ oder „kann mit mehr als 100 dB durch die Finger pfeifen“.

    2. Phipu Says:

      Es gibt doch immer etwas zu perfektionieren:
      Helvetisches Hochdeutsch: „EINE Fiche, der FicheN-Skandal“ (es waren ja ganz viele Fichen). Siehe http://www.google.ch/search?hl=de&q=Fichen-Skandal&btnG=Suche&meta=cr%3DcountryCH

      In Dialekt-Sprache hört man nur feine Unterschiede, ob es sich um einen Fisch oder eine Fiche oder die Mehrzahl davon handelt. Sprecht mir nach:
      „de Fesch“ = der Fisch
      „d’Fesche“ = die Fische
      „d’Fische“ = die Fiche
      „d’Fische“ oder „d’Fischene“ = die Fichen.
      „de Fische-Skandal“ = der Fichenskandal

      Ich habe „e“ anstelle von kurzem „i“ gewählt. (würde z.B. in Luzerner Dialekt sowieso mit „e“ ausgesprochen) Bei „Fichen“ wird der „i“ „spitz“ ausgesprochen, wie in D: „wieder“

      Jetzt versucht noch den Zungenbrecher: „Fischers Fritz fichiert frische Fichen“ auf Dialekt!

      Na, das Hörverständnis für die letzten zwei französischen Sätze gibt nicht gerade „es Sächsi“ (eine 6, beste Note im CH Schulsystem)!

    3. Quasiquasi Says:

      Die „Offsidefalle“ hätte es auch getan. Im übrigen heisst das Tor folgerichtig „Goal“ und gilt auf der Strasse der Grundsatz „drü corner ä penouti“: Der Eckstoss (?) wird nicht gespielt, aber deren drei ergeben einen Elfmeter. Den Schiri nennt vielleicht von Zeit zu Zeit ein unbegabter TV-Journalist „Referee“ (er hat das Wörtli in seinem Thesaurus). Ah ja, und das Tackling ist beliebt, bei denen, die es können, und gilt als gefährlich, bei denen die er erleiden.

    4. scalpo Says:

      wirklich interessantes wortspiel das du hier aufgreifst… aber die schweizer verwenden wirklich zu viele englische Ausdrücke..
      schöne festtage!..
      scalpo

    5. Geissenpeter Says:

      Die Schweizer verwenden zu viele englische Ausdrücke? Vielleicht. Aber sie sagen natürlich weder „referee“ noch „ge-whistle-d“. Da hat Jens mal wieder unkommentiert übertrieben 😉 Und die englischen Ausdrücke im Schweizer Fußball sind keine neuartigen Einflüsse, sondern stammen aus der Urzeit des Fußballs – die meisten hiesigen Fußballclubs wurden nämlich Ende des letzten Jahrhunderts von Engländern erfunden. Und seien wir ehrlich: Eckstoß ist kein schönes Wort.

    6. Administrator Says:

      Hallo Geissenpeter,
      unter http://www.blogwiese.ch/archives/35 lesen wir:

      „Die Schweizer haben die Eindeutschungen der Fussballsprache nicht mitgemacht, nachdem sie 1895 ihren eigenen Fussball-Verband gegründet haben. Es heisst hier “Penalty” und nicht Strafstoss“

      Soviel zur „Urzeit des Fussballs“.. .habe ich da ein „ß“ in Deinem Kommentar gelesen? Hast Du Dir das in Hamburg angewöhnt? Shame over you… mein Gott bin ich froh, dieses Ding nicht mehr schreiben zu müssen. 🙂
      Gruss, Jens

    7. clarissa Says:

      Zitat: „dass es hier keinen Torhüter sondern einen Goalie gibt, und dass der Schiedsrichter keinen Freistoss pfeift, sondern vom „referee“ ein „penalty“ „ge-whistle-d“ wird, das dann womöglich als „throw-in“ oder „corner“ endet, falls die Spieler nicht in die „offside trap“ gelaufen sind.“

      Uiii… so viele englische Ausdrücke werden hier doch aber gar nicht gebraucht!
      Torhüter = Goalie, ja, okay – aber beim Rest stellen sich mir die Nackenhaare auf! 😉 Die Bezeichnung Freistoss gibt es bei uns auch, ist aber nicht das selbe wie ein Penalty = 11-Meter. Dein „Throw-in“ heisst – ganz normal „Einwurf“, „Corner“ ist durchaus geläufig, wird aber ebenso oft „Eckball“ genannt. „Offside trap“ habe ich auch noch nie gehört; nennt sich ganz einfach „Offside“ bzw. „Abseits“. 🙂

    8. ANONYM Says:

      Es wurde nicht über alle Schwizer und Schweizerinnen Fichen angelegt.. nur über 900’000!

    9. Gizmo Says:

      Tja soviel zum Thema „basisdemokratie“… nutzt wohl nix.. hätt mich auch ehrlich gesagt ein wenig gewundert…

      aber immer wieder schön zu sehen wieviele Leute immer noch glauben sie würden irgend etwas „mitbestimmen“ können weil sie alle naselang mal irgendwo ein kreuzchen machen können…

    10. Johanna Says:

      Ich bin mal gespannt,ob Personen,welche sich in sogenannte Sonderzüge nach Rostock fahren,auch wieder irgendwo registriert werden.Also aufgepasst.Wundern würde es mich nicht.Abgesehen davon,wer steigt schon in einen Sonderzug ein,überlegt mal.Im zweiten Weltkrieg,gabs da nicht auch Sonderzüge?Nur stiegen diese Menschen mit Freude ein?Ich kann nur warnen“Steigt nicht in Sonderzüge ein“.Kurz und bündig,es gibt keine günstigere,unauffäligere Erfassungsmethode für eine Personendatenbank.
      Es grüsst
      Johanna