„Auch für Schweizer in Deutschland gibt es Problem“ — Erfahrungen einer Schweizerin in Berlin
April 29th, 2010Wir bekamen Post von einer Schweizerin, die seit 20 Jahren in Berlin lebt und über ihre Erfahrungen mit Deutschen schreibt:
Was mich irritiert: Ich lebe seit 20 Jahren in Deutschland. Ich kann es mir hier weder im Privaten noch im beruflichen Alltag noch auf einer Internet-Plattform erlauben, meine Beobachtungen und manchmal auch kritischen Beobachtungen über die Deutschen kundzutun.
Wenn ich es doch mal anspreche höre ich stets den deutschen Lehrer.
Wenn ich z. B. sage ich versteh nicht warum man sich morgens im Büro gar nicht grüsst und warum meine Vorgesetzten nicht sagen können: „Würdest Du bitte das und das für mich erledigen“, sondern nur im preussischen Befehlston mit mir reden können wie z. B. „Meier, mach ma‘ dies mach ma‘ das …“. Wenn ich dann selbst meinen Mitarbeitern gegenüber in meiner höflichen Art begegne um etwas bitte und mich nach getaner Arbeit bedanke, höre ich „na die Kleene hat ja keine Eier (Hahaha)“.
In was für einen Macho-Laden ist sie da wohl geraten? Idioten gibt es überall, und eine gewisse Form von Anstand gehört auch zur Deutschen Firmenkultur. Nur wird nicht grad jeder Mitarbeiter am Vormittag mit Vornamen und/oder Handschlag begrüsst, wie es bisweilen in der Schweiz geschieht
Unsere Schweizerin in Berlin berichtet weiter:
Häufig kriege ich folgende reflektierten Antworten:
„Das ist doch Dein Problem!“
„Wir sind tolerant, liberal und weltoffen!“
„Du schnallst es eben nicht, Puppe.“ (Wohlgemerkt ich bin Akademikerin, Architektin von Beruf)
„Wo kommst Du nochmals her, ach ja von unserm deutschen Ableger im Süden.“ (Hahahaha, Grööl, Polter, Schulterklopfen)
„Na wenn´s Dir hier nicht passt dann geh doch!“
„Wenn es uns nicht gäbe, gäb es Euch gar nicht.“
„Ihr existiert doch nur wegen dem Bankgeheimnis.“
„Was ne eigene Kultur? na Du hast sie ja nicht alle. Sei mal froh dass Du hier leben darfst.“
„Du hast halt kein Selbstbewusstsein, dein Problem.“
Die grösste Ursache für Deutsch-Schweizer Verständnisprobleme sieht sie beim Auftreten Thema „Selbstbewusstsein“ und „Bescheidenheit“:
Zurückhaltung und etwas Bescheidenheit wir einem hier ja gleich als mangelndes Selbstbewusstsein ausgelegt. Und Selbstkritik scheint mir -mit Verlaub – keine sehr deutsche Eigenschaft zu sein …
Auch für Schweizer in Deutschland gibt es Probleme.
Darüber zu reden, ein Verständnis, oder eine Plattform zu finden ist in dem etwas selbstgefälligen Klima hier nicht möglich. Auch ich wundere mich oft über die Deutschen und könnte über skurrile Verhaltensweisen berichten, die z .B. manchmal zwischen devoter Unterwürfigkeit und übertriebenem Selbstbewusstsein schwankt.
Viele meiner Schweizer Freunde hinterfragen sich, warum sie mit den deutschen Einwanderern Probleme haben und bemühen sich zu verstehn, was dahinter steckt und können sich auch mal kritisieren (selbst kritisieren), und sie können auch mal über sich lachen, dass sie eben Kuhschweizer sind.
Den Begriff „Kuhschweizer“ kennt meines Wissens niemand in Deutschland. Schweizer werden mit vielem assoziiert. Mit Schokolade, Skifahren, Uhren, Käse, Demokratie und Banken, aber gewiss nicht mit „Rückständigkeit“, wie sie durch „Kuhschweizer“ zum Ausdruck kommt. „Sauschwab“ oder „Saupreuss“ hat man als Deutscher wahrscheinlich eher mal gehört, bei Besuchen im Elsass oder in Bayern.
Sie schreibt weiter:
Ich hab noch keinen Deutschen in Deutschland getroffen der sich selbst hinterfragt, oder der über sich lacht und mir mal zuhört wenn ich kritisiere.
Das stimmt mich bei aller Selbstkritik nachdenklich.
Mich auch. Mit was für unmöglichen Berlinern muss diese Schweizerin in 20 Jahren zusammengelebt bzw. gearbeitet haben? Ich glaube nicht, dass Deutsche weniger selbstkritisch oder selbstbewusster als viele andere europäische Nationalitäten wie Frankreich, Italien oder Grossbritannien sind.