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Wie humorlos sind die Schweizer? — Machen wir uns hier über die Schweizer lustig?

  • Gehen Sie doch zurück nach Deutschland!
  • Die Blogwiese ist seit dem 01.09.2005 online. Bisher wurden über 553 Artikel veröffentlicht. Fast immer gab es zahlreiche Reaktionen. Die Leserinnen und Leser korrigierten Fehler, ergänzten Fakten oder steuerten eigene Erfahrungen bei. Oft werde ich gefragt, ob auch richtig böse Kommentare eingegangen sind. Höchste Zeit, dies einmal „gesamthaft“, wie man in der Schweiz so gern sagt, zu betrachten.

    Der Artikel: „Lebensmüde benutzen bitte den Zebrastreifen“ (siehe hier) rief eine ältere Leserbriefschreiberin aus Bülach auf den Plan. Ich hatte ihn im Neuen Bülacher Tagblatt als Glosse veröffentlicht und geschrieben, dass diese „Fussgängerstreifen“ in der Schweiz eher zur Lösung des Überalterungsproblems gedacht seien als zum Überqueren einer Strasse, denn niemand pflegt dort wirklich anzuhalten und als Deutscher fällt man sofort auf, wenn man für einen Fussgänger stoppt. Sie empfahl mir, die Zelte in der Schweiz abzubrechen und mich gleich in den nächsten Zug nach Deutschland zu setzen.

    Ich nahm Kontakt mit der Person auf, es gingen ein paar Emails hin und her, denn immerhin war der Brief nicht anonym eingegangen. Schliesslich stellte sich heraus, dass die Schreiberin selbst vor 30 Jahren aus Deutschland in die Schweiz eingewandert war und nun sehr empfindlich auf jedes „sich Lustigmachen über die Schweizer“ reagiert. Die Geschichte mit den gefährlichen Fussgängerstreifen hat sich etwas abgemildert. Es halten immer häufiger auch die Schweizer, seitdem dies verstärkt von der Polizei geahndet wird.

    Beim nächsten Mal war es wiederum ein Deutscher, der, nach 25 Jahren in der Schweiz, meinte diese gegen jegliche Angriffe verteidigen zu müssen, als ich in einem Artikel über den Tunnelbrand im Gotthard schrieb, dass man bei den Renovierungsarbeiten dieser Verkehrsachse darauf verzichte hatte, erneut Sprengstoff in der Tunneldecke zu deponieren, wie es bisher üblich war und bei allen Brücken und Tunnel der Schweiz nach wie vor üblich ist.

    Meine Schlussfolgerung: „Die Schweizer sind ein lernfähiges Völkchen“ regte diesen Leser furchtbar auf. Ich solle doch zurück nach Deutschland gehen, wenn es mir hier nicht passt. Die meisten dieser Kritiker begannen dann erst, ein bisschen ausführlicher die Artikel auf der Blogwiese zu lesen und kamen später zu einem etwas gemässigteren Urteil.

  • In der Innerschweiz wäre so ein Blog unmöglich
  • Neulich lernten wir eine Deutsche aus dem Rheinland kennen, die auch schon lange in der Schweiz lebte und sich mit ihrer typischen „rheinischen Frohnatur“ schwer tat im Umgang mit den angeblichen so humorlosen Schweizer. Sie meinte, dass ein Blog wie die Blogwiese in der Innerschweiz ganz und gar undenkbar sei. Halte ich für Unsinn, denn ein Klick auf den Sitemeter-Button unten rechts an der Seite des Blogs erlaubt es leicht, die „locations“ zu sehen, woher die Leser stammen. Diese Auswertungen sind öffentlich zugänglich und nichts ist spannender, als diese Leserströme zu beobachten und zu analysieren. Jeder kann genau sehen, was über ihn im Internet beim Besuch der Blogwiese bekannt wird. Vom Betriebssystem über den verwendeten Browser, die Surfdauer und –tiefe etc.

    Blogwiese wird also auch in der Innerschweiz gelesen und „goutiert“, nicht „foutiert“, um das mal schön schweizerisch auszudrücken (und niemand fühlt sich „touchiert“). Die meisten richtig negativen Statements kamen von Leuten, die offensichtlich die Blogwiese nicht oder nur die Überschriften gelesen hatten.

  • Wieviele böse Stimmen waren es dann?
  • In Zahlen ausgedrückt, kamen auf 1‘000 Mails oder Kommentare vielleicht 10 böse Mails oder Briefe. Drei davon anonym. Auf die Brief mit Absendern habe ich sofort geantwortet und meist entwickelte sich in der Folge eine angeregte Diskussion. Wir können daraus schlussfolgern:
    99 % der Leserinnen und Leser haben genügend Humor und Selbstironie, um sich durch die Blogwiese nicht persönlich beleidigt oder angegriffen zu fühlen.

    Ca. 1% sehen in dem Blog eine Bedrohung der Schweiz und wünschen uns weit weit weg zurück über den Rhein.
    Es sind weniger die „Bünzlis“, die sich aufregen, sondern die Secondos.

  • Streitlustige Secondos
  • Denn eine Tendenz lässt sich bei den kritischen Schreibern feststellen: Unter den stärksten Kritikern und „Beleidigten“ finden sich erstaunlich oft Secondos (= Kinder von Wahlschweizern), die hier selbst entweder gerade erst Fuss gefasst haben oder einen roten Pass beantragten, die nun ihre neue Wunsch- oder Wahlheimat Schweiz bis aufs Messer gegen jeden Kritiker verteidigen möchten. Beispiel einer solchen Stimme: Zydeco, nach eigener Aussage ein Secondo.

    Sie verlassen kaum mehr die Schweiz, klammern sich hier „an die Scholle“ und sehen durch die Artikel der Blogwiese ihre neue Heimat bedroht. Reiselustige Schweizer, die selbst mal in Deutschland waren oder in der Welt herumreisen, legen da eine viel grössere Gelassenheit und Selbstkritik an den Tag. Ausserdem verirrte sich der ein oder andere „Troll“ in die Kommentare. So nennt man im Internet-Foren User, denen es nur um die bewusste Provokation der anderen geht. So gab sich ein Deutscher als Türke aus, und schimpfte unter dieser Tarnmaske über die Schweizer, etc.
    Wirklich ganz selten (vielleicht 2-3 Mal) musste ich in den ein letzten 16 Monaten einen zu beleidigenden Kommentar löschen.

  • Der Beweis, dass Deutsche arrogant sind
  • Richtig erschrocken war ich über den recht neuen Kommentar zum dem Artikel „Das Schweizer Tür-aufhalten-Phänomen“.
    So schrieb der Leser „Peter“ :

    »Dort pflegte ich mich zu bedanken mit dem Satz: „Jetzt müssen Sie mich nur noch heimfahren, das wäre perfekt.“«
    Quod erat demonstrandum – von wegen deutscher Arroganz. (Sorry!)
    (Quelle: Kommentar von Peter

    Ich versuchte zu erklären mit der Entgegnung:

    [Anmerkung Admin: Also das soll Arroganz sein? Mensch das war doch nur ein Joke, ein lockerer Spruch, eine kleine Auflockerung zum Abschied, erwachsen aus meiner Faszination über soviel Hilfsbereitschaft. Wenn das schon als “Arroganz” = Überheblichkeit aufgefasst wird, dann sehe ich die Schweiz langsam wirklich als “anderen Kulturkreis”. Merke: Niemals ein Witz zum Schluss, wenn eine Bedankungsorgie erwartet gewesen wäre. Nein, die freundlichen Taschenträger haben stets freundlich mit gelacht über diesen Satz, und ich glaub nicht, dass sie mich als arroganten Deutschen in Erinnerung behielten.]

    Worauf Peter zurück schrieb:

    Zur Antwort von “Admin”: Die Reaktion scheint mir typisch zu sein – oder auf gut bundesdeutsch: Mir kommen die Tränen. – Kennen Sie das nicht, dass man lacht, auch wenn (oder gerade weil) man sich etwas seltsam berührt fühlt bzw. – wie Sie sich wohl ausdrücken würden – leicht veräppelt vorkommt? – Ja, Sie befinden sich in der Schweiz tatsächlich (und eben nicht nur in der französischen oder italienischen) in einem anderen Kultur- bzw. Mentalitätsbereich, kurz: im Ausland. Es fällt auf, wie gerade die Deutschen oft Mühe haben – pardon: sich schwer tun -, das schlicht und einfach zu akzeptieren oder auch nur zur Kenntnis zu nehmen. (Statt dessen wissen sie nichts Schlaueres, als sich über das, was nicht wie bei ihnen zu Hause ist, zu mokieren. Nun gut, das können Schweizer auch!)
    (Quelle: Kommentar Peter)

    Und nun bin ich verunsichert. Hatte die ganze Zeit nur alle aus Höflichkeit freundlich gelacht? Wird diese harmlose Satire vom „Türen-Aufhalten“, die ein Spiegel für das Verhalten der Eidgenossen sein soll und einfach nur eine persönliche Beobachtung wiedergibt, ohne Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit oder sozio-psychologischer Analyse, wird diese Satire tatsächlich von Peter als „sich mokieren über die Schweizer“ aufgefasst?

  • Sind Schweizer doch etwas empfindlicher?
  • Ein bisschen erinnert die Geschichte an den Artikel „Schweizer Höflichkeit vs. Schweizer Empfindlichkeit“, denn diese empfindliche Reaktion „Der macht sich lustig über uns“ ist zwar bei einem kleinen Prozentsatz der Leser aufgetreten, was nicht viel heissen mag, denn viele haben sich vielleicht einfach nicht getraut, diesen Frust und diese Meinung als Kommentar zu abzuschicken. Leider lässt sich in so einem Blog ja kein anonymer Zettel an die Wand kleben, wie in der Waschküche oder im Hausflur.

    

    51 Responses to “Wie humorlos sind die Schweizer? — Machen wir uns hier über die Schweizer lustig?”

    1. Oranje Says:

      Hier noch einen Beitrag zum gemeinsamen Deutsch-Schweizerischen Humorverständis und ausnahmsweise mal ein „deutsches Verzögerungsmoment“.
      http://www.youtube.com/watch?v=4o4FYsUTG-0