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Die Schweiz ganz soziologisch — „Verorten“ und „in die Sätze bringen“

Unsere Lieblingslektüre beim Frühstück wurde ziemlich anstrengend, denn uns ward soziologisch schwer verdauliche Kost vom Tages-Anzeiger geboten:

  • Wir orten und verorten an alle Orten
  • Der Berner SVP-Präsident Hermann Weyeneth ist ein schlauer Politiker und als Kritiker weitherum gefürchtet. Jetzt hat er selber die Probleme, die er bei anderen verortete
    (Quelle Tages-Anzeiger 21.01.05)

    Verorten und in die Sätze bringen
    Den „Herminator“-Gag haben wir sogar verstanden, denn das war eine extrem clevere Anspielung auf Arnold Schwarzenegger als „Terminator“ (auch ein Politiker, sogar Gouverneur, jetzt in Kalifornien). Aber leider gehört das Verb „verorten“ noch nicht zu unserem gängigen Wortschatz. Ob es wiederum typisch Schweizerisch ist? Nein, weit gefehlt, es ist waschechter Soziologien-Slang und findet sich in der Soziologie beherrschenden Schweiz bei Google 802 Mal erwähnt.

    Gegencheck bei Google Deutschland? Oups, satte 163.000 Fundstellen!

    Wir sollten vielleicht doch mal wieder öfters eine Deutsche Zeitung kaufen, um danach in der Schweiz alles verstehen zu können. Der Duden klärt uns über die Bedeutung auf und bringt ein „leicht verständliches“ Beispiel als Beleg:

    ver|o.r|ten (sw. V.; hat) (besonders. Soziologie):
    einen festen Platz in einem bestimmten Bezugssystem zuweisen:
    „Sexualität ist eine existenzielle Lebensäußerung, die recht genau in der Gesamtkultur verortet und an gesellschaftliche Formen der Körpernutzung gebunden ist“ (Kursbuch 88, 1987, 121).

    Als Synonyme finden wir:

    ausgemacht, bekannt, bestimmt, definiert, durchschaut, erfasst, festgelegt, geortet, identifiziert, klar umrissen, lokalisiert, registriert, zur Kenntnis genommen; (besonders Soziologie): verortet.
    (Quelle: Duden – Das Synonymwörterbuch)

    Puh war das anstrengend! Zurück zum Artikel über Herman Weyeneth, denn der wird jetzt zur Abwechslung richtig schweizerisch!

    „Tatsächlich ist die Affäre mit allem ausstaffiert, was einen Typen wie Herman Weyeneth in die Sätze bringt

  • Bring mich doch mal in die Sätze!
  • Moment bitte, was haben wir da eben gelesen? „Jemanden in die Sätze bringen“, was kann das heissen? Es muss wieder eine Redewendung sein, die es nur in der Schweiz gibt, denn an allen Fundstellen in Google-Deutschland reden sie immer von Melodie und Satzzeichen, nur bei den Schweizern scheint dies eine völlig andere Bedeutung zu haben.

    Hier noch ein Beleg aus dem Tages-Anzeiger vom 20.8.2005

    Auch Hans Fehr, SVP-Nationalrat und Auns-Geschäftsführer, lässt sich nicht in die Sätze bringen.
    (Quelle:)

    Schon zwei Belege mit SVP-Politikern. Ob es etwas ist, was man nur als Mitglied der SVP zu Stande bringt?

    Ist jemand „schwer zu formulieren“, wenn er sich nicht in die Sätze bringen lässt? Aber warum sollte eine Person „formuliert“ werden. Wer oder was macht sonst noch einen Satz? Na klar, jetzt haben wir es: ein Pferd, wenn man ihm mit der Peitsche eins drüberbrät oder tüchtig die Sporen gibt. Dann macht es einen gewaltigen Satz und sogar meist gleich noch mehrere hintendrein. Ob das „in die Sätze bringen“ bedeutet? Jemanden kräftig zum Hüpfen und Rennen bewegen? Warum sollte ein SVP-Präsident plötzlich herumhüpfen?

    Wir lassen das Rätsel offen und ungelöst. Nicht immer hilft ein Französischkurs, nicht immer hilft ein Fremdwörterbuch, wir werden also demnächst mal wieder den freundlichen Schweizer in der S-Bahn fragen, ob er es weiss.

    

    7 Responses to “Die Schweiz ganz soziologisch — „Verorten“ und „in die Sätze bringen“”

    1. Daniel Says:

      Was könnte dieser Ausdruck wohl bedeuten?… Für einen Schweizer kein Problem 😉

      Das „die Sätze“ von „der Satz“, also „der Sprung“ herkommt, hast du ja bereits herausgefunden. Also bedeutet dies frei „übersetzt“ „jemanden zum springen bringen“
      Springen tun die aber auch nicht wirklich, sondern wurden von irgendwelchen Ereignissen oder Äusserungen anderer ganz aufgeregt und wollen/müssen nun reagieren. Wenn jemand also in „die Sätze gebracht“ wurde, dann wurde er verunsichert und versucht nun sofort dagegen vorzugehen.

    2. eggestei Says:

      Als Schweizer ist Herminator übrigens nicht nur die clevere Anspielung auf den österreichischen Gouverneur in den Staaten, sondern der Übername von Hermann Meier, dem Skifahrer, naja aus dem gleichen Land halt wie der Gouverneur… Was solls Tennis-, Segel- UND Snowboardnation Schweiz 🙂

    3. räulfi Says:

      Nun ja, so ganz aus dem Zusammenhang gelöst wars mir jetzt im ersten Moment auch nicht ganz klar. Jmd. in die Sätze bringen könnte für mich auch synonym für ‚jmd. auf die Palme treiben‘ sein (lieg ich da jetzt komplett falsch?). Aber in dem zitierten Kontext ist die Bedeutung klar.
      ‚Körpergebrauch‘, schönes Wort:-))

    4. Cruschti Says:

      Gegenscheck bei Google Deutschland: (Zitat)

      Jens, hast du nun Google einen Scheck überwiesen? Ich wusste gar nicht, dass man für Google zahlen muss…..

      PS: Herminator kommt wohl eher von der Namensverwandtschaft zu Hermann Meier und dessen Vornamen ist an Terminator angelehnt. Aber das wurde ja schon gesagt, wie ich gerade sehe *G*.

    5. Sandra-Lia Says:

      Merke: Ds Sandra het ebe öbis glernt.. 🙂

    6. Digifreak Says:

      Dieser Ausdruck war auch mir Fremd und ich bin Schweizer xD….

    7. WORTlieb Says:

      Ich sags euch jetzt:
      Jemanden „in die Sätze bringen“ stammt aus der Militärsprache und gemeint sind die Absätze der Armeestiefel. Wer in die Sätze gebracht wird, muss sich spurten, wird gehetzt und bedrängt, wird aufgefordert, zu handeln , wird angespornt. Vgl: In der Kavallerie heisst es „jemandem die Sporen geben“.