Voll Freud und Wonne — „Wonig“ in Zürich

Februar 6th, 2006
  • Wohneigentum nur für Schweizer?
  • Wie verhindert man als Anbieter von Wohnungen in Zürich, dass dort missliebige Ausländer, Ticinos oder Welsche alles aufkaufen? Ganz einfach! Man formuliert sein Angebot so sehr auf Schweizerdeutsch, dass es garantiert nur noch von sauberen, ordentlichen und gut betuchten Deutschschweizern verstanden wird:
    Wonnige Wohnung
    (Quelle: Tages-Anzeiger 23.01.06. S. 32)

    „Wotsch ä lässigi Wonig haa?
    Dänn click d Milchbuck aa!“

    Wie sich das Englisch geschriebene „click“ mit „c“ dazwischenmogeln konnte, ist uns ein Rätsel. Wir hätten, wenn schon – denn schon, ein alemannisches „gligg“ erwartet.

    „Nöi! Eigentumswonigä: www.xxx-xxx.ch
    Flug-, Ussäufnahmä, Wonigsplän und vil me, damit weisch, wie chasch huuse.
    Chasch au aalüüte“

    Wollen wir mal sauber auseinander sortieren, wie sich das für einen Deutschen liest:

    „Wotsch“ das kennen wir, das ist eine Uhr, wir haben eine Swotsch-Wotsch am Arm.

    „Nöi!“ = das ist Schwäbisch für „Nein“, denn wir kennen ja alle die Geschichte vom schwäbischen Quizkandidaten, der gefragt wurde: „Wie heisst die Hauptstadt von Vietnam?“ Antwort: „Ha-Noi“, dös woiss ii net!

    Eigentums-wön-i-gä: „Eigentum will ich gern“?

    Flug– = Moment, die ist doch wohl nicht in einer Flugschneise in Kloten gelegen?

    Us-säuf-nahmä“ = Ausser Säufer nehmen … = die nehmen alles ausser Säufer?

    Wonigsplän“ = ein wonniger Plan, jawohl das ist es bestimmt.

    Damit weisch, wie chasch huuse“ = Irre ich mich, oder werden wir hier von wildfremden Leuten geduzt? Obwohl, es ist keine Präposition zu entdecken, nicht ein mal ein klitzekleines „ihr“ ist zu sehen, geschweige denn ein „Du“. Sehr geschickt gemacht, diese Kumpeltour, das müssen wir neidvoll zugeben.

    Chasch au aalüüte“ = Hasch gibt es auch, für alle Leute?
    Nee, da gehen wir nicht hin, das ist sicher so dein Drogenkollektiv mit eigener Cannabis-Zucht im Innenhof und auf den Balkonen.

    Ja, so kann es gehen, wenn eine Anzeige zu freier Interpretation einlädt. Hoffentlich wird die Zielgruppe von Nicht-Säufern und Haschischkonsumenten, die sich nix aus Fluglärm machen, mit diesem Text auch gefunden, wäre ja sonst schade um das fehlinvestierte Geld für die Anzeige im Tages-Anzeiger.
    P.S.: Die Website ist übrigens komplett auf Hochdeutsch gehalten. (Siehe hier). So eine Enttäuschung! Richtig hinters Licht geführt fühlt man sich da. Erst mit Schweizerdeutsch so ködern, und dann mit Hochdeutsch abspeisen. Nicht die feine Art ist das.

    Wenn die Hausaufgaben nicht Ski fahren können

    Februar 5th, 2006
  • Hörverständnis-Probleme als Wahl-Schweizerin
  • Von unserer Inlands-Korrespondentin „Empörte Tochter“ erhielten wir den folgenden interessanten Beitrag für die Blogwiese, den wir hier ungeschnitten und unzensiert abdrucken:

    Der populärste Wintersport in der Schweiz ist natürlich Skifahren. Wie sagen das die Kinderchen so schön: „Uff Ski“.

    Funken wir mal kurz in die Schweizer Schule, der Lehrer fragt die Kinder: „Was macht ihr denn gerne?“ Da der Satz: „Ich fahre gerne Ski“ viel zu lang und zu kompliziert zum aussprechen ist, kürzt man ab und sagt: „Ich mach gärn Uffzgi.“

    Aber Uffzgi heisst doch „Hausaufgaben“ nicht „Uff Ski“. Wer aber Deutscher ist und neu in die Schweiz kommt, muss erst Mal knobeln, was das überhaupt bedeutet.

    Ich spreche da aus eigener Erfahrung! Schlussfolgern wir daraus, das „Uff Ski“ auch als „Uffzgi“ verstanden werden kann.

    Die Schweiz ganz soziologisch — „Verorten“ und „in die Sätze bringen“

    Februar 3rd, 2006

    Unsere Lieblingslektüre beim Frühstück wurde ziemlich anstrengend, denn uns ward soziologisch schwer verdauliche Kost vom Tages-Anzeiger geboten:

  • Wir orten und verorten an alle Orten
  • Der Berner SVP-Präsident Hermann Weyeneth ist ein schlauer Politiker und als Kritiker weitherum gefürchtet. Jetzt hat er selber die Probleme, die er bei anderen verortete
    (Quelle Tages-Anzeiger 21.01.05)

    Verorten und in die Sätze bringen
    Den „Herminator“-Gag haben wir sogar verstanden, denn das war eine extrem clevere Anspielung auf Arnold Schwarzenegger als „Terminator“ (auch ein Politiker, sogar Gouverneur, jetzt in Kalifornien). Aber leider gehört das Verb „verorten“ noch nicht zu unserem gängigen Wortschatz. Ob es wiederum typisch Schweizerisch ist? Nein, weit gefehlt, es ist waschechter Soziologien-Slang und findet sich in der Soziologie beherrschenden Schweiz bei Google 802 Mal erwähnt.

    Gegencheck bei Google Deutschland? Oups, satte 163.000 Fundstellen!

    Wir sollten vielleicht doch mal wieder öfters eine Deutsche Zeitung kaufen, um danach in der Schweiz alles verstehen zu können. Der Duden klärt uns über die Bedeutung auf und bringt ein „leicht verständliches“ Beispiel als Beleg:

    ver|o.r|ten (sw. V.; hat) (besonders. Soziologie):
    einen festen Platz in einem bestimmten Bezugssystem zuweisen:
    „Sexualität ist eine existenzielle Lebensäußerung, die recht genau in der Gesamtkultur verortet und an gesellschaftliche Formen der Körpernutzung gebunden ist“ (Kursbuch 88, 1987, 121).

    Als Synonyme finden wir:

    ausgemacht, bekannt, bestimmt, definiert, durchschaut, erfasst, festgelegt, geortet, identifiziert, klar umrissen, lokalisiert, registriert, zur Kenntnis genommen; (besonders Soziologie): verortet.
    (Quelle: Duden – Das Synonymwörterbuch)

    Puh war das anstrengend! Zurück zum Artikel über Herman Weyeneth, denn der wird jetzt zur Abwechslung richtig schweizerisch!

    „Tatsächlich ist die Affäre mit allem ausstaffiert, was einen Typen wie Herman Weyeneth in die Sätze bringt

  • Bring mich doch mal in die Sätze!
  • Moment bitte, was haben wir da eben gelesen? „Jemanden in die Sätze bringen“, was kann das heissen? Es muss wieder eine Redewendung sein, die es nur in der Schweiz gibt, denn an allen Fundstellen in Google-Deutschland reden sie immer von Melodie und Satzzeichen, nur bei den Schweizern scheint dies eine völlig andere Bedeutung zu haben.

    Hier noch ein Beleg aus dem Tages-Anzeiger vom 20.8.2005

    Auch Hans Fehr, SVP-Nationalrat und Auns-Geschäftsführer, lässt sich nicht in die Sätze bringen.
    (Quelle:)

    Schon zwei Belege mit SVP-Politikern. Ob es etwas ist, was man nur als Mitglied der SVP zu Stande bringt?

    Ist jemand „schwer zu formulieren“, wenn er sich nicht in die Sätze bringen lässt? Aber warum sollte eine Person „formuliert“ werden. Wer oder was macht sonst noch einen Satz? Na klar, jetzt haben wir es: ein Pferd, wenn man ihm mit der Peitsche eins drüberbrät oder tüchtig die Sporen gibt. Dann macht es einen gewaltigen Satz und sogar meist gleich noch mehrere hintendrein. Ob das „in die Sätze bringen“ bedeutet? Jemanden kräftig zum Hüpfen und Rennen bewegen? Warum sollte ein SVP-Präsident plötzlich herumhüpfen?

    Wir lassen das Rätsel offen und ungelöst. Nicht immer hilft ein Französischkurs, nicht immer hilft ein Fremdwörterbuch, wir werden also demnächst mal wieder den freundlichen Schweizer in der S-Bahn fragen, ob er es weiss.

    Wir wollen endlich alles auf Schwiizertüütsch

    Februar 1st, 2006
  • Eine Schwester im Geiste
  • In einem Leserbrief an den Tages-Anzeigers vom 12.01.06 (S. 18) entdecken wir unverhofft eine Schwester im Geiste. Frau Eichenberger-Reichmuth aus Volketswil fordert die radikale Einführung von Schweizerdeutsch als allein gültige Schriftsprache. Die Idee hierzu kam ihr beim Wetterbericht des Schweizer Fernsehens. Was auf Tele-Züri schon lange üblich ist, und uns armen Deutschen als ewiges Vorbild für die korrekte Aussprache von astreinem Züridütsch gilt (vgl. Blogwiese), findet nun Eingang in den „Service Public“ (das ist in der Schweiz die Deutsche Übersetzung von Englisch „öffentlich-rechtlichen Sendern“, wie wir sie aus Deutschland kennen).

    „Das war eine Glanzidee des Schweizer Fernsehens, Wetterprognosen in Mundart. Macht doch nichts, wenn Meteo nur noch von Schwiizertüütsch Sprechenden verstanden wird.

    Und Frau Eichenberger-Reichmuth macht es gleich gekonnt vor, wie das sein könnte:

    Deet, wotzunä tuät fürägüxlä, ischäs mäischtsunnig. Ond übrau viumiudr, wenns mitem näbu de nit chewtr wiird. Metem hööätüüf öberde naupä.

    Dahinter steckt natürlich eine Absicht! Es ist nämlich egal, ob das noch irgend jemand ausser den Schweizern versteht:

    Hauptsache, wird sind unter uns. Sollen die Touristen, die Romands und Tessiner doch ihren Gwundr anderweitig stillen. Hauptsache, man merkt endlich, dass wir eine eigene Sprache besitzen. Genauso wie die Holländer. Dafür sollten sich alle patriotisch denkenden Schweizer endlich konsequent einsetzen. Eventuell eine eigene Partei gründen. Das wollen wir zügig angehen.

    Wir hätten auch gleich einen Namensvorschlag zu machen: „Die Naupä und Näbü Partei“. Wir wissen zwar eigentlich nicht so genau, was das heisst, aber es „tönt“ auf jeden Fall schon mal verdammt gut. Diese Partei kriegt natürlich ein Programm und wird diverse Dinge konsequent ändern:

    Deshalb werden ab sofort alle Bahnhöfe und Poststellen konsequent umbenannt und neu beschildert, und zwar in der lokalen Mundart. Es heisst dann Züri, Böju, Soleduurn, Sängälä, Seebä, Hoofdärä, Buächs, Arousä, Huttu, Buäri. Hei, wird das lustig, wenn die Japaner unterwegs sind. Denn die Fahrpläne werden natürlich auch angepasst.

    Liebe Schwester im Geiste, wir können Ihnen versichern, in Bülach muss es schon mal so eine Partei gegeben haben, oder es gibt sie noch. Denn mit den Strassennamen hat man bereits tüchtig angefangen, was mit den Ortsnamen noch ansteht:
    Beispiel:
    Vögeliacher in Bülach
    Wir haben drei Kurse „Schwiitzerdütsch für Zugezogene“ bei der Migros-Clubschule absolvieren müssen, bis wir hier den „Vogel-Acker“ herauslasen, und keine schmutzigen Nebengedanken mehr hatten.

    Das mit dem „Acher“ = Acker ist nämlich ziemlich verwirrend in Bülach, da gab es mal eine andere Partei, die hat auch Schilder eingeführt, und die schreiben „Acker“ einfach mit „Äch-“ wie „Ächer“:
    Stadtächer in Bülach

    Aber wir werden diese Kleinigkeiten schon noch in den Griff bekommen, wenn erst mal alle mitmachen:

    Dann sollte der „Blick“ sofort nachziehen und nur noch schwiizertüütschi Artikel schreiben. Mit der Zeit folgen die andern Zeitungen von selbst, irgendwann auch die Ännzättzätt. Damit lässt sich auch sparen: In der Schule gibt’s kein Hochdeutsch mehr. Frühhochdeutsch im Chindsgi wird überflüssig. Pisa wird elegant ausgebremst. Es braucht viel weniger Lehrkräfte für den Deutschunterricht, denn alle dürfen so schreiben, wie sie Schwiizertüütsch sprechen. Da stellen wir keine Regeln auf. Die arbeitslosen Deutschlehrer brauchen wir, um alle behördlichen und sonstigen infrastrukturellen Texte umzuschreiben: Gesetze, Vorschriften, Verzeichnisse, Bussenzettel (zädu oder zädl, macht nichts).

    Frau Eichenberger-Reichmuth, so wie Sie das schön beschreiben, da wird uns richtig warm ums Herz und im Gemüt:

    Dann sind wir endlich auf der Schweizerinsel, die wir ja schon lange anstreben. Und völlig unter uns. Ond aui zfrede, momoou!

    Wir sind dabei, mit Leib und Seele, ähm, mit „liib und seel“, fu ganzem härzä.
    Näbu z Huttu ond z Böju
    Foto Leserbrief Tages-Anzeiger 12.01.06 S. 18

    Was die Schweizer gerne essen (Teil 7) — Etwas Feines

    Januar 30th, 2006
  • Hunde sind herzig
  • Seit wir in der Schweiz leben, haben wir uns angewöhnt, mit einem reduzierten, äussert ökonomisch, wenn nicht sparsam eingesetzten Wortschatz auszukommen. Wir wissen zum Beispiel, dass kleine, niedliche, kuschelige Hunde, die wir süss, schnuckelig, putzig, bezaubernd, entzückend, liebenswert finden, dies in der Schweiz alles nicht sind. Hier sind sie herzig, ausschliesslich herzig, und sonst nix (vgl. Blogwiese).

  • Mit wenigen Worten viel sagen
  • Schon in der Französischen Klassik wurde das Ideal gepflegt, den auswuchernden Wortschatz der Französischen Sprache radikal zu verkleinern. Es galt als gekonnt und schick, mit wenigen Worten viel zu sagen. Bestes Beispiel: Zur Zeit der Klassik kam der Tragödiendichter Jean Racine in all seinen Dramen mit nicht einmal 5.000 Wörtern aus, während der Kollege Shakespeare über 200.000 unterschiedliche Ausdrücke in seinen Stücken verwendete. Dieses klassische Ideal, mit wenigen Worten viel zu sagen, wird offensichtlich heute noch in der Kulturnation Schweiz gepflegt. Unser liebstes Beispiel hierzu:

  • Wie war das Abendessen?
  • Die Schweizer essen nicht „zu Abend“, sondern „zu Nacht“, denn es wird früh dunkel in diesem Land. Das mag an den hohen Bergen liegen, hinter denen schnell die Sonne verschwindet, oder einfach an den Rolladen, die die Deutschen auf dem Teller zu essen bekommen (als „Roulade“) während die Schweizer sie am Abend sorgsam herunterlassen, um bedrohliche Lawinen oder Nachtbuben auszusperren.

    Fragen Sie mal einen Schweizer, wenn er „im Ausgang“ war, z. B. mit der Belegschaft seiner Firma in der Weihnachtszeit, was es zu essen gab. Wir garantieren Ihnen, die Antwort wird in 95% aller Fälle lauten:
    „Etwas Feines“.

  • Ein feines Nachtessen
  • Fein“ ist das Essen, muss es sein, wird es sein, und war es offensichtlich schon immer.
    Ein feines z’Nacht“ findet sich bei Google-Schweiz (77 Belege)
    Und ein „Feines Znacht“ mit ohne Auslassungszeichen nach dem Z gibt es 288 Mal.

    So bietet die Philo-Fachschaft der Uni-Bern auf einem Flyer an:

    Leute kennenlernen, Fragen stellen, Fragen gestellt bekommen, nebenbei ein feines Znacht essen, gemütlich zusammensitzen und natürlich ganz viel philosophieren!
    (Quelle:)

    Man achte auf die geschickte Verwendung von Schweizerdeutsch UND Hochdeutsch!

    Oder hier auf dem Flyer einer Langlauf-Skischule:

    Natürlich gönnen wir uns nach „der Arbeit“ ein feines Znacht!
    (Quelle:)

    Fein fein, können wir da nur sagen. Nicht delikat, nicht geschmackvoll, nicht lecker, sondern fein muss das Essen sein.

  • Sind Varianten schöner als Gleichförmigkeit?
  • Wir rätseln noch, wie es zu dieser Variantenarmut im Ausdruck der Schweizer kommen konnte. Der Ansatz „aus der französischen Klassik übernommen“ klingt logisch, wenn man davon ausgeht, dass die Schweiz grosse Teile ihrer Kultur via Westschweiz und Frankreich importiert haben. So z. B. die Form der „Schnürli“-Schrift = Schreibschrift mit einem echt französisch geschriebenen Schreibschift-Z (Siehe Pfeil auf dieser Tabelle):
    Französisches Schreibschrift Z in der Schweiz

    In der Mediavistik (=Sprache und Kultur des Mittelalters) haben wir ausserdem gelernt, dass es zur Zeiten von Walter von der Vogelweide,
    Walter von der Vogelweide (Foto Wiki)
    (Foto Wikipedia: Walther von der Vogelweide)
    dessen Mittelhochdeutsche Minnelyrik immer noch verdammt ähnlich wie heutiges Schweizerdeutsch klingt, es als ausgesprochen „schön“ angesehen wurde, beschreibende Adjektive häufig zu wiederholen. Der Zwang zur „Varianz“, nie die gleichen Adjektive zu verwenden, ist eine viel spätere Erfindung. Bei den Menschen im Mittelalter konnte alles „guot“ sein, und zwar viele Verse lang, ohne das sich irgendein norddeutscher Kleingeist darüber zu beschweren wagte.

    Also finden wir das „guot“, echt „guot„, einfach nur „guot“ (jetzt ist aber echt genug!).